Ernährung und Krebs

Für alle Patienten mit einer onkologischen Erkrankung ist das Thema Ernährung ein ganz wesentliches. Dies gilt aus der Perspektive der Patienten, die sich Gedanken darum machen, was eigentlich eine gesunde Ernährung ist, wie aus der Perspektive der Ärzte und Pflegekräfte, die gelernt haben sollten, dass eine ausgewogene Ernährung eine wesentliche Voraussetzung für die Durchführung von Tumortherapien ist.

Während das Bewusstsein bei den Patienten sehr hoch und die Nachfrage nach Informationen entsprechend ausgeprägt ist, erleben Patienten leider immer noch, dass Ärzte von sich aus das Thema Ernährung selten ansprechen und dass auch auf Fragen der Patienten nur selten eingegangen wird („Essen Sie weiter wie bisher“). Dies ist nicht nur sehr unbefriedigend für Patienten, sondern stellt auch eines der größten Defizite der Versorgung von onkologischen Patienten in Deutschland dar.

Im einführenden Beitrag von Julia von Grundherr und Christine Reudelsterz wird faktenreich und deutlich dargestellt, dass Ernährung nicht nur im Kontext von Prävention im Sinne eines gesunden Lebensstils wichtig ist, sondern dass ein gesundes Ernährungsverhalten und ein gesundes Körpergewicht eine wesentliche Voraussetzung für das Gelingen eines guten Nebenwirkungsmanagements sind. Ausgewogene, gute Ernährung hat nicht nur einen Einfluss auf die Lebensqualität unserer Patienten, sondern hat insbesondere in der Nachsorgephase einen wesentlichen Einfluss auf die Prognose. Die Daten, die zeigen, dass Patienten mit einer unzureichenden Ernährung sehr schnell eine Sarkopenie entwickeln und dass diese Form der Mangelernährung mit einem sehr viel schlechteren Ansprechen auf die Therapie und damit einer deutlichen Verschlechterung der Prognose einhergeht, sind überwältigend.

Deshalb müssen wir unbedingt fordern, dass die Bedeutung der Ernährung in der Versorgung von onkologischen Patienten sehr viel deutlicher von Ärzten und Pflegekräften verstanden und auch im Alltag berücksichtigt wird.

Ernährungsmedizin sollte also nicht dem Gewichtsverlust des Patienten hinterherlaufen und versuchen zu „reparieren“, was vorher versäumt worden ist, sondern bedeutet ein proaktives Vorgehen. Dieses umfasst, wie Jann Arends und Arved Weimann darlegen, für alle onkologischen Patienten eine regelmäßige Einschätzung des Risikos für eine Mangelernährung und ein Assessment. Patienten, die in einem Screening ein Risiko für eine Mangelernährung aufweisen, sollten dann gezielt einem Ernährungsassessment zugeführt werden und rasch eine gute Ernährungsberatung und ggf. auch eine ernährungsmedizinische Intervention erhalten.

Die weit verbreitete, weil so einfache Ausgabe oder Rezeptierung von hochkalorischen Getränken unterschiedlichster Geschmacksrichtungen von verschiedenen Herstellern bei Gewichtsabnahme dient mehr der Gewissensberuhigung des Arztes und Personals als dem Patienten. Sie ist auf keinen Fall dazu geeignet, Patienten und die Angehörigen zu befähigen, möglichst selber alles gegen eine Mangelernährung zu tun, was möglich ist, und damit auch die Lebensqualität zu erhalten. Tatsächlich sehen wir in der Beratung, dass die meisten Patienten den Geschmack unangenehm künstlich empfinden und sich die Trinknahrung allenfalls „hereinzwingen“, dafür aber dann wegen Appetitmangel auf andere Speisen noch mehr verzichten.

Ernährungsmedizin bedeutet ein proaktives Vorgehen

Es gibt unterschiedliche Ansätze, die Ernährung angemessen in Therapieabläufe einzubinden. Einer dieser Ansätze ist die frühzeitige ernährungsmedizinische Intervention vor Tumoroperationen, wie sie im Beitrag von Maria Wobith, Ines Gockel und Arved Weimann dargestellt wird. Die hierfür benötigte Zeitspanne vor der Operation kann nicht nur für präoperative Diagnostik, sondern für ein umfassendes Konzept einer Prähabilitation genutzt werden. Hierzu gehört neben der Ernährung auch ein gezieltes körperliches Training, das auf die geplante Tumoroperation und mögliche Folgeerscheinungen abgestimmt werden kann.

Oliver Micke und Jens Büntzel beschreiben in ihrem Beitrag die Bedeutung der Ernährung und die Einbindung der Ernährungsmedizin bei Patienten unter Strahlentherapie. Hier sind insbesondere Patienten gefährdet, die eine Strahlentherapie im Kopf/Hals-Bereich, aber auch der Speiseröhre oder im abdominellen Bereich erhalten. Auch hier gilt, dass das frühe Einsetzen eines umfassenden, zwischen Ärzten und qualifizierten Ernährungsberatern abgestimmten Konzepts nicht nur Lebensqualität sichert, sondern Therapiefähigkeit herstellt oder erhält und damit lebensnotwendig ist.

Patienten, die sich selber auf den Weg machen, um herauszufinden, was denn eigentlich eine „gesunde Ernährung“ ist, treffen häufig auf umfassende Angebote zu Nahrungsergänzungsmitteln. Der Artikel von Ralph Mücke und Jens Büntzel bringt hier Ordnung in das Wirrwarr, das auch für viele Ärzte kaum noch zu durchblicken ist. Zusammenfassend kann man sagen, dass Patienten, die eine ausgewogene Ernährung zu sich nehmen, kaum Nahrungsergänzungsmittel brauchen. Eine blinde Substitution auch in geringeren Mengen ist nicht sinnvoll. Vielfach konnte gezeigt werden, dass insbesondere Antioxidanzien die Wirksamkeit einer Chemo- oder Strahlentherapie abschwächen können. Ein Mangel kann auftreten bei Vitamin D und Selen, hier sind zielgerichtete Substitutionen unter Kontrolle sinnvoll.

Patienten im Internet, bei Heilpraktikern, manchen Ärzten, aber auch in Selbsthilfegruppen treffen immer wieder auf Informationen zu sogenannten Krebsdiäten. Während Diäten, wie die „Breuß-Krebskur total“ oder die „Budwig-Diät“, relativ leicht als Scharlatanerie zu enttarnen sind, haben es Konzepte wie die ketogene Ernährung oder auch das Fasten um die Chemotherapie herum bis in seriöse Fachzeitschriften und auf Kongresse geschafft. Umso wichtiger ist es, dass der Beitrag von Lea Baier, Eva Kerschbaum und Nicole Ericksson hier für eine klare Aufarbeitung der Evidenz sorgt. Zusammenfassend muss man sagen: Krebsdiäten sind nicht notwendig. Die Verwirrung kommt auch daher, dass sich insbesondere die Patienten, die schon vorher sehr gesundheitsbewusst gelebt haben, jetzt mit der Diagnose natürlich die Frage stellen, was sie falsch gemacht haben oder, umgekehrt formuliert, was sie noch besser machen können. Zumindest auf diese Fragen sollten Ärzte sensibel und mit einer guten Antwort reagieren. Krebs ist bei Menschen mit einem bis dato gesunden Lebensstil eine schicksalhafte Erkrankung. Es hilft nichts, wenn wir Patienten ein Schuldgefühl vermitteln und ihnen damit auch den Gedanken einimpfen, dass sie mit noch strengerer Ernährung (z. B. aus dem Vegetarier wird ein Veganer) den Krebs behandeln oder zumindest die Prognose verbessern können. Hier ist es wichtig, dem Patienten den Rücken zu stärken und ihn darin zu unterstützen, dass er bisher nichts falsch gemacht hat.

Wie man dies in die Alltagsversorgung integriert, muss sicherlich jedes Zentrum für sich selber herausfinden. Ein wesentliches Problem ist, dass die ernährungsmedizinische Begleitung schlecht bis gar nicht vergütet ist und dass auch im ambulanten Bereich zu wenig qualifizierte Ressourcen zur Verfügung stehen.

Eine Möglichkeit, ein qualitativ hochwertiges Ernährungsmanagement in der Klinik oder Praxis einzuführen, ist ihm abgebildeten Nutrition Care Process (Abb. 1) dargestellt, der letztendlich heruntergebrochen auf die Medizin einen Plan-Do-Check-Act-Zyklus für die Einbindung der Ernährungsberatung und -medizin in die Patientenversorgung beschreibt und insbesondere im Rahmen von Qualitätssicherungs- und Zertifizierungsmaßnahmen auch geeignet ist, formale Anforderungen zu unterstützen.

Abb. 1
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Nutrition Care Process. (Mit freundlicher Genehmigung, © VDD Verband der Diätassistenten – Deutscher Bundesverband e. V. Alle Rechte vorbehalten)

Die überwältigenden Daten für die Bedeutung der Ernährung in der Versorgung unserer Patienten müssen in den nächsten Jahren dazu führen, dass Ernährungsberatung für alle Patienten zugänglich wird und Ernährungsmedizin Teil der onkologischen Versorgung wird. An der Ausbildung und Einbindung qualifizierter Fachkräfte, seien es Diätassistenten, seien es Ökotrophologen, sollten wir jetzt schon arbeiten.

Jutta Hübner

Für die Schriftleiter

Klaus Höffken

Für die Herausgeber