Allgemeines

Die Radiusköpfchenfraktur ist die häufigste Fraktur im Bereich des Ellenbogengelenks. Als Unfallmechanismus wird der Sturz auf den gestreckten Arm bei dorsal extendiertem Handgelenk beschrieben. Amis u. Miller [2] konnten in einer Kadaverstudie feststellen, dass das Speichenköpfchen die Kraft im Ellenbogengelenk bis zu einer Beugung von 80° aufnimmt und bei Überlastung frakturiert.

Schwierigkeiten bereiten beim Vorliegen einer Radiusköpfchenfraktur:

  • die klinische Frakturdiagnose,

  • die Bildgebung,

  • die Klassifikation der Fraktur

  • die Behandlung.

Diagnostik

Klinische Untersuchung

Bei der klinischen Untersuchung imponiert neben der aufgehobenen oder eingeschränkten Funktion besonders der lokale Druckschmerz. Häufig bestehen auch ulnarseitig über dem Ellenbogengelenk Schmerzen, weil das ulnare Seitenband durch die Valgusstellung beim Unfall oft mitbetroffen ist. Starke Schwellung oder ein oberflächliches Hämatom sind nur bei ausgeprägter Zerstörung oder bei schlanken Verletzten feststellbar. Beim intubierten oder nicht kooperativen Patienten können isolierte Verletzungen initial übersehen werden. Bei der Untersuchung des Patienten muss immer auf relevante Begleitverletzungen der benachbarten Gelenke geachtet werden. So berichteten Wildin et al. [30], dass Kahnbeinbrüche bei 6% der Fälle zusammen mit Radiusköpfchenfrakturen auftreten.

Ambacher et al. [1] beobachteten bei 113 Patienten mit Radiusköpfchenfraktur insgesamt 117 Begleitverletzungen im Bereich des betroffenen Arms. Zusätzlich treten Radiusköpfchenfrakturen als Begleitverletzungen von schweren Unterarmfrakturen wie der Monteggia-Fraktur oder der Essex-Lopresti-Luxation auf (Abb. 1, 2). Es ist daher wichtig, bei der Diagnosestellung einer Radiusköpfchenfraktur auf entsprechende Begleitverletzungen zu achten bzw. umgekehrt bei Frakturen im Unterarmbereich an die Möglichkeit einer solchen Verletzung zu denken.

Abb. 1
figure 1

Kombinierte Radiuskopf- und Monteggia-Fraktur

Abb. 2
figure 2

Essex-Lopresti-Luxation

Bildgebung

Röntgen

Die röntgenologische Untersuchung des Ellenbogens beim Verdacht auf eine Radiusköpfchenfraktur erfolgt exakt im a.-p. und seitlichen Strahlengang. Grobe Dislokationen des Speichenköpfchens sind in der Regel in diesen Aufnahmen einfach zu diagnostizieren. Unter Umständen muss eine Schrägaufnahme im 45°-Winkel nachgeholt werden, um einen Gesamtüberblick über die Gelenkfläche des Radiusköpfchens zu erhalten [8]. Die Verwerfung der konkaven Gelenkfläche ist ein Hinweis auf das Vorliegen einer Fraktur (Abb. 3). Das Vorliegen eines positiven Fettzeichens, als Ausdruck des Gelenkergusses, insbesondere im Bereich der Supinatorloge, stellt einen indirekten Hinweis auf eine Fraktur dar.

Abb. 3
figure 3

Verwerfung der Gelenkfläche

Ultraschall

Eine sonographische Untersuchung kann durch Nachweis des Gelenkergusses einen indirekten Frakturnachweis liefern. Kessler et al. [11] zeigten bei 36 Patienten einen Gelenkerguss im Vergleich zur unverletzten Seite und stellten so die Indikation zu weiterer Diagnostik. Trotzdem ist die Sonographie nach Speichenköpfchenfrakturen nicht als standardisiertes Untersuchungsverfahren anzusehen.

Computertomographie

Der Stellenwert der Computertomographie des Ellenbogengelenks zur Feststellung eines Speichenköpfchenbruchs ist gering. Indikation zur Computertomographie ist aus unserer Sicht v. a. die Abklärung komplexer Ellenbogenverletzungen. Die CT ist bei der isolierten Radiuskopffraktur nur in Ausnahmefällen bei der Indikationsstellung zur weiteren Therapie hilfreich [28]. Möglicherweise wird sie in Zukunft u. a. bei der Operationsvorbereitung zur Implantation einer individuell angefertigten Radiusköpfchenprothese eingesetzt werden.

Klassifikation

Klassifikation nach Mason

Eine weit verbreitete, weil einfach anwendbare Klassifikation der Radiusköpfchenfrakturen ist die Einteilung nach Mason [16]:

  • Typ-I-Fraktur nach Mason: nicht oder nur geringfügig dislozierte Fissur oder Meißelfraktur

  • Typ-II-Fraktur nach Mason: abgerutschte oder versetzte Fraktur mit seitlichem Fragment

  • Typ-III-Fraktur nach Mason: alle Frakturen mit Zertrümmerung und Beteiligung des gesamten Köpfchens

  • Typ-IV-Fraktur nach Mason

    Die Definition der Typ-IV-Fraktur nach Mason ist in der Literatur nicht eindeutig, u. a. wird die Halsfraktur des Radiuskopfes als Mason-IV-Fraktur erwähnt [17].

AO-Klassifikation

Die AO-Klassifikation der Frakturen des Ellenbogengelenks ist im Vergleich zur Einteilung nach Mason komplexer, wobei das Ausmaß der Dislokation bei isolierter Verletzung des Radiusköpfchens (21B2) keine weitere Berücksichtigung findet [26].

Behandlung

Radiusköpfchenfrakturen werden uneinheitlich therapiert, evidenzbasierte Studien über die Behandlung der Radiusköpfchenfrakturen fehlen.

Konservative Therapie

Die konservativen Therapievorschläge umfassen [14, 16, 17, 22, 23]:

  • eine unterschiedlich lange Ruhigstellung in einer Oberarmgipsschiene während Schmerzen bestehen,

  • eine antiphlogistische Therapie,

  • Gelenkpunktion und

  • die frühfunktionelle Behandlung unter krankengymnastischer Anleitung.

Radin u. Riseborough [22] stellten bereits 1966 in einer Übersicht fest, dass von 701 Mason-I-Frakturen 588 unter konservativer Therapie mit befriedigendem Resultat ausheilten.

Liow et al. [15] zeigten in einer randomisierten Studie, dass die Patienten mit geringfügig dislozierten Frakturen von einer sofortigen Mobilisation profitieren. In ihrer Untersuchung an konservativ behandelten Brüchen ergaben sich durch diese Therapie keine Nachteile für den Patienten oder Vorteile durch eine Operation. Im Vergleich zur Gruppe mit 5-tägiger Immobilisation litten die sofort mobilisierten Patienten unter weniger Schmerzen und hatten zu Beginn ein höheres Bewegungsausmaß.

Ring et al. [23] beschrieben verzögerte Heilungsverläufe nach konservativer Behandlung. Die Konsequenzen einer Radiuskopfpseudarthrose wurden als sehr gering beschrieben.

Operative Therapie

Bei der operativen Therapie von Radiusköpfchenfrakturen fehlen klare Indikationen. Zudem gibt es unterschiedliche Osteosyntheseverfahren. In der Regel wird in der Literatur über die Ergebnisse nach Typ-II- und -III-Verletzungen berichtet [12, 21, 24], sodass man daraus indirekt schließen könnte, dass Mason-I-Verletzungen konservativ behandelt werden. Geel et al. [8] empfahlen eine Operation bei einer Fragmentgröße von mehr als einem Viertel der Gelenkfläche oder einer Fragmentdislokation von mehr als 2 mm. Ein Fallstrick in der Therapie der Radiusköpfchenfraktur ist die hohe Diskrepanz zwischen radiologischem und intraoperativem Befund. Das Röntgenbild täuscht meist ein geringeres Verletzungsausmaß vor (Abb. 4) [3, 14].

Abb. 4
figure 4

Osteosynthese mittels Polylaktidpin

Nach operativer Therapie von Mason-II- und -III-Verletzungen wurden überwiegend gute Ergebnisse berichtet [12, 17, 21, 24]. Bei King et al. [12] heilten die Typ-II-Frakturen bei 8 Patienten nach operativer Therapie und frühzeitiger Mobilisation fast folgenlos aus. Ähnlich gut waren auch die Ergebnisse von Ring et al. [24]. Hier erreichen 30 Patienten mit einer Mason-II-Fraktur im Mittel einen Morrey-Score von 92 (Maximum 100) bei fast freier Beweglichkeit des Ellenbogengelenks. Vergleichskollektive bezüglich konservativer Therapie bei Mason-II- und -III-Verletzungen fehlen in der Literatur.

Zur operativen Stabilisierung von Radiusköpfchenfrakturen wurden unterschiedliche Verfahren angegeben, wobei verschiedene Autoren gleichzeitig mehrere Operationstechniken anwenden. Das Osteosynthesematerial muss dabei häufig über den Gelenkknorpel eingebracht werden. Verwendet werden insbesondere Minifragmentschrauben aus Titan, T-Platte, Kirschner-Drähte, Herbert-Schraube, Polylaktidpins (Abb. 5) und Prevot-Stifte [12, 14, 17, 21, 24].

Abb. 5
figure 5

Intraoperativer Situs

Ist eine Mason-III-Fraktur nicht mehr durch eine Osteosynthese zu behandeln, stellt sich die Frage der primären Resektion oder der prothetischen Versorgung. Einigkeit besteht darüber, dass die Resektion, wenn notwendig, frühzeitig erfolgen sollte [1, 4, 14, 16, 17]. Bereits Böhler [4] empfahl die Resektion des Speichenköpfchens in den ersten Stunden, nicht jedoch zwischen dem 3. und dem 21. Tag nach der Verletzung. Durch die Resektion werden laut Leppilahti u. Jalovaara [13] teilweise erhebliche Nachteile in Kauf genommen. Dies betrifft v. a. eine Verminderung der Gebrauchsfähigkeit durch Instabilität, Schmerzen, proximalen Radiusvorschub und heterotope Ossifikationen. Als Alternative hierzu sollte nach Ansicht der vorgenannten Autoren der Ersatz mit einer Prothese erfolgen. Im Gegensatz dazu kamen Janssen u. Vegter [10] in einer Untersuchung an 25 Patienten und einem Follow-up von 16–30 Jahren zu der Überzeugung, dass die Resektion des Radiusköpfchens vorwiegend gute bis sehr gute Ergebnisse erbringt. Insbesondere besteht kein Zusammenhang zwischen Radiusvorschub und Handgelenkbeschwerden [5, 18, 20, 22]. Ambacher et al. [1] zeigten im Vergleich für die frühzeitige Resektion (Operation weniger als 14 Tage nach dem Trauma) ein gutes bis mäßiges Ergebnis bei 10 Patienten. Bei der sekundären Resektion erzielten nur 1 Patient ein gutes, 3 Patienten ein mäßiges und 15 Patienten schlechte Resultate. Aufgrund dieser Ergebnisse empfahlen Ambacher et al. [1] die sofortige Resektion, sofern keine Rekonstruktion mit der Möglichkeit einer frühfunktionellen Behandlung besteht.

Die Implantation einer Radiusköpfchenprothese wird kritisch betrachtet [2, 27]. Dies ist v. a. auf die ernüchternden Ergebnisse mit der Silastic-Prothese von Swanson zurückzuführen. Die Indikation zur Prothesenversorgung wurde von Röhm et al. [25] bei der klinisch und radiologisch fassbaren Valgusinstabilität des Ellenbogengelenks akut nach Verletzung oder sekundär nach Resektion gesehen. Die bisher veröffentlichen Fallzahlen sind gering, Vergleichspopulationen fehlen, die Nachuntersuchungszeiträume sind meist kurz, und die Evaluation der Ergebnisse erfolgte behandlerabhängig. Die Berichte über die Ergebnisse nach Implantation einer Frakturprothese sind aber durchweg positiv [6, 9, 19]. In einem Kollektiv von 30 Patienten stellten Wick et al. [29] bei 74% ein gutes bis befriedigendes Ergebnis fest. Insgesamt 27% der Patienten beklagten ein schlechtes Ergebnis, welches bei 3 Patienten durch periartikuläre Verkalkungen bedingt war. Keiner dieser Patienten wünschte jedoch eine operative Revision. Zusammenfassend kamen Wick et al. [29] zu der Überzeugung, dass die Radiuskopfprothese nach strenger Indikationsstellung und korrekter Operationstechnik evidente Vorteile im Sinne einer wiedererlangten Gelenkstabilität und verminderten Sekundärrisiken birgt. Moro et al. [19] sahen in einem Kollektiv von 25 Patienten Begleitverletzungen am Ellenbogengelenk als Ursache mäßiger Ergebnisse an.

Fazit für die Praxis

Leitlinien oder Empfehlungen, die auf den Grundlagen der evidenzbasierten Medizin erarbeitet wurden, liegen für die Versorgung der Speichenköpfchenfrakturen bisher nicht vor. In Tabelle 1 stellen wir unseren Algorithmus dar, an den wir uns für gewöhnlich beim Vorliegen einer isolierten Radiusköpfchenfraktur halten. Insbesondere betrachten wir eine Dislokation von 2 mm als grenzwertig und als durchaus kritische Operationsindikation. Bei der operativen Versorgung sind die Prinzipien der Gelenkchirurgie zu beachten.

Tabelle 1. Therapiealgorithmus Radiusköpfchenfraktur

Nicht verschobene oder gering verschobene, aber auch durchaus Mehrfragmentfrakturen sollten unter analgetischem Schutz sofort frühfunktionell behandelt werden. Die Anlage einer Oberarmgipsschiene erfolgt kurzzeitig (5–14 Tage) zur Schmerzreduktion. Abgekippte Fragmente sollten nach Reposition durch eine Osteosynthese gehalten werden. Wir bevorzugen resorbierbare Polylaktidstifte oder versenkte Minifragmentschrauben. Eine Entfernung des Osteosynthesematerials ist nicht notwendig. Bei einem stark verschobenen Bruch oder Zerstörung des Speichenköpfchens sollte die frühzeitige und primäre Resektion erfolgen, ggf. sollte beim Vorliegen einer höhergradigen Instabilität die Implantation eines künstlichen Gelenks vorgenommen werden.