Einleitung

Die Phlegmasia coerulea dolens (PCD) ist eine seltene Form einer Ischämie im Rahmen einer tiefen Venenthrombose, die mit hoher Mortalität und Morbidität verbunden ist und notfallmäßig behandelt werden sollte. Zahlreiche Fälle von arteriellen und venösen Thrombosen wurden bei COVID-19-infizierten Patienten berichtet. Eine schwere COVID-19-Infektion kann ein potenzieller Risikofaktor für die Entwicklung einer PCD sein.

Anamnese

Die 75-jährige weibliche Patientin mit Diabetes mellitus und arterieller Hypertonie in der Vorgeschichte stellte sich im Oktober 2021 mit respiratorischer Insuffizienz bei Covid-19-Pneumonie vor. Die Patientin war zwei Wochen zuvor aus der Türkei zurückgekehrt und doppelt geimpft. Eine Woche nach Aufnahme wurde die Patientin bei Venenthrombose des linken Armes gefäßchirurgisch vorgestellt.

Befund und Diagnostik

Die Patientin zeigte sich in reduziertem Allgemeinzustand mit massiver Schwellung des linken Armes. Im Verlauf kam es zur Nekrosen- und Blasenbildung der Haut des linken Armes (Abb. 1). Die Patientin war zum Untersuchungszeitpunkt nicht ansprechbar, sodass die Sensibilität und Motorik nicht evaluiert werden konnten. Bei massiver Schwellung waren die Pulse nicht tastbar. Duplexsonographisch zeigte sich ein thrombotischer Verschluss der Vv. subclavia, brachialis, radialis und ulnaris sowie Vv. cephalica und basilica links. Alle Arterien des linken Armes bis zur distalen Aa. radialis und ulnaris zeigten sich durchgehend mit einem triphasischen Flusssignal.

Abb. 1
figure 1

Arm links, Schwellung, Blasenbildung und Hautnekrose bei Phlegmasia coerulea dolens bei Patientin mit schwerer COVID-19-Infektion

Therapie und Verlauf

Die Aufnahme der Patientin erfolgte mit respiratorischer Insuffizienz bei Covid-19-Pneumonie.

Es wurde umgehend eine NIV-Therapie begonnen. Die bei Aufnahme durchgeführte CT-Angiographie des Thorax zeigte typische Milchglasinfiltrate beidseits ohne Nachweis einer Lungenarterienembolie.

Bei zunehmender respiratorischer Insuffizienz wurde die Patientin auf die Intensivstation verlegt und intubiert. Die Patientin erhielt Sarilumab sowie Dexamethason. Außerdem wurde bei erhöhten Infektparametern eine antibiotische Therapie mittels Piperacillin/Tazobactam und Clarithromycin eingeleitet. Es erfolgte eine prophylaktische PTT-gesteuerte Antikoagulation mittels Argatroban (Ziel-PTT: 40–50 s). Bei eventueller Notwendigkeit einer ECMO-Implantation wurde Argatroban pausiert. Zwei Tage später wurde bei massiver Schwellung des linken Armes eine Venenthrombose der gesamten tiefen und oberflächlichen Venen der linken oberen Extremität duplexsonographisch festgestellt.

Argatroban wurde in therapeutischer Dosierung (Ziel-PTT: 60–70 s) angesetzt, zudem eine Kompressionstherapie (elastische Wicklung) begonnen. Am nächsten Tag wurde die Patientin bei Zunahme der Schwellung des Armes sowie beginnender Blasenbildung der Haut am distalen Unterarm und der Hand gefäßchirurgisch vorgestellt und eine Phlegmasia coerulea dolens diagnostiziert (Abb. 1). Die duplexsonographische Kontrolle zeigte eine deutliche Minderperfusion der Unterarmarterien mit einem monophasischen Flusssignal. Bei instabilem Allgemeinzustand der Patientin wurde sich primär für eine konservative Therapie entschieden. Am nächsten Tag musste jedoch bei beginnender Nekrose der Finger und zunehmenden Ischämiezeichen bei Kompartmentsyndrom eine notfallmäßige Fasziotomie des linken Arms durchführt werden (Abb. 2). Die Muskeln des Unterarmes zeigten sich intraoperativ avital (Abb. 2). Circa sechs Stunden postoperativ verstarb die Patientin im Multiorganversagen.

Abb. 2
figure 2

Fasziotomie des linken Arms bei Phlegmasia coerulea dolens bei Patientin mit schwerer COVID-19-Infektion

Diskussion

Die Phlegmasia coerulea dolens (PCD) ist eine seltene und schwere Form der tiefen Venenthrombose, die klassischerweise mit den unteren Extremitäten assoziiert ist. Die PCD der oberen Extremitäten ist extrem selten.

Die PCD ist oft durch Malignome, Venenkatheterisierung, heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) oder Schwangerschaft getriggert [1, 2]. Das klinische Bild ergibt sich durch die massive venöse Stauung: Schmerzen, Schwellung und zyanotische Veränderungen. Dies führt zu einer Flüssigkeitsextravasation und einem erhöhten interstitiellen Druck, der den kapillären Blutfluss beeinträchtigt [1,2,3].

Die PCD gilt als Notfallzustand, die zu venösem Gangrän, Verlust von Gliedmaßen und sogar zum Tod aufgrund einer massiven Lungenembolie führen kann. Die Erkrankung weist eine extrem hohe Morbidität und Mortalität auf. So erfordern 20–50 % der Fälle eine Amputation von Gliedmaßen; 35–40 % der betroffenen Patienten sterben [4,5,6].

Die Therapieoptionen sind die systemische Thrombolyse, die lokale Thrombolyse, die chirurgische Thrombektomie und die Fasziotomie.

Obwohl sich die COVID-19-Infektion hauptsächlich als virale Atemwegsinfektion manifestiert, verläuft sie häufig jedoch nicht nur als respiratorische Erkrankung, sondern zeigt sich oft auch mit systemischen Komplikationen assoziiert. Neue Erkenntnisse zeigen, dass schwere COVID-19-Infektionen häufig mit einer Koagulopathie verbunden sind, die ein hohes Risiko für venöse und arterielle Thromboembolien und hierdurch gesteigerte Mortalität birgt [7].

Bei COVID-19-infizierten Patienten wurden zahlreiche Fälle von arteriellen, venösen und gemischt venösen und arteriellen Thrombosen berichtet [7,8,9].

Hembd et al. publizierten den Kasus einer Patientin, die an einer Chemotherapie assoziierten Thrombozytopenie litt und im Rahmen einer COVID-19-Sepsis eine PCD der oberen Extremität entwickelte [9].

Bei der Patientin im von uns berichteten Fall war keine Koagulopathie bekannt und es ergab sich kein Hinweis auf eine systemische Gerinnungsstörung im Verlauf. Die Patientin entwickelte die PCD am ehesten im Rahmen der septisch verlaufenden COVID-19-Infektion ohne andere Risikofaktoren.

Aufgrund ihres instabilen kardiopulmonalen Status konnte die Patientin aus unserem Fall nicht in den OP oder in die Radiologie zur gezielten Thrombektomie verbracht werden. Es erfolgten das ausführliche interdisziplinäre Gespräch (Anästhesie, Gefäßchirurgie, innere Medizin) und die Rücksprache mit der Familie. Gemeinsam wurde sich entschieden, die dringende Fasziotomie der oberen Extremität bettseitig auf der Intensivstation durchzuführen.

Wenige Stunden nach dem operativen Vorgehen verstarb die Patientin im Multiorganversagen auf der Intensivstation.

Dieser geschilderte Fall stützt die neueren Erkenntnisse, dass die Anwendung einer aggressiven therapeutischen Antikoagulation bei Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion einen Vorteil gegenüber einer prophylaktischen Antikoagulation bietet [9,10,11].

Fazit für die Praxis

Schwer verlaufende COVID-19-Infektionen sind häufig mit einer Koagulopathie verbunden, die zu einem hohen Risiko für die Entwicklung von venösen und arteriellen Thrombosen, wie auch der PCD, führt.

Die Anwendung einer aggressiven therapeutischen Antikoagulation bei Patienten mit schwerer COVID-19-Infektion kann einen Vorteil gegenüber einer prophylaktischen Antikoagulation bieten.