Zusammenfassung
Retrospektiv wurden 137 Frakturen des distalen Radius/Unterarmes, die an der Unfallklinik Murnau vom 1.1.2002 – 28.2.2003 operiert wurden, mit der Frage nach Indikation, Technik und klinischem Nutzen der winkelstabilen Plattenosteosynthese nachuntersucht. Insgesamt wurden 61 Frakturen winkelstabil versorgt. 27-mal wurde die Platte volar, 34-mal dorsal platziert. Die komplexen Frakturen wurden häufiger mit winkelstabiler als mit konventioneller (N=48) Platte stabilisiert. Die Unterschiede zwischen präoperativer Ausgangssituation und postoperativ erreichtem Ergebnis, gemessen in Anlehnung an das radiologische Score-System der AO-Arbeitsgruppe "Distaler Radius", zeigten eine Überlegenheit der winkelstabilen Versorgung (24,1 dorsal bzw. 26,3 volar) gegenüber der konventionellen Platte (23 dorsal bzw. 16,9 volar) an. Auch die relative Verkürzung der postoperativen Gipsruhigstellung und des Intervalls Operation—Krankengymnastikbeginn sprechen für die winkelstabile Strategie. Die Komplikationsrate von 16% bei winkelstabiler Plattenosteosynthese ist eventuell zu senken, indem häufiger die volare Plattenlage mit genereller Spaltung des Karpaltunnels vorgenommen würde.
Abstract
One hundred thirty-seven fractures of the distal end of the radius/forearm were operated at the Murnau trauma center in Germany between January 2002 and February 2003. Indication, operative technique, and clinical advantages of the locking T plate were studied retrospectively. Sixty-one fractures were treated by this method. The locking plate was implanted 27 times at the palmar aspect of the radius and 34 times at the dorsal aspect. Complex fractures were treated by the locking plate more often than by conventional plates (n=48). The differences between preoperative states and postoperative results, measured according to the radiologic score-system of the AO Distal Radius Work Group, showed advantages of the locking plate (24.1 dorsal, 26.3 palmar) vs conventional plates (23 dorsal, 16.9 palmar). Furthermore, reduction of both the postoperative cast fixation period and the interval between operation and the start of functional therapy also speak for the locking plate. Its rate of complications (16%) may be diminished by using the palmar approach more often with general release of the carpal tunnel.
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Dr. Abraham Colles beschrieb 1814 die Frakturen des distalen Radius als es die Möglichkeiten der Anästhesie, der aseptischen Chirurgie, der Röntgendiagnostik und der Elektrizität noch nicht gab, wie folgt:
"One consolation only remains, that the limb will at some remote period again enjoy perfect freedom in all its motions, and be completely exempt from pain; the deformity, however, will remain undiminished throughout life" (zitiert nach: [16]).
Im Laufe der Zeit hat sich die Einstellung zu den Frakturen des distalen Radius und Unterarms, die fast 20% aller Frakturen ausmachen, verändert. Eine konservativ geprägte Therapie kann gute funktionelle Erfolge erzielen, jedoch müssen schlechte Ergebnisse mit einer Häufigkeit von ca. 30% in Kauf genommen werden. Dislokation und sekundäres Abrutschen sind die Komplikationen, die häufig eine operative Behandlung indizieren. Neben der Osteosynthese durch K-Draht ist die Fixateur-externe-Behandlung auch auxiliär gut etabliert, zunehmend werden Schrauben- und Plattenosteosynthesen von volar und von dorsal, teilweise kombiniert mit Spongiosaplastik durchgeführt. Obwohl sich die durchschnittliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit im Vergleich zu den Mitteilungen von Böhler 1935 (damals 144 Tage) [4] mit heute 67 Tagen mehr als halbiert hat, ist der Anteil an Rentenfällen mit 15–70% je nach Frakturtyp sehr hoch [11]. Böhler ermittelte dagegen 1935 bei keinem Patienten eine Dauerrente wegen einer Fraktur des distalen Speichenendes.
Ein Schlüssel zur Verbesserung der aktuellen Behandlungskonzepte der distalen Radiusfraktur könnte die Einführung winkelstabiler Implantate sein. In der vorliegenden Arbeit sollen die ersten Erfahrungen an der Unfallklinik Murnau nach gut einem Jahr mit der winkelstabilen Plattenosteosynthese am distalen Radius beleuchtet werden. Die hier präsentierten präliminären Daten sollen Hinweise geben, ob die neue Methode eine Verbesserung der operativen Therapie am distalen Radius erwarten lässt.
Hypothese war, dass die winkelstabilen Platten bei Extensionsfrakturen sowohl von dorsal als auch von ventral implantiert werden können, sich die zusätzliche Gipsfixation verkürzt und die funktionelle Therapie früher eingeleitet werden kann.
Patienten und Methoden
Retrospektiv wurden alle Patienten mit frischen distalen Radius- und Unterarmbrüchen, die an der Unfallklinik Murnau vom 01.01.2002 bis 28.02.2003 operiert wurden, in die Studie einbezogen. Als Indikation zur Operation galten:
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instabile Frakturen,
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dislozierte intraartikuläre Frakturen,
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Frakturen mit II- und III-gradigen Weichteilschaden,
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traumatisches Karpaltunnelsyndrom,
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sekundär nach nichtoperativem Behandlungsversuch redislozierte Frakturen,
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dislozierte Barton-Frakturen,
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dislozierte Smith-Frakturen,
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Durchblutungsstörungen nach Reposition,
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Komplexverletzungen des Handgelenkes und der Handwurzel,
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operationspflichtige lokale Zusatzverletzungen,
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Serienverletzungen der oberen Extremität und
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Mehrfachverletzungen.
Die verschiedenen operativen Optionen wurden differenziert angewendet, wobei die Entscheidung zur winkelstabilen oder konventionellen Platte nicht systematisch festgelegt war, wenn eine Plattenosteosynthese indiziert wurde.
Als Grundlage für die Untersuchung diente ein Erhebungsbogen, der unter anderem die Dislokationsrichtung und den Typ der Fraktur nach der AO-Klassifikation, die postoperative Gipsruhigstellung in Tagen, den Beginn der Krankengymnastik nach der Operation in Tagen sowie die radiologischen Kriterien des a.-p. und seitlichen Böhler-Winkels, den Ulnavorschub und die Gelenkstufe sowie die postoperativen Komplikationen erfasste. Die radiologischen Ergebnisse wurden in Anlehnung an das Score-System der AO-Arbeitsgruppe "Distaler Radius" (zitiert nach [17]) ausgewertet (Tabelle 1).
Operative Strategie
Die winkelstabilen Platten wurden standardisiert in folgender Technik implantiert:
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1.
Dorsaler Zugang (Beispiel A: Abb. 1, 2, 3, 4, 5)
Nach Durchtrennung der Haut und Unterhaut wird der Radiusschaft distal und ulnar der Mm. extensor pollicis brevis et abductor pollicis longus bzw. radial der Mm. extensor pollicis longus et extensor digitorum dargestellt. Danach wird das Retinaculum extensorum zwischen den Sehnen der Mm. extensor carpi radialis longus et brevis (radial) und des M. extensor pollicis longus (ulnar) gespaltet. Das Tuberculum Lister wird abgetragen, der Knochen aber nicht verworfen. Über ein Hypomochlion wird durch Zug und Gegenzug ggf. durch Daumendruck oder Kugelspitz die Fraktur offen reponiert. Die resezierten Knochenpellets aus dem Tuberculum Lister werden als lokale Maßnahme zur Wiederauffüllung der metaphysären Trümmerzone in die Fraktur reimplantiert. Danach wird eine schrägwinklige LCP-T-Platte 3,5 mm im T-Bereich leicht konvex angebogen und die erste Schraube im Schaftbereich konventionell besetzt, um die Platte an den Schaft heranzuziehen.
Nach der Bildwandlerkontrolle und endgültigen Positionierung der Platte werden alle übrigen Schrauben mit Hilfe der Führungsbüchse vorgebohrt und winkelstabil besetzt. Auch die primär eingebrachte konventionelle Schraube kann nun durch eine winkelstabile Schraube ersetzt werden, weil die winkelstabilen Schrauben in der Platte versenkt werden und so die Sehnen nicht mehr irritieren können. Nach der Abschlusskontrolle mit dem Bildwandler wird das Retinakulum rekonstruiert, ggf. erfolgt eine Retinakulumplastik nach Jupiter (persönliche Mitteilung) zur Prophylaxe einer Luxation der M. extensor-pollicis-longus-Sehne. Die Nachbehandlung ist gipsfrei, bzw. sieht eine funktionelle Behandlung aus einer weichteilstabilisierenden Gipsschiene heraus vor. Die Metallentfernung sollte nach 3–4 Monaten mit Tendolyse und Narkosemobilisierung des Handgelenkes erfolgen.
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2.
Volarer Zugang (Beispiel B: Abb. 6, 7, 8, 9)
Es stehen zwei Standardzugänge alternativ radial oder ulnar der Sehne des M. flexor carpi radialis zur Verfügung. Bei radialem Vorgehen muss der N. medianus nicht dargestellt werden. Wenn ein ulnares Kantenfragment reponiert oder der Karpaltunnel gespalten werden muss, wird der ulnare Weg bevorzugt, der hier näher beschrieben wird:
Nach der Inzision der Haut und Spaltung der Flexorenfaszie wird der N. medianus identifiziert und sein sensibler Hautast zum Thenar dargestellt. Ggf. wird der Karpaltunnel unter Schonung des motorischen thenaren Astes gespalten. Man geht nun zwischen dem M. flexor carpi radialis und dem M. palmaris longus auf den M. pronator quadratus ein, der N. medianus kann nach ulnar oder radial gehalten werden. Der M. pronator quadratus wird radial abgekerbt und die Fraktur dargestellt und reponiert. Ggf. ist eine temporäre K-Draht-Fixierung der Reposition hilfreich, zumal die volare Platte anatomisch nicht ganz plan der distalen, volaren Radiusfläche aufliegt und eigentlich leicht geschränkt werden müsste. Von volar wird eine rechtwinklige, vorgebogene LCP-T-Platte 3,5 mm implantiert, wobei die erste Schraube im Schaftbereich wiederum konventionell besetzt wird, um die Platte an den Schaft heranzuziehen.
Nach der Bildwandlerkontrolle und dem endgültigen Positionieren der Platte, so dass das distale Plattenende ca. 5 mm vom Gelenk entfernt zu Liegen kommt, werden alle übrigen Schrauben winkelstabil mit Hilfe der Führungsbüchse vorgebohrt und besetzt. Nach einem Abschlussröntgen kann der M. pronator quadratus rekonstruiert werden, die Subkutannaht soll nur außerhalb der Karpaltunnelebene angelegt werden. Eine Metallentfernung ist bei volarer Plattenlage nicht zwingend erforderlich.
Ergebnisse
Vom 01.01.2002 bis 28.02.2003 sind in der Unfallklinik Murnau 137 Frakturen am distalen Radius bzw. Unterarm operativ stabilisiert worden. Es handelte sich insgesamt um 118 Extensions- und 19 Flexionsfrakturen. Tabelle 2 gibt die Verteilung der Operationsmethoden nach der AO-Klassifikation geordnet wieder.
Bei den winkelstabilen Osteosynthesen (n=61) waren 54-mal die Extensions- und 7-mal die Flexionsfraktur Indikationen für die Operation. Die Versorgung erfolgte 27-mal von volar und 34-mal von dorsal. Die Extensionsfrakturen wurden 20-mal (37%) von volar winkelstabil versorgt. Die radiologischen Ergebnisse nach den Kriterien des Score-Systems der AO-Arbeitsgruppe "Distaler Radius" zeigt Tabelle 3. Tabelle 4 lässt darüberhinaus die Score-Mittelwerte der präoperativen Fraktursituation und des erreichten postoperativen Ergebnisses für konventionelle und winkelstabile Platten vergleichen.
Die postoperative Gipsruhigstellung konnte für die winkelstabile dorsale Platte von 16,2 (konventionelle Platte) auf 13,8 Tage reduziert werden. Auch das Intervall zwischen Operation und Krankengymnastikbeginn wurde von 8,6 Tagen (konventionell) auf 3,2 Tage (winkelstabil) verkürzt. War die postoperative Gipsruhigstellung bei ventraler Plattenlage leicht verlängert (15,8 winkelstabil gegenüber 14,7 Tagen konventionell), so konnte auch hier das Intervall zwischen Operation und Krankengymnastikbeginn mit dem winkelstabilen Implantat von 11 (konventionelle Platte) auf 6,5 Tage verkürzt werden. Insgesamt beobachteten wir bei 10 winkelstabilen Implantaten 11 Komplikationen, was einer Rate von 16% entspricht (Tabelle 5).
Diskussion
Neben den etablierten Verfahren der operativen Stabilisierung des distalen Radius und Unterarms mit K-Draht, Fixateur externe, Platte, Spongiosaplastik inkl. der arthroskopisch assistierten Möglichkeiten [16] stehen mittlerweile auch winkelstabile Plattensysteme zur Verfügung. Winkelstabile Plattensysteme werden auch als interne Fixateure bezeichnet und gelten seit Anfang der 1980er Jahre als Implantate der Wahl bei hochinstabilen gelenknahen Situationen, hier insbesondere für das distale Femur [2, 18], aber auch für die proximale Tibia [1] für die Osteosynthese langer Röhrenknochen [10]. Winkelstabile Systeme sind insbesondere dann geeignet, wenn die Osteosynthese auf Distanz erfolgt, wie z. B. bei den dorsalen und ventralen Spondylodesen von Brustwirbelsäulen- und Lendenwirbelsäulenfrakturen [3].
π-Platte
Am distalen Radius handelt es sich in der Regel um Extensionsfrakturen und das abstützende Implantat sollte deswegen aus pathomechanischen Gesichtspunkten idealerweise von dorsal implantiert werden. Dieser Überlegung entsprechend wurden teilweise originelle Implantate entwickelt, die von dorsal die Fraktur abstützen und sich den anatomischen Gegebenheiten anpassen sollen. Das Ergebnis war die so genannte π-Platte, die von dorsal sowohl für frische Frakturen [13] als auch für Korrekturosteotomien [9] empfohlen wird.
Doppelplattenosteosynthese
Der Vorstellung Rechnung tragend, dass dorsal eine metaphysäre Trümmerzone entsteht, fordern manche Autoren die obligate Auffüllung mit Spongiosa mit Entnahme z. B. aus dem Beckenkamm bei der dorsalen Plattenostesynthese [15]. Andere Autoren wiederum propagieren die so genannte Doppelplattenosteosynthese von dorsal mit Spongiosaplastik und räumen diesem Verfahren Vorteile gegenüber der π-Platte ein [6]. Während die letzteren Autoren zwei 1/4 Rohrplatten verwenden, werden auch dorsale Doppelplattenosteosynthesen propagiert, wobei die eine Platte T-förmig konfiguriert ist und dadurch eine funktionelle Nachbehandlung erlauben [8, 12].
Gerade die Doppelplattenosteosynthesen versuchen Stabilität durch eine günstige Lage der Platten zueinander zu erreichen, indem sie etwa im Winkel von 50–70° zueinander implantiert werden. Demgegenüber steht die Strategie, die Frakturen generell von volar mit Platte zu stabilisieren [14] und den metaphysären Defekt durch eine separate dorsale Inzision mit Spongiosa aufzufüllen [19].
Winkelstabile T-Platte
Auch für die Unterarmfrakturen wurden Plattenfixateursysteme in die Therapie eingeführt, wobei die Schrauben nicht unbedingt bikortikal montiert werden müssen [5, 7]. Letztendlich wurden auch winkelstabile T-Platten für die distale Radius- und Unterarmfraktur entwickelt, die es erlauben die Schrauben im vorgegebenen Winkel winkelstabil in der Platte zu montieren. In einer ersten Studie von Uzdil et al. 2001 [17] wurden die volaren winkelstabilen Platten mit den volaren konventionellen Platten für die Stabilisierung von distalen Radiusextensionsfrakturen verglichen. Die winkelstabilen Implantate haben funktionell und radiologisch in dieser Studie besser abgeschnitten, ebenso wurde die Hospitalisationszeit um 1,1 Tage und die Nachbehandlungszeit auf 3 Wochen gedrückt. Auch die Komplikationsrate war für die winkelstabilen Implantate mit 7% versus 12% geringer.
Prinzipell verspricht das winkelstabile Schrauben-Platten-System für den distalen Radius Vorteile, da es sowohl für die Extensions- als auch für Flexionsfraktur als Standardosteosynthese geeignet ist und eine übungsstabile Situation herbeiführen kann. Es ist möglich, die Platte sowohl von dorsal als auch von volar zu implantieren. Im eigenen Vorgehen wurden die Extensionsfrakturen in 37% von volar versorgt. Gerade die Reposition bei der Extensionsfraktur kann von volar leichter sein, insbesondere wenn ein nach volar disloziertes ulnares Kantenfragment reponiert werden muss. Durch die winkelstabile Verbindung zwischen Platte und Schrauben ist dorsal auch bei volarer Plattenlage im Bereich der metaphysären Trümmerzone kein wesentlicher Stabilitätsverlust zu erwarten. Das distale Fragment reitet sozusagen auf den winkelstabilen Schrauben, die einer Nachsinterung entgegenwirken. Auch eine Spongiosaplastik zur Auffüllung der Defektzone erübrigt sich, weil durch das winkelstabile System ein Nachsintern der Fraktur kaum zu befürchten ist. Wird der angegebene Abstand von 5 mm vom distalen Plattenende bis zur volaren Gelenklippe eingehalten, besteht keine Gefahr, dass durch den vorgegebenen Implantatwinkel die Schrauben im Gelenk zu liegen kommen. Der volare Zugang ermöglicht zudem eine Karpaltunnelspaltung und ein Belassen des Implantates nach der Frakturheilung.
Auch von dorsal bedingt das Implantat prinzipielle Vorteile. Die Schrauben werden in der Platte versenkt und können sich nicht selbst lösen. Irritationen der Strecksehnen durch die Schrauben sind dadurch minimiert. Die oben beschriebene Technik der Resektion des Tuberculum Lister und mit leichtem Anbiegen des distalen Plattenstegs wirkt Irritationen durch die Platte selbst entgegen. Einer Luxation der M. extensor-pollicis-longus-Sehne wird durch eine Retinakulumplastik vorgebeugt. Die Winkelstabilität ermöglicht in der Regel die frühfunktionelle Nachbehandlung ohne Gips, bei noch mehr Erfahrungen mit dem neuen Implantat kann ggf. auch auf die weichteilprotektive Gipsschienung bis zur Wundheilung verzichtet werden. Das winkelstabile Implantat ist besonderes auch für die Osteosynthesen bei hochbetagten Patienten mit hochgradiger Osteoporose geeignet.
Frakturen mit ausgedehnter Trümmerzone
Bei Frakturen mit ausgedehnter Trümmerzone wie A3-, C2- und C3-Typen wurde das winkelstabile Implantat bevorzugt verwendet, wobei die radiologische Kontrolle, gemessen mit dem Scoring-System der AO-Arbeitsgruppe "Distaler Radius" bei 48 von 61 Patienten ein gelungenes, bei 11 Patienten ein tolerables und nur bei 2 Patienten ein unbefriedigendes Ergebnis erbrachte. Die primären Ergebnisse sind in dieser Serie mit denen der konventionell implantierten Platten vergleichbar und nicht signifikant unterschiedlich. Es wurden jedoch deutlich mehr A3- und C3-Frakturen aus einer schlechteren Ausgangssituation heraus mit der winkelstabilen Platte operiert als mit der konventionellen Platte, was insbesondere aus der Aufstellung der präoperativen radiologischen Scores hervorgeht.
Postoperative Gipsruhigstellung
Die Dauer der postoperativen Gipsruhigstellung konnte tendenziell, aber nicht signifikant reduziert werden. Dagegen wurde das Intervall bis zum Beginn der Krankengymnastik deutlich mit dem winkelstabilen Implantat verkürzt. Wohl bedingt durch die ungünstigere Fraktursituation wurden bei der winkelstabilen Platte eine relativ hohe Komplikationsrate von 16% dokumentiert. Insbesondere steht hier die Ruptur der M. extensor-pollicis-longus-Sehne und ein posttraumatisches Karpaltunnensyndrom im Vordergrund. Beide Komplikationen hätten retrospektiv durch eine volare Plattenlage mit Spaltung des Karpaltunnels vermieden werden können.
Kostenvergleich
Winkelstabile Platten kosten im Vergleich zu konventionellen Implantaten etwa 30% mehr (ca. 45 zu 60 €, beide 4-Loch). Eindeutig teurer sind die Schrauben mit Kosten von ca. 6 € für eine Standardschraube und 24 € für die winkelstabilen Schrauben (beide 20 mm).
Algorithmus
Da mit dem winkelstabilen Implantat die Extensionsfrakturen generell von volar und von dorsal stabilisiert werden können, wird folgende Strategie als Entscheidungshilfe empfohlen:
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Für das Vorgehen von dorsal spricht ein nach dorsal disloziertes ulnares Kantenfragment oder eine anatomische geschlossene Reposition.
-
Von volar sollten die Frakturen angegangen werden, die eine Dislokation des ulnaren Kantenfragmentes nach volar aufweisen, wenn eine Medianussymptomatik vorliegt oder das Implantat belassen werden soll.
Hinweise für die Praxis
Der potenzielle klinische Nutzen der winkelstabilen Plattensysteme am distalen Radius lässt sich wie folgt zusammenfassen:
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1.
Sowohl für die Extensions- als auch für die Flexionsfraktur ist das Implantat zur Standardosteosynthese geeignet.
-
2.
Es ist sowohl die volare als auch die dorsale Implantatlage ohne Stabilitätsverlust insbesondere in der dorsalen metaphysären Trümmerzone möglich.
-
3.
Die Winkelstabilität erlaubt eine frühfunktionelle Nachbehandlung, so dass häufig auf eine zusätzliche Gipsfixation verzichtet werden kann.
-
4.
Der Zugang von volar ermöglicht:
- a):
-
die Karpaltunnelspaltung,
- b):
-
das Belassen des Implantats nach der Frakturheilung.
-
5.
Das winkelstabile Implantat ist für hochbetagte Patienten mit einer hochgradigen Osteoporose besonders geeignet.
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6.
Das winkelstabile Implantat macht eine Spongiosaplastik mit Entnahme von Knochen aus dem Beckenkamm und eigener Morbidität in der Regel überflüssig.
Literatur
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Woltmann, A., Wagner, F., Beisse, R. et al. Winkelstabile Plattenosteosynthese am distalen Radius. Trauma Berufskrankh 6 (Suppl 2), S251–S257 (2004). https://doi.org/10.1007/s10039-003-0751-y
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