Hinführung zum Thema

Die Diagnose Krebs bringt oft erhebliche psychosoziale Probleme mit sich. In der KBS können Betroffene Hilfe und Unterstützung finden. Dieses Angebot wird jedoch von Männern seltener genutzt, auch wenn diese stark belastet sind. Barrieren der Inanspruchnahme zu verringern, ist deshalb ein wichtiges Ziel von Angeboten im Bereich der Psychoonkologie. Im Rahmen zweier Studien wurden niedrigschwellige Zugangswege für männliche Ratsuchende erarbeitet. Dieser Beitrag gibt Erfahrungen aus der Praxis wieder, die wir im Rahmen der Studie WAG-ES! gewinnen konnten.

Einleitung

Männer leiden wie Frauen unter den krebsbedingten Einschränkungen ihrer körperlichen Funktionen, Alltagsaktivitäten und sozialen Beziehungen [1, 19, 24, 29, 31] und bedürfen entsprechender Unterstützung [14]. Sie nehmen aber entitätsübergreifend psychosoziale Hilfen seltener in Anspruch als Frauen [2, 9, 12, 27].

Neben strukturellen Bedingungen behindern auch traditionelle Männlichkeitsideale den Zugang zu psychosozialen Hilfen [10, 20, 21, 35]. Diese gehen in vielen Kulturen mit der Norm einher, dass es unangemessen und beschämend sei, Gefühle wie Angst oder Trauer zu äußern, Bedürfnisse zu haben oder Hilfe in Anspruch zu nehmen [18]. Genau diese sind aber Voraussetzung für die Nutzung psychosozialer Unterstützung.

Es braucht männerspezifische Angebote, die diese kulturellen Rahmenbedingungen würdigen und den Zugang zu KBS erleichtern [7]. Dabei sollten diese Programme nicht dem Irrtum anheimfallen, dass ein One-size-fits-all-Ansatz sinnvoll sei, da Zugangsbarrieren individuell verschieden sind und dementsprechend auch unterschiedliche Angebote gemacht werden müssen [22].

Dazu gehören beispielsweise die aktive Empfehlung von psychosozialer Unterstützung durch den Arzt [5, 11, 26], spezielle Sportprogramme für Männer [17] oder die geschickte Nutzung von Sprache und grafischer Gestaltung. Ein gutes Beispiel ist das Gesundheitsprogramm „Sons of the West“ in Melbourne, Australien, das in Zusammenarbeit mit dem „Western Bulldogs Football Club“ Männer mittleren Alters mit niedrigem sozioökonomischem Status zu gesünderem Verhalten anregen konnte [34]. Der Titel „Söhne des Westens“ ist eben keine langweilige Bezeichnung, sondern ein Name, mit dem man(n) sich gut identifizieren kann.

Doch wie könnten Angebote für krebserkrankte Männer und männliche Angehörige von Krebserkrankten in Deutschland aussehen? Welche Zugangswege brauchen sie? Dies haben wir im Rahmen einer qualitativen Studie mit dem Titel „Bedarfsgerechter Zugang zur ambulanten psychosozialen Krebsberatung für Männer (BEZUG)“ erarbeitet [3, 5]. Darauf aufbauend entstand ein Paket von Maßnahmen, das pilotiert und in einer clusterrandomisierten Studie auf seine Wirksamkeit überprüft wurde. Wichtig war uns dabei, dass Frauen nicht den Eindruck bekommen sollten, die Beratung sei für sie nicht gedacht. Mit anderen Worten: Wir wollten Männer gewinnen, ohne Frauen auszuschließen.

Die Erfahrungen, die wir in der praktischen Umsetzung gemacht haben, möchten wir in diesem Beitrag als Best-Practice-Empfehlungen weitergeben. Wir stellen das Maßnahmenpaket vor und geben Empfehlungen für dessen Umsetzung in der ambulanten psychoonkologischen Versorgung.

Methoden

Entwicklung Maßnahmenpaket

Krebsbetroffene, Zuweisende, Berater:innen aus psychosozialen Krebsberatungsstellen (KBS), Wissenschaftler:innen und weitere Stakeholder erarbeiteten das Maßnahmenpaket in vier Schritten.

Aufbereitung der Erfahrungen aus der qualitativen Vorstudie

Die in der BEZUG-Studie erarbeiteten Maßnahmen wurden zunächst auf Praxistauglichkeit und Umsetzbarkeit überprüft. Dazu fanden in Münster, Leipzig und Hamburg Gesprächsrunden mit Krebserkrankten, Angehörigen, Ärzt:innen aus Krankenhäusern und Praxen, medizinischem Fachpersonal, Mitarbeiter:innen von psychoonkologischen Diensten sowie Leiter:innen von Selbsthilfegruppen statt.

Die drei Gruppen diskutierten die in der BEZUG-Studie erarbeiteten Handlungsempfehlungen und beurteilten diese hinsichtlich a) ihrer Nützlichkeit zur Erhöhung des Männeranteils in den KBS und b) ihrer Umsetzbarkeit in ihrer Region. Weitere Maßnahmen wurden ergänzt. Die Ergebnisse der Gesprächsrunden wurden schriftlich festgehalten.

Anschließend wurden die Ergebnisse thematisch gebündelt, während eines zweitägigen Treffens mit der gesamten Studiengruppe diskutiert und daraus Umsetzungsvorschläge entwickelt. In den folgenden sechs Monaten setzten Arbeitsgruppen die konsentierten Vorschläge in konkret nutzbare Materialien und Maßnahmen um. Am Ende stand ein neuer Maßnahmenkatalog, der in verschiedenen Regionen Deutschlands mit einfachen Mitteln umsetzbar sein sollte. Der Ressourceneinsatz wurde möglichst effizient gestaltet, indem die Materialien (Kurzvorträge, Flyer, Plakate, Videos, Website etc.) zentral erstellt wurden, sodass für die einzelnen KBS nur minimale Anpassungen notwendig waren.

Insgesamt bildete sich ein Maßnahmenpaket heraus, das aus vier Säulen besteht (Abb. 1):

  1. 1.

    Schnittstellen & Zuweisende

  2. 2.

    Öffentlichkeitsarbeit

  3. 3.

    Strukturelle Veränderungen

  4. 4.

    Männerspezifische Aktivitäten

Abb. 1
figure 1

Die vier Säulen des WAG-ES!-Maßnahmenpakets

Parallel dazu diskutierten wir, unter welches Leitmotiv die Maßnahmen gestellt werden sollten, um Männer bestmöglich anzusprechen. Das Leitmotiv sollte psychologischen Jargon vermeiden, eine konkrete Vorstellung von möglicher Unterstützung vermitteln und ansprechend wirken. Ein teilnehmender Krebspatient der oben genannten Diskussionsgruppen erwähnte, die Beratung in den KBS sei „gut gegen Kopfkino“. Dieses Leitmotiv griffen wir auf.

Pilotierung

Über sechs Monate wurde das vorläufige Maßnahmenpaket in der KBS Freiburg pilotiert. Dabei wurden verschiedene Varianten der Maßnahmen erprobt und weiterentwickelt. Schwer umsetzbare Ideen wurden angepasst und in einem Fall verworfen. Die Erfahrungen aus der Pilotierung wurden in der Gesamtgruppe diskutiert und das finale Maßnahmenpaket verabschiedet.

Roll-out

Sechs zufällig ausgewählte KBS setzten das Maßnahmenpaket über einen Zeitraum von 12 Monaten um (Abb. 2). Dabei konnten die Maßnahmen an die lokalen Gegebenheiten angepasst werden. In monatlichen Videokonferenzen tauschten die KBS ihre Erfahrungen aus. Bei auftretenden Schwierigkeiten wurden Lösungsstrategien erarbeitet.

Best-Practice-Beispiele

Ein Jahr nach Implementierung der Maßnahmen wurden die Erfahrungen bei der Umsetzung in der Gesamtgruppe besprochen und die Erkenntnisse daraus in Best-Practice-Beispielen zusammengestellt.

Gestaltung der Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit

Wichtig war die aktive Beteiligung männlicher Betroffener bei der Erstellung der Materialien für die Öffentlichkeitsarbeit. Design und Layout wurden von einer professionellen Grafikerin gestaltet. Ein Filmemacher wurde für einen Kurzfilm engagiert. Ziel aller Maßnahmen war eine langfristige Nutzung der Maßnahmen und Materialien, auch außerhalb der Studie.

Ergebnisse

Stichprobe

An der Entwicklung des Maßnahmenpakets waren 14 KBS beteiligt (Abb. 2). Es nahmen KBS aus städtischen und ländlichen Regionen teil. Alle Landesteile waren vertreten.

Abb. 2
figure 2

Geografische Verteilung der beteiligten Krebsberatungsstellen (KBS). (Legende: türkis-blau KBS, die das Maßnahmenpaket umgesetzt haben, grau pilotierende KBS, schwarze Symbole andere KBS)

Abb. 3
figure 3

Plakat „Gut gegen Kopfkino“; Grafikdesign: Uta Koslik (Leipzig)

Abb. 4
figure 4

Rezeptblock „Krebsberatung auf Rezept“; Grafikdesign: Uta Koslik (Leipzig)

Beschreibung der Maßnahmen und Ratschläge zur Umsetzung

Zuweisende & Schnittstellen (Säule 1)

Zuweisende benötigen klare Informationen über die Arbeit der KBS, da sie oft nicht wissen, was diese leisten können und wie sie arbeiten. Als Zuweisende wurden folgende Personengruppen identifiziert: onkologisch tätige Ärzt:innen, Hausärzt:innen, niedergelassene Psychotherapeut:innen, Pflegende und medizinische Fachangestellte, andere Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen.

Ziel war es, die Zuweisenden über die KBS sowie deren männerspezifische Angebote zu informieren. Mögliche Fehlvorstellungen sollten korrigiert werden. Die dafür eingesetzten Medien werden im Kapitel „Öffentlichkeitsarbeit“ beschrieben.

Fazit Säule 1: Zuweisende & Schnittstellen.

Die Resonanz bei den Zuweisenden war verschieden. Je nach Standort und Fachkraft gab es ein unterschiedliches Interesse an der Arbeit und Zusammenarbeit mit der KBS. Bei Offenheit gab es gute Resonanz, die Arbeit der KBS wurde wieder in den Fokus gerückt und die konkreten Informationen zu den Rahmenbedingungen und Beratungsangeboten wurden sehr geschätzt. Allerdings wurde von allen KBS berichtet, dass die Kontaktpflege sehr zeitintensiv sei. Aufgrund der Personalfluktuation bei den zuweisenden Stellen wird empfohlen, die Vorträge bzw. Besuche in regelmäßigen Abständen zu wiederholen (Details s. Tab. 1).

Tab. 1 Empfehlungen für die praktische Umsetzung „Schnittstellen & Öffentlichkeitsarbeit“ (Säulen 1 & 2)

Öffentlichkeitsarbeit (Säule 2)

Kurzvortrag.

Die KBS erhielten eine Vorlage für eine Kurzpräsentation. Diese zeigt Barrieren und fördernde Faktoren für die Nutzung von KBS durch Männer auf. Außerdem werden das Leistungsspektrum sowie männerspezifische Angebote der jeweiligen KBS dargestellt. Die Vorlage wurde hinsichtlich Kontaktdaten und Rahmenbedingungen der jeweiligen KBS angepasst.

Rezeptblock.

Es wurde ein „Rezeptblock“ im DIN-A5-Format erstellt (Abb. 4), mit dem Betroffenen ein „Rezept für eine psychologische oder sozialrechtliche Beratung“ ausgestellt werden kann. Auf dem Rezeptblock sind die Angebote der KBS kurz dargestellt. Ein QR-Code erleichtert den Zugang zur Homepage der jeweiligen KBS.

Flyer.

Eine Grafikerin erstellte einen Flyer auf der Basis des Slogans „Krebsberatung – Gut gegen Kopfkino“ und unter Einbezug von Testimonials männlicher Ratsuchender. Im Vordergrund standen Aspekte der Informationsvermittlung, Hilfe zur Selbsthilfe und konkrete Angebote. Ärzt:innen, Pflegende und Vertreter von Selbsthilfegruppen wurden gebeten, den Flyer persönlich an Krebsbetroffene und Angehörige zu übergeben. Zusätzlich wurden Flyer in Wartebereichen von Kliniken ausgelegt.

Plakat.

In ähnlicher Aufmachung wie der Flyer wurde ein Plakat in unterschiedlichen Formaten gestaltet (Abb. 3).

Website.

Ebenso wurde eine Website entworfen: www.gutgegenkopfkino.de. Diese enthält zusätzlich zu den Informationen des Flyers die Adressen sowie einen kurzen Informationsfilm über die Arbeit und Ziele von KBS.

Informationsfilme über KBS.

In Zusammenarbeit mit einem professionellen Filmemacher wurden verschiedene Filme erstellt. In einer Kurzversion von 90 Sekunden („Teaser“) wird ein Mann in einer Krankenhauskulisse gezeigt und ein mögliches Kopfkino simuliert: eindrückliche Bilder in schneller Taktfolge mit CT-Aufnahmen, intensivmedizinischer Behandlung, Abschiedsszene und Friedhof, die möglichen Befürchtungen von Betroffenen darstellend. Im weiteren Verlauf kommen ein Krebspatient, seine Frau und ein Onkologe zu Wort, die über ihre als positiv erlebte Unterstützung durch die KBS berichten. Der Film endet mit der Aussage des Onkologen: „Ich habe noch keinen Patienten erlebt, der nicht durch eine Beratung durch die Beratungsstelle profitiert hat.“

Von diesem Film gibt es noch zwei weitere Versionen: Eine ultrakurze Version (30 sec) für den Einsatz im Kino und eine längere Version (150 sec) mit mehr Informationen zum Hintergrund und Leistungsspektrum von KBS.

Passus im Entlassbrief.

Eine KBS konnte erreichen, dass nach stationärem Aufenthalt im Entlassbrief ein Passus eingefügt wird, der auf das Angebot der KBS hinweist.

Fazit Säule 2 (Öffentlichkeitsarbeit).

Es gab Rückmeldungen, dass der Flyer, die Filme und der Rezeptblock die Männer sehr gut angesprochen haben. Einige KBS nutzen den Vortrag in Verbindung mit der Übergabe von Flyern und Rezeptblöcken als Türöffner zu überweisenden Ärzt:innen. Die Kombination aus Empfehlung und Übergabe von Informationen mittels Rezept oder Flyer wurde als besonders effektiv zurückgemeldet. Ein wahlloser Versand von Materialien an Ärzt:innen ohne vorherige Absprache und Erklärung kann hingegen dazu führen, dass diese nicht genutzt oder sogar entsorgt werden.

Struktur der KBS (Säule 3)

Abendsprechstunde.

Um auch Berufstätige zu erreichen, wurden Beratungen am frühen Abend angeboten. Die Abendsprechzeit wurde nicht explizit für Männer ausgeschrieben, sondern konnte auch von berufstätigen Frauen in Anspruch genommen werden.

Männer im Team.

In den meisten KBS sind die beratenden Fachpersonen Frauen. In einigen KBS arbeiten sogar ausschließlich Frauen. Die Möglichkeit, mehr männliche Berater ins Team zu holen, konnte in dieser Studie nur bedingt realisiert werden und wird auch in Zukunft schwierig bleiben. Um dennoch männerspezifische Angebote von Männern durchführen zu lassen, wurden in einer KBS gezielt männliche Praktikanten mit psychologischer Ausbildung eingestellt.

Männerspezifische Beratung.

Es wurde die Idee verfolgt, die Beratung selbst männerspezifischer zu gestalten. Deshalb sollten Beratungen zunächst mit der Vermittlung von Informationen beginnen. Erst in einem zweiten Schritt sollte über Emotionen gesprochen werden. Die Beratenden meldeten zurück, dass sich das nur schwer realisieren ließ, da die Beratung sich immer individuell am Ratsuchenden ausrichten müsse und nicht zu standardisiert sein sollte. Daher wurde dieser Ansatz nach der Pilotierung verworfen.

Fazit Säule 3 (Struktur der KBS).

Die Implementierung der Abendsprechzeit war im Gegensatz zu den anderen strukturellen Maßnahmen einfach umzusetzen. Sie war nicht männerspezifisch ausgeschrieben, bot aber dennoch die Möglichkeit, die bisher unterversorgte Gruppe der Berufstätigen anzusprechen. Das Angebot wurde gut angenommen.

Sicherlich wäre es wünschenswert, eine hohe Diversität bei den Beratenden zu erreichen und auch männliche Berater im Beratungsteam zu haben. Angesichts des Mangels an männlichen Beratern im Gesundheitswesen bleibt die Umsetzung jedoch schwierig (Details s. Tab. 2).

Tab. 2 Empfehlungen für die praktische Umsetzung: Struktur der KBS (Säule 3)

Aktivitäten (Säule 4)

Männerspezifische Aktivitätsangebote.

Es wurden verschiedene Angebote entwickelt, bei denen nicht das Gespräch, sondern die körperliche Aktivität im Vordergrund stand. So wurden Wandergruppen, eine Segelgruppe und Sportgruppen konzipiert. Ziel war es, die Männer mittels der körperlichen Aktivität zusammenzubringen und den gegenseitigen Kontakt zu fördern. Den Männern stand es frei, über ihre Erkrankung zu sprechen oder auch nicht. Den Rahmen dafür bildete ein „Blitzlicht“Footnote 1 während oder am Ende der Aktivität. Das Angebot wurde an verschiedenen Orten in aller Regel einmal im Monat angeboten.

Ein weiteres Angebot war das Beckenbodentraining, bei dem ebenso nicht das Gespräch, sondern Übungen zur Stärkung des Beckenbodens im Fokus standen. Es wurde standortabhängig von einem männlichen Physiotherapeuten oder einer weiblichen Körpertherapeutin durchgeführt. Das Angebot war nur für Männer offen.

Onlineveranstaltungen.

Einige KBS führten Onlineveranstaltungen durch, in denen sozialrechtliche Aspekte, finanzielle Hilfen oder krankheitsspezifische Themen, wie z. B. Behandlungsstrategien bei Krebserkrankungen oder Nebenwirkungen wie Polyneuropathie, von qualifizierten Referent:innen vorgestellt und Fragen der Teilnehmenden beantwortet wurden. Das digitale Format ermöglichte einen niedrigschwelligen Zugang. Die Onlineveranstaltungen fanden meist in den Abendstunden statt und waren auch für weibliche Betroffene offen. Werbung und Öffentlichkeitsarbeit erfolgten über Flyer, die Homepage der jeweiligen KBS und teilweise über die lokale Presse.

Fazit Säule 4 (Aktivitäten).

Für die Ansprache von Männern ist es strategisch günstig, Bewegung oder Information in den Vordergrund zu stellen. Erst wenn eine gewisse Vertrautheit entstanden ist, tauschen sich die Männer auch über psychologische Aspekte der Krankheitsbewältigung aus. Die Wahl eines ansprechenden Titels für das Angebot mit den Schwerpunkten Bewegung und Information spielt dabei eine wichtige Rolle. Besonders beliebt waren Wandergruppen oder eine Segeltour. Öffentlichkeitsarbeit war notwendig, um die Angebote bekannt zu machen. Ein Vorgespräch erwies sich dabei als sehr wichtig, um Leistungsansprüche zu reflektieren, die gerade bei sportlichen Aktivitäten entstehen können.

In einer Bewegungsgruppe starb ein Teilnehmer zwischen zwei Terminen. Daraufhin wurde zu Beginn eine Gedenkminute eingelegt, was als wichtig für die Gruppendynamik erachtet wurde. Ein exklusiv an Männer gerichtetes Angebot, wie das Beckenbodentraining, wurde geschätzt. Ein geschützter Rahmen war hier besonders wichtig. Hier konnten schambehaftete Aspekte angesprochen und aufgefangen werden. Es wurde nicht als hinderlich empfunden, dass eine weibliche Fachkraft das Training durchführte (Details s. Tab. 3).

Tab. 3 Empfehlungen für die praktische Umsetzung: Aktivitäten (Säule 4)

Diskussion

Ausgangspunkt unserer Studie war der Befund, dass Männer zwar genauso häufig wie Frauen durch eine Krebserkrankung psychosozial belastet sind [1, 25, 28], aber seltener psychosoziale Hilfsangebote in Anspruch nehmen, besonders im ambulanten Bereich [3, 13, 16, 32, 36].

Deshalb wurde im Rahmen unserer Studie eine Vielfalt von Maßnahmen entwickelt, aufeinander abgestimmt und in der Praxis erprobt. Mit dem vorliegenden Artikel wollten wir unsere Erfahrungen weitergeben und anderen Anbietern damit ermöglichen, selbst entsprechende Maßnahmen umzusetzen, die Männern den Weg zu psychosozialen Hilfen ebnen können.

Es zeigte sich, dass klare und konkrete Informationen sowohl von Zuweisenden als auch von krebsbetroffenen Männern besonders geschätzt wurden. Das deckt sich mit bisheriger Literatur, wonach Informationsgabe [15, 23] und konkrete Empfehlungen zur Inanspruchnahme durch das medizinische Fachpersonal [5, 26, 30] als hilfreich angesehen werden.

Männerspezifische Bewegungsangebote wurden gerne genutzt. Über diesen Zugang konnten auch sonst eher vermiedene „psychologische“ Themen wie Probleme bei der Krankheitsbewältigung besprochen werden. Dies entspricht Befunden anderer Studien, dass der Zugang zu psychosozialen Hilfen erleichtert werden kann, wenn die Ratsuchenden keine Befürchtung haben müssen, sich zu offenbaren oder – wie ein Teilnehmer formulierte – einen „Seelenstriptease“ [4] zu machen. Die Angebote, die ausschließlich für Männer offen waren, verhalfen einigen Teilnehmern auch über schambesetzte Themen zu sprechen. Scham ist ein Gefühl, über das in der (Psycho‑)Onkologie vergleichsweise wenig gesprochen wird, trotz der hohen klinischen Bedeutung, die gerade bei der Nichtinanspruchnahme von notwendigen Hilfen relevant ist [8, 21]. In den Gruppen entstand offenbar ein geschützter Raum, der sicher genug war, um sich diesen Themen zu nähern und durch den Gruppenprozess (z. B. Erleben von Solidarität [33]) Unterstützung zu erfahren.

Eine der KBS in unserer Studie machte gute Erfahrungen damit, im Entlassbrief nach einem stationären Aufenthalt einen Passus einfügen zu lassen, in dem auf ambulante psychoonkologische Angebote hingewiesen wurde. Das ist insofern interessant, als in der randomisierten Studie von Herschbach et al. keine positiven Effekte einer solchen Maßnahme gefunden wurden [6].

Unseres Wissens nach ist diese Untersuchung die erste multizentrische interventionelle Studie in Deutschland, die genderspezifische Angebote ambulanter psychoonkologischer Versorgung in KBS entwickelt und erprobt hat. Die Forschungsfrage wurde von und mit Praxisvertreter:innen entwickelt, wobei KBS aus verschiedenen Regionen und Versorgungsbezirken beteiligt waren. Wir gehen daher davon aus, dass wir Maßnahmen entwickeln konnten, die praxiskompatibel sind und deutschlandweit angewendet werden können.

Neben den KBS-Kolleg:innen waren Krebsbetroffene, Ärzt:innen und Medienschaffende eng in den Prozess involviert, um den bestmöglichen „Ton“ zu finden, um männliche Ratsuchende anzusprechen.

Ob uns dies gelungen ist und am Ende dazu führt, dass mehr Männer den Weg in KBS finden, wird gegenwärtig analysiert. In diesem Artikel wurden Maßnahmen vorgestellt, damit sie von anderen selbst angewendet und ggf. adaptiert werden können. Sie sind vielfältig und sowohl in der Gesamtheit als auch einzeln durchführbar. Einige Maßnahmen sind leicht umsetzbar und verursachen kaum zusätzliche Kosten, andere benötigen personelle oder finanzielle Ressourcen (Tab. 1, 2 und 3).

Zuweisende spielen eine zentrale Rolle, Krebspatienten auf das Angebot hinzuweisen und über die Möglichkeit der kostenfreien Inanspruchnahme zu informieren. Ihre Schlüsselfunktion sollte in zukünftigen Forschungsprojekten weiter untersucht werden.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema schärfte bei den Berater:innen den Blick für männerspezifische Bedarfe und setzte kreative Prozesse frei, Maßnahmen für sie zu kreieren und umzusetzen.

Fazit für die Praxis

  • Die Maßnahmen & Materialien sind praxistauglich und können von anderen KBS adaptiert werden.

  • Zuweisende spielen eine zentrale Rolle bei der Entscheidung, ob Männer eine KBS aufsuchen oder nicht. KBS sollten die Zuweisenden bei dieser Aufgabe unterstützen. Regelmäßige Kontakte mit Zuweisenden sind notwendig, um auf das (männerspezifische) Angebot und Leistungsspektrum von KBS aufmerksam zu machen.

  • Kurzvorträge, Flyer und Rezeptblöcke für Krebsberatung sind gute „Türöffner“.

  • Männerspezifische Bewegungsaktivitäten werden von Krebserkrankten und Angehörigen gerne angenommen, dabei sollte ein zu hoher Leistungsanspruch vermieden werden.