Geschätzte Leserinnen und Leser,

wir werden alle älter. Das ist zunächst wenig überraschend, gilt aber auch für die gesamte Ärzteschaft. So heißt es bei der Bundesärztekammer: „Sorge bereitet weiterhin die Entwicklung des Altersdurchschnitts der deutschen Ärzteschaft (…). Der Anteil der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte, die das 60. Lebensjahr bereits vollendet haben, steigt kontinuierlich an.“ [1]. Inzwischen arbeite ich selbst seit 30 Jahren in dem Beruf. Für die meisten Patienten klingt es beruhigend, wenn man so was sagt. Aber wie sagt Torsten Sträter so schön: „Das Problem mit dem Alter … ist ja das Alter“Footnote 1. Tatsächlich kokettiert er in vielen seiner Geschichten mit dem Älterwerden. Sträter ist 1966 geboren, sodass ich (Jahrgang 1967) mich hier oft wiedererkenne. Aber neben den Beobachtungen im Spiegel, sind es auch die Abläufe im Beruf, die ihren Tribut erfordern. Fangen wir doch mal bei den Körperlichkeiten an. Seitdem ich zum ersten Mal eine Lesebrille verwendet habe, komme ich ohne gar nicht mehr aus. Meine Varizen habe ich mir sicherlich durch vieles Stehen im OP erarbeitet. Zuletzt musste ich ein wenig lächeln: Lokführer stehen unter Stress, weil sie nicht austreten können [2]. LKW-Fahrer und Zugführer müssen nach 4,5 h eine 45-minütige Pause einlegen. Und die tragen während ihrer Tätigkeit keine Bleischürze. Viele von uns arbeiten interventionell. Rückenleiden als Folge der Röntgenschürzen werden sehr oft beschrieben. Manchmal denke ich, kein Wunder, dass viele Radiologen lieber Schnittbilddiagnostik betreiben. Also – Augen auf bei der Berufswahl. Wie sagte schon mein Doktorvater: „Machen Sie was Ordentliches – werden Sie Musiker“. Offenbar habe ich nicht auf ihn gehört, und es auch (fast) nie bereut.

„Wir haben den schönsten Beruf der Welt –, wenn nur die Dienste nicht wären“

„Lieber Herr Larena, wir haben den schönsten Beruf der Welt –, wenn nur die Dienste nicht wären“. Dies teilte mir eine der Oberärztinnen im Dienst zu Beginn meiner Karriere mit. Sie war damals Mitte 40, ich 25 Jahre alt. Tatsächlich sah ich das damals anders: Wir machten ja noch 32-Stunden Dienste, sodass wir zeitgerecht ausgebildet wurden und auch alle unsere Patienten kannten. In diesen Diensten haben wir nächtelang mit dem Pflegepersonal geredet und zusammen gegessen. Es war eine besondere Zeit. In den Diensten durfte man Sachen operieren, die in der Routine den Oberärzten vorbehalten waren, und ohne Einweisungsformular konnte man sich selbst Gedanken über Diagnose und Therapie machen. Mit zunehmendem Alter wurden die Bereitschaftsdienste aber lästiger. Erst recht, als mein erstes Kind zur Welt kam. Zum einen fühlte ich mich nicht gut, nicht zu Hause zu sein, um mich um den Nachwuchs zu kümmern. Auf der anderen Seite war an Erholung nach einem anstrengenden Dienst auch nicht mehr zu denken. Der Übergang zum Rufdienst brachte dann doch wesentlich mehr Lebensqualität. Aber je älter ich werde, desto mehr empfinde ich es als Einschränkung, mich nicht weiter wegbewegen zu dürfen. Inzwischen gibt es ja der Gesetzgeber vor, dass wir als Rufdiensthabende innerhalb von 30 min beim Patienten sein müssen, um die Qualitätssicherungsrichtlinie zum Bauchaortenaneurysma zu erfüllen.

Als ich Assistent war, hatten Oberärzte ein richtig tolles Leben – so schien es mir wenigstens. Jedenfalls blieben einige Oberärzte nicht länger als die Assistenten in der Klinik (eher umgekehrt). Und ich dachte, super, mit jedem Karriereschritt wird das Leben angenehmer. Nun ja: Damals haben wir, wie oben beschrieben, als junge Ärzte viel operiert. Die Oberärzte konnten zu Hause bleiben. Dann wurde es zunehmend so, dass es viele junge Ärzte gab, die eben noch nicht operieren konnten – als Oberarzt musste/durfte ich dann auch wieder im Dienst operieren/assistieren. Und mit jedem Schritt auf der Karriereleiter kamen dann weitere Tätigkeiten und Verantwortlichkeiten auf mich zu, sodass mein Plan nicht aufging. Im Alter werden es also mehr Aufgaben, nicht weniger. Dies mag auch Folge einer weiteren Entwicklung sein: Die gewaltige Wissensvermehrung der letzten Jahrzehnte zwang zur Spezialisierung, wobei die eigentlichen Fach- und Teilgebiete immer kleiner werden mussten. Dies erhöht auch den organisatorischen Aufwand.

Tatsächlich sind es oft die Notfälle, die uns das Leben schwer machen

Tatsächlich sind es oft die Notfälle, die uns heute das Leben schwer machen. Machen sie doch oft einen Großteil unserer Tätigkeit aus. Kommen sie tagsüber, zerstören sie das elektive Programm. Kommen sie nachts, fehlt am nächsten Tag ein Arzt, und der gesamte Ablauf muss neu geplant werden. Eine Klinik nur mit elektiven Fällen klingt also wie ein Paradies. – Man kann dem OP-Manager und der Klinikleitung verlässliche Zeiten und Zahlen liefern, und Patienten müssen nicht vertröstet werden. Warum werden eigentlich die Notfälle nirgendwo im System ausreichend berücksichtigt? Mit einem Personalschlüssel, der dafür sorgt, dass Einsätze im Dienst keinen Einfluss auf das Geschehen am Folgetag haben? Mit einem System, dass es erlaubt, trotz Arbeitszeitschutzgesetzt die Assistenten auszubilden? Mit einem Notfallsaal, der dafür sorgt, dass im Tagesgeschäft keine elektiven Patienten abgesetzt werden müssen? Der winzige Anteil für die Notfälle in der InEK-Matrix stellt die Realität nicht ansatzweise dar.

Wenn ich mich heute alt fühle, ist es oft wegen der Administration. Oder wegen der großen Herausforderungen im Gesundheitswesen generell. – Wie viel Zeit haben allein die Umstände der Corona-Pandemie verschlungen? Eine schwierige, anstrengende und herausfordernde Operation lässt uns doch psychisch ganz anders zurück als ein Tag am Schreibtisch mit den üblichen Ärgernissen. Und ich glaube, wenn man es sich gut einrichten kann, ist man auch nach dem Erreichen von 67 Jahren noch in der Lage, gut zu operieren. Michael DeBakey wurde 99 Jahre alt und hat im hohen Alter noch operiert. Was mich auf einen anderen Aspekt des Alter(n)s bringt. Für viele von uns Chirurgen ist der OP der Lebensinhalt. Und dann, mit Erreichen des Renteneintrittsalters sagt der Arbeiter: „So, Schluss jetzt.“. Tatsächlich kenne ich viele Kollegen, die mit dem Verlust des Operierens sehr unglücklich wurden. Nicht jeder kann als Privatarzt weiter operieren. Fokus ist zwar sehr wichtig, aber als angestellter, älter werdender Arzt muss einem klar sein, dass man mit seiner Lieblingsbeschäftigung in absehbarer Zeit wird aufhören müssen.

Ein sehr guter Chirurg muss immer auch ein guter Internist sein. Ein sehr guter Internist muss aber kein guter Chirurg sein

Das vorliegende Heft betrachtet das Alter unserer Patienten. Gefäßchirurgen betreuen in der Regel die ältesten Patienten (mit Ausnahme der geriatrischen Abteilungen). Wir sind diesbezüglich nicht optimal ausgebildet. Ein weiteres Zitat einer meiner Oberärzte zum Schluss meiner einleitenden Worte: „Ein sehr guter Chirurg muss immer auch ein guter Internist sein. Ein sehr guter Internist muss aber kein guter Chirurg sein“.

Umso mehr freue ich mich, dass Hartmut Görtz hier ein Heft zusammengestellt hat, dass dieses für uns alle so wichtige Thema näher betrachtet. Ich denke, hier können wir alle noch viel lernen.

Herzlichst,

Ihr

Axel Larena-Avellaneda