Die mit großem Abstand häufigsten vaskulären Erkrankungen sind dem Venensystem zuzurechnen. Dies konnte in mehreren epidemiologischen Untersuchungen gezeigt werden. So wissen wir heute, dass die primäre Varikose den Charakter einer Volkskrankheit hat, mit einer Prävalenz von 10–40% für Männer und 25–41% für Frauen. Für die primäre Varikose besteht eine familiäre Häufung, eine genetische Komponente in der Vererbung dieser Erkrankung ist nachgewiesen. In der Bonner Venenstudie an >3000 Probanden wiesen 59% aller Männer und Frauen retikuläre Varizen oder Teleangiektasien auf – allerdings wiesen lediglich 31% Varizen mit Krankheitswert auf. Bei 3% bestanden Hautveränderungen, bei 0,7% ein aktives oder abgeheiltes Unterschenkelgeschwür. Somit hatte immerhin jeder 6. Mann und jede 5. Frau im Alter zwischen 18 und 79 Jahren Symptome einer CVI (C3–C6 nach CEAP).

Die Prävalenz der CVI dagegen unterscheidet sich geschlechtsspezifisch wesentlich deutlicher und variiert in der Literatur je nach untersuchter Population zwischen <1%–17% für Männer und <1%–40% für Frauen. Studien zur Prävalenz des abgeheilten oder floriden Ulcus cruris belegen eine Prävalenz von <1%–4% in der Erwachsenenbevölkerung.

In Anbetracht dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass die Zahl der Behandlungen in Deutschland hoch sein muss. Da wir keine verlässlichen Daten zu ambulanten Behandlungen in Deutschland haben, müssen wir auf die zahlenmäßig weit niedrigeren stationären Behandlungen zurückgreifen, die aufgrund ihres wahrscheinlich höheren Schweregrades (nach CEAP) vermutlich auch ein verzerrtes Bild über die Behandlungsart abgeben.

So wurden im Jahr 2007 ca. 120.000 Patienten mit einer Varikose oder einer CVI stationär behandelt (Tab. 1), dies entspricht einer Krankenhausinzidenz von 145 Behandlungsfällen/100.000/Jahr.

Tab. 1 Anzahl der aus der Hauptdiagnosengruppe „Varizen der unteren Extremitäten“ (I83.-), mit einem „postthrombotischen Syndrom“ (I87.0) oder einer „venösen Insuffizienz“ (I87.2) kodierten Krankenhauspatienten in Deutschland im Jahr 2007

Auch die Inzidenz tiefer Bein-/Beckenvenenthrombosen ist hoch und beträgt in der Erwachsenenbevölkerung ca. 100/100.000/Jahr. Bei etwa 1/3 dieser Thrombosen tritt eine Lungenembolie (LE) auf. in Autopsiestudien beträgt die Inzidenz der LE sogar >50%. Wichtige erworbene bzw. begünstigende Risikofaktoren für das Auftreten einer Phlebothrombose sind bekannt (u. a. abgelaufene Thrombose, Tumorleiden, Fettleibigkeit, Hormonsubstitution, Schwangerschaft, Immobilisation, operativer Eingriff, Trauma, möglicherweise Varikose). Hinzu kommen angeborene Risikofaktoren wie z. B. Faktor-V-Leiden, ATIII- und Protein-C-Mangel. Aufgrund der oben genannten Daten muss für Deutschland mindestens von 80.000 Phlebothrombosen/Jahr und etwa 40.000 Lungenembolien/Jahr ausgegangen werden.

Die Inzidenz von Phlebothrombosen in Deutschland liegt bei ca. 80.000/Jahr und für Lungenembolien bei ca. 40.000/Jahr

Vor dem Hintergrund dieser epidemiologischen Daten gewinnt die Diskussion um Behandlungsmodalitäten und in diesem Zusammenhang auch die Frage nach Komplikationen im Rahmen der Therapie besondere Bedeutung. Die invasiven Behandlungsoptionen der Varikose sind durch endoluminale Verödungstherapien und rekanalisierende Verfahren nach thrombotischen Verschlüssen erweitert worden, und die Diskussion darum belebt die Fachliteratur. So stellt sich die Frage, ob die Lebensqualität eines Patienten mit PTS und Varikose –auch bei hoher Komorbidität – mit minimal-invasiven Maßnahmen unter Inkaufnahme eines vertretbaren Behandlungsrisikos nicht optimierbar ist.

Allein durch die Anzahl der Behandlungen stellt die rechtliche Auseinandersetzung mit deren Komplikationen ein relevantes, aktuelles Diskussionsthema dar. Unternimmt man eine Literaturrecherche unter dem Stichwort „Begutachtung“, so finden sich unter pubmed von 2000 bis 2010 lediglich 25 Nennungen ohne phlebologischen Bezug. Unter medpilot finden sich zwar 756 Artikel und 150 Monografien, aber lediglich 4 Titel beziehen sich auf phlebologische Themen (Daten aus Nüllen und Noppeney in diesem Heft) – eine unverständliche Diskrepanz mit Blick auf die Wichtigkeit dieses Themas!

Es gibt also Anlass genug, um diesen Problemkreis in den Fokus zu stellen. Nahezu jeder von uns wird im Laufe seines Berufslebens mit gutachterlichen Fragen zu dem hier angesprochenen Thema befasst sein –als Betroffener und als Gutachter. In beiden Szenarien ist eine Detailkenntnis zu dem aktuellen Stand der gutachterlichen Herangehensweise hilfreich. Ich freue mich, dass wir mit Dr. Nüllen und Dr. Noppeney die wichtigsten deutschsprachigen Autoren zu diesem Thema für eine umfassende Übersichtsdarstellung gewinnen konnten. Die Lektüre ist sehr aufschlussreich und daher sehr empfehlenswert.

In diesem Sinne grüße ich Sie herzlich zum neuen Jahr und wünsche Ihnen auch in 2011 viel Erfolg, Glück und Gesundheit!

Ihr E.S. Debus

Schriftleiter