Geschätzte Leserinnen und Leser,

Sie haben das Kongress-Heft vor sich. Anlässlich unserer anstehenden Jahrestagung wird diese Ausgabe immer vom Kongresspräsidenten zusammengestellt, und Jörg Heckenkamp wird Sie auf die Leitthemenartikel im Folgenden einstimmen. Das Thema des Kongresses lautet: „Holistic vascular care“, oder übersetzt: „ganzheitliche Gefäßversorgung“. Das klingt sehr gut, und ist für die Patienten sicher das erstrebenswerte Optimum. Allerdings finde ich es schwierig, mich in diesen Zeiten ganzheitlich um unsere kranken Patienten zu kümmern. Zu dieser ganzheitlichen Versorgung gehört nicht nur die korrekte Diagnostik, Planung und Therapiedurchführung, sondern auch die ausführliche Beratung zur Änderung des Lebensstils bis hin zur langfristigen Nachsorge. Die Zeit in der Klinik ist oft knapp. Hinzu kommt aktuell ein massiver Druck zur Ambulantisierung von Krankenhausleistungen. Meinen Sie, wir werden uns umfassender um unsere Patienten kümmern können, wenn wir viel mehr Prozeduren ambulant und höchst effizient durchführen? Oder werden wir dann doch noch mehr reine „Interventions-“ oder „Operations-Roboter“, die am Fließband im Akkord Gefäße behandeln, und die Patienten kaum noch persönlich kennenlernen? Werden wir in Zukunft eher mehr oder eher weniger Zeit für die Belange des Einzelnen haben? Und überhaupt, – was ist mit der Ökonomie?

Die Krankenhausreform ist in aller Munde, und soeben erschien in der New York Times ein Artikel über Ärzte und Firmen, die auf Kosten der Patienten Profite erwirtschaften [1]. Es geht um wiederholte ambulante endovaskuläre Eingriffe (insbesondere Atherektomien), um Indikationen, und um die Verstrickung von Industrie und Ärzten. Offenbar hat dieser Artikel hohe Wellen geschlagen, die amerikanische Fachgesellschaft (SVS) hat sich hierzu geäußert [2], andere werden folgen (bzw. sind bereits erfolgt, wenn dieses Heft in Druck geht). Tatsächlich fragt man sich nach der Lektüre des Artikels, ob alles, was geht, auch sinnvoll ist, und wo die Grenzen der Ambulantisierung und der Indikationen liegen, und ob die Ärzte tatsächlich nur das Wohl der Patienten im Auge haben können. Auch wenn ich ein großer USA-Fan bin (ich verbringe zu gerne meinen Urlaub dort), und ich das Consultant-System an den Universitäten dort großartig finde – hier scheint es eindeutig zu weit zu gehen, und man muss nicht jeden Trend mitmachen. Mit dem DRG-System, an dessen Einführung unser aktueller Gesundheitsminister maßgeblich mitverantwortlich war, haben wir ja schon Schiffbruch erlitten.

Zur ganzheitlichen Versorgung gehören auch umfängliche Beratungen

Wenn man sich über elektive Indikationen Gedanken macht, fällt mir oft das „Gefangenen-Dilemma“ ein. Hierbei geht es um Kommunikation und Konsequenzen. Bisweilen stellt sich die Frage: Wenn ich diesen Patienten mit der grenzwertigen Indikation nicht operiere, wird es ein anderer machen, also kann ich es auch gleich selbst machen? Dabei wissen Sie gar nicht, wie die Empfehlung des Kollegen aussieht. Kennen Sie diese Situation? Beim „Gefangenen-Dilemma“ handelt es sich um ein Konstrukt aus der Spieltheorie [3]: Ein Staatsanwalt hält zwei Männer in Untersuchungshaft, die eines Raub-Verbrechens verdächtigt sind. Die Beweise reichen allerdings nicht für eine Verurteilung aus. Die beiden Gefangenen werden einzeln vernommen und können nicht miteinander kommunizieren. Der Staatsanwalt macht jedem Einzelnen folgendes Angebot: Wenn beide leugnen, kann er sie nur wegen illegalem Waffenbesitz bestrafen (2 Jahre). Gestehen beide die Tat, so erhalten sie das Mindestmaß für Raub (4 Jahre). Sollte einer der beiden das gemeinsame Verbrechen zugeben, der andere aber weiter leugnen, wird der Geständige zum Kronzeugen (1 Jahr), der andere jedoch erhält die Höchststrafe (6 Jahre).

Das Dilemma besteht nun darin, dass sich jeder Gefangene entscheiden muss, entweder zu leugnen (also zu versuchen, mit dem anderen Gefangenen zu kooperieren) oder zu gestehen (also den anderen zu verraten), ohne die Entscheidung des anderen Gefangenen zu kennen. Das letztlich verhängte Strafmaß richtet sich allerdings danach, wie die beiden Gefangenen zusammengenommen ausgesagt haben und hängt damit nicht nur von der eigenen Entscheidung, sondern auch von der Entscheidung des anderen Gefangenen ab [4]. Man kann dies auch in einer Matrix-Form darstellen (Tab. 1).

Tab. 1 Matrix für das Gefangenen-Dilemma

Aus Sicht der Gefangenen (und als solcher komme ich mir im Gesundheitswesen immer mehr vor) heißt die Quintessenz hier: Alles wäre viel einfacher, wenn wir besser kommunizieren würdenFootnote 1. Kommunizieren die Falschen, oder zieht man die falschen Schlüsse, oder vertraut den Falschen, gibt es möglicherweise nur Verlierer. Das finde ich im Hinblick auf die Krankenhausreform durchaus erwähnenswert: Ich habe nicht den Eindruck, dass hier fair und offen kommuniziert wird, da zu viele Partialinteressen der Beteiligten gewahrt bleiben sollen.

Aber nun zu einer guten Nachricht: Die Gefässchirurgie hat wieder einen „Journal Impact factor“ (JIF) erhalten! Er liegt mit 0,3 ungefähr so, wie beim ersten Erreichen 2009 (im Jahr darauf fiel er deutlich ab). Es geht nun darum, diesen JIF weiter zu steigern. Dies erreichen wir mit zwei Mitteln: 1. Gute Artikel, möglichst OPEN ACCESS publiziert und 2. zitieren! Und zwar in anderen Zeitschriften, wie z. B. in Annals of Vascular Surgery, im Zentralblatt für Chirurgie oder in Die Chirurgie. Dabei dürfen Sie Ihre eigenen Artikel aus der Gefässchirurgie woanders zitieren. Die unerwünschten „Eigenzitationen“ beziehen sich auf eine Zitation aus der gleichen Zeitschrift und nicht auf die Zitation eines eigenen Papers aus unserer Zeitschrift.

Die Gefässchirurgie hat wieder einen „Journal Impact factor“ (JIF) erhalten

Eine weitere Neuigkeit bezieht sich auf unsere Rubriken, und dies passt auch sehr gut zur oben bereits erwähnten zunehmenden Ambulantisierung: Ab Heft 5 gibt es die Rubrik „ambulante Gefäßchirurgie“, die von S. Pourhassan in Zusammenarbeit mit dem „Berufsverband niedergelassene Gefäßchirurgie“ geleitet wird. Zwar ist die Zahl niedergelassener Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen mit 232 noch nicht sehr hoch [6], s. a. Abb. 1, aber verschiedene Faktoren und die Umwälzungen im Gesundwesen werden dies sicher ändern. Mit dieser Rubrik sollen insbesondere das Wesen und die Arbeit unseres Fachs im niedergelassenen Bereich in der Zeitschrift dargestellt werden. S. Pourhassan und M. Voshege haben hierzu in dieser Ausgabe bereits einen Artikel verfasst.

Abb. 1
figure 1

Verteilung der Ärzteschaft in Deutschland [6]

Weiterhin finden Sie (und Sie können alle gerne zitieren) ein Editorial zu den Weiterbildungsquoten für Pflegepersonen der Intensivstation (C.-A. Behrendt) sowie Arbeiten zum interventionellen Simulatortraining (E. Kaiser), zur strahleninduzierten Chromosomenveränderungen (P. Erhart), einen Fallbericht (M. Almahdi Ali) und einen CME-Artikel zur akuten Extremitätenischämie (A. Busch et al.).

Es gibt also einige Neuigkeiten, und ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Herzlichst, Ihr

Axel Larena-Avellaneda