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Wenn man sich mit Veteranen der Gefäßchirurgie über unser Fach unterhält, dann erlangt man nicht selten einen romantischen Einblick in eine ganz andere Welt. Eine Welt, die viele von uns so vermutlich nicht selbst erlebt haben. Eine Zeit vor der Weiterbildungsreform, als man noch profunde offen-chirurgische Techniken erlernt hat und meistern musste, bevor man endovaskuläre Techniken erhaschen durfte.

Heutzutage sieht es oft anders aus. Die Gefäßchirurgie hat sich aus dem Schattendasein hinter der Herz- und Viszeralchirurgie heraus emanzipiert und scheut dabei keine Konkurrenz mit anderen Fachdisziplinen. Moderne und innovative Gefäßchirurgie bedeutet dieser Tage eher komplementäre Gefäßmedizin von der Diagnostik und Prävention über pharmakologische Interventionen, endovaskuläre und offen-chirurgische Techniken. Alles aus einer Hand! Ein vielseitiges und facettenreiches Fach! Mit mehr als 3200 Mitgliedern zählt unsere Fachgesellschaft als größte dieses Medizingebiets in Europa und hat dabei sogar mehr Mitglieder als die European Society for Vascular Surgery (ESVS).

Aber sind wir alle wirklich so breit aufgestellt? Oder ist all das nur ein markantes Profil, dass wenige von uns entwickelt haben, um unser Fach und die damit assoziierte Bedeutung in der kardiovaskulären Medizin zu festigen? Hinter dieser provokativen Frage steckt eine nicht von der Hand zu weisende Feststellung: In nahezu allen Bereichen der Gefäßchirurgie ist ein eindeutiger Trend zu endovaskulären Techniken und ein unübersehbarer Fokus auf die Aorta zu beobachten. Offen-chirurgische Techniken, insbesondere der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) und des diabetischen Fußsyndroms, werden damit allmählich zu überliefertem Wissen. Haben Sie schon mal versucht, einen wirklich guten Atlas der komplexen peripheren Bypasschirurgie zu finden?

Trotz aller Fokussierung auf Aortenerkrankungen und innovative endovaskuläre Techniken, die sich letztlich auch regelmäßig in den Programmheften namhafter Kongresse und in Fachjournalen zeigt, ist das stabilste Fundament unseres Faches seit jeher und auch in der Zukunft die multimodale Therapie von Patienten mit PAVK. Mit einer Prävalenz von fast 24 % in der alternden deutschen Bevölkerung und 237 Mio. Betroffenen weltweit gilt die PAVK als Volkskrankheit [1]. Fast 700 Krankenhäuser in Deutschland bieten heute bereits invasive Verfahren zur Behandlung dieser Zielpopulation an, was sich auf bis zu 300.000 Prozeduren pro Jahr summiert, und eine höhere jährliche Fallzahl war dabei mit einem besseren Langzeitergebnis assoziiert [2]. Die Behandlung der PAVK bedeutet unweigerlich auch die Behandlung von Patienten mit Diabetes und vaskulären Wunden, wobei die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser beiden Zielpopulationen von Rümenapf et al. aus Speyer für das vorliegende Themenheft detailliert aufgearbeitet wurden [3].

Mit 237 Mio. Betroffenen weltweit gilt die PAVK als Volkskrankheit

Die Forschungsgruppe um Werra und Dorweiler et al. aus Köln ergänzt diese wichtige Übersicht um einen praxisorientierten Fortbildungsartikel zur modernen Wundtherapie [4]. Vollkommen zu Recht betonen die Autoren darin die Bedeutung der Wundbehandlung im Rahmen der gefäßchirurgischen Weiterbildung. Die Vielzahl an verfügbaren Präparaten und Wirkstoffen mag auf den ersten Blick verwirrend wirken – und ist es auch. Schaut man aber durch den Nebel an kleinen Studien und Fallserien hindurch, können wenige Therapieempfehlungen und der notwendige klinische Blick helfen, den Wundalltag in der gefäßchirurgischen Praxis zu meistern.

Dabei hilft allerdings auch die beste Wundauflage und sorgsamste Pflege nicht, wenn die Makroperfusion und Mikrozirkulation unzureichend bleibt. Und obwohl die Mehrzahl der invasiven Revaskularisationen heutzutage im Stadium der Claudicatio intermittens durchgeführt wird [5], ist insbesondere die Behandlung der chronischen extremitätengefährdenden Ischämie häufig mit technisch anspruchsvollen Revaskularisationsverfahren assoziiert. Vor Kurzem haben die interessanten Ergebnisse der Studie „Best Endovascular vs. Best Surgical Therapy in Patients With Critical Limb Ischemia“ (BEST-CLI) zu einer weltweiten Diskussion und Kontroverse über den seit Jahren allmählich etablierten „Endovascular-First-Ansatz“ geführt [6]. Demnach waren die Langzeitraten an sogenannten Major Adverse Limb Events (MALE) und Tod bei Patienten mit guter Bypassvene gegenüber den endovaskulären Techniken besser und selbst bei weniger guten Venengrafts noch gleichwertig [6]. Mit Hochspannung erwartet werden vor diesem Hintergrund auch die noch unveröffentlichten Ergebnisse der Studie „Bypass versus Angioplasty for Severe Ischaemia of the Limb“ (BASIL-2), die im April 2023 erstmals auf dem Charing Cross Symposium in London präsentiert werden sollen. Man darf gespannt sein, ob wir konsistente Ergebnisse oder kontroverse Argumente erfahren werden.

Als moderne und komplementäre Gefäßchirurgie können wir diese dynamischen und durchaus kontrovers diskutierten Entwicklungen wohl nur positiv aufnehmen, verbessern sie doch letztlich die Behandlungsqualität unserer Patienten. Damit wir die verfügbare Evidenzbasis aber auch unverzerrt und vorurteilsfrei als solche akzeptieren und den multimodalen Ansatz des „target arterial pathway“ in gültigen Leitlinien auch adäquat anwenden können, muss die cruro-pedale Bypasschirurgie weiterhin ein zentrales Element der Weiterbildung sein.

Diesen wichtigen Weiterbildungsauftrag können und müssen alle 700 Krankenhäuser, unabhängig von spannenden Erwägungen zu Zentralisierungen oder Krankenhausreformen, übernehmen.

Im Idealfall können und sollten wir als moderne Gefäßchirurgie – aus einer Hand – die komplexe Bypasschirurgie mit innovativen endovaskulären Techniken entweder perkutan oder im Hybridverfahren kombinieren, um das optimale Langzeitergebnis zu erreichen. Dabei variieren die praktischen Erfahrungen und Skills natürlich ebenso wie die subjektiven Sichtweisen zur Wirksamkeit der komplementären Verfahren. Das ist im Übrigen auch in vielen Aspekten moderner Praxisleitlinien, z. B. zur Diagnostik von Patienten mit chronischer extremitätengefährdender Ischämie, zu finden: Erlaubt ist, was verfügbar ist. Wichtig ist ein patientenzentrierter individualisierter Ansatz mit realistischen und objektivierbaren Therapiezielen.

Achim Neufang aus Mainz, ein erfahrener Experte der offenen Bypasschirurgie, hat seine persönliche Sichtweise und langjährigen Erfahrungen mit zahlreichen Tipps und Tricks bildreich zusammengefasst, was uns einen wertvollen Einblick in diese Säule der PAVK-Therapie unterhalb des Kniegelenks erlaubt [7]. Ergänzt wird diese Übersicht durch einen sehr interessanten Überblick über innovative Konzepte zur endovaskulären „vessel preparation“ aus der Münchner Arbeitsgruppe um Konstantinou und Stavroulakis et al. [8]. Beide Übersichtsartikel verstehen sich einander ergänzend und sind dabei selbstverständlich narrativ und subjektiv ausgearbeitet, wie unsere alltägliche Praxis. Mitunter führt ein exzellent durchgeführter Bypass zu dem gleichen Ergebnis, wie eine vorbildliche perkutane Intervention aus Expertenhand. Das eine schließt das andere nicht aus und keine uns bekannte Studie adjustierte adäquat für die dynamische Expertise der Operateure.

Vor, während und nach jeder invasiven Revaskularisation der PAVK stellt sich für uns stets die Frage nach einer geeigneten antithrombotischen Therapie. Auch diese Erwägungen begleiten die alltägliche Behandlung unserer Patienten mit PAVK, wobei das Maß der Komplexität dieser trivialen Fragestellung rasch ausufert und nicht immer objektiv diskutiert wird. Wie groß ist das Risiko einer Thromboembolie vs. Blutungskomplikation? In einer kritischen und möglichst evidenzbasierten Übersicht haben die Themenheftherausgeber versucht, diesen Aspekt verständlich zu beleuchten [9].

Mit dem vorliegenden Themenheft wollen wir Ihnen ein praxisorientiertes Update zu allen Bereichen der PAVK-Therapie an die Hand geben und dabei für einen vielseitigen und innovativen Bereich unseres Faches begeistern, deren offen-chirurgisches Fundament heutzutage wichtiger ist als je zuvor!

Verschiedene Leitlinien zur PAVK, zur chronischen extremitätengefährdenden Ischämie bzw. zum diabetischen Fußsyndrom und zur antithrombotischen Therapie von Gefäßkrankheiten stehen derzeit vor der Fertigstellung, was die Dynamik in diesem Thema zusätzlich illustriert.

Viel Spaß bei der Lektüre wünschen

Christian-Alexander Behrendt

Ulrich Rother