Viele Krebspatienten leiden im Verlauf ihrer Erkrankung und -behandlung, aber zum Teil auch Jahre nach Abschluss der Behandlung unter psychischen Belastungen [24, 28, 29]. Wie durch zahlreiche Metaanalysen belegt, gehören Depressions- und Angstsymptome und die durch diese Symptome konstituierten Störungen zu den häufigsten psychischen Folgen nach Krebs [26, 27, 31]. Angesichts der Tatsache, dass Depressionen und Angststörungen nicht nur persönliches Leid für die betroffene Person bedeuten, sondern auch von enormer Relevanz für unser Gesundheitssystem sind, ist eine sensible Beachtung von Depressions- und Angstsymptomen in jedem Arzt-Patienten-Gespräch von großer Bedeutung [1].

Depressivität und Angst bei Krebspatienten

Depressionen und Angststörungen sind häufige, aber bisweilen vernachlässigte Folgen von Krebs, die einen negativen Einfluss auf die Lebensqualität, die Therapieadhärenz, das Krebsüberleben und die Behandlungskosten haben können [29]. Etwa 20 % der Krebspatienten leiden unter Depressionen und 10 % unter Angststörungen und weisen damit höhere Prävalenzraten im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung auf [26].

Depressive Störungen sind durch eine gedrückte Stimmung, Antriebsminderung oder Interessenverlust gekennzeichnet, begleitet von anderen kognitiven, verhaltensbezogenen oder neurovegetativen Symptomen, die die Funktionsfähigkeit des Individuums erheblich beeinträchtigen [7]. Angststörungen sind durch übermäßige Furcht und Angst und damit verbundene spezifische assoziierte Kognitionen und Verhaltensstörungen gekennzeichnet, wobei die Symptome so schwerwiegend sind, dass sie mit einer erheblichen Belastung oder Funktionsbeeinträchtigung einhergehen. Die Angst kann dabei eine Reaktion auf eine wahrgenommene unmittelbare Bedrohung in der Gegenwart als auch auf eine erwartete Bedrohung in der Zukunft sein. Angststörungen unterscheiden sich hinsichtlich der angstauslösenden Reize oder Situationen [7]. Tab. 1 enthält eine Übersicht der häufigsten Anzeichen und Symptome.

Tab. 1 Anzeichen und Symptome von Depression und Angst (basierend auf ICD-10)

Progredienzangst

Die Angst vor einem erneuten Auftreten oder Fortschreiten der Erkrankung, die sogenannte Progredienzangst (oder Rezidivangst), ist eines der häufigsten psychischen Probleme bei Krebspatienten [18]. Dabei unterscheidet sich Progredienzangst von anderen Angststörungen durch die starke Verknüpfung mit der existenziellen Bedrohung durch die Krebserkrankung einschließlich der eigenen körperlichen Unversehrtheit [23]. Folgen von Progredienzangst können sein: erhöhte Besorgnis, Vermeidung oder erhöhte Inanspruchnahme von Arztbesuchen und Untersuchungen, Hypervigilanz gegenüber Symptomen sowie die Unfähigkeit, die Zukunft zu planen [4, 6].

„Stepped care“

Für die klinischen Versorgungsabläufe im Zusammenhang mit der Identifikation von Angst und Depressivität, der Schweregradeinschätzung und der Verortung der adäquaten Interventionen im Kontext onkologischer Erkrankungen existieren verschiedene nationale Strategien [1, 3, 5]. Der Beitrag konzentriert sich im Wesentlichen auf die Schritte 1 und 2 (reguläre und supportive Versorgung) des in Abb. 1 dargestellten Stepped-care-Modells [5]; es geht darum, Angst und depressive Symptome im Arzt-Patienten-Gespräch zu erkennen und mithilfe kommunikativer Fertigkeiten zu lindern.

Abb. 1
figure 1

Klinische Behandlungspfade und „stepped care“. (Nach [5, S. 990])

Schweregradeinschätzung

Für die rasche Einschätzung des Schweregrads der Depressivität und der Angst im Arzt-Patienten-Kontakt empfiehlt sich der Einsatz des im Internet frei verfügbaren Ultrashort-Screeninginstruments PHQ‑4 (vgl. Tab. 2; [16]). Im PHQ‑4 repräsentiert ein Wert ≥ 6 eine „gelbe“ Flagge und ein Wert ≥ 9 eine „rote“ Flagge für das Vorliegen einer Angst- bzw. depressiven Störung [20].

Tab. 2 Patient Health Questionnaire (PHQ-4)

Für Spezifika des Umgangs mit Angst und Depression in der palliativen Behandlungssituation sei an dieser Stelle auf entsprechend vorliegende „standard operating procedures“ aus der Reihe „SOPs zur palliativen Versorgung von Patienten im Netzwerk der deutschen Comprehensive Cancer Center“ (z. B. [14]) und die spezifische Leitlinie [2] verwiesen.

Patientenzentrierte Kommunikation

Die relevante und sich derzeit in Aktualisierung befindliche S3-Leitlinie zur psychoonkologischen Diagnostik, Beratung und Behandlung von erwachsenen Krebspatienten [3, 32] betont die Wichtigkeit patientenzentrierter Kommunikation in der Onkologie:

„Auf die besonderen Erfordernisse von Menschen mit Krebserkrankungen abgestimmt, definieren [9] … Ziele und Aufgaben patientenzentrierter Kommunikation anhand von sechs ineinandergreifenden Funktionen: (1) Fördern einer hilfreichen, ‚heilsamen‘ Beziehung, (2) Austausch von Informationen, (3) Umgehen mit Emotionen, (4) gemeinsame Entscheidungsfindung zum weiteren Vorgehen, (5) Toleranz für Ungewissheit fördern, (6) Unterstützen von Selbstbestimmung, Kontrolle und Handlungsfähigkeit. Die aufgeführten Funktionen, die sich an konkreten kommunikativen Zielen und Notwendigkeiten für Krebspatienten orientieren, implizieren eine kommunikative Grundkompetenz bzw. Haltung, die nicht auf umschriebene Regeln oder Gesprächstechniken, so genannte ‚skills‘, beschränkt ist …“ [3, S. 82]

Was tun bei Krisen (mit akuter Angst und Depressivität)?

Für den Onkologen ist das Gespräch mit Patienten (ein weitgehend gefühlsneutrales) Alltagsgeschehen, für Patienten und Angehörige kann dies jedoch eine extreme seelische Ausnahmesituation mit höchster affektiver Anspannung bedeuten [30] bis hin zu einer akuten psychischen Krise [8]. Ziel des kommunikativen Umgangs mit Krisen mit Angst und Depressivität sollte immer die Vermittlung von Sicherheit für die Patienten mittels emotionaler Entlastung, Stabilisierung, Hoffnungsrückgewinnung und Zuversicht sein. Eine angemessene Informationsvermittlung kann dabei bereits angstlindernd bzw. antidepressiv wirken. Indem gemeinsam mit dem Patienten Angstinhalte geklärt und konkretisiert werden, lassen sich gegebenenfalls unangemessene Erwartungen und Befürchtungen bezogen auf die Erkrankung und Behandlung korrigieren [30]. Für das konkrete verbale Verhalten können die hypnotherapeutischen Basisfähigkeiten „pacing“ („den anderen da abholen, wo er/sie ist“) und „leading“ („Führen im Sinne des aktiven Einbringens konkreter Vorschläge, z.B. zur Behandlung“) sehr hilfreich sein [8, S. 667]. Dies sei an einem wörtlichen Beispiel illustriert: „Die Situation ist ernst (entspricht: ‚pacing‘). Wir werden alles, was möglich ist, tun und das wird sein: erstens, zweitens, drittens … Statistisch müssen wir mit ‚X‘ rechnen, aber im Einzelfall haben wir auch ganz erstaunliche Erfahrungen gemacht, z.B. … (entspricht ‚leading‘; unauffällige positive Suggestion).“ Ebenso hilfreich und kurzfristig umsetzbar ist nach einem entsprechenden „pacing and leading“ („Das ist eine schwere Zeit für Sie. Lassen Sie uns gemeinsam schauen, wie wir beide zusammen es vielleicht etwas erträglicher für Sie gestalten können.“) das kommunikative und aktive Herbeiführen von kurzfristigen Fokusveränderungen aufseiten des Patienten. Mithilfe der kurzen Reorientierungsübung 5‑4-3-2‑1 wird die Aufmerksamkeit unter Einbeziehung der fünf Sinne bewusst auf das „Hier und Jetzt“ im Behandlungszimmer statt auf die mental präsentierte Bedrohung im Zusammenhang mit der Erkrankung und Behandlung gelenkt: „Nennen Sie mir 5 Dinge, die Sie sehen, z.B. die blau sind …, 4 Dinge, die Sie hören …, 3 Dinge, die Sie mit Ihrer Haut spüren/fühlen, 2 Dinge, die Sie riechen, 1 Sache, die Sie schmecken.“

Eine weitere potenziell anxiolytische und antidepressive Fokusveränderung kann schließlich auch der Einbezug von „mastery“ (Rückgriff auf erfolgreich gemeisterte Krisen in der Biografie der Patienten) sein. Für eine entsprechende Exploration im Gespräch eignen sich folgende Fragen: „Waren Sie in Ihrem Leben schon einmal ernsthaft erkrankt oder in einer Krise, in der Sie starke Angst hatten oder sehr niedergeschlagen waren? Was hat Ihnen damals geholfen?“ Patienten sollten dann ermuntert werden, diese damals als hilfreich erlebten Strategien erneut auszuprobieren.

Wichtig für die Kommunikation in Krisensituationen ist weiterhin, auf die Übereinstimmung des eigenen nonverbalen und verbalen Verhaltens zu achten. Auch Besonderheiten der Mimik und Gestik der Patienten sind im Blick zu behalten; z. B. zeigen häufige irreguläre Handbewegungen am Körper (Nesteln) erhöhten Stress bzw. Angst an [17]. Hier sollte im Kontakt darauf geachtet werden, dass unruhige Bewegungsmuster des Patienten nicht unbewusst übernommen werden und das eigene nonverbale Verhalten Ruhe und Sicherheit vermittelt. Weitere detaillierte Hinweise für den konkreten Umgang mit psychoonkologischen Krisensituationen finden sich in der Überblicksarbeit von Wickert in dieser Zeitschrift [33]. Führt die Kommunikation nicht zu einer Verbesserung des krisenhaften Geschehens aufseiten des Patienten, sollte der Einsatz einer temporären Psychopharmakotherapie erwogen werden [13].

Zusammenfassung: kommunikativer Umgang mit Krisen

  • Emotionale Entlastung und Stabilisierung

  • Vermittlung von Sicherheit und Hoffnung

  • Kongruente Kommunikation (Übereinstimmung des eigenen nonverbalen und verbalen Verhaltens)

  • Nonverbales Verhalten des Patienten beachten (z. B. Mimik und Gestik)

  • Bei anhaltenden psychischen Krisen bzw. Zunahme der psychischen Belastung: Vermittlung an erweiterte bzw. spezialisierte Versorgungsangebote (siehe Stufen 3–5 im Stepped-care-Modell, Abb. 1), Psychopharmakotherapie

Kommunikative Fertigkeiten – ein Überblick

Im deutschsprachigen Raum existieren mittlerweile mehrere Kommunikationstrainingsprogramme für onkologisch tätige Ärzte, die sich im Rahmen von Forschungsprojekten als gut umsetzbar erwiesen haben; zwei Überblicksarbeiten liegen hierzu vor [34]. Ein wichtiges Kommunikationsmodell im Kontext onkologischer Versorgung ist das COMSKIL-Modell [10, 11]. Dieses Kommunikationstrainingsprogramm hat das Ziel, eine Bandbreite an Kommunikationsfertigkeiten und -techniken im Umgang mit Patienten und Angehörigen zu vermitteln, damit diese je nach Gesprächssituation und -ziel flexibel angewendet werden können (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Übersicht zum COMSKIL-Modell. (Angelehnt an [5])

Eine wichtige Kommunikationsstrategie beim Umgang mit Angst und Depressivität im onkologischen Gespräch ist die empathische Berücksichtigung der emotionalen Reaktionen des Patienten sowie das angemessene Reagieren darauf. Dazu können je nach Situation verschiedene Kommunikationstechniken angewendet werden, die in Tab. 3 näher beschrieben sind. Daneben sollten kontextuelle Aspekte (sogenannte Prozessaufgaben) berücksichtigt werden, wie z. B. die Aufrechterhaltung des Blickkontakts, das Einräumen von Zeit zur Sammlung und zur Aufnahme der Informationen („Es ist vollkommen in Ordnung, wenn Sie kurz nachdenken.“), das Bereitstellen von Taschentüchern sowie die Förderung von Zuversicht, Hoffnung und Beruhigung. Unterbrechungen und vorzeitige Beschwichtigungen („Sie brauchen keine Angst zu haben.“ oder „Sie müssen nicht beunruhigt sein.“) sollten vermieden werden.

Tab. 3 Kommunikationstechniken zum Ausdruck von Empathie und zur Reaktion auf emotionale Hinweisreize des Patienten (unter Anwendung des COMSKIL-Modells). (Modifiziert nach [25])

Einbeziehung psychoonkologischer Versorgungsangebote

Sind Angst und Depressivität im kommunikativen Umgang mit den Patienten nicht nachhaltig zu lindern und persistieren, ist die Einbeziehung entsprechend ausgebildeter Behandler sowie ausgewiesener Institutionen im Rahmen des vorgestellten Stepped-care-Ansatzes notwendig (z. B. [19, 21]). Dann sollte über psychosoziale Unterstützungsmöglichkeiten (Stufe 3 und 4 in Abb. 1) informiert werden. Hierfür ist es wichtig, sich einen Überblick über Strukturen und Abläufe der psychoonkologischen Versorgungsangebote vor Ort zu verschaffen: Gibt es in meiner Klinik einen psychoonkologischen Konsildienst bzw. welche Fachabteilung ist bzw. welche Fachabteilungen sind für die psychologische Mitbetreuung von Krebspatienten zuständig? Gibt es in meiner Stadt/in der Nähe eine ambulante psychosoziale Krebsberatungsstelle? Wie erfolgt die Zuweisung der Patienten zu diesen stationären und ambulanten Angeboten? Weitere Informationen zu spezifischen psychoonkologischen Interventionen, auch zur Linderung von Angst und Depressivität, werden unter anderem in den Arbeiten von Herschbach und Mehnert-Theuerkauf vorgestellt [12, 22].

Fazit für die Praxis

  • Angst- und Depressionssymptome treten im Kontext von Krebserkrankungen häufig auf.

  • Im Rahmen eines Stepped-care-Ansatzes ist eine Schweregradeinschätzung der Symptome besonders wichtig für die Verortung adäquater Interventionen. Hierfür sind entsprechende Screeninginstrumente vorhanden, die leicht im persönlichen Arzt-Patienten-Gespräch einsetzbar sind.

  • Eine patientenzentrierte Kommunikation hilft bereits in Gesprächen der regulären onkologischen Versorgung Angst und Depressivität zu lindern. Im Beitrag werden hierzu konkrete anxiolytisch und antidepressiv wirkende Kommunikationsstrategien und -techniken beschrieben, welche auch bei Krisensituationen eingesetzt werden können.

  • Ein Fokus wird dabei auf das COMSKIL-Modell gerichtet. Dieses liegt auch als Kommunikationstrainingsprogramm neben anderen vergleichbaren Programmen für onkologisch tätige Ärzte vor.

  • Ebenso hilfreich sind für psychisch belastete Krebspatienten Informationen über Strukturen und Abläufe der psychoonkologischen Versorgungsangebote vor Ort.