_ Die wiederholte Aktivierung durch schmerzhafte Reize führt an den Nervenzellen zu molekularen Veränderungen. Durch eine leichtere Erregbarkeit der Neuronen entsteht ein Schmerzgedächtnis mit der Folge, dass Schmerzen selbst dann wahrgenommen werden, wenn die auslösende Ursache längst beseitigt ist.

Wie Professor Walter Zieglgänsberger, Emeritus am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München, bei einem von Hexal ausgerichteten Fortbildungskongress erläuterte, entwickelt sich eine gesteigerte Schmerzempfindlichkeit entweder auf Basis einer verringerten Reizschwelle der Nozizeptoren (primäre Hyperalgesie) oder durch neuroplastische Veränderungen im Zentralnervensystem, die zu einer zellulären Hyperaktivität auf Rückenmarksebene führen (sekundäre Hyperalgesie). An der Entstehung des Schmerzgedächtnisses sind unter anderem das Mittelhirn, thalamische, limbische und kortikale Strukturen beteiligt, ebenso die Nervenzelle mit ihren Dendriten und Spines, an denen sich die Synapsen befinden. Informationen werden in den Dendriten und Spines durch Modulation der synaptischen Übertragung gespeichert. Im Rahmen des Schmerz-Lernprozesses kommt es in der Nervenzelle zu einer De-novo-Proteinsynthese, die das morphologische Korrelat des Schmerzgedächtnisses darstellt.

Die Therapie chronischer Schmerzen wird dadurch erschwert, dass das Gehirn keine Löschtaste hat, so Zieglgänsberger. Wie er betonte, sei chronischer Schmerz kein andauernder Akutschmerz, sondern die Folge nozizeptiver Aktivierung. Analgetika lindern nur akuten Schmerz, für chronischen Schmerz existiert kein spezifisches Medikament. Vielmehr erfordert er eine multimodale Schmerztherapie aus medikamentösen und psychotherapeutischen Maßnahmen (Abb. 1), die durch neuen „Input“ zu Re-Learning mit Überschreibung des Schmerzgedächtnisses mit positiven Erfahrungen führt. Damit könne etwa bei chronischen Schmerzen des Bewegungsapparates Vermeidungsverhalten, Schonhaltung oder Inaktivität reduziert und körperliche Aktivität gefördert werden.

Abb. 1
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Eine multimodale Schmerztherapie sollte aus medikamentösen und psychotherapeutischen Maßnahmen bestehen.

© Hexal

Chronischer Schmerz ist chronischer Stress, der fast immer auch mit Angsterkrankungen, affektiven Störungen wie Depression und Schlafstörungen assoziiert ist, so Zieglgänsberger. Depressionen können Folge der Schmerzen sein oder auch einen Risikofaktor für die Schmerz-Chronifizierung darstellen.