1 Einleitung und Stand der Forschung

1.1 Inkrementelle Blechumformung

Die inkrementelle Blechumformung (IBU) ist ein flexibles Umformverfahren, dass eine schnelle und wirtschaftliche Werkstückverfügbarkeit ermöglicht und sich daher besonders für kleine Losgrößen und den Prototypenbau eignet [1]. Für den IBU-Prozess wird das Blech an den Kanten in einem Klemmrahmen eingespannt und durch die vordefinierte Bewegung eines sphärischen Umformwerkzeuges kontinuierlich bis zur Zielgeometrie umgeformt. Die Werkzeugbewegung kann hierbei durch eine konventionelle CNC-Fräsmaschine erfolgen, sodass spezifische Umformanlagen für diesen Prozess entfallen [2]. Für die Verfahrensvariante ohne Unterstützung, dem Single Point Incremetal Forming (SPIF), wie in Abb. 1a dargestellt, wird während des Umformvorgangs jeweils nur ein kleiner Blechbereich im Werkzeugeingriff unterhalb des Werkzeugs umgeformt. Aufgrund der lokalisierten Umformzone treten hier lokal sehr hohe Dehnungen auf [3]. Die Grundzüge des Verfahrens zur Herstellung rotationssymmetrischer als auch asymmetrischer Bauteile gehen auf ein Patent von Leszak aus dem Jahr 1967 zurück [4]. In den letzten Dekaden wurden große Anstrengungen unternommen, um die Geometriegenauigkeit des Verfahrens zu verbessern [5]. Ein wesentlicher Einflussfaktor auf die Geometrie ist die verwendete Bahnstrategie. Durch geeignete computergestützte Optimierungsprozesse kann durch eine optimierte Werkzeugbahn eine bessere geometrische Genauigkeit erzielt werden [6].

Abb. 1
figure 1

a Inkrementelle Blechumformung (SPIF); b Uni-/bidirektionale Werkzeugbahn; c Spiralwerkzeugbahn

Für die Herstellung eines Bauteils können unterschiedliche Werkzeugbahnstrategien eingesetzt werden. Es werden im Wesentlichen drei Werkzeugbahnstrategien unterschieden [7]. Bei der unidirektionalen Werkzeugbahn wird das Bauteil in mehreren Bearbeitungsebenen in der Tiefe ausgeformt (Abb. 1b). Das Werkzeug verfährt sukzessive kreisrunde Bahnen mit absteigendem Kreisdurchmesser. Der Wechsel einer Bearbeitungsebene erfolgt jeweils durch die Zustellung des Werkzeugs in die Tiefe mit einem konstanten Zustellinkrement ∆z, die sich als Zustellmarken im Werkstück abzeichnen. Die Richtung des Werkzeugs bleibt in jeder Arbeitsebene konstant im Uhrzeigersinn oder dem Uhrzeigersinn entgegengesetzt. Bei der bidirektionalen Werkzeugbahnstrategie alterniert die Richtung des Werkzeugs nach jeder Bearbeitungsebene. Der Richtungswechsel mindert den Effekt einer Verdrehung des Bauteils um die eigene Achse [8]. Die Spiralbahn stellt eine weitere Bahnstrategie dar (Abb. 1c; [9]). Hier erfolgt die Ausformung durch eine kontinuierliche Zustellung des Werkzeugs entlang einer Spiralbahn. Der vertikale Abstand der Bahnen hat einen konstanten Abstand ∆z. Die Spiralbahn erfordert im Vergleich zur uni-/bidirektionalen Werkzeugbahn eine komplexe Bahnplanung, die kontinuierliche Zustellung verhindert zudem eine Abzeichnung sichtbarer Zustellmarken in der Produktoberfläche. Die Größe der gewählten Zustellinkremente beeinflusst die Oberflächengüte des Produktes auf der werkzeugzugewandten Bauteilseite. Große Inkremente verursachen Rillen in der Oberfläche. Kleinere Zustellinkremente verbessern die Oberflächengüte, steigern aufgrund der längeren Werkzeugbahn jedoch die notwendige Prozesszeit. Neben den genannten Bahnstrategien werden für die Variante des SPIF mehrstufige Bahnstrategien beschrieben, um die Geometriegenauigkeit zu erhöhen oder hohe Bauteilzargen mit einer Neigung von bis zu Ψ = 80° zu erzeugen [10].

2 Eigenspannungen

Thermische Einflüsse oder inhomogene plastische Umformungen während des Fertigungsprozesses sind die wesentlichen Einflussgrößen für prozessinduzierte Eigenspannungen. Aufgrund der inkrementellen Prozessführung können die Prozessparameter in der IBU, im Gegensatz zu den meisten konventionellen Umformprozessen während des gesamten Prozesses lokal angepasst werden. Die IBU bietet daher die Möglichkeit, die durch den Umformprozess verursachten Eigenspannungen zu steuern, um Bauteileigenschaften, wie die geometrische Genauigkeit und die Gestaltfestigkeit, zu optimieren.

Es wurde bereits gezeigt, wie der Eigenspannungszustand in Aluminium-Kegelstümpfen durch die Wahl der IBU Prozessparameter beeinflusst wird und wie sich dieser gezielt induzierte Eigenspannungszustand positiv auf die Produkteigenschaften auswirken kann. Beispielsweise können hohe Zugeigenspannungen auf der Bauteilinnenseite zu einer verringerten Gestaltfestigkeit bei zyklischer Belastung führen und sollten daher vermieden werden [11]. Eine Messung des Eigenspannungszustands im experimentellen Versuch wurde von Radu et al. [12] an inkrementell umgeformten Kegel- und Pyramidenstümpfen aus Aluminium (Al99,5) durchgeführt. Der Eigenspannungszustand in der Bauteilzarge wurde durch die Bohrlochmethode ermittelt und mit den Prozessparametern Werkzeugradius RWz, inkrementelle Werkzeugzustellung ∆z, Vorschubgeschwindigkeit vf und Rotationsgeschwindigkeit des Werkzeugs ω korreliert. Numerische Untersuchungen zur Eigenspannungsprognose für einen Stahlwerkstoff (EN 1.4310) zur Herstellung von Tellerfedern unter Berücksichtigung der Phasentransformation werden in [13] präsentiert und durch experimentelle Ergebnisse in [14] validiert. Eine lokal begrenzte Einstellung spezifischer Eigenspannungen in definierten Bauteilbereichen durch eine Variation der Bahnstrategie ist noch nicht erfolgt.

Das Ziel dieser Arbeit ist es, einen neuen Ansatz zur lokal begrenzten Einstellung des Eigenspannungszustands von Bauteilen aufzuzeigen, die durch IBU hergestellt wurden. Entgegen der herkömmlichen Weise einer Ausformung der Geometrie mit konstantem Zustellinkrement ∆z, wird der Einfluss einer Änderung des Zustellinkrements ∆z im Fertigungsprozess analysiert. Hierzu werden vier verschiedene Prozessrouten und deren Einfluss auf den Eigenspannungszustand untersucht und die experimentellen Ergebnisse für geometrisch identische Kegelstümpfe präsentiert. Zum Vergleich der Prozessrouten werden Prozesskräfte, Geometrie, Blechdicke und Materialhärte der Bauteile verglichen. Die Eigenspannungszustände werden mittels röntgenographischer Spannungsanalyse (RSA) experimentell bestimmt. Eine Verbesserung der Bauteileigenschaften, insbesondere der Gestaltfestigkeit, durch die belastungsangepasste Einbringung von Eigenspannungen könnte ein Anwendungsfall der beschriebenen Vorgehensweise sein.

3 Prozessbeschreibung und Vorgehensweise

Der Versuchsaufbau zur inkrementellen Blechumformung ist in Abb. 2 dargestellt. Die Vorrichtung zur inkrementellen Blechumformung ist in eine 5‑Achs-DMU 50-Fräsmaschine von DMG Mori® eingebaut (Abb. 2a). Die vordefinierte Werkzeugbewegung wird von der CNC-Steuerung der Fräsmaschine ausgeführt. Die Prozesskräfte werden über einen im Werkzeughalter integrierten 3‑Komponenten-Kraftsensor gemessen (Abb. 2b). Die Umformkräfte werden mit der HBM® Catman Easy Software aufgezeichnet und ausgewertet.

Abb. 2
figure 2

a 5-Achs-Fräsmaschine; b Versuchsaufbau; c Uniaxialer Zugversuch EN AW-5083

Das Material des Blechhalbzeugs ist die Aluminiumknetlegierung EN AW-5083 im Zustand H111 mit einer initialen Blechdicke von t0 = 1 mm. Die lasergeschnittene, quadratische Blechprobe hat die Abmessungen 130 × 130 mm. Die initiale Fließspannung des Materials σf,0 = 165 MPa wurde durch einen uniaxialen Flachzugversuch ermittelt (Abb. 2c). Das Halbzeug weist einen großen Flanschbereich und 9 Durchgangslöcher, um die Probe für weiterführende Gestaltfestigkeitsuntersuchungen zu untersuchen. Im Rahmen dieser Arbeit werden die Gestaltfestigkeitsuntersuchungen nicht weiter ausgeführt. Die Kanten des Blechs werden während des Umformvorgangs eingespannt (Abb. 2b). Tiefziehöl Castrol® Iloform PN 226 (ca. 20 ml) wurde auf die Probenoberfläche aufgetragen, um Reibung und Werkzeugverschleiß zu verringern. Eine weitere Schmierstoffzufuhr im Prozess erfolgt nicht. Der Reibkoeffizient zwischen Werkzeug und Werkstück beträgt μ = 0,3.

Eine Kegelstumpfgeometrie, wie sie in Abb. 3a gezeigt ist, dient als Referenzgeometrie, um den Einfluss verschiedener Zustellinkremente auf den Eigenspannungszustand zu analysieren. Die Kegelstumpfgeometrie hat die Abmessungen D = 70 mm mit einem Zargenwinkel Ψ = 45 ° und einer finalen Kegelhöhe h = 15 mm gemäß Abb. 3b. Die weiteren Prozessparameter sind Tab. 1 zu entnehmen. Zur weiteren Analyse wurden die Geometrien der gefertigten Kegel mittels 3D-Digitalisierer GOM® ATOS II unter Verwendung der Software GOM ATOS Professional V8 SR1 ausgewertet. Die Probengeometrie wurde im ausgespannten Zustand gemessen.

Abb. 3
figure 3

a Kegelstumpfgeometrie; b Probenabmessungen

Tab. 1 Prozessparameter

Die Prozessparameter für den Herstellungsprozess des Kegelstumpfs sind Tab. 1 zu entnehmen.

Das durch die Spindel angetriebene Umformwerkzeug mit einem sphärischen Werkzeugende wird entlang einer bidirektionalen Werkzeugbahn bewegt. Das Werkzeug aus dem Stahl 100Cr6 ist umlaufend gehärtet und poliert. Die Werkzeugrotation reduziert die Umformkraft und wirkt einer hohen Werkzeugbelastung entgegen [15]. Zur Ausformung geometrisch identischer Kegelstümpfe mit einer finalen Kegelhöhe h = 15 mm werden vier unterschiedliche Prozessrouten angewandt (Abb. 4). Prozessroute 1 hat zwölf kleine äquidistante Zustellinkremente ∆z = 1,25 mm. Prozessroute 2 hat vier große äquidistante Zustellinkremente ∆z = 3,75 mm. Die Prozessrouten 3 und 4 sind jeweils Kombinationen der Prozessrouten 1 und 2. Prozessroute 3 beginnt mit sechs kleinen Zustellinkrementen ∆z = 1,25 mm bis zu einer Umformtiefe h = 7,5 mm, gefolgt von zwei großen Zustellinkrementen ∆z = 3,75 mm bis zur finalen Umformtiefe h = 15 mm. Prozessroute 4 weist eine umgekehrte Inkrementkombination zu Prozessroute 3 auf.

Abb. 4
figure 4

Prozessrouten mit vordefinierten Zustellinkrement-Kombinationen

Alle Proben wurden in dreifacher Ausfertigung hergestellt und analysiert. Alle angegebenen Messwerte sind Mittelwerte der einzelnen Messwerte.

4 Eigenspannungsbestimmung

Eigenspannungen können mithilfe der röntgenographischen Spannungsanalyse (RSA) ortsaufgelöst ermittelt werden. Die röntgenografische Analyse elastischer Spannungen in vielkristallinen Werkstoffen beruht auf der experimentellen Ermittlung von Gitterdehnungen in verschiedenen Messrichtungen (φ, ψ) (φ-Probendrehung, ψ-Probenkippung), aus denen mittels geeigneter Transformationsbeziehungen sowie des Hooke’schen Gesetzes die Eigenspannungen berechnet werden. Grundlage der Dehnungsanalyse bildet die Ermittlung der Netzebenenabstände d(hkl) (hkl-Miller’sche Indizes) gemäß der Bragg’schen Gleichung:

$$n\cdot \lambda =2\cdot d_{\left(hkl\right)}\cdot sin\theta$$
(1)

worin λ die Wellenlänge der Strahlung, n die Beugungsordnung der Interferenz hkl und θ deren Bragg-Winkel beschreibt. Für die ortsaufgelöste Eigenspannungsanalyse im Reflexionsmodus (Abb. 5) werden Lage und Ausdehnung des Messvolumens durch die Anordnung von Blenden im Primär- und Sekundärstrahl und durch den eingestellten Beugungswinkel festgelegt.

Abb. 5
figure 5

a Ortsaufgelöste Eigenspannungsanalyse im Reflexionsmodus; b Messpunkt und Messrichtungskonvention

Die Bestimmung der oberflächenparallelen Eigenspannungen mithilfe röntgenographisch ermittelter Gitterdehnungen an inkrementell umgeformten Blechen erfolgte mit der sin2Ψ Methode [16].

Die Durchführung der winkeldispersiven Röntgenbeugung wurde mit monochromatischer Co-Kα-Strahlung (λ = 0,178897 nm, Eindringtiefe gemittelt τ = 10 μm) unter Verwendung eines 4‑Kreis ψ-Diffraktometers von Huber® umgesetzt. Für die Bestimmung der Eigenspannungen wurde der Aluminium 311-Reflex gewählt, da dieser neben einer hohen Intensität im Rückstrahlbereich (Linienlage 2θ = 93,1°), geringe Beeinflussungen von Textureffekten aufweist und aufgrund der Multiplizität von 24 als repräsentativ für den vorliegenden Eigenspannungszustand im untersuchten Messvolumen angesehen werden kann. Im Rahmen der experimentellen Durchführung nach der sin2Ψ Methode wurde der Aluminium 311-Reflex für neun verschiedene Ψ-Kippungen (±63,435°, ±50,787°, ±39,232°, ±26,565° und 0°) aufgenommen. Zur Eingrenzung des Messvolumens wurde ein Rundkollimator mit einem Durchmesser DKollimator = 1,5 mm verwendet und der Winkelbereich 2θ von 91,7–95,7° mit einer Schrittweite von 2θ = 0,05 und einer Zählzeit t = 25 s pro Schritt im Ω-2θ-Modus gemessen. Der Streuuntergrund wurde mit einem 0,4°-Soller und einem nachgeschalteten (001)-LiF Analysator verringert. Für die Auswertung der Eigenspannungen wurden die diffraktionselastischen Konstanten s1(311) = −5,093 × 10−6 MPa und 1/2 s2(311) = 19,536 × 10−6 MPa verwendet. Die Bleche weisen sowohl im Ausgangszustand als auch nach der inkrementellen Umformung eine vergleichsweise schwach ausgeprägte Textur auf. Infolgedessen ist der Einfluss der vorliegenden Textur am Messort auf die Eigenspannungsbestimmung im sin2ψ-Verfahren gering, was sich in einer kleinen Fehlergrenze der Eigenspannungsangabe von durchschnittlich ±15 MPa zeigt.

Die Abb. 5b zeigt die Lage des plastisch umgeformten Messpunktes im Übergangsbereich zwischen Kegelboden und Zarge. Gemessen wurde jeweils auf der auf der werkzeugzugewandten Innenseite und der werkzeugabgewandten Außenseite des Bauteils. Numerische Analysen des Eigenspannungszustands [17] zeigen einen homogenen Eigenspannungszustand über die Umfangsrichtung. Der ausgewählte Punkt ist daher repräsentativ für den Übergangsbereich.

5 Experimentelle Ergebnisse

5.1 Geometrie

Die gemittelte geometrische Abweichung der Proben im Vergleich zu einer idealisierten (CAD) Kegelstumpfgeometrie beträgt \(\overline{x}\) = 0,57 mm. Die geometrische Abweichung ist der Abstand zwischen der Ist-Geometrie und der CAD Geometrie in der Oberflächennormalenrichtung. Zum detaillierten Vergleich der Geometrien werden Schnitte als Mittelwert dreier Proben entsprechend Schnitt A‑A (Abb. 3a) herangezogen. Die relativ hohe geometrische Abweichung zwischen Ist-Geometrie und CAD Geometrie resultiert aus der prozessbedingten Rückfederung, eine lokale Rückfederung im Bereich hinter dem Umformwerkzeug und eine globale Rückfederung infolge der wirkenden Lastspannungen beim Lösen der Blecheinspannung [18]. Abb. 6 zeigt einen Vergleich der Geometrien von Prozessroute 1 und Prozessroute 4. Diese Proben wurden für einen Vergleich herangezogen, da Sie im Messbereich der Eigenspannungsmessung, der bodennahen Hälfte der Zarge, identische Prozessparameter aufweisen. Die Rückfederung ist abhängig vom Zustellinkrement und beeinflusst die finale Geometrie. Die geometrische Abweichung bei kleineren Zustellungen verringert sich, da diese zu geringerer lokaler Verformung und anschließender Rückfederungen führt [19]. Besonders im Zargenbereich zeigen sich Abweichungen zwischen den Geometrien von Prozessroute 1 und Prozessroute 4. Prozessroute 4 zeigt in diesem Bereich eine der Sollkontur nähere Geometrie als der Kegelstumpf von Prozessroute 1. Die gemittelte Abweichung zwischen diesen beiden Geometrien beträgt \(\overline{x}\) = 0,15 mm.

Abb. 6
figure 6

Geometrie (Schnitt A-A) der Prozessrouten 1 und 4

In gleicher Weise wurden die Geometrien von Prozessroute 2 und Prozessroute 3 verglichen. Diese Proben weisen im Eigenspannungsmessbereich, der bodennahen Hälfte der Zarge ebenfalls identische Prozessparameter aufweisen (Abb. 7). Auch hier ist im Zargenbereich die größte Abweichung zwischen den Geometrien von Prozessroute 2 und Prozessroute 3 zu beobachten. Prozessroute 3 zeigt in diesem Bereich eine der Sollkontur nähere Geometrie als der Kegelstumpf von Prozessroute 2. Die gemittelte Abweichung zwischen diesen beiden Geometrien beträgt \(\overline{x}\) = 0,21 mm.

Abb. 7
figure 7

Geometrie (Schnitt A-A) der Prozessrouten 2 und 3

Eine vergleichende Auswertung der Geometrie zeigt für die Prozessroute 1 und 4, sowie für die Prozessroute 2 und 3, dass diese vom Verlauf der Kontur sowie der finalen Umformtiefe als geometrisch ähnlich angenommen und für die weitere Analyse herangezogen werden können. Es ist anzumerken, dass sich durch die Verwendung großer Inkremente ∆z = 3,75 mm auf der werkzeugzugewandten Bauteilinnenseite eine sichtbare Rillenstruktur abzeichnet, welche in der makroskopischen Geometrie jedoch nicht sichtbar ist.

6 Prozesskräfte

Eine Auswertung der gemessenen Prozesskräfte für die Prozessrouten 1 und 4 findet sich in Abb. 8. In Abb. 8a wurde jeweils der Prozessverlauf der z-Kraftkomponente dargestellt, da diese das Kraftmaximum im Prozess darstellt. Vergleichend sind die Maximalkräfte der x- und y-Komponente der Abb. 8b zu entnehmen. Prozessroute 1 zeigt einen monotonen Kraftniveauanstieg bei jedem Zustellinkrement. Die Maximalkraft von Prozessroute 1 wird zum Prozessende erreicht und beträgt Fz,max (P1) = 1,40 kN. Das Kraftmaximum von Prozessroute 4 Fz,max (P4) = 1,43 kN wird bereits innerhalb der ersten zwei Inkremente erreicht. Danach bleiben die Peaks auf ähnlich hohem Niveau. Die Kraftmaxima für die x-, y- und z-Komponenten der beiden Prozessrouten sind mit einer Abweichung von 2 % auf identischem Niveau. Die Prozesszeit von Prozessroute 4 ist um 28 % geringer als die Prozesszeit von Prozessroute 1 mit äquidistanten kleinen Inkrementen ∆z = 1,25 mm.

Abb. 8
figure 8

a Prozesskraft Fz der Prozessrouten 1 und 4; b Maximale Prozesskräfte der Prozessrouten 1 und 4

Ein Vergleich der Prozesskräfte von Prozessroute 2 und 3 ist in Abb. 9 dargestellt. Das Prozesskraftniveau z-Komponente (Abb. 9a) steigt für beide Prozessrouten bei jedem Zustellinkrement monoton an. Für Prozessroute 2 ist ein leicht abnehmender Anstieg mit einem Maximum der z-Kraftkomponente bei dem letzten Inkrement zu beobachten (Fz,max (P2) = 2,28 kN). Für Prozessroute 3 steigert sich die Kraftzunahme bei Erreichen der großen Inkremente ∆z = 3,75 mm zum Ende der Prozesszeit (Fz,max (P3) = 2,31 kN). Die Kraftmaxima der beiden Prozessrouten sind mit einer Abweichung von 1 % auf identischem Niveau. Die Prozesszeit von Prozessroute 2 ist um 53 % geringer als die Prozesszeit von Prozessroute 3 mit äquidistanten großen Inkrementen ∆z = 3,75 mm.

Abb. 9
figure 9

a Prozesskraft Fz der Prozessrouten 2 und 3; b Maximale Prozesskräfte der Prozessrouten 2 und 3

7 Blechstärke

Aufgrund der festen Einspannung des Bleches an den Rändern erfährt das Blech während der Umformung eine Materialausdünnung, d. h. eine Blechstärkenabnahme. Eine Analyse der Blechdicke erfolgt am Messpunkt (Abb. 5b) am Übergang von der Zarge zum Boden. Alle Proben wurden hierzu in radialer Richtung geschnitten und Blechstreifen extrahiert, die für die Mikroskopie kalt eingebettet wurden. Die Ergebnisse finden sich in Abb. 10. Die Blechdickenwerte sind Mittelwerte von drei Wiederholungen.

Abb. 10
figure 10

Auswertung der Blechstärke im Messpunkt

Der Messpunkt am Übergang von der Zarge zum Boden stellt den Bereich der größten Materialausdünnung dar. Der im Prozessverlauf zuletzt gefertigte Zargenabschnitt wurde bereits mehrfach inkrementell umgeformt. Da der Materialfluss aufgrund der Einspannung behindert wird, ergibt sich das Blechstärkenminimum in diesem Bereich. Die initiale Blechstärke beträgt t0 = 0,97 mm. Prozessroute 1 weist mit einer Blechstärkenabnahme von 28 % die größte Blechausdünnung auf. Aufgrund der kleineren Inkremente und der damit verbundenen längeren Prozesszeit ergibt sich eine Mehrfachumformung einzelner Zargenbereiche, infolgedessen die Blechstärke abnimmt. Die Prozessrouten 2 und 3 weisen im Messpunkt nur wenige große Inkremente auf. Die Zarge wird in diesem Bereich weniger stark umgeformt und dünnt infolgedessen weniger stark aus. Ähnlich verhält sich die Blechstärkenabnahme für Prozessroute 4, die aufgrund der initialen großen Inkremente weniger stark umgeformt und somit der Zargenbereich weniger ausgedünnt wird [20]. zeigen, dass mit zunehmender Werkzeugzustellung die Blechausdünnung reduziert wird.

8 Materialhärte

Neben der Blechstärke wurde die Materialhärte im Querschnitt der Kegelwand am Übergang von der Zarge zum Boden an Innen- und Außenseite in Vickers-Härte (HV0,3) gemessen (Abb. 11). Alle Härtewerte sind Mittelwerte aus drei Messungen. Die initiale Materialhärte des EN AW-5083-Grundmaterials beträgt 74 HV0,3. Nach den Umformprozessen weisen alle Proben in der Umformzone eine deutlich höhere Materialhärte (bis zu 32 %) auf als die anfängliche Materialhärte. Eine differenzierte Analyse der Härteverläufe ist aufgrund der geringen Streuung nicht eindeutig möglich. Es zeigt sich jedoch die Tendenz der größeren Härte aufgrund stärkerer Materialausdünnung für die Prozessrouten 1 und 4 mit kleinen Inkrementen ∆z = 1,25 mm im Messbereich auf der Innenseite.

Abb. 11
figure 11

Materialhärte auf a Innenseite und b Außenseite

9 Eigenspannungsanalyse

Die bestimmten Eigenspannungen im Messpunkt (Abb. 5b) am Übergang von der Zarge zum Boden sind in Abb. 12 und 13 dargestellt. Es wurde jeweils in radialer und tangentialer Richtung gemessen. Die gezeigten Eigenspannungswerte entsprechen jeweils einer Messung aus neun Kippungen. Das Ausgangsmaterial weist einen eigenspannungsarmen Zustand auf (σ < 10 MPa).

Abb. 12
figure 12

Eigenspannungsmesswerte (RSA) auf der Zargeninnenseite in a radialer Richtung und b tangentialer Richtung

Abb. 13
figure 13

Eigenspannungsmesswerte (RSA) auf der Zargenaußenseite in a radialer Richtung und b tangentialer Richtung

Die bestimmten Eigenspannungen in radialer Richtung (Abb. 12a) auf der werkzeugzugewandten Innenseite zeigen für die Prozessrouten 1, 3 und 4 deutliche Zugeigenspannungen. Prozessroute 2 mit äquidistant großen Inkrementen ∆z = 1,25 mm ist auf der Innenseite nahezu eigenspannungsfrei. Die Prozessrouten 3 und 4 mit wechselnden Zustellinkrementen übersteigen die Zugeigenspannungen der Proben mit äquidistant großen Inkrementen mit Eigenspannungen nahe der initialen Fließgrenze bei weitem. Die Eigenspannungen auf der Zargeninnenseite in tangentialer Richtung weisen für alle Prozessrouten Zugeigenspannungen um σt = 50 MPa auf. Eine deutliche Änderung der Eigenspannungen in tangentialer Richtung in Abhängigkeit von der Prozessroute ist nicht zu erkennen.

Die bestimmten Eigenspannungen in radialer Richtung (Abb. 13a) auf der werkzeugabgewandten Außenseite, zeigen für alle Prozessrouten deutliche Druckeigenspannungen. Komplementär zu den Zugeigenspannungen auf der Innenseite weisen die Prozessrouten 3 und 4 mit wechselnden Zustellinkrementen Druckeigenspannungen auf, welche die initiale Fließgrenze durch eine umforminduzierte Kaltverfestigung übersteigen. Die Proben der Prozessrouten mit äquidistanten Zustellinkrementen weisen Druckeigenspannungen um σr = 60 MPa auf. Die Eigenspannungen in tangentialer Richtung (Abb. 13b) auf der werkzeugabgewandten Außenseite sind im Vergleich zu den Eigenspannungsamplituden in tangentialer Richtung auf der Innenseite um ein dreifaches höher. Die Prozessrouten haben jedoch keinen wesentlichen Einfluss auf die Eigenspannungen in tangentialer Richtung auf der Außenseite. Die Eigenspannungswerte liegen für alle Prozessrouten nahe der Fließspannung der initialen Aluminiumknetlegierung.

10 Diskussion

Ein Vergleich der Geometrie unterschiedlicher Prozessrouten zeigt, dass die zu vergleichenden Prozessrouten mit identischen Zustellinkrementen im unteren Zargenbereich nahe dem Bauteilboden, die Prozessrouten 1 und 4 bzw. der Prozessrouten 2 und 3, mit einer maximalen mittleren Abweichung von \(\overline{x}\) = 0,21 mm eine gute geometrische Übereinstimmung aufweisen. Es ist daher für die betrachtete Geometrie möglich, mit den unterschiedlichen Bahnstrategien geometrisch nahezu identische Bauteile zu fertigen. Die Ähnlichkeit der Prozesse zeigt sich anhand der experimentell ermittelten Prozesskräfte. Die Prozesskraftmaxima der vergleichbaren Prozessrouten 1 und 4 bzw. der Prozessrouten 2 und 3 zeigen für die x-, y- und z-Komponente einen maximalen Unterschied von 2 %. Die maximalen Prozesskräfte der vergleichbaren Prozessrouten sind daher als identisch anzusehen. Wird die Prozesszeit berücksichtigt, so zeigen die Prozessrouten mit wechselndem Zustellinkrement, die Prozessrouten 3 und 4, eine wesentliche Zeitersparnis von bis zu 53 % (∆t = 100 s) im Vergleich zu den Prozessen mit äquidistanten Zustellinkrementen. Eine Auswertung der Blechstärke in der Zarge zeigt für die vergleichbaren Prozessrouten 1 und 4 bzw. der Prozessrouten 2 und 3 ähnliche Blechstärkenabnahmen. Die Prozessroute 4 zeigt im Vergleich zur äquidistanten Prozessroute 1 sogar eine um 5 % reduzierte Blechstärkenabnahme. Die Materialhärten zeigen sowohl auf der Innenseite als auch auf der Außenseite keine wesentlichen Unterschiede in Bezug auf die verwendete Prozessroute. Im Allgemeinen ist jedoch eine Materialverfestigung in Folge der plastischen Blechstärkenreduktion von 32 % im Vergleich zur initialen Materialhärte zu beobachten. In Bezug auf die gemessenen Eigenspannungen sind auf der Zargeninnenseite in radialer und tangentialer Richtung Zugeigenspannungen zu finden. Die Zugeigenspannungen in tangentialer Richtung zeigen keine signifikante Änderung in Abhängigkeit von der gewählten Prozessroute. Die radialen Zugeigenspannungen auf der Zargeninnenseite hingegen sind für die äquidistanten Prozessrouten 1 und 2 wesentlich geringer als für die Prozessrouten 3 und 4. Ein ähnliches Bild zeigt sich bezüglich der radialen Eigenspannungen auf der Zargenaußenseite. Die Prozessrouten 3 und 4 weisen hier wesentlich höhere Eigenspannungen auf als die äquidistanten Prozessrouten 1 und 2. Die Eigenspannungen in tangentialer Richtung sind von der Prozessroute unbeeinflusst. Bei ansonsten ähnlichen beschriebenen Bauteileigenschaften Geometrie, Blechstärke, Verfestigung und Eigenspannungen in tangentialer Richtung, stellt die Erhöhung der Eigenspannungen in radialer Richtung auf der Zargeninnenseite und Zargenaußenseite die einzige wesentliche Änderung dar. Eine Verwendung der Prozessrouten 3 und 4 ermöglicht eine anforderungsgerechte Auslegung von Bauteilen durch eine gezielte Steuerung des Eigenspannungszustands in besonders belasteten Bauteilbereichen. Der Einfluss einer reduzierten Blechstärke der Prozessrouten 1 und 4 muss für den konkreten Lastfall im Betrieb überprüft werden.

11 Zusammenfassung und Ausblick

Analysiert wurden Prozessrouten zur Fertigung geometrisch identischer Bauteile mit einem Wechsel in der Bahnstrategie von großen zu kleinen Zustellinkrementen und umgekehrt zur Beeinflussung der Bauteileigenschaften in lokal begrenzten Bereichen. Es wurden Bauteile mit wechselnden Zustellinkrementen und äquidistanten Zustellinkrementen verglichen. Trotz vorheriger Bearbeitung einzelner Bauteilbereiche mit größeren oder kleineren Zustellinkrementen lassen sich lokal begrenzte Bauteileigenschaften erzielen, die mit äquidistanten Zustellinkrementen erzielt werden können. Die Geometrie, Materialstärke und Materialhärte sind in den jeweils betrachteten Bauteilbereichen gleichwertig. Die Kraftmaxima der vergleichbaren Prozessroute sind identisch und die Prozesszeit zur Herstellung vergleichbarer Bauteilgeometrien verkürzt sich durch die Kombination von kleinen und großen Zustellinkrementen um bis zu 53 % im Vergleich zur Herstellung mit äquidistanten Zustellinkrementen. Eine Substitution von großen zu kleinen Zustellinkrementen führt zudem zu einer Verbesserung der Bauteiloberfläche. Die Eigenspannungen in tangentialer Richtung in der Zarge sind über alle Prozessrouten hinweg identisch. Die Eigenspannungen in radialer Richtung steigen betragsmäßig. Im Vergleich zu den äquidistanten Prozessrouten weisen die Bauteile mit einem Wechsel in der Bahnstrategie in der Umformzone, dreifach höhere Zugeigenspannungen auf der werkzeugzugewandten Seite bzw. Druckeigenspannungen auf der werkzeugabgewandten Bauteilseite auf. Die gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich der gezielten Einbringung von Eigenspannungen ermöglichen eine anforderungsgerechte Auslegung von Bauteilen.

In zukünftigen Arbeiten wird der Fokus auf unterschiedliche Prozessrouten und deren Kombination gelegt, um die Eigenspannungsverteilung im Bauteil in Bezug auf die Gestaltfestigkeit zu optimieren. Der Einfluss der einzelnen Prozessrouten auf die Gestaltfestigkeit unter Berücksichtigung der prozessbedingten Blechstärkenreduktion und Verfestigung muss in weitergehenden Arbeiten experimentell überprüft werden. Zudem sollte die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Geometrien untersucht werden.