Einleitung

Die konservativen Maßnahmen bilden in allen Stadien der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) das Therapiefundament vor und gemeinsam mit invasiven Methoden [2]. Das strukturierte Gehtraining gehört dabei zu den wichtigsten Säulen der Therapie. Seine Effektivität ist seit Längerem bekannt und wurde durch vergleichende Studien nachgewiesen [3, 4]. Dementsprechend wird es in deutschen [1], europäischen [5] und amerikanischen [6] pAVK-Leitlinien mit hohem Empfehlungsgrad empfohlen. Das Gehtraining als Basistherapie soll allen pAVK-Patientinnen und -Patienten insbesondere im Stadium der Claudicatio intermittens angeboten werden, es verbessert zudem komplementär auch die Therapieergebnisse nach erfolgter Revaskularisation [7]. Zur Effektivität des Gehtrainings in asymptomatischen Krankheitsstadien liegen bisher keine Studien mit ausreichender Evidenz vor, allerdings gibt es Hinweise darauf, dass alle Patientinnen und Patienten mit atherosklerotischen Erkrankungen von einer regelmäßigen körperlichen Aktivität profitieren.

Das Gehtraining kann selbstständig oder auch in Gruppen unter Anleitung erfolgen. Das Gehtraining unter Anleitung durch ausgebildete Übungsleiterinnen und Übungsleiter ist besonders effektiv, allerdings kann auch das selbstständige Gehtraining positive Effekte erzielen [8]. Die Ergebnisse randomisierter kontrollierter Studien und deren Metaanalysen haben gezeigt, dass das funktionelle Langzeitergebnis von alleiniger Gefäßintervention bei Patientinnen und Patienten mit Claudicatio intermittens nicht besser als das von einem strukturierten Gehtraining war [9, 10]. Obwohl bei iliakalen Verschlussprozessen ein alleiniges Gehtraining aufgrund der unterschiedlichen Kollateralisierungstendenz bisher kritisch beurteilt wurde [11], bestätigte eine aktuelle multizentrische randomisierte kontrollierte Studie [12] zum Vergleich des strukturierten Gehtrainings vs. endovaskulären Verfahrens bei Patienten mit Claudicatio intermittens und iliakalen Läsionen dessen Effektivität. Die Autoren der SUPER-Studie schlussfolgerten demnach, dass Gehtraining auch bei symptomatischen iliakalen Läsionen sinnvoll sei, wobei eine 30%ige Abbruchrate eingeplant werden müsse. In Schweden ist es bereits Realität, dass jede invasive Behandlung der Patientinnen und Patienten mit Claudicatio intermittens erst nach stattgehabtem Gehtraining indiziert wird.

Strukturiertes Gehtraining unter regelmäßiger Anleitung soll allen pAVK-Patienten mit Claudicatio intermittens als Bestandteil der Basisbehandlung angeboten werden.

Ein Gefäßtraining bei Patienten mit Claudicatio intermittens soll mindestens 3×wöchentlich in Übungseinheiten von 30–60min über einen Zeitraum von mindestens 3 Monaten erfolgen.

Das Gehtraining in Deutschland

Bisher ist ein flächendeckendes Angebot von pAVK-Gehtrainingsgruppen in Deutschland nicht verfügbar, und die konsequente Kooperation zwischen Gefäßmedizinern und entsprechenden Reha-Sporteinrichtungen ist häufig nicht etabliert. Diese Tatsache wurde mehrfach bei den Fachtagungen und Kongressen angesprochen und wurde sowohl in der S3-Leitlinie [1] als auch im Deutschen Ärzteblatt [13] diskutiert. Dementsprechend wissen viele Gefäßmediziner nicht, ob eine pAVK-Gehtrainingsgruppe in der Nähe ihrer Einrichtungen existiert bzw. wohin die Patientinnen und Patienten zum Gehtraining überwiesen werden können. Dementsprechend resultieren häufig einfache Empfehlungen zum Gehtraining, die beispielsweise lauten: „möglichst viel laufen“. Jedoch bietet der Rehabilitationssport mit seinen qualifizierten Übungsleitern und Übungsleiterinnen eine gute Möglichkeit ein angeleitetes strukturiertes Gehtraining durchzuführen. Gemäß § 64 des Sozialgesetzbuches IX ist der Rehabilitationssport eine ergänzende Leistung zur medizinischen Rehabilitation und ist für Menschen mit (drohenden) Behinderungen sowie chronischen Erkrankungen vorgesehen. Ein essenzieller Aspekt für die zielführende Umsetzung des Rehabilitationssports ist die Verordnung durch das Verordnungsblatt Muster 56 der kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bzw. Formular 850 der Deutschen Rentenversicherung (DRV). Mit der Verordnung werden Art und Intensität des Bewegungsangebotes vorgegeben. Im Regelfall werden 50 Übungseinheiten innerhalb von 18 Monaten verordnet und von den Krankenkassen genehmigt. Die Verordnung anhand Muster 56 der KBV belastet nicht das Heilmittelbudget. Ein Muster des ausgefüllten Antrages auf Kostenübernahme für Rehabilitationssport (Formular 56) ist in der Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Muster des ausgefüllten Antrages auf Kostenübernahme für Reha-Sport (Formular 56)

Alternativ kommen auch stationäre Reha-Maßnahmen infrage, in denen die Durchführung eines Gehtrainings mit der Optimierung der pAVK-Risikofaktoren (Raucherentwöhnung, Diabeteseinstellung, Ernährungsberatung, Veränderung weiterer Lebensumstände) durch verhaltenstherapeutische Interventionen gezielt kombiniert werden kann.

Der Weg zur Gründung einer lokalen Gehtrainingsgruppe vor Ort

Mit dem Ziel, unseren Patientinnen und Patienten eine evidenzbasierte und leitliniengerechte komplementäre Therapie anzubieten, wurde von der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG e. V.), vertreten durch die Kommission „pAVK und diabetischer Fuß“ eine Kampagne zur bundesweiten Förderung des Aufbaus von lokalen Gehtrainingsgruppen gestartet. Ergänzend führt die Kommission derzeit eine multizentrische konsekutive Umfrage unter Patientinnen und Patienten mit pAVK durch, um Hinderungsgründe und Erfahrungen zum Gehtraining zu evaluieren. Zudem befindet sich eine systematische Erfassung vom Gehtrainingsangebot im Sinne eines Registers bereits etablierter und zukünftiger Gehtrainingsgruppen in Planung.

Es gibt verschiedene Organisationen, die im Bereich des Rehabilitations- bzw. Behindertensports Angebote zur Verfügung stellen: der Deutsche Behindertensportverband e. V. (DBS), die Deutsche Gefäßliga e. V. sowie das Patienten Forum e. V., Sektion AVK-Selbsthilfe & Rehasport.

Als ein wichtiger Partner für diese durch die DGG e. V. getragene Kampagne bot sich der DBS an. Der DBS ist der zuständige Fachverband im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) für den Breiten‑, Leistungs‑, Präventions- und Rehabilitationssport von Menschen mit Behinderungen. Gleichzeitig ist der DBS das nationale paralympische Komitee für Deutschland und in dieser Funktion Mitglied im International Paralympic Committee (IPC). Mit seinen 17 Landes- und 2 Fachverbänden sowie fast 6300 Vereinen und rund 510.000 Mitgliedern gehört der DBS zu den weltweit größten Sportverbänden für Menschen mit Behinderung. Zu den Aufgaben des DBS gehört die Förderung eines vielfältigen, barrierefreien und wohnortnahen Sportangebots, das von möglichst vielen Menschen mit Behinderung im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention wahrgenommen werden kann. Der DBS ist mit rund 75.000 Angeboten der größte Leistungserbringer für Rehabilitationssport.

Bundesweit besteht unter dem Dach der DBS ein gut ausgebautes Netz lokaler Rehabilitationssportvereine, welche verschiedene Rehabilitationssportangebote (z. B. Herzsport, Lungensport, Sport für orthopädische, neurologische oder psychische Erkrankungen) schon seit vielen Jahren flächendeckend anbieten.

In den lokalen Vereinen arbeiten ausgebildete und zertifizierte Übungsleiterinnen und Übungsleiter, deren Ausbildung je nach Spezifizierung auch das Thema der Gefäßerkrankungen und pAVK beinhaltet. Dementsprechend ist jeder/jede durch den DBS ausgebildete Übungsleiter/Übungsleiterin mit einer Übungsleiterlizenz im Rehabilitationssport im Bereich der inneren Medizin auch zur Betreuung einer Gruppe mit pAVK-Patienten und -Patientinnen zugelassen.

Im April 2022 wurde im Rahmen eines Treffens zwischen den Vertretern der Kommission „pAVK und diabetischer Fuß“ und des DBS ein beidseitiges Interesse an einer Zusammenarbeit bestätigt und die Möglichkeiten des bundesweiten Ausbaus von pAVK-Gehtrainingsgruppen besprochen.

Über das o. g. Treffen wurden die Landesverbände bzw. lokalen Vereine bereits durch den DBS in Kenntnis gesetzt, sodass nun die interessierten Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen vor Ort mit lokalen Vereinen zwecks Ausbaus der Vorort-Gehtrainingsgruppen in Kontakt treten können. Die Vereine des DBS können auf der Webseite des DBS unter www.dbs-npc.de/rehabilitationssportgruppen-in-deutschland.html (zugegriffen am 03.10.2022) ausfindig gemacht werden.

Als weiterer Ansprechpartner steht auch die Deutsche Gefäßliga e. V. zur Verfügung. Diese bereits im Jahr 1992 gegründete gemeinnützige Organisation hat sich zum Ziel gesetzt, die Prävention sowie frühzeitige Erkennung und Behandlung von Gefäßerkrankungen zu fördern. Auf der Homepage der Deutschen Gefäßliga (www.deutsche-gefaessliga.de, zugegriffen am 03.10.2022) finden sich nicht nur Tipps zum Gehtraining, sondern es können auch die Sportgruppen in verschiedenen Postleitzahlenregionen gesucht werden.

Auch das Angebot vom Patienten Forum e. V., Sektion AVK-Selbsthilfe & Rehasport, kann von den Patientinnen und Patienten zur Beratung jederzeit in Anspruch genommen werden (info@das-patientenforum.de).

Obwohl alle vorgenannten Organisationen bereit sind, Gefäßpatientinnen und -patienten zu betreuen, bleibt die Rekrutierung von interessierten Patientinnen und Patienten weiterhin ein ungelöstes Problem. Entscheidend ist daher, dass gerade die primär betreuenden Ärztinnen und Ärzte, also Gefäßchirurginnen und Gefäßchirurgen bzw. Gefäßmediziner/-innen über das lokal vorhandene Angebot von Gefäßlaufsportgruppen informiert sind. Sollte es, wie derzeit leider vielerorts Behandlungsrealität, kein aktives lokales Netzwerk geben, besteht die Möglichkeit einer Kontaktaufnahme zu einer der oben dargestellten Organisationen. Die Strukturen sind dafür vorhanden, und die lokalen Rehabilitationssportgruppen sind bereit, den interessierten Patientinnen und Patienten zu helfen. Dass der Aufbau und Fortbetrieb einer lokalen Gehsportgruppe machbar und realisierbar wäre, bestätigt die Erfahrung eines der Autoren dieses Artikels.

Diesen Beitrag möchten wir mit dem Appell an die Leser und Leserinnen der Gefäßchirurgie beenden: „Lassen Sie uns gemeinsam, jeder bei sich vor Ort, mithilfe unserer Partner die Gehtrainingsgruppen ausbauen und mitgestalten. Das strukturierte Gehtraining unter Aufsicht wird von den nationalen und internationalen Leitlinien gefordert, und unsere Patientinnen und Patienten sollten darauf nicht aufgrund infrastruktureller Defizite verzichten. Wir müssen es unseren Patientinnen und Patienten ermöglichen, die hochwertig nachgewiesene Effektivität dieser Maßnahme wahrzunehmen“.

Lassen wir ein von den Leitlinien gefordertes Gehtraining unter Aufsicht bundesweit zur Realität werden!

Fazit für die Praxis

  • Das Gehtraining gehört als Basistherapie zur ersten Therapiewahl bei Patientinnen und Patienten mit Claudicatio intermittens.

  • Bei dem aktuellen Minderangebot sollten neue Gehtrainingsgruppen durch Gefäßmediziner/-innen aktiv organisiert, etabliert und unterstützt werden.

  • Die DGG strebt eine Strukturverbesserung sowie eine wissenschaftliche Begleitung des Ausbaus von Gehtrainingsgruppen an.