Vor mehr als zwei Jahren, im Dezember 2018, löste eine Metaanalyse zu industriegesponserten randomisierten kontrollierten Studien (RCT) eine Welle von Diskussionen aus, die trotz einer gewissen Paclitaxel-Fatique bis heute anhalten [9]. Mit einer zunehmenden Anzahl an Publikationen und Meinungen zum Thema ist es mittlerweile herausfordernd, eine qualifizierte Bewertung der Daten aus Beobachtungsstudien und Metaanalysen vorzunehmen. Letztlich bleibt die Schlussfolgerung daher meist eine subjektive Beurteilung, die persönliche Erfahrungen und andere Erwägungsgründe einschließt. Damit stellt dieses Anwendungsbeispiel evidenzbasierter Medizin (EbM) allerdings keine Ausnahme in der Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) dar. Ein immanenter Mangel an hochwertiger Evidenz und klaren Leitlinienempfehlungen wurde bereits früher wiederholt hervorgehoben [16].

In den zahlreichen kleineren und größeren Register- und Routinedatenstudien zur Paclitaxel-Debatte konnte bisher ein Sicherheitssignal noch nicht bestätigt werden, während teilweise sogar ein besseres Langzeitüberleben in der Paclitaxel-Gruppe beobachtet werden konnte [3, 5, 6, 14, 15]. Neuerdings erfreuen sich hierzu auch Sekundäranalysen von RCT-Daten ohne A‑priori-Definition der Analysen oder intermediäre Auswertungen zunehmender Beliebtheit, die ebenfalls keine Assoziation zwischen Paclitaxel-beschichteten Devices und erhöhter Sterblichkeit bestätigen konnten [12].

Auch wenn man die zahlreichen Argumente für oder gegen die Validität, Plausibilität und Relevanz des Sicherheitssignals in der initialen Metaanalyse außer Acht lässt, bleibt letztlich die Frage, ob und warum sich die Kohorten in RCT vs. Beobachtungsstudien diesbezüglich unterscheiden. Anders ausgedrückt: Warum stellen sich vollkommen gegensätzliche Assoziationen in diesen beiden Datenquellen dar? Die hierzu gegründeten Task Forces und Arbeitsgruppen in den Vereinigten Staaten und Europa, unter anderem des Medical Device Epidemiology Network (MDEpiNet), diskutieren bereits seit mehr als einem Jahr, wie ein immanenter Selektionsbias die primären und sekundären Wirksamkeits- und Sicherheitsendpunkte in komplementären Studiendesigns beeinflussen kann.

Gemeinsam mit den internationalen Autoren der einschlägigen Metaanalysen und Beobachtungsstudien zur laufenden Debatte haben wir diese Frage kürzlich eingehender untersucht und sind dabei auf einen interessanten Aspekt gestoßen, der zwar nicht neu ist, aber seit Jahren nur im Ansatz diskutiert wird. Angesichts der zahlreichen Debatten über das Thema „Gender“ in Sprache, Gesellschaft und Wissenschaft ist es auffällig, wie wenig konstruktive Diskussionen und insbesondere Veränderungen sich bereits belegen lassen.

Bei einem direkten Vergleich von sogenannten Real-World-Daten und Daten von RCT fällt auf, dass Frauen in rekrutierenden Studien deutlich unterrepräsentiert sind (Abb. 1). In einer systematischen Analyse von 98 RCT in den Vereinigten Staaten, 69 davon zur PAVK, wurde eine deutliche Unterrepräsentativität von weiblichen Patientinnen nachgewiesen (nur 16 % der PAVK-Studien wiesen eine angemessene Geschlechterratio auf) [2, 8, 11]. Dies bestätigt sich auch bei genauerer Betrachtung der RCT, die in die beiden Metaanalysen der Katsanos-Forschungsgruppe eingegangen waren. Nur etwa 33 % bzw. 29 % Frauen waren dort eingeschlossen worden [9, 10], während Frauen in der breiten Versorgungsrealität einen Anteil von bis zu 55 % ausmachen [4, 11].

Abb. 1
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Zentrale Illustration zu den aktuellen Analysen der BARMER Routinedaten, um die Faktoren zu identifizieren, die eine Assoziation zwischen verschiedenen Faktoren und Langzeitsterblichkeit untersucht haben. KH Krankenhäuser, KHK Koronare Herzkrankheit, PAVK Periphere arterielle Verschlusskrankheit

Designbedingte Ausschlüsse von Risikokohorten gehören üblicherweise zu den Charakteristika von RCT und werden seit Jahren als Ursache für verschiedene Selektionsbias bzw. die fehlende Generalisierbarkeit der zentralen Schlussfolgerungen diskutiert. Dass besonders gefährdete Subgruppe, z. B. mit erhöhten Blutungsrisiken oder geringer Compliance ausgeschlossen werden, erscheint aus Sicht der Studienplaner nachvollziehbar. Aber warum erfolgt in den RCT eine systematisch geringere Rekrutierung von Frauen? In der internationalen Literatur zeigen sich vor diesem Hintergrund vermehrt Hinweise darauf, dass Frauen bei der komplementären Behandlung der PAVK generell benachteiligt sind. Dies äußert sich z. B. durch eine insgesamt schlechtere Rate an evidenzbasierten Arzneimittelverordnungen und späterer Diagnose sowie Behandlungen der PAVK [4, 13].

In der aktuellen PACLIVASC-Studie (clinicaltrials.gov NCT04683458) wurden nun bundesweit gesammelte Routinedaten der BARMER ausgewertet, um die zugrunde liegenden Faktoren zu identifizieren, die relevante Mortalitätsendpunkte beeinflusst haben [1]. In zahlreichen Subgruppen und Interaktionsanalysen stach demnach ein Ergebnis besonders hervor: Während frühere Propensity-Score gematchte BARMER-Analysen einen klaren Überlebensvorteil in der Paclitaxel-Gruppe nahegelegt hatten [3, 7], konnte in der geschlechterstratifizierten Analyse eine Assoziation zwischen Paclitaxel-beschichteten Devices und besserem Langzeitüberleben nur bei weiblichen Patientinnen nachgewiesen werden, während keine Unterschiede bei Männern auftraten [1].

Diese interessanten Ergebnisse führen zu einer weiteren Hypothese, die auch auf dem kommenden Jahreskongresses der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin (DGG e. V.) im Rahmen einer internationalen Sitzung zum Paclitaxel-Thema am 15. Oktober 2021 diskutiert wird. Da die Behandlung mit Paclitaxel-beschichteten Devices mit einer höheren Rate an optimalen Arzneimittelverschreibungen, v. a. hinsichtlich Statinen, assoziiert werden konnte, wäre ein besseres Langzeitüberleben vor allem in zuvor unterversorgten Patienten/-innen zu erklären. Dies trifft insbesondere auf Frauen zu. Dieser mögliche Behandlungsvorteil wäre in vollständigen bzw. weniger selektierten Real-World-Daten nachweisbar, während der Ausschluss unterversorgter Patienten/-innen in RCT zu einer relevanten Verzerrung führen könnte.

Allerdings würde diese Hypothese nicht ohne gleichzeitige geschlechterspezifische Unterschiede bei der Arzneimitteladhärenz im Langzeitverlauf standhalten. Daher stellt sich für unsere alltägliche Praxis die Frage, ob sich unsere gemeinsamen Bemühungen primär auf unterversorgte weibliche Patientinnen mit einer PAVK oder auf die unzureichende Adhärenz zum Best-Medical-Treatment vor allem männlicher Patienten konzentrieren sollten?

In jedem Fall illustriert dieses Anwendungsbeispiel die wichtige komplementäre Rolle von administrativen und klinischen Registern für Fragestellungen aus dem Bereich der Qualitätssicherung, deren Beantwortung designbedingt nicht mit RCT erfolgen kann.