Geschätzte Leserinnen und Leser,

das vorliegende Heft beschäftigt sich, wie regelmäßig alle 1,5 bis 2 Jahre, mit phlebologischen Inhalten. Die Heftherausgeber werden Sie in der Hinführung zum Thema darauf einstimmen, ich verspreche sicher nicht zu viel, wenn ich sage, dass es wieder sehr interessant werden wird.

Ich möchte das phlebologische Thema in einem anderen Zusammenhang aufgreifen. Anlass ist eine Streitdiskussion im Rahmen des 15. Konvents der leitenden Gefäßchirurgen vorletztes Wochenende. Kontrahenten waren Hinrich Böhner und Sebastian Debus, die Überschrift lautete: „Zentralisierung der Gefäßmedizin – Fanal oder Fiasko?“. Im Rahmen seines Vortrags berichtete Sebastian Debus, wie Zentralisierung funktionieren könnte, und beschrieb seine Kooperation mit einer Hamburger Klinik, die sich unter dermatologischer Führung ausschließlich auf Varizen spezialisiert hat. Da an der Universitätsklinik nur wenig Varizen operiert werden, sollen die Assistenten an diese Klinik rotieren, um dort die Varizenchirurgie zu erlernen bzw. die Anzahl Eingriffe für den Facharztkatalog zu komplettieren. Aus meiner Sicht eine hervorragende Idee, wenn es nur darum geht, eine umschriebene Fähigkeit zu erlernen. Dennoch stellen sich Fragen. Wird die Subspezialisierung so weitergehen, und muss dann der Arzt, um seinen OP-Katalog für die Weiterbildung (WB) zu erfüllen, an zahlreiche verschiedene Stellen wechseln (z. B. wird gerade auch ein Curriculum Shuntchirurgie DGG entwickelt)? Wie lange soll so eine Rotation dauern? Wenn sie länger dauert – wird die Zeit für die WB angerechnet, wenn der Ausbilder ein Dermatologe ist und sicher nicht über eine entsprechende Befugnis verfügt? Es geht ja nicht nur um die Operation an sich, sondern auch um die Diagnostik und Nachsorge.

Wenn nun die Spezialisierung/Zentralisierung fortschreitet: muss jeder Arzt dann eine Art Reiseplan absolvieren? Wie kann das garantiert werden? Diese spezialisierten Zentren haben in der Regel selbst auch keine oder nur wenige Ärzte in der Weiterbildung, und in diesem Fall sicher keinen Gefäßchirurgen.

Können wir heute noch eine zeitgerechte Weiterbildung garantieren?

Wie sieht es mit der Gegenrotation aus? Der Kollege, der in dieser Klinik hospitiert, hinterlässt ja in seiner Heimatklinik eine Lücke. Eine Universitätsklinik mag das ausgleichen können – können Sie ohne Probleme einen Assistenten sagen wir mal, 4 Wochen abstellen? Reichen 4 Wochen für eine Weiterbildung in einer Subspezialisierung? In meinen Augen ist es nicht einfach, einen Gegenrotanden zu erhalten. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch – für bestimmte Eingriffe bin ich ein großer Verfechter der Spezialisierung (nicht jeder muss thorakoabdominelle Aneurysmen operieren), aber ich bin der Meinung, dass es Eingriffe gibt, die jeder Gefäßchirurg beherrschen und im klinischen Alltag durchführen können sollte. Eine ausschließliche Spezialisierung auf bestimmte Bereiche und somit Zentralisierung von Leistungen konterkariert in meinen Augen den Bedarf an der Grundversorgung. Aber wo soll man die Grenze ziehen? Das ist natürlich auch eine sehr politische Diskussion, aus der ich mich an dieser Stelle zurückziehe.

Ebenfalls politisch sind natürlich die neuen Entwicklungen mit der noch ausstehenden Publikation des IGES-Gutachtens zu einem überarbeiteten AOP-Katalog (Leistungskatalog zum Ambulanten Operieren nach § 115b SGB V). Dieses Gutachten wurde als Folge des MDK-Reformgesetzes beauftragt. Bekannt ist der Wunsch des Staates nach mehr ambulanten Eingriffen, und es steht zu befürchten, dass viele der Kurzliegereingriffe, insbesondere Interventionen, darunter fallen sollen. Von großer Wichtigkeit für unser Fachgebiet ist hier, dass bisher nur Radiologen die Erlaubnis haben, ambulant peripher zu intervenieren, wobei die Fachgesellschaften hier am Ball sind. Ich möchte an dieser Stelle auf die Kosten und ein paar Interessente Daten zurückkommen, die ich gestern in einer Sonntagszeitung gesehen habe [1]. Tatsächlich sind die Gesundheitsausgaben pro Kopf in Deutschland die größten in ganz Europa, mit 4944 € pro Einwohner; 12,6 % des Bruttoinlandprodukts gehen für Gesundheitsausgaben ins Land. Dabei fand ich folgende Quotienten interessant: (Angaben in Euro pro Kopf): stationär/ambulant: Deutschland: 1212 €/1221 € = 0,993, Europa: 1010 €/1022 € = 0,988. D. h. die Kosten ambulant pro Kopf sind praktisch identisch mit den stationären. Aus meiner Sicht wäre somit nicht der primäre Ansatzpunkt, Leistungen aus dem stationären in den ambulanten Sektor zu verlegen. Auffallend sind die in Deutschland höheren Kosten für Arzneimittel (873 € vs. 630 €), d. h., wir geben pro Kopf 39 % (!!) mehr für Arzneimittel aus als im europäischen Durchschnitt. Interessanterweise wird in Deutschland aber auch 50 % mehr für die Prävention ausgegeben (151 € vs. 102 €).

Die Gesundheitsausgaben pro Kopf sind in Deutschland die größten in ganz Europa

Dass unter Jens Spahn auch sehr viele weitere Gesetze erlassen wurden, aber am Ende seine Bilanz mindestens als zweifelhaft eingeschätzt wird, ist hinlänglich bekannt [2]. Erinnern Sie sich noch an Spahns Vorgänger? Auch in der Laufbahn Hermann Gröhes gab es bis zu seiner Ernennung zum Minister keinen Kontakt mit dem Gesundheitswesen. Dies unterscheidet diese Bundesgesundheitsminister vom aktuellen, der sich ja großer Bekanntheit erfreut. Derzeit steht er aufgrund der Pandemie noch im Fokus von Corona. Aber für die Zukunft sind in meinen Augen erhebliche Umwälzungen zu erwarten. So schrieb Karl Lauterbach nach Publikation des Gutachtens der Bertelsmannstiftung auf Twitter am 04.06.2019: „Jeder weiß, dass wir in Deutschland mindestens jede dritte, eigentlich jede zweite, Klinik schließen sollten.“ [3]. Etwas später ruderte er in einem Zeitungsinterview am 15.07.2019 ein wenig zurück, man müsse „die richtigen Kliniken schließen“ [4]. Es bleibt festzuhalten, dass seine zahlreichen Aussagen und Forderungen im Fernsehen, nicht immer auf sicheren Fakten beruhten [5]. Man kann also gespannt sein, wie sich unser Gesundheitswesen weiterentwickeln wird.

Uns allen bekannt sind ja auch die unbesetzten Stellen in der Pflege. Kann Geld die Lösung sein? Natürlich führte die Nichtzahlung des medienwirksamen Corona-Bonus zu massiven Verstimmungen. Aber das Problem des Pflegemangels ist schon lange bekannt. (Ehrlich gesagt, habe ich den Begriff des Pflegenotstands seit meinem ersten Arbeitstag in der Klinik Anfang der 90er Jahre gehört.) Ich möchte zum Thema Geld auf einen Artikel zur Situation bei den Lehrern aufmerksam machen. Auch hier herrscht Mangel, obwohl das Einstiegsgehalt 45 % (!) über dem Durchschnitteinstiegsgehalt der OECD Länder liegt [6]. Das Hauptproblem wird aber in den geringen Aufstiegschancen gesehen, auch Zusatzqualifikationen führen nicht zu mehr Einkommen. Schauen Sie sich doch mal die Entgelttabelle des öffentlichen Dienstes an ([7]; Tab. 1):

Tab. 1 Gehaltstabelle für Pflegekräfte im öffentlichen Dienst. Aktuelle Gehaltstabelle für Beschäftigte im Pflegedienst TvöD‑P 2021. Gültigkeit der Tabelle: 01.04.2021–31.03.2022

Auf den ersten Blick sieht das gar nicht so schlecht aus. Wissen Sie, wo eine Pflegekraft eingruppiert wird? Eine Krankenschwester mit 3 Jahren Ausbildung wird als P7 eingruppiert, auch Assistenten im OP. Die Verdienstmöglichkeiten betragen also aktuell: 2880,56 bis 3589,56 €, brutto. Eine Krankenschwester mit Fachweiterbildung wird P9 eingruppiert, also 3314,30 bis 3903,51 €. Die Stationsleitung erhält P12, die Vertretung P11. Nehmen wir die aktuelle Tabelle der Ärzte an kommunalen Krankenhäusern. Die Assistenten starten bei 4694,75 € und als Oberarzt (dies sollte in der Mehrzahl der Fälle machbar sein) bei 7761,27 € [8]. Diese erhebliche Steigerung ist also in der „normalen“ Arztkarriere eingepreist. Aber interessant ist eine andere Aufstellung ([7]; Tab. 2):

Tab. 2 Krankenpfleger und Krankenschwestern erhalten in Deutschland im Vergleich zu anderen Berufen im Gesundheitswesen ein mittleres Gehalt von 3415 €. Ärzte liegen mit 5800 € und mehr deutlich über dem Pflegegehalt. (Aus [7])

Sieht das für Sie so aus, als wäre Geld hier der Hauptmotivator? Meiner Meinung nach wäre der Pflegeberuf erheblich interessanter, wenn sich die erfolgreich absolvierten Fortbildungen, wie z. B. Zertifizierung nach ICW o. ä. auch monetär darstellen würden. Medizinische Fachangestellte haben die Möglichkeit, über die Ausbildung zur Gefäßassistentin DGG® ihr Wissen zu vergrößern und dann auch anders eingruppiert zu werden. Für Krankenschwestern ist dies meist uninteressant, zumal es bisher keine gesetzlich verbindlichen Vorgaben gibt, wie Gefäßassistentinnen eingruppiert werden sollen.

Geld ist sicher nicht alles. Leider ist das Gesundheitswesen in Deutschland teuer, und es gibt viele Fehlanreize in den Finanzierungen. Die erzwungene Ambulantisierung wird sich nicht verhindern lassen, stellt aber ohne entsprechende Strukturen und Gedanken zur Finanzierung (an den Erlösen für den stationären Aufenthalt hängen ja viele Gehälter) einen sehr dornigen Weg dar, von den ungelösten gesetzlichen Fragen ganz zu schweigen.

Um den Beruf attraktiv zu machen, ist Geld ganz offensichtlich nicht alles

Ich hoffe, ich habe Sie nicht gelangweilt mit meinen Ausführungen. Wie sagte Nietzsche: „Hindernisse und Schwierigkeiten sind Stufen, auf denen wir in die Höhe steigen“ [9]. Ob uns diese Stufen wirklich in die Höhe führen oder bergab, wird sich zeigen.

Herzlichst, Ihr

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Prof. Dr. Axel Larena-Avellaneda