Es existieren diverse Leitlinien zur Betreuung bzw. Behandlung von Patienten mit einer fortgeschrittenen chronischen Niereninsuffizienz. Die meisten Leitlinien beinhalten Empfehlungen zum Thema Shuntchirurgie. Diese wurden von nationalen respektive internationalen Fachgesellschaften erarbeitet und publiziert. In der Regel setzen sich Arbeitsgruppen für diese Leitlinien aus nephrologischen, chirurgischen und interventionellen Experten zusammen. Leitlinien müssen regelmäßig unter Berücksichtigung der neuesten Evidenzlage aktualisiert werden, um für die Nutzer attraktiv zu sein. Bekanntermaßen ist die Evidenzlage in der Shuntchirurgie eher schwach und basiert deshalb sehr oft auf Expertenmeinungen („expert opinions“). Viele Empfehlungen können für sich allein stehen, doch ist der Trend unverkennbar, diese mehr und mehr unter dem Gesamtaspekt einer individualisierten Shuntchirurgie zu betrachten. Mit dieser Übersichtsarbeit über die aktuellen Leitlinien zur Shuntchirurgie soll insbesondere auch der Frage nachgegangen werden, ob es sich 2021 lohnt, Leitlinien für den deutschsprachigen Raum zu erarbeiten.

Einleitung

Bei Patienten mit einer fortgeschrittenen chronischen Niereninsuffizienz handelt es sich um multimorbide Personen, deren Betreuung und Behandlung meist sehr anspruchsvoll ist. Viele dieser Patienten brauchen früher oder später einen Dialysezugang. Um sowohl Patienten wie auch medizinisches Personal in der Entscheidungsfindung im klinischen Alltag zu unterstützten, haben verschiedene Gesellschaften evidenzbasierte Leitlinien, sogenannte Guidelines, entwickelt. In diesen Leitlinien werden aufgrund der in Studien generierten Evidenz Empfehlungen zu Behandlungen formuliert. Die qualitative Gewichtung der Empfehlungen hängt maßgeblich von der Qualität der Evidenz ab. Nicht selten haben sich daraus in der Vergangenheit Schlagworte, ja sogar Kampagnen abgeleitet wie native arteriovenöse Fisteln (AVF) zuerst („fistula first“) oder Katheter zuletzt („catheter last“).

Eine der wohl ältesten und bekanntesten Leitlinien stammt aus der Feder der National Kidney Foundation Kidney Disease Outcomes Quality Initiative (NKF-KDOQI)TM. Die erste Version erschien im Jahre 1997 [1]. Eine Aktualisierung erfolgte im Jahre 2006 [2]. Sie steht überarbeitet seit 2019 wieder zur Verfügung [3]. Die European Renal Best Practice (ERBP) Guidelines der ERA-EDTA (European Renal Association – European Dialysis and Transplant Association) [4] und die Spanish Multidisciplinary Group on Vascular Access (GEMAV) Guidelines wurden 2018 aktualisiert [5]. Die Europäische Gesellschaft für Gefäßchirurgie (ESVS) hat 2017 eigene Empfehlungen zur Shuntchirurgie herausgegeben (Tab. 1; [6]). Aus Deutschland gibt es interdisziplinäre Empfehlungen aus dem Jahr 2008 [7]. Die Leitlinien der UK Renal Association datieren von 2015 [8]. Diese beiden Leitlinien bzw. Empfehlungen wurden aufgrund von mangelnder Aktualität nicht berücksichtigt. Die NICE-Empfehlungen [9], die im Dezember 2018 online aktualisiert wurden, haben wir ebenfalls nicht in unsere Analyse einfließen lassen, da die Bewertung der Evidenz und der Empfehlungen nicht auf dem PICO-/GRADE-System basieren und sich somit schlecht mit den ausgewählten Leitlinien vergleichen lassen. Die kanadischen Leitlinien von Nesrallah et al. aus dem Jahre 2013 bleiben ebenfalls unberücksichtigt, weil diese speziell auf die Terminierung des Beginns der Dialyse fokussieren und eine Aktualisierung aussteht [10]. Im Folgenden werden die vier in Tab. 1 aufgeführten Richtlinien besprochen.

Tab. 1 Zeitpunkt der Veröffentlichung

Prozess beim Verfassen von Leitlinien

Grundsätzlich behandeln die ausgewählten Leitlinien zahlreiche Themen zur Behandlung von Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Planung, Anlage und Überwachung von Dialysezugängen. Die Arbeitsgruppen haben einen ähnlichen Prozess zur Entwicklung der Leitlinien durchlaufen. Die Gruppen bestanden aus Nephrologen, Gefäßchirurgen und Interventionalisten. In 3 von 4 Expertengruppen wurde auch die Pflege einbezogen. Das Ziel der Arbeitsgruppen war die Entwicklung von Standards zum Management von Patienten mit einer terminalen Niereninsuffizienz mit besonderem Augenmerk auf die Nierenersatzverfahren.

Die multidisziplinären Gruppen wurden von „Evidence Review Teams“ unterstützt

Die multidisziplinären Gruppen wurden jeweils von sogenannten „Evidence Review Teams“ unterstützt. Deren Aufgabe war die Analyse der Evidenzlage mit einer ersten Einschätzung, damit die Arbeitsgruppen nachfolgend klinische Empfehlung formulieren konnten. Um die Qualität der Empfehlungen zu erhöhen, wurden diese durch ein internes und externes Rezensionsteam überprüft (Tab. 2).

Tab. 2 Beteiligte Spezialisten an der Entwicklung der Leitlinien

Methodik

Die Methodik der Entwicklung der Leitlinien der vier Organisationen ist ähnlich. In den 4 Arbeitsgruppen dauert der Prozess zwischen Beginn und Publikation in der Regel 5 bis 6 Jahre. In 2 von 4 Gruppen erfolgte die letzte Überprüfung der Literatur 2 bzw. 3 Jahre vor der Publikation (Tab. 3). Die Literatursuche erfolgte in allen 4 Gruppen in der Cochrane/Medline- und Embase-Datenbank. Wenn immer möglich, wurden systematische Reviews und Metaanalysen zur Erarbeitung der Evidenz verwendet, da diese eine präzisere Einschätzungen von Behandlungseffekten erlauben und die Ergebnisse meist auf eine große Patientenpopulation anwendbar sind. Die Arbeitsgruppen erstellten Ihre Empfehlung basierend auf dem Grading of Recommendations Assessment, Development and Evaluation Framework (GRADE). Dieses System setzt die Stärke der Empfehlung in Relation zur Qualität der Evidenz. Es ermöglicht Aussagen über die Werte und Präferenzen, die für die einzelnen Empfehlungen relevant sind. Die Empfehlungen sind klassifiziert als stark (benannt als „we recommend“) oder schwach (benannt als „we suggest“). Die Qualität der Evidenz ist klassifiziert als „hoch“, „moderat“, „niedrig“ und „sehr niedrig“ [11, 12]. Zur Entwicklung von patientenspezifischen klinischen Fragestellungen wurde in allen Gruppen das sog. PICO-System (Problem/Population, Intervention, Comparison and Outcome) verwendet. Damit können Fragestellungen in der evidenzbasierten Medizin systematisch formuliert und klare Antworten gefunden werden [13].

Tab. 3 Arbeitsmethodik und Kennzahlen der verschiedenen Leitlinien

Die Leitlinien sollen als Richtschnur dienen, um die Behandlung zu verbessern

Die Antworten auf die klinischen Fragestellungen und die Empfehlungen sind nicht dazu gedacht, die klinische Entscheidung apodiktisch und stur darauf auszurichten. Sie sollen allen an der Behandlung beteiligten als Richtschnur dienen, um die Behandlung von Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz, die Entscheidung der Anlage und des Managements eines Hämodialysezugangs zu verbessern (Tab. 3). Der thematische Umfang der Leitlinien und die Anzahl der in ihnen berücksichtigten Publikationen ist beachtlich. Die Europäische Gesellschaft für Gefäßchirurgie hat eine eigene App „Clinical Practice Guidelines“ entwickelt, die nach Themen geordnet einen raschen Überblick über die Empfehlungen ermöglicht.

Inhalt der Leitlinien

Die Zusammensetzung der Autorenschaft beeinflusst zu einem gewissen Grad die Wahl und Gewichtung der verschiedenen Kapitel (Tab. 4). Dort wo Nephrologen stark vertreten waren, wurde der Einsatz von Kathetern mit den Pros und Cons umfassend abgehandelt, was insbesondere für die spanischen Richtlinien gilt. Die ESVS-Leitlinien, an denen mehrheitlich Gefäßchirurgen beteiligt waren, fokussierten speziell auf chirurgische Aspekte. Dies zeigt sich beispielsweise an den Illustrationen im Kapitel komplexer Hämodialysezugänge [6]. Die ERPB-Leitlinien, bei denen Patienten am Anfang des Prozesses beteiligt waren, legen besonderes Gewicht auf für Patienten relevante Themen wie die Fistelreifung oder die Kanülierung [4]. In allen Leitlinien wird die Methodik ausgiebig beschrieben, wobei alle bis auf die ESVS-Leitlinie die nicht ganz einfach verständliche GRADE-Methode zur Bewertung verwenden. Die von der European Society of Cardiology übernommenen Klassen von Empfehlungen, die drei Evidenzlevel und klar definierte Studienkategorien verwenden, sind auch deshalb praktisch, weil viele Leser/-innen mit dieser Bewertung auch von anderen Leitlinien der ESVS vertraut sind.

Tab. 4 Übersicht der einzelnen Leitlinienkapitel

Leitlinien-Empfehlungen anhand eines Fallbeispiels

Zur Verdeutlichung soll an einem Fallbeispiel exemplarisch aufgezeigt werden, wo die vier Richtlinien in ihren Empfehlungen übereinstimmen bzw. divergieren.

Fistelanamnese

Es geht um eine 64-jährige Frau mit einer präterminalen Niereninsuffizienz im Rahmen einer fokal segmentalen Glomerulonephritis bei Diabetes mellitus, welche seit einem Jahrzehnt bekannt ist. Sie leidet unter einer hypertensiven Kardiomyopathie mit Vorhofflimmern und weist einen BMI von 40 kg/m2 auf. Vor 2 Jahren erlitt sie einen Schlaganfall im Bereich der Medulla oblongata. Seit Nov. 2018 musste sie intermittierend wegen eines akuten Nierenversagens prä- und postrenaler Genese dialysiert werden. Die im November 2019 angelegte radiozephale AVF des linken Arms hat sich trotz einer im Ultraschall dokumentierten 2 mm im Durchmesser großen A. radialis resp. eine V. cephalica von 3,8 mm schlecht entwickelt, sodass im Dezember nach einer erfolglosen PTA der Anastomose eine PTFE-Hemi-Schlingenfistel im Bereich des Vorderarms konstruiert wurde. Gleichzeitig wurde ein tunnelierter Hämodialysekatheter implantiert (Abb. 1). Im Frühjahr 2020 konnte der HD-Katheter entfernt werden, weil die Fistel problemlos anzustechen war. Im Dezember des gleichen Jahres wurde der AVG wegen einer venösen Stenose nach zentral verlängert. Im Februar 2021 musste ein Stück des ePTFE-Grafts wegen einer Stenosierung ersetzt werden.

Abb. 1
figure 1

Radiozephale AVF mit ungenügendem Einstrom. Umbau zu einer brachiozephalen ePTFE-Venen-Schlingenfistel am Vorderarm. a Fistelangiogramm. b Anatomische Zeichnung. (RCAVF radiozephale arteriovenöse Fistel, ePTFE expanded Polytetrafluoroethylen)

Empfehlungen der Guidelines zum Hämodialysezugang

In den diversen Leitlinien konnten wir zu dieser Fistelanamnese bis sechs Empfehlungen finden, welche als Hinweise für eine Behandlungsentscheidung herangezogen werden konnten (Tab. 5). Die Empfehlungen zur Neuanlage oder zu Revisionen von Fisteln sind mehr oder weniger identisch. Bei den ERBP-Richtlinien findet sich nur eine Empfehlung zu Gefäßzugängen, weil diese Richtlinien vornehmlich mit Empfehlungen in Zusammenhang mit einer Dialyse stehen [4]. Die ESVS-Leitlinien berücksichtigen innovativere Therapiekonzepte wie den Einsatz einer früh anstechbaren Kunststoffprothese, um die Einlage eines HD-Katheters zu vermeiden [6]. Zur Behandlung von Stenosen oder Verschlüssen bei Hämodialysezugänge werden chirurgische und endovaskuläre Verfahren als ebenbürtig beurteilt [3,4,5,6].

Tab. 5 Empfehlungen aus den verschiedenen Guidelines für eine Patientin, die einen Hämodialysezugang benötigt

Evidenzlage in der Übersicht

Das Problem bei der Entwicklung der Leitlinien zum Thema Shuntchirurgie liegt für alle Arbeitsgruppen im Mangel an qualitativ hochwertiger Evidenz. Als Basis einer guten Evidenz dienen, wie bereits zuvor erwähnt, randomisiert kontrollierte Studien, systematische Reviews und Metaanalysen. In Ermangelung dieser wissenschaftlichen Publikationen basieren die meisten Empfehlungen auf Expertenmeinungen, den sog. „expert opinions“. Das Überwiegen von Expertenmeinungen führt letztendlich dazu, dass die Empfehlungen in den verschiedenen Arbeitsgruppen teilweise sehr unterschiedlich bewertet werden (Tab. 6).

Tab. 6 Evidenzlage in der Übersicht

Aus den oben genannten Gründen muss die Gemeinschaft der an der Shuntchirurgie interessierten Fachgruppen mit aller Intensität daran arbeiten, randomisierte und kontrollierte Studien durchzuführen, validierte Register zu pflegen und bei Fragestellungen bei seltenen Phänomenen wie z. B. dem Bild der akuten ischämischen Neuropathie national, ja sogar international zu kollaborieren.

Allen Leitlinien ist eigen, dass sie sich vornehmlich auf Studien aus angelsächsischen Ländern stützen, wobei die Ethnizität vor allem bei amerikanischen Arbeiten – als ein bisher nicht konsequent berücksichtigter Unsicherheitsfaktor bei der Bewertung von Offenheits‑/Komplikationsraten erfasst wird.

Besonderheiten der verschiedenen Leitlinien

Die NKF-KDOQI-Leitlinien sind sehr umfassend und beinhalten neben Empfehlungen zu Hämodialysezugängen auch die Implantation von Kathetern und deren Pflege. Innovativ und sehr attraktiv ist das zu Beginn ausführlich erläuterte Konzept des „ESKD life plan“. Mit einem Plan über mögliche Nierenersatzverfahren und Dialysezugängen über die Zeit wird den Bedürfnissen einer mehr patientenzentrierten Sichtweise Rechnung getragen. Für jeden Patienten, abhängig von Alter, Komorbiditäten und den Lebensumständen/-Erwartungen, soll das am besten geeignete Nierenersatzverfahren (Hämo- oder Peritonealdialyse, Transplantation) ausgewählt werden. Dabei ist immer auch daran zu denken, welches Verfahren oder welcher Zugang die nächste Option wäre. Diverse Algorithmen im ersten Kapitel zeigen auf, wie die Entscheidungsfindung bei unterschiedlichen Szenarien aussehen könnte. Erst wenn man die Wahl der Strategie getroffen hat, kann man sich anhand der sehr detailliert abgefassten Empfehlungen zu den einzelnen Zugängen Informationen und Einschätzungen einholen. Neben einer allgemeinen Bewertung der Diagnostik, des peri- und postoperativen Managements nach Schaffung einer Fistel oder der Implantation eines Grafts, wird deren Pflege durch Empfehlungen optimiert und Ratschläge zur Behandlung von Komplikationen aller Art wie Stenosen, Thrombosen, Aneurysmen oder Handischämien formuliert. Wer sich im Detail über das Management von Kathetern informieren will, findet in diesem Dokument wertvolle Hinweise und Erkenntnisse.

Diese Leitlinien sind auch deshalb wertvoll, weil sie nicht nur die Hämodialysezugänge bewerten, sondern auch andere Nierenersatzverfahren in die Überlegungen einbeziehen und sogar Hinweise zur Versorgung von Kindern gegeben [3].

Der ERA-EDTA ist in ihren ERBP-Leitlinien wichtig, dass der Fokus auf den Bedürfnissen der Patienten liegt. Deshalb wurden zu Beginn der Arbeit 85 Personen mit chronischer Niereninsuffizienz dazu befragt, welche Punkte ihnen hinsichtlich ihrer Gefäßzugänge wichtig sind. Zudem hatte ein Autor praktische Erfahrung mit Hämodialysen und im Board des ERBP gab es einen Patientenvertreter. Deshalb decken diese Leitlinien (Tab. 3) weniger die gängigen Themen ab, sondern fokussieren auf die für die Patienten wichtige Nutzung von AVF/AVG. Wichtig ist, wie man die AVF-Reifung unterstützen kann und was chirurgisch oder interventionell bei fehlender Reifung zu tun ist. Aber auch wann, wie und mit welchen Nadeln kanüliert werden soll. Es kommen die Überwachungsmaßnahmen (surveillance) ebenso zur Sprache wie die Behandlungsstrategien bei einer AVF-Thrombose. Wie bei den ESVS-Leitlinien werden künftige Forschungsfragen am Ende jeden Kapitels formuliert [4].

Bei den spanischen Leitlinien erstaunt, dass diese auch als englische Version zur Verfügung stehen. Zu den üblichen Berufsgruppen wie Angiologen, Gefäßchirurgie, Nephrologen und interventionellen Radiologen wurden noch Infektiologen, Mikrobiologen und Pflegende der Nephrologie ins Team der Autoren aufgenommen. Die aktuellen Richtlinien basieren zum Teil auf den alten Empfehlungen, die durch neue (mit new markiert) nur ergänzt wurden. Manchmal sind die Abhandlungen zu den einzelnen Fragen kompliziert und die Vermischung von alten mit neuen Empfehlungen nicht leicht nachvollziehbar. Ebenso kann man sich in der Fülle von Erläuterungen zu den einzelnen Entscheidungen verlieren. Die Leitlinien decken ähnlich wie diejenigen von NKF-KDOQI und ESVS die prä-, peri- und postoperativen Schritte in der Shuntchirurgie ab, ergänzt durch die bekannten Spätkomplikationen wie Stenosen, Thrombosen, fehlende AVF-Reifung, Infektionen, Handischämien, (Pseudo‑)Aneurysmen und high-flow AVF. Es wird auch ein Augenmerk auf die Kanülierung gelegt. In Kap. 4 über Monitoring/Surveillance werden diverse Kontroll- und Messmethoden vorgestellt und deren Bedeutung erläutert. Der Abschnitt über die Einlage und Pflege von Kathetern zur Hämodialyse nimmt einen breiten Raum ein und enthält viele interessante Details. Nützlich ist auch die Zusammenstellung einer Liste von Qualitätsindikatoren, die helfen soll, die Versorgung von Patienten an der Dialyse zu verbessern [5].

Die Leitlinien decken die prä-, peri- und postoperativen Schritte der Shuntchirurgie ab

Die ESVS-Leitlinien sind klar strukturiert, verständlich in der Beurteilung der Evidenz und haben zur Auflockerung vereinzelt Illustrationen. Das erste Kapitel über Epidemiologie zeigt die Dimension der therapiebedürftigen chronischen Niereninsuffizienz auf und wie soziokulturelle Unterschiede die Wahl des Gefäßzugangs beeinflussen. Eine möglichst distale Shuntanlage auf der nicht dominanten Seite zu einem frühen Zeitpunkt wird befürwortet. Es wird klar dokumentiert, dass radiozephale AVF ein nicht zu unterschätzendes Risiko einer fehlenden Fistelreifung haben, wobei das Geschlecht, Diabetes mellitus und eine vorbestehende Arteriosklerose ursächlich zu nennen sind. Im höheren Alter kann deshalb auch eine arteriovenöse Prothese, die früh anstechbar ist, eine gute Option sein oder gar ein wegen des Thrombose- und Infektionsrisikos verpönter tunnelierter HD-Katheter. Der Duplexuntersuchung kommt große Bedeutung in der Zugangsplanung, aber auch bei Shunt-Dysfunktionen zu. Eine digitale Angiographie soll nur erwogen werden, wenn gleichzeitig der Plan für eine Intervention besteht. Chirurgen sollten mindestens 25 Eingriffe gemacht haben, um die Rate von Misserfolgen zu senken. Fehlt nach erfolgter AVF-Anlage ein Schwirren, muss dies intraoperativ weiter abgeklärt werden. AVF sollen nicht vor 2 Wochen und in der Regel nach 4 Wochen anstechbar sein. Ist dies nach 6 Wochen noch immer nicht möglich, bedarf dies einer weitere Abklärungen, ebenso im Verlauf, wenn der Blutfluss unter 500 ml/min fällt oder die Hämodialyse insuffizient erscheint. Auf die Behandlung von Spätkomplikationen wird ausführlich eingegangen. Aufschlussreich ist auch das Kapitel über Zugangsmöglichkeiten, wenn die Standardverfahren ausgeschöpft sind. Darüber hinaus werden zukünftige Forschungsfelder aufgezeigt wie Therapieansätze zur Bekämpfung der myointimalen Hyperplasie, die Herstellung von Grafts aus menschlichen Zellen oder die Langzeitresultate für endovenöse Anastomosen bei AVF [6].

Quintessenz

Die oben besprochenen Leitlinien zeigen die prä- und postoperativen Erfordernisse einer Shuntanlage bei Patienten mit terminaler Niereninsuffizienz auf inklusive der notwendigen prä- oder postoperativen Untersuchungen. Dabei werden alters- und situationsangepasste Lösungen formuliert.

Die zur Verfügung stehenden Leitlinien geben den an der Shuntchirurgie interessierten Personen einen guten Einblick in die Materie. Die ESVS-Leitlinien sind dank ihrer klaren Gliederung und nachvollziehbaren Empfehlungen einfach zu nutzen. Der Mangel an aktuellen Daten mit hoher Evidenz ist ein offensichtlicher Schwachpunkt aller Leitlinien. Die Leitlinien fordern vermehrte Anstrengungen, um Forschungsfragen mithilfe von Studien oder validierten Registern beantworten zu können. Die in Deutschland praktizierte Zertifizierung von Dialysezentren hat das Potenzial die Behandlungsqualität der Versorgung von Hämodialysepatienten zu verbessern. Gute Leitlinien könnten hier helfen, diesen Prozess zu optimieren [14].

Der Mangel an hoher Evidenz ist ein Schwachpunkt aller Leitlinien

Die Herausgabe von Behandlungsleitlinien ist sehr zeit- und personalintensiv und wird in der Regel von Fachgesellschaften oder Organisationen bewerkstelligt, die sich damit bei Nutzern sichtbar machen können. Autoren sind für ihre Arbeit auf professionelle Unterstützung in der Analyse von Fachliteratur angewiesen, um eine gute und standardisierte Bewertung abgeben zu können. Oftmals fehlen finanzielle Mittel, um professionelle Gruppen bei der Datenanalyse einzusetzen. Viele Autoren arbeiten auf Kosten der Institutionen, bei denen sie angestellt sind. Deshalb sind sie auch in ihrer Zeit limitiert. Die praktische Erfahrung zeigt, dass die heute übliche Arbeitsweise „Autor für Leitlinien im Nebenjob“ mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen verbunden ist, weshalb die Leitlinien bereits bei ihrer Publikation in einigen Punkten wieder veraltet sind.

Heute werden Leitlinien in der Regel als Gesamtpaket mit Unterkapiteln publiziert. Als Denkanstoß wäre zu prüfen, ob man Leitlinien in einem dafür geschaffenen Tool dem Publikum digital zur Verfügung stellen könnte. Eine solche Plattform mit einer definierten Matrix könnte helfen, Empfehlungen kontinuierlich zu aktualisieren. Voraussetzung wäre natürlich ein strukturierter Prozess-Kreislauf im Abfassen von Leitlinien unter Berücksichtigung der neuesten Literatur.

Es gibt nur wenig Gefäßchirurgen, die sich vorwiegend mit der Shuntchirurgie beschäftigen und randomisierte Studien veröffentlichen. Deshalb gibt es in den Leitlinien übermäßig viele Expertenempfehlungen. Verschiedene Autoren haben in zwei oder mehr Leitliniengruppen mitgearbeitet. Die NKF-KDOQI Leitlinien bringen neu zusätzlich zu Empfehlungen einen strategischen Ansatz für die Schaffung von Dialysezugängen ins Spiel. Das ESRD-life-plan-Konzept ist ein starkes Plädoyer für eine individualisierte Shuntchirurgie. Die drei Leitlinien aus Europa sind konventionell gehalten und in ihren Aussagen sehr ähnlich.

Wegen der internationalen Vernetzung der Experten und den wiederkehrenden Zirkeln, in denen sie sich treffen, erscheint es wenig sinnvoll, Leitlinien in deutscher Sprache abzufassen.

Wir plädieren dafür, dass künftig die deutschsprachigen Gefäßchirurgen und weitere Experten aus anderen Disziplinen, die Patienten mit einer chronischen Nierenerkrankung betreuen, mit der Europäischen Gesellschaft für Gefäßchirurgie, der Vascular Access Society, der Europäischen Nephrologie-Gesellschaften und weiteren interessierten Organisationen kooperieren, wenn es darum gehen soll, die heute bestehenden Leitlinien mit einem länderübergreifenden Blickwinkel weiterzuentwickeln. Dies wird unumgänglich sein, weil die Digitalisierung die Kadenz zur Aktualisierung erhöht und wegen der Ökonomisierung im Gesundheitswesen die personellen und finanziellen Ressourcen gezielter eingesetzt werden müssen.

Fazit für die Praxis

  • Es existieren etliche nationale und internationale Leitlinien zur Shuntchirurgie.

  • Die Entwicklung von Leitlinien ist kostenintensiv, aufwendig, komplex und nimmt viel Zeit in Anspruch.

  • Die Empfehlungen basieren mehrheitlich auf älteren Daten und Expertenmeinungen, da aktuelle und randomisierte Studien fehlen und damit die Evidenzlage schwach ist. Hier besteht ein großer Handlungsbedarf.

  • Fachgruppen, die Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen betreuen, sollten über die Landes- und Sprachgrenzen hinaus miteinander kollaborieren, um Ressourcen beim Schreiben von Leitlinien zielgerichtet einzusetzen.

  • Eine kontinuierlich aktualisierte und digitale Form von Leitlinien mit standardisierten Prozessen der Erarbeitung wäre eine echte Innovation.