Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

die aktuelle Ausgabe wurde vom „Jungen Forum“ zusammengestellt. Vielleicht eines der wichtigsten Netzwerke unserer Fachgesellschaft in Zeiten des Nachwuchsmangels. Ich freue mich hierüber sehr, und auf den folgenden Seiten finden Sie die Hinführung zu den Leitartikeln dieser Ausgabe. Gerade heute ist es keine Selbstverständlichkeit mehr, dass man parallel (oder im Rahmen von?) der Weiterbildung die wenige Freizeit für wissenschaftliche Tätigkeiten „opfert“. Wobei ich immer ein wenig wehmütig werde, wenn der Begriff „Junges Forum“ fällt: War es nicht erst gestern, dass ich selbst noch jung war; vor mir einen Weg mit Gabelungen, Entscheidungen, mit vielen Alternativen? Mir selbst war nie von Anfang an klar, wo die Reise hingeht, und fand es spannend, Dinge auf mich zukommen zu lassen. Die Begeisterung für Gefäßchirurgie entstand, weil dieses Fach einer der Schwerpunkte meiner ersten Stelle in der 2. Chirurgie in Hamburg-Harburg war. Auf der anderen Seite habe ich bereits sehr früh mit außerklinischen Tätigkeiten angefangen: Bereits im Praktischen Jahr (PJ) habe ich meine ersten Vorträge gehalten, damals zum Thema der Schilddrüsenkarzinome. Und Einiges wird mit der Zeit besser: Damals war es durchaus noch üblich (auch als ganz junger Mediziner!), von den Vorsitzenden richtig „heruntergeputzt“ zu werden. Eine Zeit lang hatte ich deswegen tatsächlich Angst vor Vorträgen. Heute ist das anders: Kritik wird höflich zum Ausdruck gebracht. Rückblickend: Wie erbärmlich von Vorsitzenden, sich auf Kosten eines nervösen Studierenden zu profilieren! Heute ist mir klar: Wenn man so etwas nötig hat, ist man selbst innerlich klein. Auch als Arzt im Praktikum (AiP) habe ich dann „geforscht“, wobei mir damals zunächst nur retrospektive Auswertungen der Operationen oder die Teilnahme an multizentrischen Studien möglich waren. So habe ich in Hamburg-Harburg die sogenannte „Hanseatenstudie“ betreut und die ganzen Erhebungsformulare ausgefüllt. Als Autor bin ich dann aber leider nicht aufgetaucht [1].

Wenn ich jungen Leuten einen Rat geben würde, wäre es: „Nehmt Euch mehr Zeit!“. Damals hatte ich nämlich Folgendes gemacht: Noch während meines PJ-Jahres hatte ich mich beworben (es gab nicht genügend AiP-Stellen) und hatte eine Zusage aus Harburg von Prof. Imig zum 01.06.1993 erhalten. Dumm war nur, dass mein 3. Staatsexamen auf den 07.06.1993 gelegt wurde. Großzügigerweise wurde mein Stellenantritt auf den 15.06.1993 geschoben. Es hieß also: Lernen bis zum 06.06.1993, dann Prüfung (in Köln!). In der Zeit vom 08.06.1993 bis 14.06.1993 folgte der Umzug von Köln nach Hamburg, und der Versuch, die vorläufige Approbation zu erhalten (selbst im Jahr 1998 besaßen nur 1 % der Europäer einen Internetanschluss und behördliche Aufgaben wurden, wie im Jahr 2023, überwiegend papierbasiert abgewickelt). Tatsächlich kamen wir (mein bester Kumpel und ich) am Sonntag, dem 13.06.1993 in Harburg an. Das Nötigste gekauft am 14.06.2023 und dann pünktlich am Folgetag um 07:00 Uhr Stellenantritt. Am 16.06.1993 war Betriebsausflug. Ich weiß es noch wie heute. Am 17.06.1993 war ich körperlich durch und litt unter einer Enteritis. Einige Stunden dachte ich, ich hätte eine (stressbedingte) Colitis ulcerosa, bis ich mich daran erinnerte, dass es abends rote Beete und ein trübes Bier gegeben hatte. Meinem Alter Ego von damals würde ich raten: Nimm Dir ein paar Wochen oder Monate frei! Geh vielleicht ein Jahr ins Ausland. Das Hamsterrad beginnt früh genug und Du kommst da schlecht wieder raus.

„Nehmt Euch mehr Zeit!“

Allerdings muss ich auch gestehen, dass mich die Chirurgie vom 1. Tag an gepackt hatte. Vor allem natürlich das Operieren. An anderer Stelle habe ich ja schon auf den „Flow“ aufmerksam gemacht, den man beim Operieren verspürt [2].Footnote 1 Dafür nahm man viel in Kauf. Wie sagte später ein Kollege in Würzburg: „Chirurgen kann man mit 2 Dingen gewinnen: Geld oder mehr Operationen“. Da bereits damals die Mittel zur Vergütung ärztlicher Leistungen eher knapp waren, war die Verteilung von Operationen das A und O. Tatsächlich gab dies den für den OP-Plan zuständigen Oberärzten eine sehr große Machtstellung. Bis heute bin ich der festen Überzeugung, dass alle anderen Assistenten mehr operiert haben als ich, auch wenn das alle anderen Mitarbeiter von damals anders sehen. Früher hatte ich für Operationen auch meine freie Zeit nach Diensten aufgewendet. Ob es damals beabsichtigt war, mich für die Aorteneingriffe vor allem nach einem Dienst aufzuschreiben, weiß ich nicht. Heute stellt sich diese Frage in den meisten Abteilungen ja nicht mehr.

Wahrscheinlich war das System auch nur bezahlbarer, weil die jungen Ärzte massiv ausgenutzt wurden. Die Kehrseite sehen Sie heute: (Gutes) Personal ist teuer, und derzeit reicht das Geld nicht aus, dieses gute Personal auch im benötigten Ausmaß zu finanzieren. Wohin die Krankenhausreform geht, wissen wir noch nicht. Ob die Ambulantisierung stationärer Leistungen für die Mehrheit der bessere Weg ist, erscheint mir auch unklar – erst heute habe ich dazu einen Artikel gelesen [3]. Demnach werden durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auch ambulant zahlreiche Leistungen budgetiert, und das mit steigenden Kosten (Inflation, Lohnerhöhungen der Mitarbeitenden etc.). Auch die Bemühungen des Marburger Bundes führen teilweise an den Bedürfnissen der Mitarbeitenden vorbei. Zum einen möchten nicht wenige Ärzte weiterhin mehr Bereitschaftsdienste machen, um Geld zu verdienen. Die Beschränkung auf 4 Dienste bedeutet daher eine Gehaltseinbuße. Zum anderen: Viele Arbeitgeber haben doch gar nicht das Geld, so viele Stellen aufzubauen! Diese Vorgabe führt möglicherweise dazu, dass noch mehr auf Effizienz getrimmt wird, Dienste zusammengelegt werden, die nicht zusammengehören, immer jüngere Mitarbeitende in die Dienstgruppe mit Facharztstandard eingeschlossen werden und dass die Geschäftsführungen kreative Personalbedarfsberechnungen durchführen (müssen), um die Vorgaben zu erfüllen.

Und dennoch: Nach wie vor haben wir den schönsten Beruf der Welt. Das sich etwas ändern muss, ist klar, der Weg zum Ziel aber noch nicht. Solange wir als Leistungserbringer unserem Fach mit der Therapiefreiheit nachgehen dürfen, blicke ich positiv in die Zukunft. Wenn uns die Kostenträger oder politische Entscheidungsträger vorgeben, wer welche Leistung auf welche Art erbringen darf, bin ich weg.

In diesem Sinne hoffe ich auf die Zukunft und wünsche Ihnen viel Freude an der vorliegen Ausgabe der Gefässchirurgie.

Herzlichst, Ihr

Axel Larena-Avellaneda