Bekanntermaßen sind Leitlinien vergänglich. Ihnen haftet sogar der Ruf an, bereits bei der Veröffentlichung in weiten Teilen veraltet und ihr empirisches Fundament brüchig zu sein. Allgemein anerkannte und international gültige Regeln zu deren Erstellung bzw. Aktualisierung gibt es dabei allerdings nicht. Daher entscheidet letztlich vor allem die Auswahl der Evidenzbasis und deren Interpretation durch das Steuerkomitee über die Ausgestaltung der Empfehlungen und Begleittexte.

In den vergangenen Jahrzehnten hat die Behandlung von Patient:innen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (PAVK) einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen. Pioniere der interventionellen Gefäßtherapie haben bereits vor mehr als 50 Jahren mit immer neuen innovativen Techniken erreicht, dass hohes Alter und schwere Nebenerkrankungen kein Todesurteil mehr sind. Als der Radiologe Charles T. Dotter im Jahr 1964 die nach ihm benannte Technik nutzte, um einer hochbetagten Patientin mit kritischer Extremitätenischämie zu helfen, ebnete er damit den Siegeszug der katheterbasierten Gefäßtherapie für viele Millionen Menschen [1]. Ein halbes Jahrhundert später befinden wir uns offensichtlich auf der Zielgeraden dieser Entwicklung: Die große Mehrheit der Patient:innen wird heute zunehmend häufig endovaskulär behandelt. Die invasive Revaskularisation erfolgt heute insgesamt eher elektiv in früheren Krankheitsstadien zur Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und erzeugt zunehmende Behandlungskosten. Die konventionellen Bypassverfahren machen interessanterweise unverändert einen relativ stabilen Anteil an der Gesamtbehandlung aus [2,3,4,5].

Getragen wurde diese bemerkenswerte Entwicklung von schrittweisen Anpassungen der Leitlinien zahlreicher Fachgesellschaften, die einen „Endovascular-First-Ansatz“ proklamierten [6,7,8,9].

Schaut man sich allerdings die Begleittexte und Empfehlungsgrade genauer an, kommen Fragen auf. Bis zur Veröffentlichung der Ergebnisse der „Best Endovascular vs. Best Surgical Therapy in Patients with Critical Limb Ischemia“, BEST-CLI-Studie (NCT02060630), war die Überlegenheit eines der Verfahren Gegenstand zahlreicher Diskussionen, allerdings bisher ohne hochwertige vergleichende Evidenzbasis [10]. Nicht selten erlag man daher dem Eindruck, dass eine subjektive Komponente bei der Beleuchtung der Vor- und Nachteile eine Rolle spielte. Während die Kontroverse im Laufe der Zeit zunehmend auf dem Boden von industriegesponserten Studien geführt wurde, erfuhren die komplementäre patientenindividuelle Therapieplanung und innovative Hybridverfahren immer mehr Aufmerksamkeit.

Die kürzlich in The New England Journal of Medicine veröffentlichten Ergebnisse von BEST-CLI erzeugten erwartungsgemäß ein großes mediales Echo und teilweise auch emotionale Kritik. Diese kontrollierte Studie randomisierte insgesamt 1830 Patient:innen mit infrainguinaler chronischer extremitätengefährdender Ischämie (CLTI) in einen Bypassarm vs. einen endovaskulären Behandlungsarm. Dabei wurden zwei parallele Kohorten rekrutiert: 1434 Patient:innen hatten demnach eine geeignete V. saphena magna und 396 Patient:innen, also immerhin 22 %, waren nur für alternative Bypässe geeignet. Als primären Kombinationsendpunkt wählten die Studienleiter die Kombination aus sogenannten Major Adverse Limb Events (MALE) des Indexbeins oder Tod. In Kohorte 1, also bei Vorliegen einer geeigneten Vene, erlebten 42,6 % der Bypassgruppe und 57,4 % der endovaskulären Gruppe den primären Endpunkt nach 2,7 Jahren im Median (Hazard Ratio 0,68; 95 % Konfidenzintervall 0,59–0,79). In Kohorte 2, also wenn keine geeignete Vene vorlag, konnten keine statistisch signifikanten Unterschiede nach 1,6 Jahren im Median nachgewiesen werden [10]. So weit, so überraschend bzw. nicht überraschend – je nach Standpunkt.

Nur wenige Monate nach der Veröffentlichung der BEST-CLI-Ergebnisse stehen nun auch die mit Hochspannung erwarteten Ergebnisse der „Bypass versus Angioplasty in Severe Ischaemia of the Leg Trial“, BASIL-Studie (ISRCTN27728689), zur Verfügung [11]. BASIL‑2 hat zwischen 2014 und 2020 insgesamt 345 Patient:innen mit CLTI randomisiert, die eine kniegelenksüberschreitende Revaskularisation mit oder ohne zusätzliche proximale infrainguinale Revaskularisation benötigten. Dabei wurden erstmalige Venenbypässe mit der sogenannten „besten endovaskulären Therapie“ verglichen. Als primären Endpunkt wählten die Studienleiter das Überleben ohne Majoramputation. Auch dieser Endpunkt ist über viele Jahre von zahlreichen Studien genutzt worden, um die Wirksamkeit bzw. Sicherheit von Interventionen zu überprüfen. Nach mindestens zweijährigem Follow-up erlebten 63 % der Venengruppe und 53 % der endovaskulären Gruppe den Endpunkt (Hazard Ratio 1,35; 95 % Konfidenzintervall 1,02–1,80) [11]. Der Unterschied zwischen den Studienarmen wurde dabei maßgeblich durch die geringere Anzahl an Todesfällen jeglicher Ursache in der endovaskulären Gruppe getragen. So weit, so überraschend bzw. nicht überraschend – je nach Standpunkt.

In den zentralen Schlussfolgerungen der BEST-CLI-Studiengruppe liegt demnach das Bypassverfahren klar im Vorteil, sofern eine geeignete Vene vorhanden ist. Laut BASIL‑2 bringt dagegen das beste endovaskuläre Verfahren einen Vorteil. Die erforderliche Expertise, so die Autor:innen beider Studiengruppen, war in jedem Fall sichergestellt. Kritiker von BEST-CLI betonen derzeit insbesondere die selektionsbedingten Verzerrungen und die insgesamt unklaren technisch-prozeduralen Variablen, während bei BASIL‑2 die kleine Fallzahl und auf die UK beschränkte Versorgungsrealität im Vordergrund der Kritik stehen. Tatsächlich ist es bemerkenswert, dass die 150 BEST-CLI-Studienzentren ca. 12 Patient:innen in fünf Jahren und die 41 BASIL-2-Studienzentren ca. 8 Patient:innen in sechseinhalb Jahren rekrutieren konnten. Auch der Anteil an Frauen in der Studienpopulation lässt Fragen aufkommen: Weniger als 30 % (BEST-CLI) bzw. sogar 20 % (BASIL-2) lassen einen Selektionsbias erkennen, der bereits seit mehreren Jahrzehnten in rekrutierenden Studien immanent ist. Grundsätzlich lohnt sich ein Blick in die ergänzenden Dokumente der Publikationen, wobei viele weitere Fragezeichen entstehen. So wurden sowohl die initial geplante statistische Power (90 % auf 80 %) als auch die erforderliche Fallzahl (initial 600 Teilnehmer:innen) von BASIL-2 nachträglich heruntergesetzt, weil weniger als 60 % der geplanten Fallzahl erreicht wurde.

Die jetzt scheinbar gegensätzlichen Schlussfolgerungen von BEST-CLI und BASIL‑2 stellen die Fachwelt abermals vor eine große Herausforderung, obwohl sie vielleicht nur das unterstreichen, was uns allen schon seit Jahren klar war: Es erscheint unmöglich, diese heterogene Zielpopulation und die zahlreichen komplementären Behandlungsstrategien auf dem Niveau klinischer Studien so zu generalisieren, dass eine „One-for-all-Behandlungsempfehlung“ generiert werden kann. „Endovascular First“ erscheint ebenso unsachlich, wie „Open First“. Bei einem direkten Vergleich der beiden Studien und randomisierten Patient:innen fallen zahlreiche Unterschiede auf, die weitere Fragen aufwerfen (Tab. 1). Es wird nun abzuwarten sein, ob die vielen Wortmeldungen, Kongressdebatten und Editorials die gleiche Akribie für beide Studien aufbringen, oder ob auch diese Bewertung eher nach subjektiven Kriterien erfolgt.

Tab. 1 Vergleich der beiden randomisierten kontrollierten Studien und der prospektiven Kohortenstudie

Vielleicht hilft ein Blick auf eine weitere Studie, die im Hintergrund dieser beiden randomisierten kontrollierten Studien in Deutschland durchgeführt wurde [12]. In die prospektive GermanVasc-Kohortenstudie (NCT03098290) wurden zwischen 2018 und 2021 insgesamt 4475 Patient:innen mit symptomatischer PAVK der aortofemoralen und cruralen Gefäße eingeschlossen. Das Vorhandensein einer geeigneten Vene war dabei kein initiales Kriterium und neben den heterogenen endovaskulären Verfahren konnten auch einfache Endarteriektomien sowie Hybridverfahren verglichen werden [12]. Ausschlüsse, die in randomisierten Studien typischerweise methodenbedingt auftreten, spielten bei dieser Beobachtungsstudie nur eine nachgeordnete Rolle. Dennoch handelte es sich um Zentren, die typischerweise auch an rekrutierenden Studien teilnehmen. Nach 12 Monaten erlebten 5,3 % der Patient:innen eine Amputation oder Tod und 7,2 % hatten ein sogenanntes MALE. In der Subgruppe von Patient:innen mit CLTI betrug die MALE-Rate etwa 13 %. Im nicht adjustierten Vergleich hatte die Bypassgruppe dabei ein größeres Risiko für Amputation oder Tod (Hazard Ratio 2,59; 95 % Konfidenzintervall 1,75–3,85) sowie MALE (Hazard Ratio 1,93; 95 % Konfidenzintervall 1,11–3,36). Nach der umfangreichen und robusten Adjustierung für Störfaktoren, wie z. B. Alter, Komorbiditäten und Läsionsspezifika, ließen sich keine Ergebnisunterschiede zwischen den Vergleichsgruppen feststellen und dies galt in den Sensitivitätsanalysen auch für die Subgruppe der Patient:innen mit CLTI [12].

Für eine objektivierbare patientenindividuelle Therapieplanung ist es erforderlich, dass alle komplementär verfügbaren Verfahren in guter Qualität und rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Das kann entweder in einem vielseitig spezialisierten Team oder – idealerweise – alles aus einer Hand erfolgen. So schön es klingt, gelebt wird es vermutlich nicht überall. So sehen sich die Behandler:innen, die nur ein Verfahren sicher beherrschen, regelmäßig mit der Notwendigkeit konfrontiert, die Patient:innen an qualifizierte Kolleg:innen weiterzuleiten. In einer populationsbasierten multizentrischen Erhebung zum interdisziplinären Konsensusverfahren bei der perkutanen endovaskulären Therapie der PAVK hatte diese Zusammenarbeit schon nur in 7 % (Angiologie), 18 % (Gefäßchirurgie) bzw. 35 % (Radiologie) der Fälle stattgefunden [13].

Die aktuelle Diskussion unterstreicht allerdings einmal mehr, dass der zunehmende Fokus unserer Fachdisziplin auf mehr oder weniger komplexe endovaskuläre Behandlungen der Aorta und ein Abrücken von offen-chirurgischen Techniken ganz weitreichende Implikationen für diese Erwägungen haben kann. Moderne Gefäßchirurg:innen sollten atherosklerotische Verschlussprozesse von der Aorta bis zu den Fußgefäßen sowohl offen-chirurgisch als auch endovaskulär souverän behandeln können und dabei auch die flankierenden konservativen Therapiesäulen nicht vernachlässigen. Wir müssen dafür keine neuen Begriffe entwickeln, sondern sollten diese Verantwortung als komplementäre Gefäßchirurgie wahrnehmen! Die außergewöhnliche Vielseitigkeit unseres Faches ermöglicht es uns, die Ergebnisse dieser und zukünftiger Studien ergebnisoffen in unsere tägliche Praxis zu implementieren.

Selbst der beste Bypass und ein perfekt platzierter Stent können ohne Statine und Antithrombotika allerdings nur begrenzt symptomatisch wirken. Ein Blick auf die Aspekte des Best Medical Treatments in allen Studien suggeriert eindrücklich, wo wir heute noch stehen und wo das größte Verbesserungspotenzial auf unsere Patient:innen wartet.