1 Einleitung und Motivation

Statische Druckplatten, auf die ein in der Regel rotierender Bremsenrotor gepresst wird, sind konstruktiver Bestandteil einer Vielzahl verbreiteter Bremsenbauarten. Nach der Klassifikation von Schlecht B [1] fallen diese Bremsen unter die Lamellenbremsen mit axial verschieblichen Bremsflächen. Verbreitete Ausprägungen sind beispielsweise Lamellen-Vollscheibenbremsen, Permanentmagnetbremsen, oder auch Federkraftbremsen, die ein breites Anwendungsspektrum von Industrie über E‑Mobilität bis zur Fördertechnik abdecken.

Miniaturisierung und Kostenreduzierung sind branchenübergreifende Entwicklungsbestrebungen der Antriebstechnik und stellen so auch einen wichtigen Aspekt bei der Entwicklung von Bremsen dar. Insbesondere durch die zunehmende Verbreitung elektrischer geregelter Antriebe, die Antriebsstränge auch rekuperativ verzögern können, werden Permanentmagnetbremsen und Federkraftbremsen heute überwiegend als Not- und Haltebremsen nachgefragt. Diese sind zwar erforderlich, werden aber selten genutzt und unterliegen deshalb einem gesteigerten Kosten- und Bauraumdruck [2]. Auch die steigende Anzahl mobiler Anwendungen fördert die Nachfrage nach Bremsen zunehmend hoher Leistungsdichte [3].

Die Entwicklung solcher Bremsen stellt nicht nur konstruktiv eine Herausforderung dar, durch die Skalierung der Baugröße bei gleichbleibender Leistung treten verschiedene physikalische Problemstellungen auf. Aus der Literatur bekannt sind folgende Arten von Schädigungen:

  • Hotspots: Punktuell deutlich erhöhte Temperaturen an der Bremsscheibe. Anderson, E et al. [4] beschreiben vier verschiedenen Ausprägungsarten, und deren Folgen, wie z. B. Gefügeumwandlung.

  • Hotbands: Ringförmige Bereiche deutlich erhöhter Temperatur [5].

  • Sinterübertrag: Erhöhung des Reibungskoeffizienten aufgrund des Fressens von Reibmaterial und der Bremsscheibe [6].

  • sowie Belagablösung bei Belaglamellen [7].

Ein weiterer Effekt, der mit zunehmender Leistungsdichte problematisch werden kann, ist die Auftellerung der Druckplatte, die auch als thermische Schirmung bezeichnet wird [8, 9]: Infolge der einseitig umgesetzten Reibleistung während eines Bremsvorgangs erwärmt und dehnt sich die Druckplatte einseitig. Überschreiten dabei die thermisch verursachten Spannungen in der Druckplatte die Dehngrenze des Materials, kommt es zu einer irreversiblen plastischen Verformung. Das Absinken der Dehngrenze bei hohen Temperaturen begünstigt die plastische Verformung zusätzlich. Abb. 1 zeigt die dabei auftretende Form eines Tellers, der zur Reibfläche geneigt ist.

Abb. 1
figure 1

Probleme durch thermische Auftellerung – a Bremse geöffnet, b Bremse geschlossen

Eine solche Auftellerung zieht diverse Probleme nach sich: Im Vergleich zum nicht aufgetellerten Zustand verringert sich der Luftspalt bei geöffneter Bremse. Dies kann einerseits zu ungewolltem Schleifen der Bremse führen, andererseits erfordert die Kompensation des verringerten Spaltes eine Erhöhung des Aktuierungsweges, die nicht immer konstruktiv möglich ist.

Im gebremsten Zustand führt die Auftellerung zu veränderten Reibverhältnissen: Infolge der Geometrieveränderung ergibt sich statt einer Reibfläche ein Kantentragen im äußeren Bereich der konstruktiv vorgesehenen Reibfläche. Dies verursacht eine Steigerung der Reibleistungsdichte und kann zu thermisch bedingten Reibbelagschäden, Ausbrechen von Reibbelag infolge erhöhter Flächenpressung, ungleichmäßigem Verschleiß und Geräuschentwicklung oder metallurgischen Veränderungen führen [4]. Durch die Verschiebung des effektiven Reibradius weicht das Bremsmoment vom konstruktiv vorgesehenen Bremsmoment der Bremse ab.

2 Stand der Technik und Handlungsbedarf

Die thermische Auftellerung einzelner Komponenten von Bremsen ist bekannt und bereits mehrfach in der Literatur aufgeführt: Bestle H et al. [8] beschreibt thermische Auftellerung an Ankerscheiben und Flanschflächen von Federkraftbremsen und führt diese auf die einseitige Erwärmung zurück, die eine einseitige Ausdehnung der Komponenten bewirkt. Als Lösungsvorschlag führt Bestle H et al. [8] eine radiale Verkleinerung der Reibfläche auf, die jedoch aufgrund der hohen Reibleistungsdichte nur bedingt praktikabel erscheint. Die thermische Auftellerung einseitig angeschraubter Bremsscheiben von Fahrzeugbremsen wird von Breuer B et al. [10] beschrieben, die durch ein Zulassen der radialen Dehnungen mithilfe einer axial schwimmenden Lagerung vermieden werden kann.

Audebert N et al. [11] haben die Auftellerung bei Kupplungsscheiben in Automatikgetrieben untersucht und hergeleitet, dass sie von einem dimensionslosen geometrischen Formfaktor abhängt, mit dem sich in Abhängigkeit der Temperaturdifferenzen an der Bremsscheibe Vorhersagen zur Auftellerungs-Neigung machen lassen.

Xiong C et al. [9] haben eine Berechnungsmethode zur Bestimmung der kritischen temperaturbedingten Momente in der Druckplatte auf Basis des gebogenen Balkenmodells entwickelt.

Auch aus simulativer Sicht, ist das Phänomen der thermisch bedingten Auftellerung in unterschiedlichen Kontexten untersucht worden: Zagrodski P [12] ermittelt durch ein FE-Modell, dass insbesondere der Einfluss des radialen Temperaturgradienten die Thermospannungen einer Lamellenkupplung beeinflussen, wobei die Studie sich auf thermoelastisches Verhalten beschränkt. Wang Z et al. [13] simuliert eine Reibpaarung einer Mehrscheiben-Lamellenbremse während Notbremsvorgang mithilfe eines 3D-FEM Modells auf Basis der Simulationsumgebung ANSYS durch eine Kopplung eines Friktions-, eines thermischen und eines mechanisch statischen Modells und zeigt, dass der Bremsvorgang eine Axiale Verformung verursacht. Da die resultierende Verformung einer Brems- oder Kupplungsscheibe wiederrum auf die Druckverteilung bzw. die Reibverhältnisse und damit den Wärmeeintrag auswirken, wenden SChneider T et al. [14] ein sequenziertes ANSYS Modell ein, dass zunächst mit einem statisch mechanischen Modell die Druckverteilung und Verformung einer Lamellenkupplung berechnet, und die Ergebnisse einem thermischen Modell bereitstellt, dessen Temperaturverteilung wiederrum dem statisch mechanischen Modell übergeben werden. Auf diese Weise berechnen SChneider T et al. [14] die transiente Temperatur und Druckverteilung mehrerer aufeinanderfolgender Bremsvorgänge.

Aufgrund der dargestellten Entwicklungstrends wird das Problem der thermischen Auftellerung an statischen Druckplatten zunehmend relevant. Bisher zeigt die Literatur jedoch keine Lösungsansätze auf, mit denen bei gegebener Geometrie und Bremsenergie die Neigung zur Auftellerung reduziert werden kann.

Im Folgenden werden zunächst die physikalischen Vorgänge betrachtet, die zur thermischen Auftellerung der Bremse führen. Anschließend werden auf Basis einer Referenzdruckplatte Lösungsansätze aufgezeigt, mit der die thermische Auftellerung reduziert werden kann.

3 Physikalischer Hintergrund der Auftellerung

Beim Bremsvorgang wird die Druckplatte einseitig auf der kreisringförmigen Reibfläche aufgeheizt. Aufgrund der hohen Reibleistung wird in sehr kurzer Zeit sehr viel Energie eingebracht, wodurch ein hoher Temperaturgradient zwischen Reibfläche und umliegendem Material entsteht (Abb. 2a und b). Hierdurch dehnt sich das Material im Bereich der Reibfläche deutlich stärker aus als das umliegende Material. Die Druckplatte bekommt eine Tellerform mit der konvexen Fläche auf der Reibseite. Durch die Behinderung der Dehnung entstehen Druckspannungen im erhitzten Bereich sowie Zugspannungen im umgebenden Bereich. Überschreiten die Druckspannungen die Dehngrenze des Materials, die aufgrund der hohen Temperatur herabgesetzt wird, kommt es zu plastischen Stauchungen im Bereich der Reibfläche. Im umliegenden Bereich kommt es aufgrund der geringeren Temperatur in geringerem Maße zu plastischen Dehnungen. Nach dem Abkühlen bleibt eine tellerförmige Verformung mit der konkaven Fläche auf der Reibseite, da sich das plastisch gestauchte Material stärker zusammenzieht als das nicht gestauchte oder gestreckte Material im Umfeld (Abb. 2c). Es verbleiben Zugspannungen im gestauchten und Druckspannungen im umliegenden Bereich.

Abb. 2
figure 2

Phasen des Auftellerungsprozesses – a bei Aufheizung, b nach Aufheizung, c nach Abkühlung

Theoretisch sollte der Betrag der Auftellerung nach der ersten Bremsung nicht mehr deutlich ansteigen, da die thermische Ausdehnung ab der zweiten Bremsung zunächst nur die Vorspannung in der Druckplatte abbaut und als zweites die Stauchung ausgeglichen würde. Erst darüber hinaus kommt es wieder zu einem Dehnungsüberschuss. Allerdings ist bei einem realen Reibsystem nicht von einem konstanten, in der Reibfläche homogenen Energieeintrag auszugehen, sodass auch nach der ersten Bremsung noch Veränderungen zu erwarten sind. Dies gilt insbesondere für bereits aufgetellerte Druckplatten (siehe Abb. 1).

4 Referenzdruckplatte

Als Referenzdruckplatte wird die in Abb. 3 dargestellte vollflächige Geometrie verwendet. Am Außendurchmesser befinden sich Führungsnasen zur Aufnahme im Bremsengehäuse. Tab. 1 fasst die Eigenschaften der Referenzdruckplatte zusammen.

Abb. 3
figure 3

Referenzdruckplatte aus S355

Tab. 1 Eigenschaften der Referenzdruckplatte

5 Methodik

Ausgehend von der beschriebenen Referenzdruckplatte werden geeignete Maßnahmen zur Reduzierung der plastischen Auftellerung entwickelt und untersucht. Dazu werden zunächst theoretische Vorüberlegungen durchgeführt, wie durch gezielte Anpassung der Geometrie und geeignete Werkstoffwahl Verringerungen der plastischen Verformung erreicht werden können. Auf Basis der Vorüberlegungen werden zusätzlich zur Referenzdruckplatte drei Druckplattenvarianten abgeleitet, anhand derer die Effekte der entwickelten Ansätze untersucht werden.

Im ersten Schritt wird das Verhalten der ausgewählten Druckplatten simulativ betrachtet: Mit einem thermisch-mechanischen Simulationsmodell wird eine exemplarische Betriebssituation mit fünf aufeinanderfolgenden Bremsungen hoher Reibleistung untersucht.

Anschließend erfolgt die experimentelle Untersuchung derselben Betriebssituation. Betrachtet werden dabei die bleibenden Verformungen der Referenzdruckplatte und der Druckplattenvarianten. In einem abschließenden Fazit werden Simulation und Experiment gegenübergestellt und die erzielten Ergebnisse eingeordnet (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Methodische Vorgehensweise

6 Theoretische Vorüberlegungen

Die Hauptursache für die plastische Auftellerung besteht in den hohen Spannungen, die infolge der thermischen Ausdehnung resultieren.

Grundsätzlich bieten sich daher drei Maßnahmen an, welche die plastische Auftellerung bei unveränderter Reibbelaggeometrie reduzieren können:

  1. 1.

    Das Reduzieren der thermischen Ausdehnung

  2. 2.

    Das Absenken der dehnungsverursachten Spannungen

  3. 3.

    Das Steigern der ertragbaren Spannungen ohne plastische Verformung

Nachfolgend werden geometrische und werkstofftechnische Ansätze diskutiert, mit denen diese Maßnahmen umgesetzt werden können.

6.1 Untersuchung geometrischer Ansätze

Die erste Maßnahme, das Reduzieren der thermischen Ausdehnung, kann aus geometrischer Sicht durch eine Strukturversteifung erreicht werden. Eine solche Versteifung kann durch eine Erhöhung der Druckplattendicke sowie das Verkleinern des Innendurchmessers oder das Vergrößern des Außendurchmessers erreicht werden. Dabei ist zu beachten, dass derartige Geometrieanpassungen zu einer zusätzlichen Dehnungsbehinderung und zu größeren Temperaturgradienten während des Aufheizens führen und sich daher auch als kontraproduktiv erweisen können.

Das Absenken von dehnungsverursachten Spannungen kann durch ein Verringern der Druckplattenstärke und des radialen Bauraums erreicht werden, wie es beispielsweise von Zagrodski [15] für Lamellen einer Kupplung vorgeschlagen wird. Beide Maßnahmen stehen jedoch im Widerspruch zu dem Ziel, die thermischen Ausdehnungen zu reduzieren und können daher ebenfalls negative Folgen für die thermische Ausdehnung haben. Aufgrund des gegenläufigen Einflusses unterschiedlicher Effekte sind derartige Anpassungen der Druckplatte nur nach ausgiebigen Untersuchungen empfehlenswert.

Eine weitere Möglichkeit, dehnungsverursachte Spannungen abzusenken besteht darin, die thermische Ausdehnung unbehindert zuzulassen. Im Falle der vorliegenden Scheibengeometrie führt thermische Ausdehnung insbesondere zu hohen Tangentialspannungen. Ein Absenken der Tangentialspannungen kann durch eine radiale Schlitzung vom Innendurchmesser der Reibfläche bis zum Außendurchmesser der Druckplatte erreicht werden.

In den folgenden Betrachtungen wird die Referenzdruckplatte der in Abb. 5 dargestellten veränderten Druckplatte gegenübergestellt. Diese verfügt über 16 radiale Schlitze, die jeweils 15° mit der Drehrichtung des Rotors schräg gestellt sind, um ein Abscheren des Reibbelags an den Kanten zu verringern.

Abb. 5
figure 5

16-fach geschlitzte Druckplatte aus S355

6.2 Untersuchung werkstofftechnischer Ansätze

Auch die Wahl eines geeigneten Werkstoffs kann helfen, die Maßnahmen zur Absenkung der plastischen Verformung umzusetzen.

Bei der Identifikation geeigneter Werkstoffe hilft eine Analogiebetrachtung zu Thermoermüdungsfestigkeit, die beispielsweise durch Bürgel R et al. [16] im Kontext von Hochtemperaturwerkstoffen in der Literatur dokumentiert ist. Dort werden die Überlegungen der drei genannten Maßnahmen in einer gemeinsamen Betrachtung zusammengeführt.

Bürgel R et al. [16] verstehen unter dem temporär und lokal begrenzten Einleiten einer hohen Wärmeenergie in ein Bauteil, der zu einem hohen Temperaturgradienten innerhalb des Bauteils führt, einen sogenannten Thermoschock. Durch die unterschiedlichen lokalen Temperaturen innerhalb des Bauteils kommt es zu hohen Spannungen im Bauteil, die bei zyklischer Wiederholung der thermischen Belastung zu Thermoermüdungsschäden führen können. Zur Bewertung von Werkstoffen hinsichtlich ihrer Thermoschockempfindlichkeit führt [6] den Wärmespannungsindex χ ein.

$$\upchi =\frac{\mathrm{R}_{\mathrm{m}}\cdot \uplambda }{\upalpha \cdot \mathrm{E}}$$

Ein Werkstoff ist besonders empfindlich gegenüber einem Thermoschock, wenn infolge einer niedrigen thermischen Leitfähigkeit λ ein hoher Temperaturgradient im Werkstoff herrscht. Bei einem hohen thermischen Ausdehnungskoeffizient α werden dabei große Dehnungen verursacht, die bei großem E‑Modul E hohe Spannungen innerhalb des Bauteils hervorrufen. Dieses Verhalten ist im Verhältnis zur Zugfestigkeit des Werkstoffs Rm zu betrachten um festzustellen, ob die thermisch verursachte Belastung hinsichtlich potenzieller Schäden kritisch ist.

Bei der thermischen Auftellerung statischer Druckplatten führen analog die thermische Leitfähigkeit λ, der Wärmeausdehnungskoeffizient α sowie der E‑Modul E zu hohen Spannungen im Bauteil und damit zu einer starken Auftellerung. Da die Ursache für die thermische Auftellerung in der plastischen Verformung liegt, ist jedoch die Dehngrenze RP als Materialreferenz heranzuziehen. Daraus kann der Auftellerungsindex A abgeleitet werden:

$$\mathrm{A}=\frac{\mathrm{R}_{\mathrm{p}}\cdot \uplambda }{\upalpha \cdot \mathrm{E}}$$

Tab. 2 gibt eine Übersicht über den Auftellerungsindex A exemplarischer Werkstoffe.

Tab. 2 Auftellerungsindex exemplarischer Werkstoffe

Demnach ist E360AR-Baustahl besonders empfindlich gegenüber thermischer Auftellerung, während bei Molybdän mit wenig thermischer Auftellerung zu rechnen ist. Bei der Wahl des geeigneten Werkstoffs sind jedoch in der Realität meist Kompromisse bezüglich Funktion und Kosten zu treffen. In den nachfolgend dokumentierten Simulationen und experimentellen Untersuchungen werden vergleichend vier Druckplatten betrachtet:

  • Referenzdruckplatte aus S355-Stahl

  • Geschlitzte Druckplatte aus S355-Stahl

  • Geschlitzte Druckplatte aus 42CrMo4-Stahl

  • Geschlitzte Druckplatte aus CW004-Kupfer

7 Simulation

Eine Möglichkeit zur Evaluierung der Maßnahmen vor der experimentellen Untersuchung von Prototypen stellen Simulationen dar. Da die Verformung eine Folge der thermisch versursachten Dehnungen ist, ist dazu ein Modell notwendig, das Thermik und Mechanik kombiniert. Abb. 6 zeigt den dazu verwendeten seriellen Modellansatz, bei dem die Reibleistung infolge eines Wärmestroms als Eingangsgröße für ein thermisches FEM-Modell genutzt wird. Da die qualitative Evaluierung der vorgestellten Maßnahmen im Mittelpunkt der Betrachtungen steht, wird auf die Betrachtung der tribologischer Aspekte sowie auf eine sequenzierte Vorgehensweise verzichtet. Das eingesetzte thermische Modell basiert auf der idealisierten Annahme, dass die Reibleistung als homogen über die Reibfläche verteilter Wärmestrom in die Druckplatte eingeleitet wird. Nachdem ein Temperaturausgleich innerhalb der erwärmten Druckplatte erfolgt ist, folgt eine langsame Abkühlung der Druckplatte auf die initiale Starttemperatur durch eine künstliche, nichtphysikalische Wärmeabfuhr. Das thermische Modell berechnet die transiente Temperaturverteilung in der Druckplatte. Diese dient dem mechanischen Modell als Eingangsgröße. Das mechanische Modell berechnet auf Basis der Werkstoffkennwerte die zeitabhängige Verformung der Druckplatte unter Vernachlässigung von äußeren Lasten durch Pressung oder tangentiale Mitnahmeeffekte. Grundlage für die Berechnung der plastischen Dehnung ist ein bilineares Werkstoffmodell auf Basis bilinearer isotroper Verfestigung, das jeweils auf den in Tab. 2 aufgeführten Literaturwerten des temperaturabhängigen Spannungs-Dehnungs-Verhaltens basiert.

Abb. 6
figure 6

Modellstruktur des Simulationsmodells

Der dargestellte Modellansatz wurde in der Ansys Workbench unter Verwendung der Module „Thermisch-transiente Analyse“ und „Mechanisch-statische Analyse“ implementiert, die in einer seriellen Berechnungsabfolge verknüpft werden.

Als Anregung für die Simulation sowie für die nachfolgend dokumentierten Versuche werden fünf aufeinanderfolgende Bremsung entsprechend der Spezifikation aus Tab. 3 betrachtet.

Tab. 3 Daten eines Bremszyklus

Abb. 7 zeigt die Ergebnisse der Simulationen und stellt die jeweils verbleibende plastische Auftellerung, den axialen Abstand des Innenradius der Reibfläche vom Außenradius der Reibfläche nach den Bremsungen dar.

Abb. 7
figure 7

Simulationsergebnisse der Auftellerung

Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Auftellerung durch die vorgestellten Maßnahmen signifikant reduziert werden kann. Insbesondere eine Kombination von Schlitzung und einem Werkstoff mit niedrigem Auftellerungsindex erweist sich als zielführend.

8 Experiment

Um die Simulationsergebnisse zu überprüfen, wurden mit den ausgewählten Druckplattengeometrien und -materialien reale Bremsversuche auf dem Prüfstand „Hochgeschwindigkeitsreibung“ des KAt durchgeführt. Der Prüfstand, dessen Aufbau Abb. 8 zeigt, besteht im Wesentlichen aus den folgenden Komponenten:

  • Einem Antriebsmotor zur Beschleunigung auf die Drehzahl aus der abgebremst werden soll

  • Einem ins Schnelle übersetzenden Getriebe, um Drehzahlen bis 20.000 U/min zu erreichen

  • Einem Schwungmassenmodul, wodurch das gewünschte Massenträgheitsmoment aufgebracht wird

  • Einem Bremsmodul, in dem die Bremse mit der zu testenden Druckplatte sowie die Messtechnik, bestehend aus Drehmomentmessflansch, Drehzahlgeber, Temperatursensoren und Anpresskraftsensor angebracht sind

Abb. 8
figure 8

Aufbau des Prüfstands „Hochgeschwindigkeitsreibung“

Nach einem kurzen niedrigenergetischen Einreiben wurden jeweils fünf aufeinanderfolgende Bremsungen ausgehend von einer Drehzahl von 14.000 U/min durchgeführt. Dabei wurden die Druckplatten mit der in Tab. 3 angegebenen Energie und Reibleistung beaufschlagt. Die Abkühlphase zwischen den Bremsungen wurde so gewählt, dass die Druckplattentemperatur unter 70 °C sank. Die Auftellerung der Druckplatten wurde nach dem zweiten, vierten und fünften Bremsvorgang gemessen. Dabei wurden an drei Stellen der Reibfläche an der flach aufliegenden Druckplatte mit einem Laser-Triangulationssensor der Abstand zu Reibflächeninnenradius und Reibflächenaußenradius gemessen. Die Differenz der beiden Abstandswerte ergibt die Auftellerung an dieser Stelle. Zur Gesamtbeurteilung wurde der Mittelwert aus den drei Messwerten gebildet. Die Messwerte wurden mit einer Fühlerlehren-Messung abgesichert.

Die Ergebnisse der durchgeführten Versuche sind in Abb. 9 dargestellt. Qualitativ bestätigen sie die Vorüberlegungen und die Ergebnisse der Simulation. Auch stellt sich erwartungsgemäß ein Großteil der Auftellerung schon nach wenigen Bremsungen ein. Die Referenzdruckplatte aus S355 weist mit 0,42 mm die höchste Auftellerung nach fünf Bremsungen auf. Die zweithöchste Auftellerung weist die geschlitzte Druckplatte S355 mit 0,23 mm auf. Die Auftellerung konnte folglich durch die geschlitzte Geometrie annähernd halbiert werden. Der Materialwechsel auf den höherfesten Stahl 42CrMo4 brachte mit einer Auftellerung von 0,1 mm nochmals eine Halbierung. Wie erwartet zeigte die Kupfer-Druckplatte die geringste Verformung mit 0,04 mm. Die geringe Auftellerung deutet darauf hin, dass bei dieser Druckplatte die Fließgrenze des Materials nicht großflächig erreicht wird. Die geringförmige Verformung liegt vermutlich in lokalen Hotspots begründet, durch die punktuell die Fließgrenze überschritten wird.

Abb. 9
figure 9

Versuchsergebnisse der Auftellerung

Alle Druckplatten weisen lokal unterschiedliche Reibspuren und Verfärbungen in der Reibfläche auf, siehe Abb. 10. Dies legt eine nicht-homogene Wärmeeinleitung innerhalb der Reibfläche und die Bildung von lokalen Hotspots nah. Weiterhin ist in Abb. 10 der Übertrag von Reibmaterial auf die Druckplatte erkennbar, das Reibmaterial setzt sich teilweise auch in die Schlitze. Eine dadurch bedingte Beeinträchtigung der Funktion der Schlitze konnte jedoch nicht beobachtet werden.

Abb. 10
figure 10

Reibflächen der 16-fach geschlitzte Druckplatte aus S355 (a) und aus Kupfer (b) nach zwei Bremszyklen

Abb. 11 zeigt die geschlitzte Druckplatte aus CW004A neben der Referenzdruckplatte aus S355 auf einer Messplatte liegend. Bei der Kupfer-Druckplatte ist kaum Auftellerung erkennbar während sie bei der Referenzdruckplatte aus S355 bereits mit dem bloßen Auge deutlich sichtbar ist.

Abb. 11
figure 11

Geschlitzte Druckplatte aus CW004 (links) und Referenzdruckplatte aus S355 (rechts) auf einer Messplatte liegend

9 Fazit

Die vorgestellten Lösungsansätze, das radiale Schlitzen der Druckplatten, sowie die Werkstoffauswahl auf Basis der modifizierten Thermoschockempfindlichkeit reduzieren die thermische Auftellerung signifikant. Dies zeigen sowohl die Simulationen als auch die durchgeführten experimentellen Untersuchungen, die sich beide für eine Beurteilung der durchgeführten Maßnahmen eignen. Die Versuchsergebnisse zeigen dabei jedoch für alle betrachteten Druckplatten signifikant größere Auftellerung als die Simulation. Die Abweichungen lassen sich wie folgt begründen:

Die mechanischen Vorgänge in der realen Versuchssituation sind komplexer als im idealisierten Simulationsmodell vereinfacht angenommen:

  1. 1.

    Durch die axiale Pressung während des Bremsvorgangs wird die thermische Ausdehnung der Druckplatten zusätzlich behindert. Außerdem wird die Druckplatte zusätzlich tangential durch das Bremsmoment belastet.

  2. 2.

    Mit zunehmender Auftellerung ändert sich die Geometrie der Reibfläche und damit die Fläche des eingeleiteten Wärmestroms.

  3. 3.

    Die im Modell angenommene homogene Wärmestromeinleitung entspricht nicht der Realität mit ungleichmäßiger Flächenpressung im Reibkontakt und lokalen Temperaturhotspots.

  4. 4.

    Die bilinearen Werkstoffmodelle, die auf Literatur- und Herstellerwerten basieren, können die Werkstoffeigenschaften der verwendeten Druckplatten nur angenähert wiedergeben.

Unter Berücksichtigung dieser Aspekte sind die Simulationsergebnisse plausibel und erlauben insbesondere im relativen Vergleich die qualitative Abschätzung der Auswirkung der entsprechenden Maßnahmen. Eine Steigerung der Simulationsgenauigkeit würde eine detaillierte Betrachtung der mechanischen Randbedingungen während eines Bremsvorgangs sowie der tribologischen Effekte erfordern. Für eine valide quantitative Bestimmung der Auftellerung sind Versuche derzeit daher noch unumgänglich.

Neben den hier vorgestellten Ansätzen zur Reduzierung der plastischen Verformung sind auch weiterführende Ansätze denkbar: So könnte durch ein Trainieren der Druckplatten vor dem ersten Bremsprozess gezielt ein Spannungszustand eingestellt werden, der die resultierenden, für die Verformung ursächlichen Spannungen kompensiert. Druckplatten, deren initiale Geometrie der resultierenden Auftellerung entgegengesetzt ist (kegelige Reibfläche), könnte durch die Auftellerung so verformt werden, dass ihre Reibflächen annähernd plan sind. Beide Ansätze setzen genaue Kenntnis der zu erwartenden Belastung und Auftellerung voraus und sind daher nur mit entsprechend aufwändigen Voruntersuchungen umsetzbar.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Auftellern von Druckplatten, die einem einseitigen, hohen Energieeintrag ausgesetzt sind durch einbringen von radialen Schlitzen signifikant reduziert werden kann. Der Effekt der Schlitze besteht darin, dass die thermischen Dehnungen infolge des hohen Energieeintrags zugelassen werden und so die Spannungen reduziert werden. Diese Maßnahme sollte in der Praxis als erstes angewandt werden. Weitere Verringerungen der Auftellerung können durch eine angepasste Werkstoffauswahl erzielt werden. Da in der Praxis überwiegend Stahl-Werkstoffe eingesetzt werden, ist hier die Empfehlung einen Werkstoff mit höherer Festigkeit zu wählen, bei gleichbleibend guter Wärmeleitfähigkeit.