Obwohl wir uns alle nach dem Ende der COVID-Pandemie sehnen und auf eine Entspannung bei dem erdrückenden Pflegekräftemangel hoffen, dürfen diese brennenden Themen nicht dauerhaft davon ablenken, dass wir bereits seit Jahren in einer weiteren Gesundheitskrise stecken.

Vor mehr als einem Jahrhundert havarierte die RMS Titanic im Nordatlantik mit einem Eisberg und sank wenig später. Diese furchtbare Katastrophe endete mit mehr als 1500 Toten und gilt bis heute als mahnendes Beispiel für die Gefahr von Eisbergen, deren wahre Bedeutung beim bloßen Anblick der Spitze nicht unmittelbar offensichtlich wird.

Dieses Paradigma lässt sich hervorragend auf die Versorgungsrealität der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) übertragen. Landläufig als „Schaufensterkrankheit“ oder „Raucherbein“ verharmlost und von manchen Kolleg:innen nicht selten schlicht als zusätzlicher Risikofaktor trivialisiert, ist die wahre Bedeutung der PAVK unterhalb der Wasserlinie enorm.

Etwa 237 Mio. Menschen sind weltweit von einer PAVK betroffen und die unerschöpfliche Quelle an bereits mehr als 537 Mio. Patient:innen mit Diabetes, von denen jeder zweite eine schwere PAVK entwickeln wird, illustriert die globale Bedeutung dieser wichtigen Manifestation der systemischen Atherosklerose. Dabei ist die PAVK seit Jahren im Verborgenen auf dem Vormarsch. Nicht etwa durch steigende Inzidenzen – die scheinen stabil oder fallen sogar leicht –, sondern durch deutlich zunehmende Behandlungszahlen und Prävalenzen, insbesondere in Ländern mit geringem Einkommen [5, 9, 17]. In einer rasant alternden Weltbevölkerung ist bis zum Jahr 2045 von einer weiteren Steigerung der Prävalenzen um etwa 30–50 % auszugehen.

Alleine die stationäre Behandlung von Patient:innen mit PAVK-Diagnose kostet in Deutschland bereits mehr als 7 Mrd. € pro Jahr, Tendenz zunehmend [9]. Und obwohl zahlreiche Studien die seit Jahrzehnten fortbestehende Unterversorgung mit leitliniengerechten Medikamenten nachgewiesen haben, generiert der ambulante Sektor bei der Behandlung dieser Zielpopulation trotzdem Kosten in Milliardenhöhe für Arzneimittelverordnungen, Heil- und Hilfsmittel sowie ambulante Behandlungen dieser Zielpopulation [14].

Die Langzeitergebnisse sind dagegen seit vielen Jahren ernüchternd: Innerhalb von fünf Jahren nach erstmaliger stationärer Behandlung der symptomatischen PAVK erleiden, je nach Risikoprofil, zwischen 9–48 % der Patient:innen mit Claudicatio intermittens und 25–88 % mit chronischer extremitätengefährdender Ischämie eine Amputation oder versterben [3, 8]. Bei Patient:innen mit erstmaliger Krankenhausbehandlung eines Diabetes sieht es nicht viel besser aus: Etwa 10 % werden innerhalb von fünf Jahren amputiert [16]. Damit hat sich augenscheinlich seit etwa einem halben Jahrhundert und trotz aller proklamierten Entwicklungen beim Best Medical Treatment keine messbare Verbesserung der mortalitäts- und extremitätenbezogenen Endpunkte eingestellt. Insbesondere auf dem Feld der innovativen endovaskulären Therapie dieser Zielpopulation sieht es dagegen hervorragend aus: Die interventionelle Gefäßmedizin ist eine Boombranche, die sich trotz der Medizinprodukteregulation der Europäischen Union immer weiterentwickelt. Immer neue und bessere Devices ermöglichen die Rekanalisierung langer und kalzifizierter Läsionen und eröffnen damit auch hochbetagten und schwer kranken Patient:innen eine neue Therapiemöglichkeit. Bei den überwiegend technischen Endpunkten, z. B. der sogenannten „target lesion revascularisation“ (TLR), findet mitunter ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Vergleichsgruppen statt. Das mag aber auch davon ablenken, dass die konsequente Einnahme von Lipidsenkern, Antihypertensiva und Antithrombotika mit bemerkenswerten Langzeitvorteilen beim Überleben oder Beinerhalt in Höhe von etwa 30 % assoziiert werden konnte. Gewinnen die Patient:innen also mit der richtigen Pille mehr als mit dem richtigen Ballon [6, 13]?

Wie ist es angesichts der offensichtlichen Überlebens- und Beinerhaltungsvorteile mit optimaler Arzneimitteltherapie erklärbar, dass unsere Patient:innen die etwa 670 deutschen Krankenhäuser mit gefäßinterventioneller Expertise verlassen und dann zu 40 % keine Statine und zu 30 % keine Antithrombotika erhalten [14, 15]? Ist das vielleicht das ganze Ausmaß des Eisbergs unterhalb der Wasserlinie? Welche Bedeutung hat diese Zielpopulation für unser Gesundheitssystem und für unsere Fachgebiete jenseits der Hybrid-Operationssäle? Und welche Bedeutung haben die Krankheit und ihre schlechte Prognose für die Betroffenen, die doch zunehmend häufig wegen einer sogenannten Lifestyle limitierenden Claudicatio behandelt werden [4]?

In der prospektiven GermanVasc-Kohortenstudie (NCT03098290) zur multimodalen Therapie der symptomatischen PAVK fiel ein Aspekt unmittelbar ins Auge: Etwa die Hälfte aller invasiv revaskularisierten Patient:innen gab an, weiterhin aktiv zu rauchen [7]. Weniger als 30 % aller Patient:innen haben in der Krankheitsgeschichte jemals Empfehlungen zur gesunden Ernährung erhalten, obwohl es klare Hinweise dafür gibt, dass z. B. die mediterrane Diät einen Benefit für den Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen bringen kann [1, 18].

In einer konsekutiven multizentrischen Survey-Studie der Kommission PAVK und Diabetisches Fußsyndrom der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e. V. (DGG) gaben fast 50 % der durchschnittlich seit vier Jahren an einer symptomatischen PAVK erkrankten Patient:innen an, ihren Lebensstil seit der Diagnosestellung nie geändert zu haben. Mehr als 30 % berichteten zudem, nicht über die Arzneimittelverordnungen bzw. die Gründe informiert worden zu sein [2]. In einer weiteren Umfragestudie der DGG, deren Ergebnisse derzeit veröffentlicht werden, haben nur 10 % der gleichen Zielpopulation innerhalb von ca. vier Jahren nach Indexdiagnose jemals ein Gehtraining durchgeführt, wobei es Hinweise darauf gab, dass die Patientenaufklärung und Gesundheitsedukation zentrale Einflussfaktoren darstellten.

All diese Fakten und ernüchternden Daten mit Querverbindungen zur Arzt-Patienten-Kommunikation lassen die drängende Frage aufkommen, ob wir in der alltäglichen Praxis die richtigen Fragen stellen. Und letztlich auch, ob wir im Gespräch die richtigen Fragen beantworten. Die Notwendigkeit einer patientenzentrierten und partizipativen Kommunikation und Behandlung wird dabei in den letzten Jahren immer klarer. Hierfür gilt die strukturierte Sammlung patientenberichteter Endpunkte als wesentliches Fundament. Allerdings: Etwa 25 % der rekrutierten Patient:innen in der prospektiven GermanVasc-Kohortenstudie lehnten die Beantwortung des Basisfragebogens zur Lebensqualität ab. Nach einem Follow-up von 12 Monaten lag sogar nur noch für ein Fünftel der Patient:innen ein Fragebogen vor. Etwa 21 % der Patient:innen mit Claudicatio intermittens und 36 % mit chronischer extremitätengefährdender Ischämie waren dabei auf ärztliche oder pflegerische Unterstützung angewiesen, um die Fragebögen zu verstehen und auszufüllen. Auch diese Fakten illustrieren, dass wir an der Arzt-Patienten-Kommunikation arbeiten können.

Die PAVK, deren gesundheitsökonomische Bedeutung und der Umgang mit dieser folgenschweren Erkrankung müssen wieder mehr in das Bewusstsein der Öffentlichkeit aber auch der Betroffenen gelangen. Etwa 70 % aller stationären Behandlungen in Deutschland erfolgen derzeit durch gefäßchirurgische Abteilungen, daher erscheint eine noch engere Zusammenarbeit mit unseren Kolleg:innen in der ambulanten fach- und hausärztlichen Versorgung folgerichtig und wichtig [10]. Diese bilden das Rückgrat der Gesundheitsprävention vor und nach jeder stationären Behandlung.

Das große und größtenteils ungeborgene Potenzial von digitalen Gesundheitsanwendungen und telemedizinischen Anwendungen sowie künstlicher Intelligenz, insbesondere auch für die moderne und innovative Gefäßchirurgie, könnte die wichtige Kommunikation zwischen Ärzt:innen und Patient:innen unterstützen und zeitliche Limitationen aufseiten der Behandler vielleicht abfangen [11, 12]. Immerhin: Etwa 67 % unserer durchschnittlich 70-jährigen Patient:innen haben bereits ein Smartphone und 19 % besitzen sogenannte Wearables [2].

Die Kommission PAVK und Diabetisches Fußsyndrom der DGG wird in den kommenden Jahren gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Gefäßmedizinische Gesundheitsforschung (DIGG) intensiv an diesen Themen und erforderlichen Qualitätsentwicklungskampagnen arbeiten. Zentrales Ziel aller Bemühungen ist dabei die Beantwortung der Frage, ob die neuen Technologien endlich für eine Verbesserung des Best Medical Treatment bei Patient:innen mit PAVK genutzt werden können.