Liebe Kolleginnen,

liebe Kollegen,

den Lesern des Deutschen Ärzteblattes ist es nicht entgangen – die Gefäßchirurgie in Deutschland hat ein Nachwuchsproblem. So wurde am 18.08.2008 berichtet, dass die Anzahl der ausgeschriebenen Oberarztstellen im ersten Halbjahr 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 70% angestiegen ist. Am 1. Mai diesen Jahres konnten wir dann lesen, dass im Jahr 2008 insgesamt n=133 Oberarztstellen ausgeschrieben worden waren – welch ein Erfolg, wird hierdurch doch der wachsende Bedarf und die ungebrochene Vitalität unseres Faches belegt.

Ein Blick auf die Ärztestatistiken der Bundesärztekammer zeigt jedoch eine andere Wirklichkeit: Zwischen 2007 und 2008 sind gerade einmal 49 (!) berufstätige Gefäßchirurg(inn)en neu hinzugekommen. Dies entspricht zwar einem Zuwachs von etwa 5% (2008 n=1133), ist aber ganz offensichtlich nicht ausreichend, um den aktuellen Bedarf zu decken.

Ein vergleichbar schwieriges Bild zeigt die Analyse des sog. Facharztindex, der das Verhältnis der neu ausgeschriebenen Stellen in einem einzelnen Fach zu den tatsächlich berufstätigen Fachärzten angibt (DÄB 01.05.2009). Auch hier führt die Gefäßchirurgie die Liste an mit einem Index von 5,8, d. h. rein rechnerisch kommen auf eine neu ausgeschrieben Stelle nur 5,8 aktive Gefäßchirurg(inn)en! Der Durchschnittswert aller Fächer liegt hingegen bei 14,1. Natürlich haben auch andere Fächer Nachwuchssorgen wie z. B. die Gastroenterologie (Index 6,1), die Viszeralchirurgie (6,8), die Thoraxchirurgie (9,0) oder auch die Neurologie (9,8). Das kann und darf uns aber nicht beruhigen. Im Gegenteil, der Kampf um motivierte junge Ärztinnen und Ärzte ist voll entbrannt.

Es muss also gegengesteuert werden, da andernfalls ein weiteres Abwandern unserer Patienten (insbesondere der sog. leichten Fälle) in die Radiologie, Angiologie oder Kardiologie droht. Die Konsequenzen kann man vielerorts beobachten: in den Gefäßchirurgischen Kliniken sammeln sich die alten, immobilen und multimorbiden Patienten sowie die Notfälle, während die leichter und häufig auch endovaskulär zu behandelnde Patienten außerhalb der Gefäßchirurgie und außerhalb der Gefäßzentren ambulant oder in Belegbetten behandelt werden. Eine gefährliche Entwicklung aus drei Gründen:

  1. 1.

    Ein fehlender „case mix“ aus leichten und schweren Fällen führt zu teilweise nicht absehbaren Kosten. Die Gefäßchirurgie wird teurer.

  2. 2.

    Das Image unseres Faches leidet, da wir überproportional viele „End-stage-disease-Patienten“ mit häufigeren Komplikationen zu versorgen haben.

  3. 3.

    Ganz wichtig: Für die Weiterbildung fehlen Ausbildungseingriffe! Der Facharztmangel bedingt also eine zusätzliche Verschlechterung der Weiterbildungssituation – ein Circulus vitiosus.

Was ist zu tun? Zuerst und zuvorderst müssen wir alles – wirklich alles tun, um die Gefäßchirurgie attraktiver für Studenten und junge Ärzt(inn)en mit technischer Begabung, Empathie und Interesse an einer ganzheitlichen Weiterbildung darzustellen. Wir benötigen außerdem eine gezielte Strategie, um Studenten und jungen Ärzt(inn)en die (Karriere-)Chancen der modernen Gefäßchirurgie zu vermitteln. Die DGG wird hierzu mit einer Publikation „Curriculare Weiterbildung in der Gefäßchirurgie“ in Kürze einen Beitrag leisten. Diese Empfehlungen sollen auch als Blaupause für gefäßchirurgische Weiterbilder dienen und dazu motivieren, eigene, klinikspezifische Weiterbildungsprogramme zu entwickeln. Darüber hinaus sollten junge Assistent(inn)en motiviert werden, mehrmals pro Jahr Kongresse (z. B. Jahrestagung der DGG) und Workshops zu besuchen, um kognitive und manuelle Fertigkeiten auch außerhalb der eigenen Klinik erwerben zu können. Weitere Stichworte sind: Weiterbildungsverbünde, Rotationen, Hospitationen, gezielte Freistellung für Forschung und Lehre, eine stärkere Verankerung der Gefäßchirurgie in der Lehre etc.

Gefäßchirurgische Assistent(inn)en wollen diskutieren und gestalten, das haben die überaus konstruktiven Diskussionen auf dem 1. Heidelberger Assistententreffen (HEAT) Ende Juni eindrucksvoll gezeigt. Aufgrund dieser positiven Erfahrung wird es auch auf der DGG-Jahrestagung im Oktober ein eigenes Forum für gefäßchirurgische Assistent(inn)en geben.

Die genannten strukturellen Vorgaben können helfen, die Nachwuchssituation in der Gefäßchirurgie zu verbessern. Alle Ideen und Bemühungen werden jedoch fruchtlos bleiben, wenn wir Chef- und Oberärzte nicht wirklich bereit sind, eine neue Weiterbildungskultur innerhalb der Gefäßchirurgie und der Gefäßmedizin zu entwickeln. Wenn wir ja sagen zu diesem Vorhaben, dann lassen sie uns doch gleich morgen damit beginnen!

Mit den besten Grüßen und einer herzlichen Einladung zur 25. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie im Oktober 2009 in München (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Gefäßchirurgie im Oktober 2009 in München

Ihr

Prof. Dr. H.-H. Eckstein