Einleitung

Epidemiologie der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit und Parodontitis

Weltweit sind mehr als 200 Mio. Patienten an einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) erkrankt [49]. Etwa 500 Mio. Patienten leiden außerdem an einem Diabetes mellitus, zu dessen schwerwiegendsten Komplikationen die kritische Extremitätenischämie mit Amputation der unteren Extremität gehört [10]. Die PAVK hat dabei insgesamt eine stetig zunehmende Prävalenz von 3–10 % in der Gesamtbevölkerung und 15–20 % bei über 70-Jährigen [20, 33]. Die belastungsabhängige Claudicatio intermittens (IC) mit Einschränkung der schmerzfreien Gehstrecke sowie die chronische kritische Extremitätenischämie mit ischämischen Ruheschmerzen oder Gewebsverlust (CLTI) machen jeweils etwa 50 % in hospitalisierten Kohorten aus. [9, 24, 33, 38]. Zusätzlich zur reduzierten Durchblutung der peripheren Gefäße durch atherosklerotische Plaques können Gefäßfehlfunktionen, Entzündungen, gehemmte Angiogenese und reduzierte Mikrozirkulation zur IC und CLTI führen [24, 38].

Die krankheitsbezogene Lebensqualität ist aufgrund eingeschränkter körperlicher Funktionen (z. B. Mobilitätseinschränkungen, Körperpflege) und Schmerzen reduziert. Auch die emotionale Rollenfunktion, die soziale Funktionsfähigkeit und das psychische Wohlbefinden sind stark eingeschränkt [42, 54]. Patienten mit einer PAVK haben ein deutlich erhöhtes Sterblichkeitsrisiko, was nicht zuletzt aufgrund der deutlichen Assoziation mit koronaren und zerebrovaskulären Gefäßerkrankungen zusammenhängt [11]. Mindestens 30 % der PAVK-Patienten leiden an einer linksventrikulären Herzinsuffizienz [53]. Insgesamt haben PAVK-Patienten ein etwa dreifach erhöhtes Risiko, an einer kardiovaskulären Komplikation zu sterben [16]. Weitere klinisch relevante Begleiterkrankungen sind chronische Niereninsuffizienz bis zur Dialysepflichtigkeit und ein Diabetes mellitus [34].

Risikofaktoren wie Rauchen, Hypertonie, Diabetes mellitus, Dyslipidämie sowie chronisch entzündliche Erkrankungen wie Parodontitis (PA) erhöhen das Risiko an einer PAVK zu erkranken und haben einen Einfluss auf den Krankheitsverlauf [28, 55].

Die schwere Form der PA war im Jahr 2010 weltweit die sechsthäufigste Erkrankung und betraf 743 Mio. Menschen [29]. Durch eine Dysbiose der Mikroorganismen im subgingivalen Biofilm entsteht eine Entzündung des Hart- und Weichgewebes um den Zahn [21]. Die starke Biofilmakkumulation bewirkt eine übermäßige Entzündungsreaktion und Immunantwort des Wirts [51]. Die Epithelzellen stellen normalerweise eine physikalische Barriere dar. Einige parodontopathogene Bakterien durchdringen diese Barriere: Porphyromonas gingivalis synthetisiert verschiedene Virulenzfaktoren, die durch proteolytische Inaktivierung von Schlüsselkomponenten das Wirtsabwehrsystem umgehen [13]. Anschließend durchdringen die Mikroorganismen die vaskulären Läsionen und vermehren sich [45]. Dies führt zu einer chronisch erhöhten Produktion und Freisetzung proinflammatorischer Mediatoren (z. B. IL‑6, IL-1β, TNFα), C‑reaktivem Protein (CRP) und Bildung von Fibrinogen in der Leber [1, 2, 48]. Die zunächst lokal begrenzten Entzündungsprozesse können sich systemisch ausbreiten und Entzündungen an Gefäßwänden auslösen [8, 40]. In mehreren Studien wurden bereits parodontopathogene Bakterien in arteriosklerotischen Läsionen gefunden [15, 32, 44].

Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich die Risikofaktoren der PA und der PAVK teilweise überschneiden. Beide Erkrankungen werden durch allgemein akzeptierte kardiovaskuläre Risikofaktoren, wie zum Beispiel Rauchen und Diabetes mellitus, beeinflusst [52]. Zudem wurden bisher verschiedene molekulare Marker dokumentiert: Proatherogene Lipidprofile [19] sowie systemisch erhöhte CRP-Werte [52] sind nachweislich bei beiden Erkrankungen als Zeichen chronischer Entzündungsprozesse erhöht.

Aktuelle Daten zur Pathophysiologie

In der bestehenden Literatur wurden vier pathogene Mechanismen zur Entstehung einer PAVK im Zusammenhang mit einer PA erarbeitet (Abb. 1; [2, 28, 30]):

  1. 1.

    Parodontale Bakterien können sich über den Blutstrom oder über die Lymphbahnen im Gefäßsystem ausbreiten und die Arterienwand schädigen [2, 7, 30, 47], wodurch es zu einer Initiation der Atherosklerose kommt.

  2. 2.

    Entzündungsmediatoren werden von einer Entzündung im Mund in den Blutstrom freigesetzt. Interleukin‑6 und TNFα gelangen durch den Blutstrom in die Leber und induzieren eine vermehrte Produktion von CRP und Fibrinogen, wodurch eine Akut-Phase-Reaktion ausgelöst wird, die proinflammatorisch sowie proatherogen wirkt [48].

  3. 3.

    Spezifische bakterielle Antigene können eine Autoimmunität auslösen, die gegen das Hitzeschockprotein 60 (HSP60) gerichtet ist. Es konnte gezeigt werden, dass PA-Patienten vermehrt Antikörper und T‑Zellen gegen HSP60 bilden [35], das sich auf der Oberfläche von Endothel- und vaskulären glatten Muskelzellen befindet. Die gegen HSP60-gerichtete Autoimmunantwort löst die endotheliale Dysfunktion aus und verstärkt die chronische Entzündung in der Arterienwand [2, 22, 47].

  4. 4.

    Orale pathogene Bakterien produzieren Endotoxine, wie Lipopolysaccharide (LPS), die einen proatherogenen und proinflammatorischen Effekt haben [46]. Durch LPS werden Entzündungsmediatoren wie IL‑1 produziert. Dies führt zu einer vermehrten Fibrinakkumulation, Reduktion der Fibrinolyse, Anheftung von Blutplättchen und Akkumulation von Gewebsmakrophagen im Blutgefäß. Makrophagen wandeln sich zu Schaumzellen um und vergrößern so die atherosklerotische Plaque [31].

Abb. 1
figure 1

Schematische (unvollständige) Darstellung der pathogenen Mechanismen und Assoziation zwischen Parodontitis und peripherer arterieller Verschlusskrankheit. IL-6/IL‑1 Interleukin‑6, Interleukin‑1, LPS Lipopolysaccharid, TNF‑α Tumornekrosefaktor-Alpha, CRP C-reaktives Protein, HSP60 Hitzeschockprotein-60, PAVK periphere arterielle Verschlusskrankheit

Bisher gibt es in der Literatur keinen validen Nachweis für einen kausalen Zusammenhang beider Erkrankungen. Es liegen allerdings Hinweise vor, dass die Parodontitis einer Erstdiagnose von PAVK vorausgeht.

Evidenzbasis zur Assoziation beider Erkrankungen

Die Studienlage zur Assoziation von PA mit der PAVK zeigt, dass es eine Reihe von Publikationen über den Zusammenhang zwischen PA bzw. oralen Erkrankungen und Atherosklerose im Allgemeinen gibt. Hierunter beleuchten nur wenige einen Zusammenhang zwischen PA und PAVK im Speziellen.

Das Design dieser wenigen Untersuchungen ist sehr heterogen und reicht von kleinen Fallkontrollstudien mit nur 57 Teilnehmern [17] bis zu Kohortenstudien mit über 500.000 Teilnehmern [18].

Als Maß für die Stärke der Assoziation zwischen PA und PAVK wurden in den Analysen meist durch logistische Regressionsanalysen bestimmte standardisierte Effektgrößen, wie Odds Ratio (OR), Hazard Ratio (HR) bzw. Relatives Risiko (RR) zusammen mit einem 95 %-Konfidenzintervall (CI) als Vertrauensmaß beschrieben. Nach Anpassung an Alter, Geschlecht und wichtige kardiovaskuläre Risikofaktoren reicht die Bandbreite der berichteten ORs von 2,03 in der Querschnittsstudie von Y‑B Ahn et al. [6] bis zu mehr als 8,18 in der Fallkontrollstudie von U Soto-Barreras et al. [50]. Im Allgemeinen ergaben die kleineren Fall-Kontroll-Studien höhere ORs als die größeren Kohortenstudien. Berechnungen des HR oder des RR sind nur aus wenigen Publikationen verfügbar. Die derzeit aktuellste wurde von D‑H Cho et al. [18] durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine retrospektive gematchte Kohortenstudie, in der 514.832 Koreaner zwischen 40 und 79 Jahren eingeschlossen wurden. Die Autoren geben einen HR von 1,15 für die Entwicklung einer PAVK in der PA-Gruppe verglichen mit der entsprechenden Kontrollgruppe an. Daten von FJ Muñoz-Torres et al. [43] aus der Nurses’ Health Study zeigten einen signifikanten Zusammenhang zwischen Zahnverlust und PAVK und berichteten über eine HR von 1,3 für PAVK bei Frauen mit PA im Vergleich zu Frauen ohne PA (Kontrollgruppe). Allerdings wurde keine Anpassung bezüglich des Rauchens als gemeinsamen Risikofaktor vorgenommen. Die Assoziation beider Erkrankungen mit Rauchen ist allerdings hinreichend bekannt [5, 36]. Des Weiteren wurden ausschließlich Teilnehmer eines Geschlechts eingeschlossen, was ebenfalls die Aussagekraft dieser Studie limitiert. Gleiches gilt für die Studien von H‑C Hung et al. [25], DG Bloemenkamp et al. [12] und MV Mendez et al. [39]. Eine weitere Herausforderung liegt in der komplexen, chronisch progressiven Natur der PAVK. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass substanzielle Unterschiede zwischen den Risikoprofilen und Langzeitergebnissen von Patienten mit IC vs. CLTI existieren. Gleichermaßen bestehen Hinweise auf Unterschiede zwischen beiden Geschlechtern. Dementsprechend ist es mitunter erforderlich, die Analysen zu stratifizieren oder die Auswertungen zu adjustieren. Die von S Yang et al. [55] veröffentlichte Metaanalyse berichtete von einem statistisch signifikanten RR von 1,7 für die Entwicklung einer PAVK bei Patienten mit PA im Vergleich zu Patienten ohne PA.

Zusammenfassend deuten die Ergebnisse aktueller und älterer Studien darauf hin, dass eine PA das Risiko für die Entwicklung einer PAVK erhöht. Tab. 1 gibt eine Übersicht der aktuellen Studienlage.

Tab. 1 Studienübersicht in Bezug auf die Assoziation zwischen PA bzw. Zahnverlust und PAVK

Parodontalbehandlung und Schweregrad der PAVK

Aktuell gibt es kaum Analysen auf der Grundlage von Routinedaten, die sich mit der Assoziation zwischen chronischen oralen Entzündungen und der PAVK beschäftigt haben. Außerdem haben nur wenige Studien untersucht, ob es eine wechselseitige Assoziation zwischen der Behandlung der PA und dem Schweregrad der PAVK gibt. In einer kürzlich veröffentlichten Studie wurden Routinedaten der Sozialversicherungsträger (BARMER) analysiert, um herauszufinden, ob eine PA-Behandlung den Schweregrad einer PAVK beeinflussen kann [3]. Dabei wurde das Vorhandensein einer symptomatischen PAVK bei über 70.000 Personen unter Verwendung der ICD-10-Kodierungen für IC bzw. CLTI festgestellt. Die Behandlung der PA wurde durch die entsprechenden ambulanten Kodierungen für die nicht chirurgische und die chirurgische Behandlung der PA bewertet. Bei der nicht chirurgischen Intervention erhielten die Patienten ein konventionelles subgingivales Debridement (mechanische Entfernung des subgingivalen Biofilms mit anschließender Wurzelglättung). Die zahnchirurgische resektive Intervention der PA umfasste das Säubern der tiefen Taschen unter Sicht. Die Studie ergab, dass die hospitalisierten PAVK-Patienten, die eine PA-Behandlung erhielten, einen deutlich geringeren Anteil an der klinisch fortgeschrittenen CLTI-Form (28,76 % unter den Behandelten gegenüber 52,12 % unter den Nichtbehandelten) aufwiesen als diejenigen, bei denen keine PA-Behandlung durchgeführt wurde. Multivariable Regressionsanalysen ergaben, dass die Chance für das Vorhandensein der CLTI (vs. IC) nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und Diabetes bei den nicht PA-behandelten Patienten 1,97 (95 % CI 1,83–2,13) betrug. Dieses Ergebnis weist darauf hin, dass die Behandlung der PA bei den hospitalisierten PAVK-Patienten mit früheren PAVK-Stadien assoziiert ist, unabhängig von Alter, Geschlecht und Diabetes. Um mögliche kausale Effekte der Behandlung der PA auf den Verlauf der PAVK weiter abzuklären, wären aber Daten aus randomisierten kontrollierten Interventionsstudien wünschenswert, die aktuell jedoch noch nicht vorliegen.

Diskussion

Patienten mit einer PAVK haben neben einer schlechteren krankheitsspezifischen Lebensqualität ein deutlich erhöhtes Risiko schwerer kardiovaskulärer Ereignisse. Vorrangiges Ziel der Früherkennung ist die Einleitung einer optimalen leitliniengerechten Therapie mit konsequenter Optimierung der Risikofaktoren und adäquater Arzneimittelversorgung.

Eine zentrale Rolle in der Krankheitsentstehung und Progression stellen Komorbiditäten, wie Diabetes (ca. 30 %) und Niereninsuffizienz (ca. 25 %) dar, deren chronische Entzündung als mitursächlich diskutiert werden. Die in diesem Beitrag dargestellten Ergebnisse weisen außerdem darauf hin, dass chronische orale Entzündungen, insbesondere die PA, ebenfalls eine Rolle spielen könnten. Die PA ist eine der häufigsten Entzündungserkrankungen des Menschen – betroffen von einer schweren Form der Erkrankung sind ca. 10–20 % der über 40-Jährigen [27]. Die Diagnose erfolgt häufig erst spät, da die Erkrankung lange symptomlos bleibt. Insbesondere Patienten mit Vorerkrankungen profitieren von einer frühzeitigen Diagnostik und konsequenten Therapie, da die chronische Entzündung das Risiko steigert, an Schlaganfall, Herzinfarkt und Arthritis zu erkranken. Das Risiko für Frühgeburten steigt bei werdenden Müttern, die an einer schweren Form der PA leiden, um das Siebenfache [26].

Vor dem Hintergrund aller Indizien kann es sinnvoll sein, die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Gefäßmedizinern und Zahnmedizinern in Deutschland systematisch zu verbessern. Dafür wäre es sinnvoll, die rechtlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich diese beiden Fachgruppen in Deutschland einander Patienten überweisen können. Eine manifeste PA kann im Rahmen einer zahnmedizinischen Untersuchung schnell und sicher diagnostiziert und, falls nötig, nachfolgend therapiert werden. Aktuell fehlt es aber noch an Studienergebnissen, beispielsweise aus randomisierten kontrollierten Interventionsstudien, die den therapeutischen Erfolg auf die Entstehung und den Verlauf der PAVK nachweisen.

Die Mundgesundheit spielt in den aktuellen Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der PAVK bisher kaum eine Rolle [4, 23]. Die in diesem Artikel dargestellten Ergebnisse bezüglich eines möglichen Zusammenhangs zwischen chronischen oralen Entzündungen, insbesondere der PA, und der PAVK lassen es aber sinnvoll erscheinen, eine wechselseitige fachärztliche bzw. zahnärztliche Vorstellung zu erwägen. Dies gilt besonders für die über 65-Jährigen sowie Patienten mit ausgeprägtem Risikoprofil wie Rauchen und Diabetes, die sowohl die PAVK als auch die PA negativ beeinflussen. Diese Erwägung erscheint sinnvoll, obwohl der Nachweis eines kausalen Zusammenhangs zwischen der PA und der PAVK noch aussteht.

Fazit für die Praxis

  • Sowohl die PAVK und vaskuläre Komplikationen des Diabetes als auch die PA sind zahlenmäßig ein relevantes globales Gesundheitsproblem mit Beeinträchtigung der Lebensqualität und Allgemeingesundheit der betroffenen Patienten.

  • Das Risiko- und Komorbiditätsprofil von Patienten, die an einer PA oder PAVK erkrankt sind, weist zahlreiche Überschneidungen (z. B. Diabetes, Rauchen) auf.

  • Die in diesem Artikel dargestellten Ergebnisse unterstützen einen Zusammenhang zwischen chronischen oralen Entzündungen, insbesondere der PA, und der PAVK.

  • Studienergebnisse, beispielsweise aus randomisierten kontrollierten Interventionsstudien, die den therapeutischen Erfolg der PA-Behandlung auf die Entstehung und den Verlauf der PAVK nachweisen, stehen aktuell noch aus.

  • Dennoch erscheint die Empfehlung, PAVK-Patienten unabhängig vom Stadium ihrer Erkrankung, zwecks Diagnose und Behandlung einer etwaig vorliegenden PA an den Zahnarzt zu verweisen, sinnvoll.