Screening ist in der Medizin eine Strategie, mit der in Populationen Individuen mit bisher unerkannter Erkrankung identifiziert werden sollen, die präsymptomatisch oder unerkannt symptomatisch sind. Hiermit soll eine Erkrankung früh erkannt werden, wodurch eine frühere Behandlung mit dem Ziel ermöglicht wird, die Morbidität und Mortalität zu verringern. Beim Ultraschallscreening der abdominalen Aorta können zuverlässig Patienten mit einem abdominalen Aortenaneurysma (AAA) erkannt werden. Durch die präventive Ausschaltung großer AAA > 5,5 cm Diameter wird die Rupturrate und damit die Mortalität verringert. Die Diagnose von „kleinen“, nicht unmittelbar interventionspflichtigen AAA, die im Rahmen von Screeningprojekten 4 bis 5-mal häufiger entdeckt werden als unmittelbar zu versorgende AAA, identifiziert zudem ein Patientenkollektiv mit sehr hohem globalen kardiovaskulärem Risiko, das deutlich höher als das AAA-assoziierte Sterberisiko liegt. Diese Patienten können dann einer optimalen präventiven Therapie kardiovaskulärer Risikofaktoren durch Lebensstilmodifikation und medikamentöser Behandlung zugeführt werden, was die kardiovaskuläre Gesamtprognose dieser Patienten verbessert. Diese Patienten benötigen zudem eine regelmäßige Ultraschallkontrolle, um einen Progress der Erkrankung zu entdecken.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bereits 1968 einen Leitfaden publiziert, der auch heute noch Gültigkeit hat, und zehn Kriterien definiert, die erfolgreiche Screeningprogramme erfüllen sollten [1]. Für das Ultraschallscreening der abdominalen Aorta sind diese Kriterien erfüllt.

  • Die Erkrankung soll ein wichtiges Gesundheitsproblem darstellen.

In Deutschland wurden im Jahr 2012 13.898 Krankenhausbehandlungen von Patienten mit nicht rupturiertem (AAA) und 2.260 Fälle mit rupturiertem AAA dokumentiert mit 383 Sterbefällen bei nicht rupturiertem AAA und 1.095 Sterbefällen bei rupturiertem AAA. Bei rupturiertem AAA ist die zusätzliche Dunkelziffer hoch, da etwa 50% dieser Patienten bereits vor Erreichen eines Krankenhauses versterben. Zudem starben in 2012 561 Patienten mit rupturierten thorakoabdominalen Aortenaneurysmen oder Aneurysmen mit nicht näher bezeichneter Lokalisation, die meist durch ein Ultraschallscreening der abdominalen Aorta ebenfalls identifiziert werden könnten [2].

  • Es soll eine Behandlung für diese Erkrankung geben.

  • Die Behandlungsindikationen sollen allgemein akzeptiert sein.

  • Der natürliche Verlauf der Erkrankung soll ausreichend verstanden sein.

Durch die offen-chirurgische oder endovaskuläre Ausschaltung von rupturgefährdeten AAA kann die Ruptur und die damit verbundene Sterblichkeit vermieden werden. Hierfür besteht eindeutige wissenschaftliche Evidenz, weswegen die Indikationen zur Aneurysmaausschaltung in Abhängigkeit von Symptomatik, Größe und operativem Risiko international übereinstimmend in Leitlinien der gefäßmedizinischen Fachgesellschaften definiert worden sind [3].

Bei kleinen, nicht unmittelbar interventionspflichtigen AAA reduziert eine optimale konservative Therapie die Mortalität dieser Höchstrisikopatienten. Die daten- und evidenzbasierten Empfehlungen hierzu werden in diesem Heft dargestellt. Somit ist eindeutig belegt, dass es Behandlungen für Patienten mit AAA gibt, die die Morbidität und Mortalität reduzieren.

  • Einrichtungen zur Diagnose und Therapie sollen vorhanden sein.

  • Es soll eine latente Phase der Erkrankung geben.

  • Es soll eine Untersuchungsmethode zur Detektion der Erkrankung geben.

  • Die Untersuchungsmethode soll für die Population akzeptabel sein.

Die Ultraschalldiagnostik ist eine in Deutschland weit verfügbare, zuverlässige, risikofreie und akzeptierte Methode zur Detektion von symptomfreien AAA, wodurch die Diagnose gestellt werden kann. In Deutschland ist flächendeckend eine offen-gefäßchirurgische oder endovaskuläre Versorgung zur Ausschaltung von AAA auf hohem Niveau gewährleistet. Das Bewusstsein in der Ärzteschaft, dass Patienten mit „kleinen“ AAA neben der regelmäßigen Verlaufskontrolle zur Beurteilung der Progression einer intensiven konservativen Therapie zur kardiovaskulären Risikoreduktion benötigen, muss dagegen noch geschärft werden. Die Anbindung solcher Patienten an niedergelassene Angiologen oder kardiovaskulär tätige Internisten oder Allgemeinmediziner ist sinnvoll, eine flächendeckende Versorgung in Deutschland ist hier vorhanden [4].

  • Die Gesamtkosten der Fallidentifikation sollen im Verhältnis zu den gesamten Behandlungskosten ökonomisch vertretbar sein.

Für Deutschland liegt keine systematische Analyse der Kosteneffizienz eines AAA-Screening-Programms vor. Auf der Basis der Daten der randomisierten AAA-Screening-Studien und der in anderen Ländern bereits etablierten Screeningprogramme sind jedoch Kosten-Effizienz-Analysen durchgeführt worden, die deren Effizienz zeigen und auf Deutschland übertragbar sind.

  • Die Fallidentifikation soll ein kontinuierlicher Prozess sein und nicht ein „einmal für immer“ Projekt.

Aus den randomisierten AAA-Screening-Studien lassen sich Subgruppen identifizieren, die speziell von einem Screening profitieren. Dies sind insbesondere Männer über 65 Jahre, Männer und Frauen mit positiver Familienanamnese für AAA über 50 Jahre, Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen in anderen vaskulären Territorien und Patienten mit entzündlichen Gefäßerkrankungen. Hierdurch und aufgrund der einfachen Durchführbarkeit des Screenings mit einer weit verbreiteten Methode ist die Implementation eines flächendeckenden strukturieren AAA-Screening-Programms möglich. Da der überwiegende Anteil von identifizierten Patienten solche sein werden, die nicht unmittelbar eine Aneurysmaausschaltung benötigen, sondern eine optimale konservative Therapie zur Reduktion des kardiovaskulären globalen Risikos, erscheint es sinnvoll, das Screening in die Hände von internistischen Angiologen oder an der kardiovaskulären Prävention interessierten Internisten und Allgemeinmedizinern zu übertragen, welche die Patienten führen und die optimale konservative Therapie implementieren und überwachen. Patienten mit ausschaltungspflichtigen AAA müssen dann an Gefäßzentren mit offen-chirurgischer und endovaskulärer Expertise angebunden werden.

Eine derartige synergistische Strategie zwischen internistischen und chirurgischen Gefäßmedizinern schafft effiziente Voraussetzungen, um Patienten in allen Stadien der AAA-Erkrankung optimal zu versorgen.

Die Deutsche Gesellschaft für Angiologie – Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V. arbeitet eng mit der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin – Gesellschaft für operative, endovaskuläre und präventive Gefäßmedizin e.V. zusammen, um hierfür auch in Deutschland endlich die Rahmenbedingungen zu schaffen und politisch und kostenträgerseitig durchzusetzen. Die wissenschaftliche Evidenz für den Nutzen von AAA-Screening-Programmen ist eindeutig und wird unterstützt durch die Erfahrungen aus anderen Ländern, die derartige Programme bereits umgesetzt haben. Um den hohen Standard der medizinischen Versorgung in Deutschland aufrecht zu erhalten, ist es dringend nötig, hier voranzukommen.

N. Weiss

U. Hoffmann