In Anlehnung an die Vorgaben des Nationalen Ethikrates vom 27. März 2020 wurde diese Handlungsempfehlung für Patienten mit palliativem Versorgungsbedarf erstellt. Sie soll die Begleiter unserer Patienten - die Ärzte wie auch die Pflegenden - in den individuellen Entscheidungen zur Behandlung von Patienten mit palliativem Versorgungsbedarf und einer COVID-19-Erkrankung unterstützen.

Für die Behandlung schwerst vorerkrankter Patienten sollte ein willensgemäßes Behandlungskonzept angestrebt werden, das den Patientenwillen voranstellt. Durch die Corona-Infektion sind junge und mittelalte Patienten seltener betroffen und weniger gefährdet als ältere und kranke Menschen. Die folgenden Handlungsempfehlungen fokussieren mithin auf die stärker gefährdeten Patientengruppen.

Die Handlungsempfehlungen der DGS fokussieren auf die stärker gefährdeten Patientengruppen in Ausnahmezeiten der gegenwärtigen Corona-Pandemie.
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© Mathias Ernert, Universitäts-Klinik Heidelberg

Ethik und Recht

Jedes menschliche Leben genießt den gleichen Schutz

Aus diesem Grund hat uns unsere Verfassung fundamentale Vorgaben gegeben: Die Garantie der Menschenwürde aller Menschen ungeachtet ihres Geschlechtes, ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Herkunft und ihres Alters. Be- und Abwertungen menschlichen Lebens sind untersagt.

Auch in den Ausnahmezeiten eines flächendeckenden katastrophalen Notstands darf der Staat menschliches Leben nicht bewerten und auch nicht vorschreiben, welches Leben in einer Konfliktsituation vorrangig zu retten ist. Das Alter stellt keine Begründung für eine Behandlungsrestriktion dar.

Therapiezielfestlegung: Intensivtherapie und Beatmungskonzepte versus palliativmedizinische Behandlung

Die Therapieziele werden im Rahmen folgender Fragestellungen festgelegt:

  • Hat der Patient eine nicht heilbare, lebenslimitierende Erkrankung?

  • Gibt es bei dem individuellen Patienten angesichts seiner Gesamtsituation eine medizinische Indikation für intensivmedizinische Behandlung und/oder eine invasive Beatmungstherapie?

  • Liegt eine Patientenverfügung vor?

  • Hat der Patient eine palliative Grunderkrankung?

  • Liegt eine Vorausplanung zur Therapiezieländerung nach Advance-Care- Planning-Standard vor? (siehe Tab. 1 [1])

Falls angesichts seiner medizinischen Situation keine Indikation für eine Intensiv- oder Beatmungstherapie für den individuellen Patienten besteht oder die Intensiv- oder Beatmungstherapie nicht seinem Willen (aktuell geäußert oder vorausverfügt) entspricht, sollte eine bestmögliche palliative Versorgung erfolgen. Dabei dürften die Linderung von Luftnot und Angst sowie die psychosoziale Begleitung eine vorrangige Rolle spielen. Diese palliative Versorgung kann nicht nur in speziellen Settings wie Palliativstation oder Hospiz, sondern auch begleitend durch ein stationäres oder ambulantes Palliativteam (Palliativdienst im Krankenhaus/Spezialisierte ambulante Palliativversorgung - SAPV) oder den Hausarzt erfolgen.

Tab. 1: Beispiel einer Vorausverfügung für Notfallsituationen (aus [1])

Triage

Eine Triage bei Ex-Post-Konkurrenz (alle verfügbaren Beatmungsgeräte sind belegt und zur Versorgung eines Patienten müsste die Beatmung eines anderen Patienten beendet werden) ist nicht rechtmäßig! Dennoch könnte eine Situation entstehen, in der keine Beatmungsplätze mehr zur Verfügung stehen. Dann könnten Ärzte gezwungen sein, eine Triage vorzunehmen, um zu entscheiden, welche von den Personen, die intensivmedizinische Behandlung und Versorgung benötigen, Priorität haben und damit etwa Beatmung oder eine extrakorporale Membranoxygenierung (ECMO) erhalten.

Aus dem Verbot einer eigenen staatlichen Bewertung folgt nicht, dass entsprechende Entscheidungen vor Ort erfolgen können und müssen. So sollten die Leitlinien- und Handlungsempfehlungen der Fachgesellschaften zur Therapieentscheidung herangezogen und wo immer möglich das Mehraugenprinzip gewahrt werden. Aus dem Verbot einer eigenen staatlichen Bewertung folgt zusammenfassend keinesfalls, dass sorgfältige und ethisch begründete Entscheidungen im Alltag unterbleiben müssen.

Ethische Fallbesprechungen können in diesen Fällen zu mehr Transparenz bei Angehörigen und den an der Versorgung beteiligten Mitarbeitern führen.

Patienten, die keine invasive Therapie mit Beatmung erhalten, werden nicht etwa durch Unterlassen "getötet", sondern müssen weiterhin und mit besonderer Sorgfalt an ihren individuellen Bedürfnissen versorgt und palliativ begleitet werden.

Eigenschutz vor Fremdschutz

Die behandelnden Mitarbeiter in Krankenhäusern, Altenheimen, Praxen und in sonstigen ambulanten Tätigkeiten müssen durch ausreichende Schutzkleidung und Schutzmaßnahmen vor Kontamination gesichert sein. Dass Schutzkleidung in ausreichendem Umfang zur Verfügung steht, stellt eine Pflicht der öffentlichen Gesundheitsversorgung dar.

Versorgungskonzept

Patienten mit palliativmedizinischen Krankheitsbildern im fortgeschrittenen Stadium bedürfen im Falle einer COVID-19-Infektion einer intensivierten palliativmedizinischen Begleitung. Vorausgesetzt wird, dass der Patient sich in Form einer Patientenverfügung dazu geäußert hat beziehungsweise der mutmaßliche Wille des Patienten durch Angehörige eruiert werden kann. Die meisten Patienten haben sich (abgesehen von wenigen Ausnahmen) bereits im Vorfeld gegen eine intensivtherapeutische Behandlung entschieden. Eine nochmalige Evaluation der Behandlungsoptionen ist in den meisten palliativen Fällen als obsolet zu betrachten.

Es erfordert mutige patientenorientierte Teamentscheidungen, um unnötige und unethische Behandlungen zu vermeiden.

Feststellung und Kodierung der Todesursache

Für den Fall des Ablebens eines COVID-19-positiven Palliativpatienten sollte bezüglich der Angaben auf den Leichenschauscheinen - soweit möglich - zwischen Todesfällen mit einer begleitenden/koinzidentellen und solchen mit einer ursächlich (mit)verantwortlichen COVID-19-Infektion unterschieden werden. Dabei sollten die den Tod feststellenden Ärzte ihre diagnostischen Überlegungen auf einer Kausalkette der letztlich zum Tode führenden Ursachen entwickeln und auch kodieren, um Fehlassoziationen zu vermeiden und die konkrete Bedeutung der Virusinfektion für Palliativpatienten besser einschätzen zu können.

Fazit

Nicht das Alter, sondern individuelle, vorbestehende palliativmedizinische Situationen begründen, ob auf eine intensivmedizinische Maßnahme teilweise oder ganz verzichtet werden soll.