Die Diagnose Lungenkrebs bedeutet für die Betroffenen einen starken Einschnitt in ihr bisheriges Leben. Dabei sind Menschen mit Lungenkrebs stärker psychisch und emotional belastet als Betroffene mit anderen Krebsarten. Der folgende Artikel fußt auf einer qualitativen Interviewstudie mit Lungenkrebsbetroffenen und befasst sich mit deren erlebten emotionalen Herausforderungen sowie individuellen Gründen für die (Nicht‑)Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung.

Hintergrund

Psychische Belastungen bei Lungenkrebsbetroffenen

Lungenkrebs ist eine der Krebserkrankungen mit besonders schlechter Prognose verbunden mit einer raschen Verschlechterung des Gesundheitszustands der Betroffenen und einer niedrigen 5‑Jahres-Überlebensrate [11]. Physische Symptome wie Energieverlust, Fatiguesyndrom, Schmerzen, Appetitlosigkeit, Kurzatmigkeit und Husten führen zu einer signifikanten Einschränkung in der Bewältigung des alltäglichen Lebens [4, 8, 17, 21, 24]. Auch das Vorhandensein psychischer und emotionaler Belastungen bei Lungenkrebsbetroffenen ist inzwischen gut erforscht. Studien zeigen, dass Menschen mit Lungenkrebs psychisch stärker belastet sind als Betroffene mit anderen Krebsarten [9, 10, 14, 15, 25, 27]. Zu den häufig berichteten psychischen Herausforderungen gehören u. a. Unsicherheiten, Zukunftsängste, Sorgen um nahe Angehörige und die Angst vor einer Verschlechterung des Gesundheitszustands [2, 7, 12, 19, 21]. Qualitative Studien mit Lungenkrebsbetroffenen aus Deutschland konnten zeigen, dass die Erkrankung starke Auswirkungen in Bezug auf das Alltags- und soziale Leben und auf die Beziehungen zu Angehörigen hat [19, 20].

Inanspruchnahme von Psychoonkologie bei Lungenkrebsbetroffenen

In einer multizentrischen Querschnittstudie aus Deutschland mit Überlebenden mit kleinzelligem Lungenkrebs zeigte sich bei 36 % (n = 19) der Befragten eine erhöhte psychische Belastung. Von 49 Teilnehmenden wurde rund der Hälfte psychoonkologische Unterstützung im Krankenhaus angeboten und 17 % (n = 8) haben diese auch genutzt [5]. Eine Studie mit Daten aus zertifizierten Krebszentren in Deutschland konnte herausfinden, dass von 36.165 Krebsbetroffenen rund 37,3 % die Unterstützung durch Psychoonkolog*innen im Krankenhaus in Anspruch nahmen. Bezogen auf Lungenkrebsbetroffene lag die Inanspruchnahme bei 24,5 % und damit unter dem Durchschnitt im Vergleich zu allen Betroffenen [18]. Dies steht in Einklang mit Ergebnissen aus einer Querschnittstudie aus den USA mit insgesamt 313 Patient*innen (davon 103 mit Lungenkrebs), welche zeigen konnte, dass Patient*innen mit Lungenkrebs eine nur halb so hohe Wahrscheinlichkeit aufwiesen, unterstützende und palliativ-pflegerische Maßnahmen in Anspruch zu nehmen, als Betroffene mit anderen Krebsarten [13]. Als mögliche Erklärung für dieses Phänomen geben Kumar und Kolleg*innen an, dass Lungenkrebspatient*innen zum Beispiel im Vergleich zu Betroffenen mit Brustkrebs eine kürzere mittlere Überlebenszeit nach der Diagnose aufweisen. Daraus resultierend bliebe Lungenkrebsbetroffenen insgesamt weniger Zeit, Unterstützungsangebote in Anspruch zu nehmen. Zudem würden sie sich in der verbleibenden Zeit eher für medizinische Behandlungen entscheiden als für zusätzliche Angebote.

Vor dem Hintergrund, dass Menschen mit Lungenkrebs psychisch stärker belastet sind als andere Krebsbetroffene, aber die Inanspruchnahme unterstützender Angebote besonders gering ist, scheint es wichtig herauszufinden, aus welchen individuellen Gründen Lungenkrebsbetroffene Unterstützung ablehnen oder annehmen. Dies könnte dazu beitragen, in der Zukunft die Teilnahmeraten zu erhöhen oder bestehende Angebotsstrukturen an die Bedürfnisse der Betroffenen besser anzupassen.

CoreNAVI – Versorgungsbedarfe von Lungenkrebsbetroffenen

Ziel unserer CoreNAVI-Studie (https://navicare.berlin/de/forschung/corenavi/) war es, Versorgungsbedarfe und erlebte Barrieren in der Versorgung im zeitlichen Verlauf zu erfassen. Dabei wurde auch untersucht, was die Betroffenen während ihrer Erkrankung emotional belastet, sowie nach individuellen Gründen für die Annahme oder Ablehnung des Angebots psychoonkologischer Unterstützung gefragt.

Studiendesign und Methode

Es wurden jeweils drei qualitative Interviews mit 20 Lungenkrebsbetroffenen durchgeführt, jeweils im Abstand von drei bis sechs Monaten. Die Auswahl der Studienteilnehmer*innen erfolgte nach Kriterien wie Alter, Geschlecht, Zeitpunkt der Diagnose, Komorbiditäten etc. Ziel war es, durch eine heterogene Studienpopulation möglichst vielfältige Erfahrungen mit dem Gesundheits- und Versorgungssystem erfassen zu können. Die Baseline-Interviews wurden zwischen Dezember 2017 und April 2019 durchgeführt und das letzte Follow-up-Interview im November 2019 abgeschlossen. Insgesamt wurden 49 Interviews durchgeführt (20 Baseline-Interviews, 16 zum 1. Follow-up-Zeitpunkt und 13 zum 2. Follow-up-Zeitpunkt). Die durchschnittliche Dauer der Interviews lag zwischen 60 und 90 min. Alle Interviews wurden digital aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Bei der Datenauswertung wurde ein deskriptiver qualitativer Ansatz verfolgt [3, 16]. Im ersten Schritt wurde das gesamte Interviewmaterial bezüglich folgender Forschungsfragen und Themenfelder gesichtet und die entsprechenden Textpassagen markiert: Welche emotionalen Herausforderungen und Belastungen erleben die Betroffenen? Wurde den Studienteilnehmer*innen bisher schon einmal Psychoonkologie angeboten? Wurde das Angebot der Psychoonkologie genutzt? Warum wurde das Angebot der Psychoonkologie genutzt/nicht genutzt? Anhand der Forschungsfragen wurden deduktiv die Oberkategorien (emotionale Herausforderungen, Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung und Nichtinanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung) festgelegt. Die Unterkategorien wurden induktiv aus dem Datenmaterial entwickelt und herausgearbeitet. Die Datenauswertung wurde regelmäßig in einem interdisziplinären Team diskutiert.

Ergebnisse

Bei den Studienteilnehmer*innen handelte es sich um acht männliche und zwölf weibliche Lungenkrebsbetroffene im Alter von 44 bis 75 Jahren, die in einer Metropolregion an einem Universitätsklinikum behandelt wurden.

Die folgenden Ergebnisse der qualitativen Analyse werden entsprechend den drei Oberkategorien emotionale Herausforderungen, Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung sowie Nichtinanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung und den dazugehörigen Unterkategorien präsentiert.

Emotionale Herausforderungen

In den Interviews mit den Betroffenen wurden diverse emotionale Herausforderungen sichtbar. Diese bezogen sich auf eine ungewisse Zukunft oder auch auf die Verarbeitung negativer Nachrichten bzw. Untersuchungsergebnisse und damit verbunden eine Verschlechterung des Gesundheitszustands. Zudem fühlten sich manche Betroffene durch die Vielzahl an Behandlungsterminen, die in kurzen Zeitabständen stattfanden, unter Druck gesetzt und beklagten, dass ihnen keine Zeit für sich bliebe.

Ungewissheit und Zukunftsängste.

Als psychisch und emotional belastend empfanden die Interviewpartner*innen die Ungewissheit, mit der sie vor allem zu Beginn der Erkrankung konfrontiert waren. Dabei ging es in der Phase der Diagnosestellung zum einen um die Ungewissheit, ob nun wirklich eine Lungenkrebserkrankung vorlag. Zum anderen setzte sich diese wahrgenommene Unsicherheit auch nach bestätigter Diagnose fort, wenn es beispielsweise um die Prognose in Bezug auf die Lebenserwartung ging.

Ich war eher deswegen angeschossen, weil ich so im Ungewissen war. Was ist hier wirklich jetzt angesagt? Wie lange darf ich denn jetzt noch leben? Und wie lange nicht und überhaupt? Die hat mich umgetrieben, ’ne ganze Zeit lang. Weil, ich hab keine Informationen gekriegt. Ob ich jetzt schon mal langsam ran darf, einen Sarg zu bestellen, oder? Ja? (LK_0211: m, 50–60 Jahre alt, Diagnose 2016)

Auch in Bezug auf das Alltagsleben wurden Ängste und Unsicherheiten in den Interviews sichtbar, mit denen sich die Betroffenen auseinandersetzen mussten. Beispielsweise spielte die Sorge um die Familie eine zentrale Rolle, insbesondere wenn die Patient*innen minderjährige Kinder hatten. Diese Sorgen und Ängste kamen noch zusätzlich zu dem als ohnehin belastend wahrgenommenen „Kampf“ gegen die Erkrankung hinzu.

Man hat seine ganzen Ängste und Nöte, ne? Also was ist, wenn ich es nicht schaffe? Meine Tochter ist sechzehn, ne? Also wie soll der Alltag, wie soll das Leben weitergehen? Also diese Ängste halt eben und dann diese Krankheit. Man muss sich wieder zurückkämpfen, ne? Also dieser Kampf, die Angst und diese Belastung, ne? Und das alles unter einen Hut zu kriegen, also das ist verdammt schwer, ne? (LK_0207: w, 50–60 Jahre alt, Diagnose 2006)

Behandlungs(zeit)druck.

Einige Lungenkrebsbetroffene berichteten, dass sie einen gewissen Zeitdruck bei der Behandlung wahrnahmen, der sie in Stress versetzte. Insbesondere am Anfang der Erkrankung blieb ihnen aus ihrer Sicht nur wenig Zeit, die Diagnose erst einmal zu verarbeiten. Zudem fühlten sich manche Patient*innen aufgrund der progressiven Art der Erkrankung unter Druck gesetzt, immer gleich die nächste mögliche Behandlung wahrzunehmen, weil sie das Gefühl hatten, dass sie sonst aufgäben und dann alles vorbei wäre.

Und dann am 4.1. wurde mir dann sozusagen die Diagnose eröffnet und dann ging das relativ zügig, ne? Also dann wird natürlich, also so habe ich das empfunden, auch erst mal Druck aufgebaut, so Stadium 4, Endstadium, ne? Dann heißt es: So, aber ganz schnell, operieren können wir nicht und eigentlich sofort an die Chemo. Und man braucht aber selber auch erst mal einen Moment, um zu gucken, was los ist, ne? (LK_0216: w, 40–50 Jahre, Diagnose 2011)

Wie gesagt, also, ich kann natürlich immer raus [aus der Behandlung], aber ich weiß natürlich auch, was das Rausgehen bedeutet. Ne, also dann war’s das dann im Prinzip, dann verabschiedet man sich. Das heißt eigentlich, ich muss immer in die nächste Behandlung noch mit rein. Aber das ist ja was, was die Erkrankung halt mit sich bringt. Ist jetzt nicht, was jetzt als Druck von den Ärzten kommt oder so was. (LK_0201: m, 40–50 Jahre alt, Diagnose 2015)

Die Behandlung von Lungenkrebs ist durch eine hohe Komplexität der Versorgung gekennzeichnet. Neben dem Behandlungszeitdruck wurde dementsprechend auch die Behandlungsdichte und Vielzahl an Therapieterminen als sehr belastend und anstrengend von den Betroffenen empfunden. Dadurch blieb ihnen aus ihrer Sicht kaum Zeit, sich um die eigenen Bedürfnisse und die aktuelle Situation Gedanken machen zu können.

Früher hatte ich jeden Tag fünf Arzttermine, ja? Ich bin um acht hier aus dem Haus und gegen 19 Uhr war ich zurück. Das ist unglaublich, ja? Alle möglichen Ärzte und jeden Tag. Ich hatte keine Pause, keine Zeit für mich. Es war unmöglich. (LK_0214: m, 60–70 Jahre alt, Diagnose 2015)

Schlechte Nachrichten.

Wenn sich nicht der erhoffte Behandlungserfolg einstellte oder bei Untersuchungen eine Verschlechterung des Gesundheitszustands festgestellt wurde, bedeuteten solche schlechten Nachrichten eine besonders psychisch belastende Situation für die Betroffenen.

Also, ich hatte dann in dem CT im Dezember ’ne Größenzunahme der Metastase in der linken Nebenniere. Die musste bestrahlt werden. Und das war schon ein Einschnitt für mich, weil dieser unbegrenzte Optimismus, den ich bis dahin hatte, natürlich ’nen Dämpfer bekommen hat, also ’n CT-Befund, der eben nicht nur positiv war, sondern mit ’ner Verschlechterung der Situation in der Nebenniere. Und ja, das verändert schon die Perspektive. (LK_0208: w, 60–70 Jahre alt, Diagnose 2017)

Und dann hatte ich im Januar das erste Kontroll-CT und ich hab nicht damit gerechnet, dass man im ersten CT was findet. Das hat schon ganz schön reingeschlagen. Das war auch der Zeitpunkt, wo ich zur Psychoonkologie gegangen bin. (LK_0201: m, 40–50 Jahre alt, Diagnose 2015)

Inanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung

In unserer Interviewstudie gaben 18 von 20 Teilnehmer*innen an, dass ihnen Unterstützung durch Psychoonkologie aktiv angeboten wurde. Einige der Lungenkrebsbetroffenen nutzten die Unterstützung der Psychoonkologie, um mit den psychischen und emotionalen Herausforderungen besser umgehen zu können.

Offenes Sprechen und konkrete Ratschläge.

Den Nutzen des psychoonkologischen Angebots sahen diese Patient*innen zum einen darin, dass sie dort über ihre Ängste und Belastungen ganz offen sprechen konnten, verbunden mit dem Vorteil, das persönliche Umfeld nicht belasten zu müssen. Zum anderen wurde wertgeschätzt, dass sie in den Gesprächen mit den Psychoonkolog*innen konkrete Ratschläge für ihre Bedürfnisse und ihre individuelle Situation erhielten.

Und das war der große Vorteil bei der Psychoonkologie. Ich geh’ da hin und kann den ganzen Dreck erst mal rauslassen. Ungefiltert. … Und das ist natürlich der Vorteil da, dass man das so darstellen kann, wie das ist, und man auch sagen kann, wie beschissen man sich fühlt oder so, was man dann bei den anderen vielleicht auch nicht so macht, ne. Und dass man sich natürlich Anregungen holt. Also das war schon sehr hilfreich. (LK_0201: m, 40–50 Jahre alt, Diagnose 2015)

Gut, dass Sie drauf kommen. Einmal, da hatte ich nachts so richtige Angst- und Panikattacken, die ich mir nicht erklären konnte. Und da hab ich ’ne Psychologin in Anspruch genommen und die hab ich zweimal in der Zeit gehabt. Und die hat mir Dinge erzählt, auf die ich gar nicht gekommen wäre. Also das war wirklich sehr hilfreich. (LK_0212: w, 50–60 Jahre alt, Diagnose 2013)

Nichtinanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung

Nicht alle Betroffenen nahmen das Angebot der Psychoonkologie wahr. Einerseits äußerten sie in den Interviews, dass sie keinen Bedarf an Unterstützung hatten. Andererseits wurde bei Betroffenen eine ablehnende Haltung gegenüber psychologischer Hilfe sichtbar.

Kein Bedarf an Unterstützung.

Einige Interviewpartner*innen berichteten, dass aus ihrer Perspektive kein Bedarf bestand, weil sie von sich selbst sagten, dass sie sich gut fühlten oder durch andere Ressourcen (z. B. persönliches Umfeld) gut versorgt waren, oder weil sie es allein schaffen wollten und keine Hilfe in Anspruch nehmen möchten.

Nee. Hab’ ich auch nicht gebraucht. Sicherlich hatte ich auch mal ’n schlechten Tag, aber nicht so. Ich bin ja immer der festen Überzeugung, alles wird gut, ja? Ich sag’ mal, von der Psyche geht es mir wirklich gut. Ich hab’ ja auch keine Probleme. Weder in der Familie noch auf Arbeit oder irgendwie. Es läuft ja alles. (LK_0202: w, 50–60 Jahre alt, Diagnose 2017)

Also bei der Reha wurde ich gefragt, ob ich Termine haben möchte bei der Psychologin. Aber ich hatte das Gefühl, ich brauch es nicht. Also ich hatte das Gefühl, ich hab so viel Unterstützung aus allen Ecken, dass es mir leidgetan hätte, die Zeit jemand andern wegzunehmen. (LK_0215: w, 60–70 Jahre alt, Diagnose 2016)

Aber ich bin eigentlich auch nicht derjenige, der irgendwo jetzt da ein psychologisches Gespräch braucht. Ich bin eigentlich immer derjenige gewesen, der alleine alles stemmt, ja? Also ich hab nie Hilfe gehabt. Das bin ich gewohnt, letztendlich. (LK_0211: m, 50–60 Jahre alt, Diagnose 2016)

Ablehnende Haltung.

Ein weiterer Grund für die Nichtinanspruchnahme psychoonkologischer Unterstützung lag in einer ablehnenden Haltung bzw. in Vorbehalten gegenüber psychologischer Hilfe, die in den Interviews deutlich wurden.

Und dann die Psycho-Tante, die war auch da. Aber ich bin da guter Hoffnung. Das hat sie auch gemerkt. Brauch’ ich nicht. (LK_0204: w, 50–60 Jahre alt, Diagnose 2017)

Psychoonkologie? Nee, also ich wüsste jetzt wirklich nicht, warum. Also, ich hab nichts mit Depressionen oder so. Die könnten mir das einreden. Also, ich hab ’ne Bekannte, die hat ihren persönlichen Psychomenschen. Seitdem kenn ich die Frau nicht wieder, ne? Also, was die, aber egal. Und da will ich mich nicht reinbegeben. (LK_0218: m, 60–70 Jahre alt, Diagnose 2019)

Nichtinanspruchnahme trotz Notwendigkeit.

In den Interviews mit den Betroffenen wurde auch deutlich, dass das Angebot der Unterstützung durch Psychoonkolog*innen aus diversen Gründen nicht wahrgenommen wurde, obwohl es aus Sicht der Befragten notwendig gewesen wäre. Ein Patient berichtete, dass er durch die Erkrankung körperlich so geschwächt und eingeschränkt war, dass er gar nicht in der Lage gewesen wäre, zur Psychoonkologie zu gehen. Zudem war ihm in dieser Situation die Behandlung dieser körperlichen Beschwerden und der Therapienebenwirkungen wichtiger als die psychologische Unterstützung. Eine andere Betroffene berichtete, dass es im ambulanten Versorgungsbereich für sie sehr schwierig war, kurzfristig Therapeut*innen zu finden, obwohl sie sehr intensiv gesucht hatte.

Es gab andere, wichtigere Dinge. Ich konnte meine Arme nicht bewegen. Ich konnte nicht sehen. Und solche Sachen, das waren schon schlimme Sachen. Dann auch diese Nebenwirkungen und so weiter. Also Psychologen, daran habe ich nicht mal gedacht. Es kam nicht infrage. Alles andere war so wichtig, Psychologe war so Luxusgeschenk. Aber gut wäre es, das glaube ich schon. Also eine Notwendigkeit besteht schon, aber andere Dinge sind notwendiger. (LK_0214: m, 60–70 Jahre alt, Diagnose 2015)

Diskussion

Die Ergebnisse unserer qualitativen Interviewstudie geben Aufschluss darüber, aus welchen Gründen Lungenkrebsbetroffene das Angebot psychoonkologischer Unterstützung in Anspruch nehmen oder ablehnen. Insgesamt betrachtet spiegelt unsere Untersuchung ähnliche Gründe für die (Nicht‑)Inanspruchnahme von psychoonkologischer Hilfe wider wie eine Mixed-methods-Studie aus der Schweiz von Tondorf et al. (2018; [23]): Psychoonkolog*innen werden als Expert*innen angesehen, die Ratschläge geben können und Unterstützung bei der Selbsthilfe sowie Information und Beratung anbieten. Als Gründe für die Nichtinanspruchnahme wird neben dem Vorhandensein von psychischem Wohlbefinden und Selbstmanagement vor allem die soziale Unterstützung durch das persönliche Umfeld genannt. Dies deckt sich auch mit einer Studie von Weis et al. (2018), in der 63,7 % der Befragten angaben, ausreichend durch Familie und Freunde versorgt zu sein [26].

Unsere Interviews zeigen, dass einige Betroffene für sich keinen subjektiven Bedarf sehen, weil sie z. B. auf eigene Ressourcen zurückgreifen können und daher psychoonkologische Unterstützung aus ihrer Sicht nicht brauchen. Diese Erklärung für die Nichtinanspruchnahme steht in Einklang mit Ergebnissen aus einer qualitativen Studie, in der Interviews mit psychisch belasteten männlichen Krebspatienten und Angehörigen zu Barrieren der Inanspruchnahme ambulanter Krebsberatungsstellen durchgeführt wurden [1]. In Bezug auf die Nichtinanspruchnahme zeigt sich in unseren Interviews noch eine weitere Erklärung: Es werden Vorbehalte gegenüber psychologischer Hilfe bei einigen Betroffenen sichtbar. In einer Untersuchung aus Deutschland von Steven et al. (2019) berichteten auch Ärzt*innen, dass sie, wenn sie Unterstützung durch Psychoonkolog*innen empfehlen, oftmals mit einer ablehnenden Haltung seitens der Patient*innen konfrontiert sind [22]. Dass eine positive Einstellung gegenüber psychologischer Unterstützung einen signifikanten Effekt auf die Inanspruchnahme hat, konnte eine Studie von Faller et al. (2017) zeigen [6]. Dementsprechend wäre es in der Versorgungspraxis wichtig, Vorbehalte bei den Patient*innen abzubauen, z. B. durch Schulung nichtpsychologischen Personals, welches psychoonkologische Angebote vermittelt, oder durch entsprechende schriftliche Materialien zur Aufklärung über dieses Versorgungsangebot. In unserer qualitativen Studie zeigte sich eine große Zufriedenheit unter denjenigen Befragten, die das Angebot der Psychoonkologie in Anspruch genommen haben. Insbesondere die Möglichkeit des freien Sprechens über die Belastungen und der Erhalt konkreter Ratschläge wurden als besonders hilfreich wahrgenommen.

Unsere Ergebnisse zeigen auch, dass Lungenkrebsbetroffene vielfältige emotionale Herausforderungen erleben. Insbesondere die genannten Unsicherheiten und Zukunftsängste sowie auch der Erhalt schlechter Nachrichten und die allmähliche Verschlechterung des Gesundheitszustands stehen dabei in Einklang mit anderen Studienergebnissen [2, 7, 12, 19, 21]. Es wird aber auch noch eine weitere Facette des erlebten Stresses in den Interviews deutlich, die bisher wenig in der Literatur diskutiert wurde: Der Behandlungs(zeit)druck, d. h., möglichst schnell mit der Behandlung zu beginnen nach Diagnosestellung oder schnell von einer Therapie in die nächste gehen zu müssen, löst bei den Betroffenen ein Gefühl von Druck aus und wird als psychisch belastend empfunden. Zusätzlich haben die Befragten eine Vielzahl notwendiger Therapien und Untersuchungen zu absolvieren, was sie ebenfalls als körperlich und psychisch anstrengend wahrnehmen. Insgesamt betrachtet könnte dies einen Hinweis darauf geben, warum speziell bei Lungenkrebsbetroffenen die Inanspruchnahme von psychoonkologischer Unterstützung geringer ausfällt als bei Betroffenen mit anderen Krebsarten, obwohl die psychische Belastung besonders hoch ist. Unsere Interviews zeigen, dass bei einigen Betroffenen schlichtweg keine Kapazitäten vorhanden zu sein scheinen, um Unterstützung (zusätzlich zur rein medizinischen Behandlung der Erkrankung und Nebenwirkungen) wahrnehmen zu können. Für die Versorgungspraxis ergibt sich daraus die Frage, wie es dennoch gelingen könnte, dass Betroffene mit Bedarf die Möglichkeit bekommen, das Angebot psychoonkologischer Unterstützung in Anspruch nehmen zu können.

Fazit für die Praxis

  • Neben vielfältigen Zukunftsängsten und Unsicherheiten in Bezug auf den Verlauf der Erkrankung erleben die Betroffenen auch Behandlungs(zeit)druck als psychische Belastung.

  • Dieser Behandlungs(zeit)druck kann dazu führen, dass Betroffene aus ihrer Sicht keine Kapazitäten für das Angebot psychoonkologischer Unterstützung haben.

  • Als weitere Gründe für die Nichtinanspruchnahme werden soziale Unterstützung durch das persönliche Umfeld und das subjektiv eingeschätzte Vorhandensein von psychischem Wohlbefinden genannt sowie die Absicht, es allein schaffen zu wollen.

  • Es wurden Vorbehalte gegenüber psychoonkologischer Hilfe in den Interviews sichtbar, die in der Versorgungspraxis abgebaut werden sollten.

  • Nutzer*innen von psychoonkologischer Unterstützung schätzen vor allem die Möglichkeit, dort offen über Ängste und Sorgen sprechen zu können, ohne das private Umfeld belasten zu müssen, sowie konkrete Hilfestellungen zu erhalten.