Einleitung

Bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen rücken geschlechterspezifische Unterschiede zunehmend in den Fokus der Forschungsgruppen. Ausschreibungen von Stiftungen oder von öffentlichen Förderern zu diesem Thema und regelmäßige Aufrufe hochrangiger Fachzeitschriften zur Einreichung von Gendermanuskripten belegen, dass dieses Thema gleichermaßen interessant und relevant für unsere alltägliche Praxis ist. Zumeist erfolgen die Untersuchungen unter Nutzung eines binär-dichotomisierten Geschlechterverständnisses (Mann vs. Frau), obwohl vermutlich ein komplexes Zusammenspiel aus anatomischen, biologischen, sozialen, kulturellen und weiteren Unterschieden hinter den diskutierten Unterschieden steckt. Nur wenige prospektive Studien, wie etwa die Hamburg City Health Studie, bieten eine entsprechend detaillierte Phänotypisierung und Genotypisierung und ermöglichen gleichzeitig die Verknüpfbarkeit mit klinischen Parametern [25].

Frauen scheinen gegenüber Männern andere oder sogar atypische Symptome ihrer Erkrankungen wahrzunehmen, so etwa bei der Herzinsuffizienz [2, 9], dem Vorhofflimmern [53] oder der koronaren Herzkrankheit [50]. Zahlreiche Studien konnten außerdem geschlechterspezifische Unterschiede bei den Behandlungsergebnissen relevanter Herz-Kreislauf-Erkrankungen nachweisen [38, 54]. In den 10-Jahres-Ergebnissen der ACST-1-Studie konnte ein geringer, aber signifikanter Behandlungsvorteil bei der offen-chirurgischen Karotis-Thrombendarteriektomie bei Frauen nachgewiesen werden, was sich letztlich in der Versorgungsrealität niedergeschlagen hat [20]. Bei der komplexen endovaskulären Therapie von Aortenerkrankungen konnte das weibliche Geschlecht als unabhängiger Prädiktor für das Auftreten von Blutungskomplikationen [5, 49] sowie spinalen Ischämien [22, 49] nachgewiesen werden. Hier gibt es bisher allerdings noch keine allgemein akzeptierten geschlechterspezifischen Empfehlungen.

Die periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) zählt mit mehr als 200 Mio. Betroffenen weltweit (davon ca. 40 Mio. in Europa) [16, 29] als Volkskrankheit und damit zu den wichtigsten Manifestationen der Atherosklerose. Obwohl Frauen in retrospektiven Beobachtungsstudien etwa 40 bis 50 % dieser Zielpopulation ausmachen, ist ihr Anteil in randomisierten Studien mit nur 20 % gering [26].

Die besondere Komplexität der zahlreichen miteinander interagierenden Risikofaktoren und der verfügbaren Behandlungsalternativen erschweren Forschungsvorhaben zu dieser Zielpopulation, unterstreichen allerdings auch den Stellenwert von geschlechterspezifischen Studien. So ist die Prävalenz von Komorbiditäten, wie etwa Diabetes, Bluthochdruck oder Dyslipidämie eindeutig auch vom Geschlecht abhängig [3, 52]. Zentrale Risikofaktoren, wie Nikotinkonsum, unterliegen dabei einem zeitlichen Wandel mit bereits messbaren Auswirkungen auf die geschlechterspezifische Krebsprävalenz. In einer kürzlich veröffentlichten Studie zur optimalen Arzneimittelverordnung der symptomatischen PAVK konnte ein signifikanter Nachteil für Frauen bei der Verordnung von Statinen nachgewiesen werden, was auf eine Präferenz der behandelnden Ärzte und eine unterschiedliche Compliance beider Geschlechter hindeutet [44]. Es zeigen sich auch relevante Unterschiede bei der Inanspruchnahme der Rehabilitation, bei der Mobilität und in den sozialen Fürsorgestrukturen zwischen Männern und Frauen.

Trotz dieser Indizien für die Existenz geschlechterspezifischer Unterschiede beinhalten die aktuell gültigen Leitlinien bisher keine Anmerkungen bzw. klare Empfehlungen zu einer geschlechtersensitiven Diagnostik oder Behandlung der PAVK [1, 10, 19, 32].

Dieser Artikel gibt einen umfassenden Überblick über die verfügbare Literatur zu geschlechterspezifischen Unterschieden bei der endovaskulären Behandlung der symptomatischen PAVK.

Methoden

Die Berichterstattung dieser systematischen Literatursuche entspricht den Empfehlungen des Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses (PRISMA)-Statements [35].

Einschlusskriterien

Für diesen Artikel wurde eine systematische Literatursuche durchgeführt. Prospektive und retrospektive Beobachtungsstudien (z. B. Register‑, Datenbank- oder Routinedatenstudien) zur invasiven endovaskulären Revaskularisation der symptomatischen PAVK wurden begutachtet, sofern sie über die Endpunkte Sterblichkeit oder Amputation getrennt für beide Geschlechter berichteten.

Ausgeschlossen wurden Übersichtsartikel, Metaanalysen, Leitlinien oder Konsensusdokumente sowie interventionelle klinische Studien.

Patient, Intervention, Comparison, Outcome (PICO)-Schema

Types of participants

Männer und Frauen jeden Alters mit symptomatischer PAVK (Claudicatio intermittens, Fontaine-Stadium II vs. kritische Extremitätenischämie, Fontaine-Stadien III–IV).

Types of interventions

Perkutane endovaskuläre Interventionen zur Revaskularisation chronischer Gefäßstenosierungen oder -verschlüsse der unteren Extremitäten.

Types of outcome measures

Sterblichkeit und Amputation nach perkutaner endovaskulärer Revaskularisation getrennt nach Männern vs. Frauen.

Suchstrategie

Über die biomedizinische Datenbank MEDLINE (über PubMed, US National Library of Medicine) wurde nach Originalarbeiten gesucht, die über die Endpunkte Sterblichkeit oder Amputation nach perkutaner endovaskulärer Revaskularisation der symptomatischen PAVK berichten.

Für die Suche wurde eine Kombination der englischsprachigen Suchbegriffe bzw. sinnvoller Synonyme [„PAVK“ oder „Claudicatio intermittens“ oder „kritische Extremitätenischämie“] und [„Outcome“ oder „Sterblichkeit“ oder „Amputation“] verwendet. Die Suche wurde im Januar 2020 und im April 2020 durchgeführt. Alle Publikationen mit Veröffentlichungsdatum bis 30. April 2020 wurden berücksichtigt.

Studienselektion

Die identifizierten Studien wurden unabhängig von zwei Reviewern begutachtet (Franziska Heidemann, Christian-Alexander Behrendt). Aus den eingeschlossenen Studien wurden die nachfolgenden Informationen extrahiert: Autor und Publikationsjahr, Anzahl Patient*innen oder Prozeduren, Verteilung der Geschlechter, genutzte Datenbasis, Land der Erhebung, Zeitraum der Rekrutierung, Art und Umfang der statistischen Analysen, Behandlungsverfahren, Indikation, primäre Endpunkte.

Ergebnisse

Durch den Suchalgorithmus konnten insgesamt 4816 Studien in PubMed identifiziert werden. Nach der Entfernung von 1422 Duplikaten verblieben 3394 Artikel, die auf Titel- und Abstractebene analysiert wurden. Hiervon sind insgesamt 376 Artikel in die Volltextanalyse eingegangen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Flowchart

Beschreibung der Studienpopulationen

Unter den 37 in die qualitative Synthese eingeschlossenen Publikationen (insgesamt 5.489.558 Patient*innen, 1988 bis 2016) variierte der Anteil an Frauen zwischen 17,9 % und 60,0 % in den Studienpopulationen (42,28 % im ungewichteten Mittel) (Abb. 2). Die Anzahl an eingeschlossenen Patient*innen variierte zwischen n = 74 und n = 2.400.000.

Abb. 2
figure 2

Anzahl eingeschlossener Patient*innen und Anteil an Frauen der Beobachtungsstudien seit 1988

Während vor 2010 überwiegend monozentrische Studien publiziert wurden, besteht die Datenbasis zwischen 2010 und 2016 größtenteils aus multizentrischen Studien.

Die Follow-up-Dauer variierte deutlich. In 14 Studien wurden lediglich perioperative Ergebnisse bis zu einer Dauer von 30 Tagen berichtet. In 23 Studien wurden mittel- und langfristige Behandlungsunterschiede bis zu 5 Jahren berichtet.

Eine Kontrolle von Störfaktoren durch Propensity Score Matching erfolgte in 5 Studien, während 32 Studien adjustierte Regressionsanalysen auswiesen.

Geschlechterunterschiede

Beim Vergleich der geschlechterspezifischen Behandlungsergebnisse wurden unterschiedliche Endpunkte berichtet (Tab. 1). Bei 21 Studien wurden keine eindeutigen Geschlechterunterschiede nachgewiesen. Während 10 Studien (darunter 1 mit Propensity Score Matching) über einen Nachteil für Frauen berichteten [7, 8, 14, 27, 36, 37, 40, 41, 46, 60], gaben 6 Studien (darunter 1 mit Propensity Score Matching) einen Behandlungsnachteil für Männer an [6, 17, 21, 23, 31, 59].

Bei den Studien, die einen Behandlungsnachteil für Frauen berichteten, wurden eine höhere Krankenhaussterblichkeit [8, 14, 37, 41, 60], höhere 1‑Jahres-Reinterventionsraten [27], höhere 2‑Jahres-Reinterventionsraten [46], höhere 2‑Jahresraten bezüglich kardiovaskulärer Composite-Endpunkte [7, 8, 40], höhere 1‑Jahres-Sterblichkeit [27, 36] und höhere 2‑Jahres-Sterblichkeit [8, 40] bei Frauen vs. Männern angegeben.

Bei den Studien, die einen Behandlungsnachteil für Männer berichteten, wurden eine höhere Krankenhaussterblichkeit und Amputationsrate [17], höhere 1‑Jahresraten bezüglich kardiovaskulärer Composite-Endpunkte [21, 23], höhere 1‑Jahres-Reinterventionsraten [21] und höhere 1‑Jahresraten bezüglich amputationsfreiem Überleben [31, 59] bei Männern vs. Frauen angegeben.

Diskussion

Die vorliegende systematische Literaturrecherche konnte insgesamt 37 Beobachtungsstudien identifizieren, die über geschlechterspezifische Behandlungsergebnisse nach endovaskulärer Revaskularisation der symptomatischen PAVK berichtet haben. Insgesamt zeigte sich dabei eine deutliche Varianz bei den Kohorten, Einschlusskriterien, Analysemethoden und Endpunkten.

Während 21 Studien keine eindeutigen geschlechterspezifischen Unterschiede feststellen konnten, berichteten 10 Studien über einen Behandlungsnachteil bei Frauen und 6 Studien über einen Behandlungsnachteil bei Männern.

Diese uneindeutige Evidenzbasis, die sich aus sehr inhomogenen Real-World-Datenquellen generiert, mag ursächlich dafür sein, dass bis heute keine klaren geschlechterspezifischen Empfehlungen in den Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung der PAVK enthalten sind [1, 19]. Dabei unterstreicht die zunehmende Anzahl an Publikationen über einen Zeitraum von mehr als 20 Jahren, dass diese Fragestellung für die Forschung weiterhin interessant und klinisch relevant ist. Obwohl Frauen fast die Hälfte der behandelten Kohorten ausmachen, ist ihr Anteil in prospektiven randomisierten Studien weiterhin ausgesprochen gering [26]. Es gibt zudem eindeutige Hinweise auf eine Unterversorgung mit leitliniengerechten Arzneimitteln bei Frauen, was einen Einfluss auf langfristige Behandlungsergebnisse nahelegt und die Hypothese begründet [44].

Miller et al. haben fast 140.000 Patienten (43 % Frauen) aus dem Nationwide Inpatient Sample zwischen 2003 und 2012 analysiert [41]. Eingegangen sind dort sowohl endovaskuläre als auch offen-chirurgische Revaskularisationen der Claudicatio intermittens und kritischen Extremitätenischämie. Hinsichtlich der Krankenhaussterblichkeit zeigte sich ein geringer, aber statistisch signifikanter Unterschied (1,0 % bei Frauen vs. 0,8 % bei Männern, p < 0,05). In den multivariaten Analysen zeigte sich weibliches Geschlecht als unabhängiger Risikofaktor für die Sterblichkeit in der Gruppe der Claudicatio intermittens. Die große Fallzahl hat vermutlich einen Einfluss auf die Signifikanz trotz geringer Gruppenunterschiede. Die kurze Follow-up-Dauer und Wahl des Endpunktes wecken allerdings Zweifel an der klinischen Relevanz. Eine längere Follow-up-Dauer von bis zu 2 Jahren (376 Tage im Median) anhand des multizentrischen Registers der Vascular Quality Initiative (VQI) konnten Ramkumar et al. analysieren [46]. Etwa 58.000 Patienten (41 % Frauen) mit endovaskulären Behandlungen der femoro-poplitealen Strombahn zwischen 2010 und 2016 wurden analysiert. Hinsichtlich der technischen Endpunkte reinterventionsfreies Überleben und verschlussfreies Überleben nach 2 Jahren zeigten sich schlechtere Ergebnisse bei Frauen. In einer weiteren großen Analyse von Daten der multizentrischen United States Premier Healthcare Database konnten etwa 381.000 Patienten (42 % Frauen) hinsichtlich geschlechterspezifischer Unterschiede bei 1‑Jahresraten an Major adverse limb events (MALE) untersucht werden [23]. In der multivariaten Analyse zeigte sich ein unabhängiger Behandlungsnachteil für Männer. In diese Analyse gingen allerdings nur etwa 80 % endovaskuläre Verfahren ein und die Indikationen schlossen auch die akute Extremitätenischämie ein, was die Vergleichbarkeit deutlich einschränkt. Lo et al. konnten etwa 1,8 Mio. Patienten (44 % Frauen) mit Behandlungen zwischen 1998 und 2009 im Nationwide Inpatient Sample identifizieren und auswerten [37]. Die Nachteile bei der Krankenhaussterblichkeit bei Frauen bestätigen weitestgehend die anderen Studien und unterliegen den gleichen Limitationen. Interessant an dieser Auswertung ist allerdings, dass etwa 70.000 Prozeduren (3,7 %) als Reinterventionen bei zuvor behandelten Patienten durchgeführt wurden. Diese Beobachtung schränkt die Nutzung von fallbasierten Datensätzen ohne longitudinale Verknüpfung substanziell ein, da eine Verzerrung nicht auszuschließen ist. Dies gilt insbesondere bei Studien zur Behandlung der PAVK, was auch eine umfassende Analyse von Routinedaten der BARMER zwischen 2008 und 2016 ergeben hat [29]. Etwa 23 % der mehr als 200.000 Behandlungsfälle wurden als wiederholte Behandlung durchgeführt.

Zusammenfassend schränken die methodischen Limitationen der verfügbaren Studien eine klare Bewertung der uneindeutigen Datenbasis ein. Die in dieser Arbeit enthaltenen Studien konnten zwar weitere Hypothesen generieren, bleiben die valide Beantwortung der Fragestellung allerdings schuldig. Es bleibt zu erwähnen, dass die Forschung zur PAVK generell durch sehr inhomogene Patientenkollektive und uneinheitlichen Behandlungsregime (z. B. Klassifikation, Verfahren, gerinnungswirksame Medikation, Nachsorge) betroffen ist. Dieser Umstand ist angesichts der großen Bedeutung dieser Zielerkrankung besonders bemerkenswert.

Retrospektive Beobachtungsstudien sollten die Ein- und Ausschlusskriterien klar und eng definieren und zwischen grundsätzlich unterschiedlichen Gruppen nach Möglichkeit stratifizieren (z. B. „intermittent claudication“ [IC] vs. „chronic limb-threatening ischaemia“ [CLTI]). Die sehr unterschiedlichen Endpunkte erschweren zudem die Vergleichbarkeit und unterstreichen die Nutzung allgemein konsentierter Qualitätsindikatoren der PAVK-Behandlung. Hierzu liegen mehrere Konsensusempfehlungen vor, die interdisziplinär durchgeführt wurden [48].

Tab. 1 Eingeschlossene Studien und deren Charakteristika in antichronologischer Reihenfolge

Fazit für die Praxis

  • Obwohl Frauen im Mittel etwa 40 % der behandelten Kohorten ausmachten, ist deren Anteil in prospektiven kontrollierten Studien weiterhin niedrig.

  • Insgesamt ist die Evidenzbasis zu geschlechterspezifischen Unterschieden nach perkutaner endovaskulärer Behandlung der symptomatischen peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) weiterhin uneindeutig. Es gibt sowohl Studien, die über einen Nachteil für Frauen als auch für Männer bzw. keine eindeutigen Unterschiede berichtet haben.

  • Die wenigsten der verfügbaren Studien haben eine adäquate Kontrolle wesentlicher Confounder, z. B. mittels Matching-Verfahren, vorgenommen.

  • Das GenderReality-Projekt der Forschungsgruppe GermanVasc verfolgt das Ziel, geschlechterspezifische Unterschiede in der Diagnostik und Behandlung von zentralen Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Deutschland zu untersuchen.

  • Mit der IDOMENEO- und RABATT-Studie stehen multimethodale und mehrstufige Konsortialprojekte zur Verfügung, die sich mit der Qualitätsentwicklung in der invasiven Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit beschäftigen.