Verbesserungen der Krebstherapien und ein Ausbau der Gesundheitssysteme allein werden nicht ausreichen, um die Anzahl der Krebsneuerkrankungen spürbar zu drosseln und die Krebstodesfälle zu reduzieren. Eine starke Präventionsforschung und deren schneller Ergebnistransfer sind notwendig, um kosteneffiziente und wirksame Präventionsangebote zu entwickeln, die sich an die ganze Bevölkerung richten. Das Deutsche Krebsforschungszentrum und die Deutsche Krebshilfe haben im Rahmen einer strategischen Partnerschaft den Aufbau des „Nationalen Krebspräventionszentrums“ verabredet, um bestehende strukturelle Schwächen der Krebsprävention gezielt anzugehen.

Krebsprävention in Deutschland

Im Gesundheitssystem Deutschlands kommt der Krebsprävention, wie der Prävention von Krankheiten insgesamt, eine unangemessen geringe Rolle zu. Auch die Krebsforschung setzt heute, sowohl im grundlagenwissenschaftlichen als auch im translationalen und Anwendungsbereich, noch einen eindeutigen Schwerpunkt auf die Therapie. Dies ist u. a. dadurch bedingt, dass – mit Ausnahme onkologischer Forschungszentren – die meisten Krebsforscher in akademischen Krankenhäusern tätig sind und hier die kurative Therapie naturgemäß die zentrale Versorgungsaufgabe darstellt. Die Verhinderung oder Früherkennung von Krankheiten wird vorrangig von forschungsferneren Akteuren des Gesundheitssystems durchgeführt, insbesondere durch Hausärzte, niedergelassene Fachärzte, Betriebsärzte und den öffentlichen Gesundheitsdienst. Weitere Präventionsmaßnahmen befinden sich außerhalb des Gesundheitssystems, z. B. im edukatorischen und politischen Bereich. Auch die pharmazeutische Industrie investiert und generiert ihre Gewinne v. a. auf dem Gebiet der onkologisch-medikamentösen Verfahren, die zwar zunehmend personalisiert sind, jedoch nach wie vor überwiegend für die Therapie entwickelt werden. Ähnlich sieht die Situation in der Medizingeräteindustrie aus. Die meisten Entwicklungen werden für die klinische Anwendung vorangetrieben, allerdings beobachtet man hier auch substanzielle Anstrengungen, um innovative Beiträge zur Früherkennung zu leisten, z. B. in der Endoskopie oder bei bildgebenden Methoden. Zusätzlich nehmen Entwicklungen von molekularen oder digitalen Biomarkern für die Frühdetektion und die Erforschung effektiver präventiver Interventionen (z. B. Impfungen und andere potenzielle Medikamente zur Primärprävention) derzeit nur einen geringen Anteil der akademischen und industriellen Krebsforschung ein.

Obwohl das Verständnis über die Zusammenhänge der Krebsentstehung und -prävention in den vergangenen Jahren in der Wissenschaft zugenommen hat, fehlt nach wie vor ein vollständiges Verständnis vieler molekularer, zellulärer, genetischer, gewebstypischer und systemischer Zusammenhänge. So ist der „point of no return“, d. h. die zelluläre Situation, ab welcher mit einer spezifischen genetischen und zellulären Schalterkonstellation eine onkologische Entwicklung unumkehrbar ist, ebenso wenig ausgemacht wie die Ursachen eines parallelen Versagens des Immunsystems, das normalerweise die entarteten Zellen eliminiert. Dies bedeutet u. a., dass es oftmals keine klare Trennlinie zwischen primärpräventivem Agieren und der Früherkennung (Sekundärprävention) gibt. Eine bestmögliche onkologische Präventionsstrategie, die sowohl den Bereich der Primärprävention als auch der Sekundärprävention umfasst, erfordert jedoch unterschiedliche strategische Vorgehensweisen.

Ergänzend zu den Defiziten in der Krebspräventionsforschung und einem Mangel an Wissenschaftlern auf diesem Gebiet bestehen derzeit in Deutschland auch erhebliche Lücken bezüglich einer auf eine effektive angewandte Präventionsstrategie ausgerichteten Versorgungsinfrastruktur und in der angewandten Prävention tätigen Experten.

Etwa 40 % der onkologischen Neuerkrankungen wären durch primärpräventive Maßnahmen vermeidbar

Weltweit gesehen wird für das Jahr 2040 mit nahezu einer Verdopplung der Krebsneuerkrankungen auf etwa 30 Mio. Menschen pro Jahr gerechnet [8]. Viele Gesundheitssysteme werden durch diese Zunahme vor kaum zu bewältigende Herausforderungen gestellt. In Deutschland erkrankten im Jahr 2020 nach aktuellen Schätzungen 510.000 Menschen neu an Krebs [6]. Experten rechnen mit einem weiteren Anstieg der Krebsneuerkrankungen auf 600.000 im Jahr 2030, das entspricht einer Zunahme um 20 % in 10 Jahren [7]. Dabei wären in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern mit hohem Einkommen, etwa 40 % der derzeitigen onkologischen Neuerkrankungen allein durch primärpräventive Maßnahmen, vorrangig durch Lebensstiländerungen in der Bevölkerung, vermeidbar [1, 3,4,5]. Laut Schätzungen im europäischen Raum wäre über den gesamten translationalen Ansatz von Krebsforschung und onkologischer Versorgung einschließlich Ansätzen der Prävention ein krebsspezifisches 10-Jahres-Überleben von etwa 75 % im Jahr 2030 zu erreichen [2]. Ein grundlegender Gedanke von Public-Health-Maßnahmen ist, dieses enorme Potenzial systematisch zu erschließen und durch Prävention sowohl auf die Krebsmortalität als auch auf die Morbidität mit ihren negativen Auswirkungen für die Lebensqualität und die gesellschaftliche Teilhabe aktiv Einfluss zu nehmen.

Primärprävention

Onkologische Primärprävention zielt auf die Vermeidung einer exogen oder endogen induzierten Krebsentwicklung ab. Hierzu muss der Einfluss onkogener Noxen wie Tabak, Alkohol, chemischer Stoffe aus dem Berufsumfeld, physikalischer Noxen wie z. B. UV- und Radonstrahlung oder auch inflammatorischer Prozesse bzw. auf das Genom wirkender Infektionen gemindert werden. Genetische und epigenetische Faktoren können im Zusammenspiel mit externen Noxen sowie als unabhängiger Parameter das individuelle Krebsrisiko beeinflussen.

Eine Intervention kann auf verschiedenen Ebenen erfolgen: bereits auf der molekularen und zellulären Ebene durch Impfungen und andere neue Ansätze in der Präventionstherapie oder, solange diese Prozesse noch unklar sind, auf der Verhaltens- und Verhältnispräventionsebene. Zur Schadenspotenzialminderung auf Verhaltenspräventionsebene tragen beispielsweise gesunde Ernährung, Bewegung oder Nichtrauchen bei.

Um Zugang in verschiedene Lebenswelten zu generieren, sind angepasste Kommunikationsansätze notwendig

Programme und Kampagnen, die auf die verschiedenen Risikofaktoren (Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel, Übergewicht, ungesunde Ernährung, UV, Radon, Hormonersatztherapie) und Gesundheitschancen (Früherkennung, Stillen, HPV- und Hepatitisimpfung) hinweisen oder einwirken, werden bisher mit unterschiedlichem Erfolg entwickelt und angeboten. Aufgrund oftmals fehlender strategischer Ausrichtung von Programmen und Kampagnen ohne Zielgruppenspezifität sind Verhaltensänderungen, die einen hohen Aufwand bzw. ein langfristiges hohes Engagement von jedem Einzelnen erfordern, nur eingeschränkt erreichbar. Auch um den Zugang in die verschiedenen Lebenswelten zu generieren, sind speziell angepasste Kommunikationsansätze notwendig. Verhältnisprävention ist häufig nur auf Basis von regulatorischen Maßnahmen erreichbar.

Eine besondere Herausforderung in der Optimierung der Primärprävention ist die lange Latenzzeit zwischen der initialen Induktion der Vorstufe und der klinischen Manifestation einer Krebserkrankung, bei der oftmals Jahrzehnte vergehen. Populationsbasierte Effekte sind daher nur mit großer Verzögerung nachweisbar. Transparente Kommunikation dieser Problematik im gesundheitspolitischen Diskurs ist notwendig, damit präventive Maßnahmen nicht nach kurzer Zeit als nicht effektiv abgetan werden. Für den einzelnen Bürger muss darüber hinaus umgekehrt klargestellt werden, dass das individuelle Risiko, später an Krebs zu erkranken, mit der Umsetzung einer präventiven Strategie bereits zu sinken beginnt, selbst wenn dies populationsbasiert noch nicht nachweisbar ist. Insgesamt bleibt aber festzuhalten, dass sowohl ein langer Atem als auch Investitionen in die Erforschung valider Surrogate für spätere Effekte ein wesentlicher Bestandteil einer wirksamen Primärpräventionsstrategie von Krebserkrankungen sind.

Sekundärprävention

Die Heilungschancen von Krebserkrankungen im Frühstadium sind mit den heute bereits verfügbaren Methoden in vielen Fällen sehr hoch (z. B. endoskopische Entfernung von Darmkrebs im Frühstadium, chirurgische Entfernung oder Strahlentherapie von Lungenkrebs im Frühstadium, chirurgische Entfernung von Brust- oder Hautkrebs). Die Erforschung neuer molekularbiologischer, sensorischer, bildgebender und informationswissenschaftlicher Technologien eröffnet ein großes Potenzial für eine erweiterte Früherkennung, sodass hierdurch die Zahl der in frühen Stadien erkannten und damit besser therapierbaren Fälle erheblich angehoben werden kann.

Mit heute schon etablierten Früherkennungsmaßnahmen werden gewählte gesellschaftliche Gruppen, z. B. die der spezifischen Lebenswelten, die jeweiligen Alters-, kulturellen und sozialen Gruppen, über die gesetzlichen Einladungsverfahren bislang zu wenig erreicht, und das Verständnis für Screeningprogramme in der Bevölkerung ist derzeit noch zu gering. Voraussetzung für einen messbaren Erfolg eines Angebots in der Bevölkerung ist jedoch, dass die angebotenen Präventionsmaßnahmen die verschiedenen Bevölkerungsgruppen auch wirklich erreichen. Auch bereits seit Längerem bestehende, gesetzliche Screeningprogramme mit (Brust‑, Darm‑, Gebärmutterhalskrebs) oder Programme ohne Einladungsverfahren (Hautkrebs) werden nach wie vor nicht ausreichend wahrgenommen. Um dies zu verbessern, sind sowohl weitere Forschungsaktivitäten, z. B. im Bereich der zielgruppenspezifischen Angebotsgestaltung und der Risikokommunikation, als auch eine effektivere Umsetzung bereits bekannter Optimierungsstrategien, z. B. durch evidenzbasierte Politikberatung und gemeinsame Initiativen mit medizinischen Fachgesellschaften und Kostenträgern, notwendig.

Gesetzliche Screeningprogramme werden nach wie vor nicht ausreichend wahrgenommen

Im Vergleich zur Primärprävention sind erfolgreiche Maßnahmen der Sekundärprävention in Studien oftmals schneller nachweisbar, da eine Vielzahl geeigneter Surrogatparameter, wie das Tumorstadium bei Diagnose, zur Verfügung stehen. Dennoch gilt auch hier, dass im Vergleich zu klinisch-therapeutischen Studien häufig relativ lange Nachbeobachtungszeiten notwendig sind, bis sog. harte Ergebnisse, wie die Morbidität und Mortalität, oder gar Effekte in populationsbasierten Statistiken vorliegen.

Tertiärprävention

Präventionsansätze, die für die Primär- und Sekundärprävention gelten, kommen auch im Bereich der Tertiärprävention zum Tragen. Zusätzlich allerdings ist es notwendig, die körperlichen, psychischen und sozialen Nachwirkungen der Primärerkrankung bzw. der vorangegangenen Therapie zu berücksichtigen. Maßgeschneiderte Angebote für die spezifischen Zielgruppen zu entwickeln, ist in der Tertiärprävention eine besondere Herausforderung.

Evidenzbasierte Versorgungsstrukturen für eine langfristige Versorgung einer zunehmend großen Zahl von Krebsüberlebenden („cancer survivors“) gibt es kaum. In der Regel stehen nur rehabilitative Ansätze für die Reintegration in den Arbeits- und Lebensalltag kurz nach Abschluss einer Therapie zur Verfügung. Auch hochwertige Grundlagen- und Translationsforschung zu Langzeitnebenwirkungen und Möglichkeiten zu deren Vermeidung fehlen weitgehend.

Onkologische Präventionsstrategie

Neben der Grundlagenforschung, die beispielsweise auf eine weitere Erkennung von potenziellen Krebsrisiken und Interventionen in diese Abläufe abzielt oder moderne Technologien für die Früherkennung entwickelt, mangelt es an translationalen Ansätzen, an Interventions- und Implementierungsstudien, die die einzelnen oder auch gruppierte Verhaltensweisen oder auch die Verhältnisprävention adressieren, um die jeweilige Wirksamkeit bezüglich Inzidenz- und Morbiditätssenkung auszumachen.

Es fehlt sowohl an Erkenntnissen, um die effizientesten Strategien zur Zielgruppenerreichung zu entwickeln, als auch an entsprechenden langfristigen Förderprogrammen für eine Verstetigung derselben. Die Entwicklung von Screeningprogrammen für kleinere Bevölkerungsgruppen mit spezifischen Tumorerkrankungen oder speziellen Risikokonstellationen steht weitestgehend aus, da die entsprechende Forschung zur Risikoadaptation oder deren Implementierung noch fehlt. Dabei sind die positiven Effekte eines risikoadaptierten Screenings in Gruppen anhand der individuellen Erhebung krebsbegünstigender oder hemmender Faktoren besonders groß. Dies ist die Grundlage der Entwicklung einer personalisierten Prävention, die analog zur personalisierten Therapie zunehmenden wissenschaftlichen und praktischen Einfluss erlangen sollte.

Um die Wirksamkeit der angebotenen Programme zu erhöhen, benötigt es angepasste, von einer wissenschaftlichen Evaluation begleitete Implementierungs- und Kommunikationsstrategien und entsprechende Kampagnen.

Epidemiologische Erhebungen sowie deren Rückkopplung wieder in die Forschung hinein verlaufen häufig unstrukturiert und nicht durchgängig. Nach wie vor sind die vorhandenen Gesundheitsversorgungsstrukturen nicht für die Etablierung einer evidenzbasierten, multidisziplinären und translationalen onkologischen Präventionsstrategie aufgestellt (Abb. 1). Neben den Zielgrößen der Inzidenz- und Morbiditätssenkung sind auch Metafaktoren wie Qualität und Implementierungsgeschwindigkeit daher momentan nicht ausreichend gezielt entwickelbar.

Abb. 1
figure 1

Krebspräventionsstrategie Deutschland – Entwicklungskonzept QoL Lebensqualität [„quality of life“] (Quelle: Vortrag zu Präventionsstrategie in Deutschland, U. Helbig, 2019)

Ein gesetzlicher Rahmen zur Daten- und Biomaterialasservierung über weite Zeiträume ist die Grundlage

Um die Wirksamkeit von Primär- und Sekundärpräventionsmaßnahmen auf Bevölkerungsbasis nachzuweisen und bewerten zu können, muss eine Messbarkeit langer Zeitspannen möglich sein. Entsprechend ist ein gesetzlicher Rahmen zur Daten- und ggf. Biomaterialasservierung über weite Zeiträume hinweg Grundlage dafür, dass entsprechende Analysen zukünftig zielführend, d. h. mit notwendiger Qualität und Aussagekraft, durchgeführt werden können.

Das Nationale Krebspräventionszentrum

Mit der Gründung des Nationalen Krebspräventionszentrums etablieren die Deutsche Krebshilfe und das Deutsche Krebsforschungszentrum seit Herbst 2019 eine modellhafte Piloteinrichtung für Krebsprävention. Mit dem Aufbau dieser international sichtbaren, umfassenden und hochkompetitiven Pioniereinrichtung am Campus des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg werden hochrangige Präventionsforschung, Aus- und Weiterbildung sowie Öffentlichkeitsarbeit und Politikberatung direkt unter einem Dach vereint und über Outreach-Programme und Netzwerkbildung flächendeckend implementiert.

Das Zentrum verfolgt eine translationale Strategie von der Grundlagenforschung, über die bürgerorientierte Forschung in Partnerschaft mit gesunden Bürgern und Patienten bis hin zur Implementierungs- und populationsbasierten Ergebnisforschung neuer, evidenzbasierter Präventionsmethoden. Im Sinne eines Comprehensive Prevention Center werden im Rahmen von interdisziplinären Krebspräventionsboards, in denen angelehnt an die Tumorboards der Comprehensive Cancer Centers Grundlagenforscher, angewandte Präventionsforscher, Präventionsmediziner, Policy-Spezialisten und Epidemiologen zusammenkommen, neue Entdeckungen, z. B. zur Tumorigenese, ausgetauscht und im Hinblick auf innovative Früherkennungs- und Interventionsmaßnahmen diskutiert. Auch werden bislang nicht ausreichend wissenschaftlich adressierte Beobachtungen aus den Beratungen von Bürgern und Erkenntnisse aus den Präventionsstudien im Hinblick auf grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen und reverse Translationsforschungsprojekte diskutiert. Epidemiologischer Sachverstand und Modellierungen in den Boards tragen zur abgesicherten Hypothesenbildung und Priorisierung von Forschungsprojekten bei. Psychologische, kommunikations- und sozialwissenschaftliche Expertise ist für das Design effektiver Studien und Interventionen unerlässlich. Durch die Präventionsboards wird ein derzeitiges Defizit der translationalen Präventionsforschung – das „valley of death“ – zwischen Grundlagenforschung und angewandter bürgerorientierter Präventionsforschung – adressiert.

Die Präventionsambulanz als Anlaufstelle für ratsuchende Bürger

Für ratsuchende Bürger, die eine umfassende qualitätsgesicherte Beratung zum Thema Krebsprävention und ggf. zukunftsweisende Studienangebote suchen, fehlen in Deutschland bislang zentrale Einrichtungen.

Als Teil des Nationalen Krebspräventionszentrums wird erstmals eine beispielhafte Präventionsambulanz etabliert, die als hochmoderne Anlaufstelle für Informations- und Hilfesuchende und gleichzeitig als bürgerorientierte Forschungsambulanz dient. Neben der Weiterentwicklung der Gesundheitskompetenz („health literacy“) der Bürger durch allgemeine Informationsmöglichkeiten sowie edukativ-beratende Angebote werden Bürgern auf Basis des persönlichen Risikos individuelle Präventionsempfehlungen ausgesprochen und deren Umsetzung durch begleitende Forschungsprogramme langfristig evaluiert. Außerdem bietet die Forschungsambulanz Zugang zu innovativen Präventionsstudien, die durch Wissenschaftler des Nationalen Krebspräventionszentrums oder von Partnern angeboten werden. Damit wird eine Piloteinrichtung geschaffen, in der Präventionsexperten und -wissenschaftler gemeinsam mit Bürgern systematisch innovative Technologien (z. B. „breath biopsies“), neue Biomarker oder Konzepte der Primär- und Sekundärprävention entwickeln und innerhalb von Studien testen. Hierzu werden mithilfe digitaler Erfassungssysteme anamnestische Parameter und medizinische Basisparameter aufgenommen. Außerdem werden in spezifischen Interventionslaboratorien beispielsweise Ernährungs- und Bewegungsangebote, Maßnahmen zur Verhaltensmodifikation wie auch innovative Methoden der Krebsfrüherkennung etabliert und mit biologischen Laboratorien zur umfassenden Sammlung von (epi)genetischen, metabolischen, inflammatorischen, mikrobiotischen oder infektiologischen Profilen zusammengeführt.

Im Sinne eines lernenden Systems entsteht eine breite Datenbasis für die Präventionsforschung

Wenn möglich, werden diese Studien unter Einbeziehung bereits bestehender Strukturen des Gesundheitswesens, z. B. Arztpraxen, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und Betriebe, geplant und umgesetzt. Durch die erhobenen Daten und Materialien entsteht im Sinne eines lernenden Systems eine zunehmend breite und tiefe Datenbasis für die Präventionsforschung, die in kontinuierlich verbesserte personalisierte Präventionsstrategien und Programme umgesetzt wird.

Gestaltung eines flächendeckenden Outreach-Programms

Das Ziel effektiver Krebspräventionsforschung muss sein, evidenzbasierte Angebote nachhaltig in die Fläche zu tragen und dabei Partner optimal einzubeziehen. Eine wesentliche Aufgabe des Nationalen Krebspräventionszentrums wird daher darin bestehen, über Outreach-Plattformen die Teilnahme an Studien deutschlandweit an einer Vielzahl unterschiedlichster Partnereinrichtungen zu ermöglichen. Nur so können multizentrische große Präventionsstudien in Deutschland aufgebaut und die nötige Datenbasis geschaffen werden, um die Wirksamkeit der entwickelten Konzepte nachhaltig zu überprüfen und gesundheitsökonomisch zu evaluieren. Eine weitere langfristig angelegte Aufgabe des Outreach-Programms wird darin liegen, Partnereinrichtungen auf Basis der durchgeführten Studien evidenzbasierte Programme zur Verfügung zu stellen und diese bei deren Implementierung zu unterstützen. Ziel ist, dass eine möglichst große Zahl von Bürgern unabhängig von Wohnort und soziodemografischen Faktoren Zugang zu modernen Angeboten der Krebsprävention erhält und in den kommenden Jahrzehnten durch qualitätsgesicherte Präventionsangebote und deren gesteigerte Inanspruchnahme ein zunehmend höherer Anteil an Krebserkrankungen verhindert oder frühzeitig erkannt werden kann.

Beispielsweise werden die bereits in Deutschland etablierten Netzwerkstrukturen mit den durch die Deutsche Krebshilfe akkreditierten Comprehensive Cancer Centers (CCC) sowie mit den mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) verknüpften Standorten des Nationalen Centrums für Tumorerkrankungen (NCT) und dem Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) von entscheidender Bedeutung sein, um ein leistungsstarkes Forschungsnetzwerk der Krebsprävention in Deutschland zu initiieren, das durch zusätzliche Partner weiter ausgedehnt werden kann. Dazu gehören auch Partner außerhalb von Krebszentren, wie Hausärzte, im Bereich der Krebsfrüherkennung tätige niedergelassene oder an Krankenhäusern tätige Arztgruppen, die öffentlichen Gesundheitsdienste, betriebsärztliche Dienste, Krankenkassen, Einrichtungen aus dem Bildungsbereich (z. B. Kitas und Schulen), Betriebe, Mensen und Restaurants, Vereine, Medien sowie politisch Verantwortliche. Sie sind entscheidend, um qualitätsgeprüfte Präventionsprogramme deutschlandweit zu verbreiten. Daher wird das Outreach-Programm zu diesen wichtigen Partnern Verbindungen aufbauen und gemeinsame Angebote entwickeln.

Viele sog. Zivilisationskrankheiten haben gemeinsame oder zumindest überlappende Ursachen

Im Auge behalten werden muss auch, dass viele sog. Zivilisationskrankheiten gemeinsame oder zumindest überlappende Ursachen haben. Sehr gut dokumentiert ist dies z. B. für Adipositas, die sowohl das Risiko von Krebserkrankungen als auch von Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, muskuloskeletalen und möglicherweise neurodegenerativen Erkrankungen erhöht. Das Nationale Krebspräventionszentrum wird daher zum einen den Schulterschluss mit Einrichtungen, die die Entstehung und Präventionsmöglichkeiten dieser Erkrankungen erforschen, suchen und zum anderen Möglichkeiten explorieren, perspektivisch im Outreach über verschiedene Netzwerke hinweg leistungsstarke Synergien für krankheitsübergreifende Präventionsangebote für die breite Bevölkerung zu schaffen.

Innovative Aus- und Weiterbildung

Mit einem gezielten, aktuellen Förderprogramm einer Cancer Prevention Graduate School für die Aus- und Weiterbildung von dringend benötigten Experten in der Präventionsforschung schließt die Deutsche Krebshilfe eine lange bestehende Lücke in der Nachwuchsförderung. Bestandteile dieses Programms sind sowohl einzelne Forschungsprojekte im Rahmen von Promotionsarbeiten wie auch die Koordinierung der Cancer Prevention Graduate School selbst. Das neue Programm der Deutschen Krebshilfe ergänzt sich im Nationalen Krebspräventionszentrum mit seit Langem bestehenden Ausbildungsangeboten am Deutschen Krebsforschungszentrum und verstärkt gleichzeitig die Nachwuchsförderung einer Vielzahl weiterer akademischer Partner mit einem weiten Spektrum an für die Prävention wichtigen Kompetenzen.

Mit dem Programm der Deutschen Krebshilfe werden 3 große Forschungs- und Trainingsschwerpunkte adressiert:

  • „public health“ und „social impact research“,

  • Kommunikationsforschung und

  • biomedizinische Grundlagenforschung zu

    • Mechanismen der Krebsentstehung,

    • genetischen Prädispositionen und

    • Biomarkern.

Insbesondere die Schnittstellen zwischen diesen 3 Themenbereichen werden besonders beleuchtet und gefördert, um die benötigte Interdisziplinarität in der Krebsprävention bereits frühzeitig in die Weiterbildung und Entwicklung der Präventionswissenschaftler von morgen zu etablieren. Im Nationalen Krebspräventionszentrum selbst sollen in Zusammenarbeit mit entsprechenden Partnern, wie Aufsichtsbehörden, Kammern und Verbänden, auch neue Möglichkeiten zur Ausbildung von Präventionsexperten für den direkten Kontakt mit Bürgern aus verschiedenen akademischen und nichtakademischen Berufsgruppen pilotiert und in die Anerkennung gebracht werden. Darüber hinaus werden umfangreiche Weiterbildungen für Multiplikatoren, z. B. im Bereich von Kitas und Schulen, Medien oder der gesunden Ernährung in Großküchen, angeboten werden.

Durch den Aufbau eines interdisziplinären Krebspräventionsnetzwerks in enger Zusammenarbeit mit dem Nationalen Krebspräventionszentrum werden die zukünftig ausgebildeten Wissenschaftler und anwendungsorientierten Experten vorbereitet, neue Fragestellungen in der Krebsprävention zielgerichtet und qualitativ hochwertig anzugehen. Lösungsansätze müssen für eine verbesserte Qualität und stringentere Umsetzung interdisziplinär entwickelt werden, um diese dann über beschleunigte, translationale Prozesse in die Anwendung zu bringen.

Möglichkeiten digitaler Prävention

Die aufgeführten Herausforderungen an eine moderne Krebspräventionsforschung und -anwendung können nur durch eine zielorientierte Systematik, ergänzt um den Einsatz modernster Informationstechnologien, Datenwissenschaften und Medientechnologien, gemeistert werden. Im Nationalen Krebspräventionszentrum wird daher auch ein Schwerpunkt auf der Entwicklung innovativer digitaler Systeme liegen, mit deren Hilfe die Bevölkerung (zunehmend) flächendeckend an personalisierten Krebspräventions- und risikoadaptierten Früherkennungsmaßnahmen teilhaben kann. Umgekehrt können über die Anwendung von „machine learning“ und künstlicher Intelligenz große gewonnene Datenmengen für neue Fragestellungen in der Krebspräventionsforschung nutzbar gemacht werden.

Ausblick

Nach allen heute bereits vorliegenden Erkenntnissen hat die Krebsprävention durch die stringente Umsetzung der Präventionsstrategie das große Potenzial, die Krebsinzidenzen und die Mortalitätsrate erheblich zu senken. Sie kann damit einen wesentlichen Beitrag leisten für das individuelle und gesellschaftliche Wohlergehen.

Dazu benötigt wird die systematische Weiterentwicklung der Präventionsforschung von der Grundlagenforschung über die translationale bis hin zur angewandten und Ergebnisforschung. Groß angelegte Präventionsprogramme für die gesamte Bevölkerung in den verschiedenen Lebenswelten, zielorientierte Programme für unterschiedliche Gesellschaftsgruppen und individualisierte Krebsprävention müssen entwickelt und implementiert werden. Die Ergebnisse müssen auf ihre Wirksamkeit hin durch eine wissenschaftlich begleitete Evaluation überprüft werden.

Voraussetzung dafür sind ein zukunftsorientierter wissenschaftlicher Diskurs und strukturelle Innovationen, wie sie im Rahmen des Nationalen Krebspräventionszentrums modellhaft aufgebaut und etabliert werden.

Dafür werden ausreichende, dauerhaft eingestellte finanzielle Ressourcen benötigt, die effizient und zielgerichtet in die Krebspräventionsforschung und deren Erkenntnistransfer in die Bevölkerung eingesetzt werden. Weitere Anreize zum Ausbau der Krebspräventionsforschung liegen in einem großen ungenutzten Innovations- und Transferpotenzial sowie darin, dass durch eine strategische Krebsprävention direkte und indirekte gesellschaftliche Kosten für die Gesundheitsversorgung eingedämmt werden können.

Ein Umdenken hin zu einer präventiv ausgerichteten Forschung und Versorgung ist zwingend notwendig

Dazu ist ein Umdenken auf politischer und fachlicher Ebene von einer rein therapeutischen hin zu einer präventiv ausgerichteten onkologischen Forschung und Versorgung zwingend notwendig.

Fazit für die Praxis

  • Etwa 40 % der derzeitigen onkologischen Neuerkrankungen wären allein durch primärpräventive Maßnahmen, vorrangig durch Lebensstiländerungen, vermeidbar.

  • Laut Schätzungen in Europa wäre über den gesamten translationalen Ansatz von Krebsforschung und onkologischer Versorgung einschließlich Ansätzen der Prävention 2030 ein krebsspezifisches 10-Jahres-Überleben von etwa 75 % zu erreichen.

  • Um das Potenzial der Krebsprävention zu heben, müssen Präventionsforschung, breite Programme für die gesamte Bevölkerung und unterschiedliche Zielgruppen, aber auch individualisierte Prävention und evidenzbasierte Outreach-Programme systematisch weiterentwickelt werden.

  • Notwendig sind ausreichende, dauerhaft eingestellte finanzielle Ressourcen für die Krebspräventionsforschung und deren Erkenntnistransfer in die Bevölkerung.

  • Das Nationale Krebspräventionszentrum hat Modellcharakter auch für andere Präventionszentren zur Entwicklung und Umsetzung langfristiger Präventionsstrategien.