Geschätzte Leserinnen und Leser,


offenbar wird die Gefässchirurgie fleißig gelesen, wie auch die 3 Leserbriefe in der vorliegenden Ausgabe 1/20 zeigen. Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, aus meiner Sicht die Briefe zu kommentieren. Prinzipiell ist ein Leserbrief jederzeit erwünscht – zeigt er doch, dass man sich mit der Thematik auseinandersetzt, und es, wie so oft, mehrere Meinungen gibt. Schwierig wird es dann, wenn die sachliche Ebene verlassen wird, und daher bitte ich an dieser Stelle darum, dies bei Einsendungen von Leserbriefen zu beherzigen. Hierzu möchte ich den ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck zitieren, auch wenn ich das Zitat komplett aus dem Zusammenhang reiße:

Wenn ihr protestieren wollte, dann achtet die Regeln! [1]

Inhaltlich nehme ich ebenfalls Stellung: Alle eingereichten Artikel, auch die eingeladenen zum Leitthema, werden einem Peer-Review-Verfahren mit 2–3 Gutachtern unterworfen. Nicht selten gibt dies auch Ärger mit den Autoren, wobei ich dies im Editorial zu Heft 5/2018 („Der eigene Anspruch“) [2] adressiert hatte. Das eingereichte Manuskript wird von einem (Rubrik‑)Herausgeber geprüft, und dieser leitet dann den Gutachten-Prozess ein. Das ein Artikel dem Herausgeber-Board „durchrutscht“ passiert also nicht. Ebenfalls wird in diesem besonderen Fall bemängelt, dass die erste Publikation zu diesem Kleber zur Behandlung der Varikose in der Gefässchirurgie Komplikationen beschreibt. Dazu muss festgehalten werden: Diese Methode ist ja nicht neu, und es hätte jederzeit die Möglichkeit bestanden, einen Artikel zur erfolgreichen Anwendung dieser Technik einzureichen. Die Anzahl freiwillig eingereichter Manuskripte darf sehr gerne höher sein, worauf ich an dieser Stelle auch oft hingewiesen habe.

Cyanoacrylat wird seit den 1960er-Jahren als Gewebekleber eingesetzt. Im Rahmen von Experimenten zur Rüstungsforschung (Herstellung optischer Prismen) wurde diese Substanz 1942 entwickelt, aber wegen der extremen Klebrigkeit zunächst nicht eingesetzt [3]. Der Erfinder erinnerte sich Jahre später wieder an dieser Substanz und patentierte sie 1956 als Sofortkleber, der 1958 auf den amerikanischen Markt kam [3]. Der Antrag auf Anwendung in der Medizin wurde 1964 bei der FDA gestellt, Anwendungsgebiet war zunächst die Klebung von Geweben und Wunden. Es handelt sich um eine exotherme Polymerisation.

Das Nichtauftreten einer Komplikation in einer Serie von n-Patienten bedeutet nicht, dass sie nicht auftreten kann

Bald wurden weitere Anwendungsgebiete auch in der Medizin überprüft. So wurde zunächst untersucht, ob man mithilfe dieser Kleber intrakranielle Gefäßerkrankungen (Aneurysmen, später auch AV-Malformationen) behandeln kann [4]. Experimentell wurde auch versucht, nahtlose Anastomosen herzustellen [5]. Der thrombogene Effekt wurde rasch erkannt [6] und der Einsatz zur Therapie von Ösophagusvarizen geprüft [7]. Der Letztautor dieser Publikation ist natürlich jedem Gefäßmediziner ein Begriff. Noch heute stellt die Klebung der Venen bei portaler Hypertension die Therapie der Wahl dar [8]. Folgerichtig können so gesehen (nahezu) alle Gefäße geklebt werden. In der Literatur findet sich als nächstes Anwendungsgebiet die Klebung der V. spermatica [9].

Zur Therapie der Stammvarikose wird der Gewebekleber seit 2011 eingesetzt. In der ersten Publikation von Almeida [10] wurde über die Behandlung von 8 Patienten berichtet. In der Folge wurden Mitte/Ende 2011 klinische Studien gestartet, so die eSCOPE- und die Sapheon Closure System Feasibility Study (SCSFS) [11, 12]. Die Ergebnisse wurde 2015 publiziert [13, 14]. Ich möchte an dieser Stelle ein weiteres Zitat nennen:

Es ist leichter, Kritik zu üben, als recht zu haben [15]

Sie können sich ja selbst ein Bild machen. Und wie Sie wissen, gibt es ja verschiedene Möglichkeiten, Krampfadern zu behandeln. Oft bevorzugen die Behandler die ein oder andere Methode. Die Datenlage hinsichtlich der Früh- und Langzeitergebnisse stammt aus Studien, die ja immer ihre eigenen Gesetze und damit Vor- und Nachteile haben. Von daher sollte es eigentlich das größte Interesse sein, alle Daten in einem Register zu erfassen, um die Methoden vergleichen und tatsächliche Komplikationsraten abschätzen zu können. Ein Werkzeug hierzu stellt das Varizen-Register des DIGG dar, über das auch in der Gefässchirurgie ausführlich berichtet worden war [16]. Wenn wir also ohne Emotionen unsere Ergebnisqualität messen wollen, müssen diese Daten erfasst und gepflegt werden.

Und wenn wir über Komplikationen reden, gilt meines Erachtens immer noch die alte Weisheit – wer niemals Komplikationen hat, kennt seine Verläufe nicht genau oder operiert nicht. Hierzu gab es einmal 1996 einen schönen Artikel in „Der Chirurg“. Eypasch et al. [17] führen dort auf: „Das Nichtauftreten einer Komplikation in einer Serie von n-Patienten bedeutet nicht, dass sie nicht auftreten kann… Sie tritt auf, und das maximale Risiko kann als 95 %-Konfidenzintervall berechnet werden. Die Dreierregel ist eine gute Näherung des schlimmsten Falles, der bei den vorgestellten Daten auftreten kann.“ Diese Dreierregel nach Hanley besagt: „… wenn bei n-Patienten das unerwünschte Ereignis (noch) nicht aufgetreten ist, können wir mit 95 %-iger Sicherheit (Konfidenzintervall) annehmen, dass die Chance dieses Ereignisse maximal 3/n (also z. B. 3 % bei 100 Fällen) ist. Mit anderen Worten, die obere Grenze des 95 %-Konfidenzintervalls ist bei 0:n annährend 3:n.“.

Von daher ist es nicht verwunderlich, wenn bei Eingriffen, die sehr oft durchgeführt werden, auch Komplikationen auftreten. Das ist Statistik. Selbst die Operation der Leistenhernie hat eine Mortalität in Deutschland. Sie liegt bei 0,04 % bei Operation unter stationären Bedingungen [18].

Aber eigentlich geht es im vorliegenden Heft um eine bestimmte Art von Komplikation bzw. deren Vermeidung: Strahlung im Operationssaal. Es handelt sich um ein sehr spannendes Thema, und wir Gefäßmediziner werden uns damit weiterhin sehr intensiv auseinandersetzen (müssen). Ich möchte hierzu auf die Einführung zum Thema von Prof. Ockert und Prof. Böckler verweisen. Ergänzend muss erwähnt werden, dass erneut Artikel, die fest zugesagt worden waren, zurückgezogen bzw. nicht rechtzeitig fertigstellt worden sind. Umso mehr danke ich den Heftherausgebern und Autoren für die schönen Manuskripte. Wie immer, finden Sie weitere interessante Artikel in jeder Ausgabe. In diesem Heft sind es 2 Artikel zur Grundlagenforschung (Erhart, Troidl), einen interessanten Fall (Meyer) und eine CME-Fortbildung zum Thema der chronischen viszeralen Ischämie (Kasprzak).

Ich hoffe, Sie bleiben der Gefässchirurgie auch weiterhin freundlich gewogen und verbleibe

Mit herzlichsten Grüßen


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Prof. Dr. A. Larena-Avellaneda