Seminom Stadium I

Aktive Überwachung

Etwa 70–80 % der Seminome werden im klinischen Stadium I (CSI) entdeckt, d. h. dass zum Zeitpunkt der Orchiektomie in den konventionellen Staginguntersuchungen keine Metastasierung nachweisbar ist (pT1–4, cN0, cM0) und eventuell präoperativ erhöhte Tumormarker postoperativ wieder in den Referenzbereich abfallen.

Betrachtet man nun die Gesamtheit der Seminompatienten im Stadium CSI, so werden bis zu 30 % der Patienten nach alleiniger Ablatio testis ein Rezidiv erleiden. Dies liegt daran, dass zum Zeitpunkt der Orchiektomie bei einem Teil der Patienten bereits eine nichtdetektierbare retroperitoneale Mikrometastasierung vorliegt. Eine individuelle Vorhersage, welche Patienten ein Rezidiv erleiden werden und welche nicht, kann nicht getroffen werden. Allerdings wurden in mehreren Studien prognostische Faktoren untersucht, die die Wahrscheinlichkeit für ein Rezidiv erhöhen. In einer Übersichtsarbeit von 2017 haben Zengerling et al. 19 Studien zusammengefasst, in denen insgesamt 26 verschiedene Risikofaktoren für das Auftreten eines Rezidivs eines CSI untersucht wurden [34]. Von allen untersuchten Merkmalen haben sich die Tumorgröße (kontinuierlich bzw. dichotomisiert ab einer Größe >4 cm, in 10/14 Studien, Hazard Ratio, HR:1,33) und – mit geringerer Evidenz – die Infiltration des Rete testis (in 4/13 Studien, HR: 1,18) als Risikofaktoren für das Auftreten eines Rezidivs herausgestellt.

Bei Vorliegen eines Seminoms im Stadium I soll laut Leitlinie eine aktive Überwachung erfolgen

Bei Vorliegen eines Tumors von >4 cm und einer Infiltration des Rete testis liegt das Rezidivrisiko bei etwa 30 %, wohingegen bei Fehlen beider Risikofaktoren das Rezidivrisiko mit lediglich 4–6 % anzunehmen ist. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass selbst bei Vorliegen von beiden Risikofaktoren eine adjuvante Therapie in gut 70 % der Fälle eine Übertherapie darstellt. Daher besteht die Empfehlung der EAU-Guideline (European Association of Urology) und der deutschen S3-Leitlinie zur Behandlung von Keimzelltumoren darin, dass bei Vorliegen eines Seminoms im Stadium I eine aktive Überwachung erfolgen soll, sofern diese Therapieform bei dem Patienten durchführbar ist.

Adjuvante Chemotherapie und Radiotherapie

Eine adjuvante Therapie bei Patienten mit einem Seminom im Stadium I ist zweifelsohne wirksam und kann das Rezidivrisiko deutlich senken. Im Hinblick auf das Gesamtüberleben bringt die adjuvante Therapie allerdings keinen Vorteil.

Ein möglicher Grund für die Wahl einer adjuvanten Therapie gegenüber der aktiven Überwachung („active surveillance“, AS) wären z. B. Complianceprobleme. Eine weitere Konstellation stellen Patienten mit einem erhöhten Rezidivrisiko anhand der bekannten Faktoren dar, die gleichzeitig Komorbiditäten aufweisen, aufgrund welcher eine Rezidivbehandlung schwierig erscheint.

Eine adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin ist die am häufigsten angewendete Methode. Die Nichtunterlegenheit dieser Behandlung gegenüber einer adjuvanten Radiotherapie wurde im Rahmen einer Phase-III-Studie (ISRCTN27163214) an 1477 unselektierten Patienten gezeigt, die entweder mit einer Einmalgabe von Carboplatin („area under the curve“, AUC: 7) oder einer adjuvanten Radiotherapie behandelt wurden. Das rückfallfreie 5‑Jahres-Überleben betrug 94,7 % für Carboplatin bzw. 96,0 % für die Radiotherapie bei insgesamt vorteilhafterer Verträglichkeit der Chemotherapie [24]. Als Limitation der Studie sind anzusehen, dass a) der Non-Inferiority-Bereich nachträglich von 3 auf 5 % erhöht wurde (dadurch Nichtunterlegenheit erreicht) [32], b) es unklar bleibt, wie viele der in die Studie eingeschlossenen Patienten Risikofaktoren für ein Rezidiv aufwiesen, und c) letztendlich der Vergleichsarm der aktiven Überwachung fehlt.

Die schwedische und norwegische Studiengruppe (SWENOTECA) untersuchte die Risikoreduktion durch einen Zyklus Carboplatin AUC7 anhand von Risikofaktoren gegenüber der aktiven Überwachung [28]. Eine adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin führte bei Patienten ohne Risikofaktoren zu einer Halbierung des Rezidivrisikos gegenüber aktiver Überwachung bei jedoch insgesamt sehr niedrigen Rezidivraten (2,2 % mit Carboplatin vs. 4 % bei aktiver Überwachung), was letztlich die Empfehlung einer aktiven Überwachung begründet. Da das Rezidivrisiko mit adjuvanter Gabe von Carboplatin bei Patienten mit Risikofaktoren nur von 15,5 auf 9,3 % gesenkt wurde, stellt sich die Frage, ob ein Zyklus Carboplatin AUC7 bei diesen Patienten die optimale Therapie darstellt.

Basierend auf diesen Erfahrungen haben einige Autoren die Gabe von 2 Zyklen Carboplatin AUC7 untersucht – mit durchaus guten Resultaten [3, 8].

Die Radiotherapie der Paraaortalregion mit 20 Gy (10 Fraktionen) stellt eine etablierte adjuvante Behandlung dar. Lange Jahre war die Radiotherapie im Stadium I Standard mit Heilungsraten von 98–100 % [4]. Der Standard verschob sich wegen zunehmender Berichte über mögliche Spätfolgen (Serien teilweise aus den 1940er- bzw. 1960er-Jahren mit inadäquaten Dosen von 30–46 Gy und entsprechenden Techniken) [30] zu Carboplatin. Bei genauer Analyse der Spätfolgedaten für die Radiotherapie zeigt sich jedoch anhand neuer Analysen kein erhöhtes Krebsinduktionsrisiko bei einer Radiotherapie nur des paraaortalen Volumens [18], selbst bei viel höheren Dosen (bis 46 Gy), im Langzeitverlauf [16]. Bei Absenkung der Dosis auf 24–26 Gy war die Zweitkarzinomrate auch bei größeren Volumina („Hockeystick“) nicht erhöht [16]. Verglichen mit einem Zyklus Carboplatin AUC7 scheint die Radiotherapie auch bei Risikofaktoren (Rete-testis-Infiltration, Tumordurchmesser >4/6 cm) bis 90 % der Rezidive zu verhindern [22], Äquieffektivität wurde erst mit der Applikation von 2 Zyklen Carboplatin erreicht [2, 3].

Seminom Stadium IIA/B

Therapeutische Überlegungen

Bei etwa 15 % der Patienten erfolgt die Erstdiagnose im Stadium CSII. Dieses ist definiert durch das Vorhandensein eines reinen Seminoms im Orchiektomiepräparat und den Nachweis von lokoregionalen Lymphknotenmetastasen bei Abwesenheit von Fernmetastasen. Die Tumormarker dürfen maximal auf S1-Niveau erhöht sein (Laktatdehydrogenase, LDH: <1,5-Faches der Norm; β‑HCG, humanes Choriongonadotropin: <5000 mIU/ml). Markernegative Seminome mit retroperitonealen Lymphknoten mit Kurzachsendurchmesser <2 cm stellen ein diagnostisches Dilemma dar. Zum Ausschluss einer reaktiven Lymphadenopathie sollte hier im Intervall von 6–8 Wochen eine erneute Bildgebung erfolgen. Bei eindeutig validiertem Befund einer metastasierten Tumorerkrankung muss dann eine stadiengerechte Therapie eingeleitet werden.

Im Stadium CSIIA und IIB besteht die Möglichkeit einer Polychemotherapie oder einer Strahlentherapie

Im Stadium CSIIA und IIB besteht die Möglichkeit einer Polychemotherapie oder einer Strahlentherapie. Die Chemotherapie beinhaltet 3 Zyklen BEP (Bleomycin, Etoposid, Cisplatin) oder bei Kontraindikationen gegen Bleomycin 4 Zyklen Etoposid und Cisplatin (EP). Die Strahlentherapie beinhaltet eine Behandlung der infradiaphragmalen, paraaortalen und ipsilateralen pelvinen Lymphabflusswege mit 30 (CSIIA) bzw. 36 Gy (CSIIB).

Randomisierte Studien zum Vergleich der Radiotherapie mit der Chemotherapie beim Stadium IIA/B-Seminom existieren nicht. Das progressionsfreie Überleben („progression-free survival“, PFS) beträgt etwa 95 % (CSIIA) bzw. 90 % (CSIIB).

Primäre Chemotherapie

Während in der skandinavischen SWENOTECA-Kohorte im CSIIA knapp 11 % der Patienten nach Radiotherapie ein Rezidiv zeigten, wurden keine Rezidive bei den mit Chemotherapie behandelten Patienten im CSIIA/B beobachtet. Limitierend ist zu erwähnen, dass einerseits bei der Radiotherapie lediglich 27 Gy (15 × 1,8 Gy) angewendet wurden, während die Chemotherapie mit bis zu 4 Zyklen BEP, teilweise unter Hinzunahme von Ifosfamid, eskaliert erfolgte. Die Spanish Germ Cell Cancer Study Group berichtete über ein 5‑Jahres-PFS von 100 % für das CSIIA und 87 % für das CSIIB mit 3 Zyklen BEP [10].

Primäre Strahlentherapie

In einer Metaanalyse publizierter Patientenserien erwies sich bei Stadium-IIB-Tumoren die Chemotherapie im Vergleich zur Radiotherapie als die überlegene Behandlung mit niedrigeren Rezidivraten (8 vs. 14 %) [11]. Hingegen liefert eine Registerauswertung aus den USA Hinweise darauf, dass die Radiotherapie im Stadium IIA die bessere Option und sogar mit einem Überlebensvorteil verbunden ist [12].

Die Gesamtdosis der Strahlentherapie liegt bei 30 Gy im Stadium IIA und 36 Gy im Stadium IIB [4]. Die infradiaphragmalen Lymphknotenregionen werden zunächst mit 20 Gy behandelt, und anschließend wird die Dosis im Bereich der pathologischen Lymphknoten auf 30 Gy bzw. 36 Gy gesteigert. In der Vergangenheit wurden die Bestrahlungsfelder anhand knöcherner Strukturen in der zweidimensionalen Bestrahlungsplanung festgelegt. Heutzutage erfolgt die Bestrahlungsplanung 3‑D-geplant, orientiert an die Lymphknotenstationen entlang der großen Gefäße des Bauch- und Beckenraums mit einer entsprechender Schonung von Risikostrukturen [33].

Die Heilungsaussichten nach einer Radiotherapie im Stadium IIA/B sind mit etwa 95 % im Stadium IIA und 89 % im Stadium IIB hoch [7]. Praktisch alle Rezidive entstehen außerhalb des bestrahlten Gebiets, oft in den Supraklavikulargruben oder mediastinal [6]. Patienten mit einem Rezidiv nach Strahlentherapie können mit einer Salvage-Polychemotherapie (ähnlich wie in der primären Situation) meist problemlos geheilt werden.

Akute und späte Toxizität

Chemotherapie

Die adjuvante Chemotherapie mit Carboplatin wird i. d. R. gut vertragen. Frühtoxizitäten umfassen insbesondere Hämatotoxizität und gastrointestinale Nebenwirkungen [9]. Langzeitnebenwirkungen scheinen im Vergleich mit der Normalbevölkerung nicht erhöht zu sein [29]. Trotz des geringen Risikos für Fertilitätsstörungen sollte vor Einleitung einer adjuvanten Therapie eine Beratung zu protektiven Maßnahmen erfolgen.

Eine cisplatininduzierte PNP tritt i. d. R. bei einer kumulativen Dosis von >300 mg/m2 auf

Langzeittoxizitäten von Cisplatin, Etoposid und Bleomycin sollten in die Therapieplanung im Stadium II mit einbezogen werden [5]. Eine cisplatininduzierte periphere Neuropathie (PNP) tritt i. d. R. bei Erreichen einer kumulativen Dosis von >300 mg/m2 auf. Eine Erholung der peripheren Nerven über den Zeitraum von Monaten bis Jahren ist typisch. Bei bis zu 40 % der Patienten bleibt eine residuelle PNP vorhanden. Eine irreversible Schädigung des Hörnervs durch Cisplatin ist ebenfalls von der kumulativen Cisplatindosis und der Höhe der Spitzenspiegel abhängig. Bis zu 75 % der Patienten sind von einem pathologischen Audiometriebefund betroffen, für etwa die Hälfte der betroffenen Patienten verläuft der Hörverlust, der insbesondere Frequenzen von 4000 Hz und höher betrifft, unbemerkt. Die Pathogenese der cisplatininduzierten Nephrotoxizität beinhaltet eine direkte Schädigung des proximalen Tubulus durch das Medikament selbst, eine cisplatinvermittelte Vasokonstriktion in der renalen Mikrovaskulatur sowie die Heraufregulation proinflammatorischer Zytokine. Pulmonale Schädigungen durch Bleomycin sind u. a. abhängig von Alter (>40 Jahre), Nierenfunktion und kumulativer Bleomycindosis (>400 mg) [23]. Klinische Manifestationen umfassen die subakute progressive Lungenfibrose, die Hypersensitivitätspneumonitis, die organisierende Pneumonie sowie das Auftreten von akuten Thoraxschmerzen während der Infusion. Auch höhere kumulative Dosierungen von Cisplatin (>850 mg) sind mit Lungentoxizität assoziiert [14]. Ebenso besteht ein durch Cisplatin induziertes erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen (Risiko für koronare Herzerkrankung 5,7-fach und für Myokardinfarkt 3,1-fach erhöht).

Zweitneoplasien treten vermehrt nach einer Chemotherapie mit BEP auf. Das Risiko ist abhängig von der kumulativen Dosis von Cisplatin bzw. Etoposid. In einer Übersichtarbeit wurde die Gesamtinzidenz von nichttestikulären Sekundärmalignomen in 950 Patienten mit 0,04 % (95%-Konfidenzintervall, 95%-KI: 0,001–0,02) in der Radiotherapiekohorte und von 0,02 % (95%-KI: 0,003–0,04) in der Chemotherapiekohorte angegeben [11]. Das Risiko einer hämatologischen Neoplasie erhöht sich deutlich bei Kumulativdosen von 650 mg für Cisplatin bzw. >2 g/m2 für Etoposid.

Strahlentherapie

Bei einer Radiotherapie mit 20 Gy (Stadium I) oder 30–36 Gy (Stadium IIA/B) werden als Prämedikation ein Antiemetikum und ein Protonenpumpenhemmer empfohlen, da vulnerable Strukturen im bestrahlten Gebiet liegen (v. a. Plexus abdominalis, Magen, Dünndarm). Eine Hodenkapsel als Gonadenschutz ist bei der Bestrahlung der pelvinen Lymphabflusswege (Hockeystick) obligat. Mit diesen Vorbereitungen sollten während der Therapie abgesehen von ggf. leichter Enteritis und dezenter Hautrötung keine relevanten Toxizitäten auftreten.

Zur Minimierung möglicher Sekundärmalignome wird am ehesten eine Strahlentechnik mit geringer integraler und Gesamtdosis empfohlen [31]. In der randomisierten TE18/19-Studie (20 vs. 30 Gy, n = 1094) waren Übelkeit, Erbrechen, Neutropenie signifikant häufiger bei den Patienten im 30-Gy-Studienarm. Des Weiteren waren Lethargie und Arbeitsunfähigkeit bei der höheren Dosis verstärkt festzustellen [19]. Die Lebensqualität war 3 Monate später gleich. Zweitmalignome traten nach 20 Gy nicht und nach 30 Gy bei 6 Patienten auf.

Innovative Studienansätze und zukünftige Entwicklungen

Bei Patienten im Stadium I prüft die skandinavische Studiengruppe SWENOTECA in einem randomisierten Setting derzeit den Stellenwert einer Therapie mit 1 × BEP versus 1 × Carboplatin AUC7 (NCT02341989). Der Hintergrund dieser Studie basiert auf Erkenntnissen, wonach Patienten mit Risikofaktoren für ein Rezidiv (Tumorgröße >4 cm/Invasion des Rete testis) bei einer Rezidivrate von ≈9 % mit einem Zyklus Carboplatin nur ungenügend behandelt sind [28].

Aufgrund der Seltenheit des Stadiums IIA/B sind randomisierte Studien kaum durchführbar

Neuartige Konzepte bei der Behandlung von Seminomen im Stadium IIA/B wurden in den letzten Jahren getestet. Aufgrund der Seltenheit des Stadiums sind randomisierte Studien kaum durchführbar, sodass Patienten in standardisierte prospektive Behandlungsprotokolle eingeschlossen werden.

Der primär operative Ansatz wird momentan in Deutschland und den USA untersucht (PRIMETEST-Studie, NCT02797626, und SEMS-Trial, NCT02537548). Bei der in Deutschland durchgeführten PRIMETEST-Studie werden Patienten mit einer unilateralen nervenerhaltenden retroperitonealen Lymphadenektomie behandelt. Der primäre Studienendpunkt dieser prospektiven Phase-II-Studie ist das PFS nach 3 Jahren. Eine 2019 präsentierte Interimsanalyse bei 16 Patienten zeigte eine Rezidivrate von 25 %, alle Rezidive entstanden in den ersten 12 Monaten nach dem Eingriff (mediane Dauer: 6,8 Monate) [1]. Letztlich bleiben die endgültigen Ergebnisse dieser beiden erstmalig prospektiven angelegten Studien abzuwarten, um den genauen Stellenwert der operativen Therapie einschätzen zu können. Der Vorteil des Vorgehens ist die Vermeidung jeglicher Strahlen- und Chemotherapie, was zumindest für einen Großteil der behandelten Patienten anhand der ersten Studienresultate zu gelingen scheint und die Frage aufwirft, ob die Morbidität des chirurgischen Eingriffes vertretbar wäre.

Eine dosisdeeskalierte Chemotherapie nach Interims-Positronenemissionstomographie (PET) wurde in 2 Studien in Großbritannien und Frankreich getestet. In der britischen Studie erhielten alle Patienten nach einem Zyklus Monotherapie mit Carboplatin AUC10 eine PET-Computertomographie (PET-CT). Bei fehlender metabolischer Aktivität wurden 2 weitere Zyklen Carboplatin AUC10 verabreicht, bei PET-Positivität waren es 3 weitere Zyklen. Die Autoren berichteten über ein PFS von etwa 95 % [26]. Limitierend ist die Größe der Studie mit lediglich knapp 50 Patienten und die mediane Follow-up-Dauer von etwa 2,5 Jahren. In der französischen Studie erfolgte die PET-CT nach 2 Zyklen Cisplatin/Etoposid (EP). Patienten mit gutem Therapieansprechen erhielten nur noch einen Zyklus Carboplatin AUC7, während Patienten mit Restaktivität in der PET-CT mit weiteren 2 Zyklen EP behandelt wurden [21]. Das PFS lag bei etwa 93 %. Limitierend für die Interpretation der vorläufigen Studienergebnisse und Übertragbarkeit auf die klinische Praxis sind das statistische Design (Wahl des primären Endpunkts) und die mediane Follow-up-Dauer von knapp 3 Jahren.

Schließlich wurde in einer Studie mit 115 Patienten in der Schweiz und in Deutschland eine Kombination aus einem Zyklus Carboplatin AUC7 mit einer kleinvolumigen „Involved-Node-Strahlentherapie“ der befallenen Lymphknoten untersucht. Es liegen lediglich Ergebnisse zur Verträglichkeit der Therapie vor, die verglichen mit der „Standard-Strahlentherapie/-Chemotherapie“ ein günstiges Toxizitätsprofil aufzeigen [25], die Auswertung des primären Endpunkts (PFS) ist 2021 vorgesehen. Das Konzept der kombinierten deeskalierten Radiochemotherapie wird von der Arbeitsgruppe bereits in einem Nachfolgeprotokoll weiterverfolgt (NCT03937843).

Zusammenfassend liegt der Fokus der aktuellen Studienkonzepte im Stadium IIA/B auf einer Therapiedeeskalation zur Minimierung der akuten und späten Folgen der Behandlung.

Seminom Stadium I und II

Intensität von Nachsorge und aktiver Überwachung

Im Vergleich der internationalen Leitlinien der Fachgesellschaften von Urologie und Onkologie (EAU, ESMO, NCCN, AUA) gibt es hinsichtlich der Intensität und Modalität der Nachsorge beträchtliche Unterschiede. Der frühzeitigen Erkennung von Rezidiven und Folgen der Behandlung wird eine unnötige Strahlenbelastung und Kosten im Rahmen der Nachsorge gegenübergestellt. Allen Leitlinien ist jedoch gemein, dass die Nachsorge sich am jeweiligen stadien- und behandlungsabhängigen Rezidivrisiko orientieren soll. Unabhängig davon, welcher Leitlinie man folgt, beinhalten die Nachsorgeuntersuchungen:

  • körperliche Untersuchung inkl. Bestimmung von Body-Mass-Index (BMI),

  • Bestimmung der Hodentumormarker (α-Fetoprotein, AFP; HCG, LDH),

  • Bestimmung von luteinisierendem Hormon (LH), follikelstimulierendem Hormon (FSH) und Testosteron einmal pro Jahr,

  • Röntgenuntersuchung des Thorax und Schnittbildgebung des Abdomens und Beckens,

  • spezifische Erhebung der therapieassoziierten Nebenwirkungen.

Die Empfehlungen zu Frequenz und Modalität der Untersuchungen variieren jedoch.

Der Stellenwert der routinemäßigen Thoraxröntgenuntersuchungen im Rahmen der Nachsorge ist umstritten

Aufgrund der flächendeckenden Verfügbarkeit und der Standardisierung stellt die CT den Goldstandard als Staginguntersuchung dar. Dem gegenüber steht die damit verbundene Strahlenbelastung. Inwiefern CT-Untersuchungen durch Magnetresonanztomographie (MRT) und Ultraschalluntersuchungen ersetzt werden können, wird aktuell in Studien untersucht und in Leitlinien diskutiert. Generell kann eine MRT als Alternative zur Beurteilung des Retroperitoneums empfohlen werden; Voraussetzung hierfür sind standardisierte Untersuchungsprotokolle und entsprechende radiologische Erfahrung [15]. Die Ultraschalluntersuchung ist aufgrund der fehlenden Standardisierung und zusätzlichen möglichen Patientenfaktoren (BMI, Vorbereitung) noch weniger als valide Alternative etabliert.

Der Stellenwert der routinemäßigen Thoraxröntgenuntersuchungen im Rahmen der Nachsorge ist umstritten. Pulmonale oder mediastinale Rezidive, die ohne retroperitoneale Metastasierung oder Markererhöhung auftreten, sind selten, daher ist die Untersuchungsfrequenz in den letzten Jahren reduziert worden. CT-Untersuchungen des Thorax werden eindeutig nicht empfohlen.

Cathomas et al. haben Rezidivgruppen klassifiziert, die je nach klinischem Stadium, Prognosegruppe und Behandlungsmodalität ein ähnliches Rezidivmuster zu erwarten haben [17]. Angelehnt an diese Arbeit sowie an die Arbeiten von Hartmann et al. und Souchon et al. [13, 27] wurden auch in der deutschen S3-Leitlinie zur Behandlung von Keimzelltumoren kürzlich die Behandlungsempfehlungen formuliert [20]. Vor dem Hintergrund, dass je durchgeführter Therapie auch das Rezidivmuster variieren kann, wurden die in Tab. 12 und 3 dargestellten Nachsorgegruppen definiert. In Tab. 1 sind Patienten zusammengefasst, die eine lokale retroperitoneale Strahlentherapien im Stadium I und IIA/IIB erhalten haben. In Tab. 2 sind Patienten beschrieben, die eine adjuvante Carboplatintherapie im Stadium I oder 3 × BEP bzw. 4 × EP bei Stadium IIA–IIC bzw. III („good prognosis“ nach International Germ Cell Cancer Collaborative Group, IGCCCG) erhalten haben. Die Tab. 3 bezieht sich auf Patienten, die im Stadium I unter aktiver Überwachung sind.

Tab. 1 Nachsorgeempfehlung der deutschen S3-Leitlinie zu Behandlung von Keimzelltumoren für Seminompatienten nach retroperitonealer Strahlentherapie im klinischen Stadium I, IIA und IIB. (Mod. nach [20])
Tab. 2 Nachsorgeempfehlung der deutschen S3-Leitlinie zu Behandlung von Keimzelltumoren für Seminompatienten nach Systemtherapie mit adjuvanter Gabe von Carboplatin im Stadium I oder 3 × BEP (Bleomycin, Etoposid, Cisplatin) oder 4 × EP (Etoposid und Cisplatin) im Stadium IIA–IIC und III „good prognosis“ nach International Germ Cell Cancer Collaborative Group, IGCCCG. (Mod. nach [20])
Tab. 3 Nachsorgeempfehlung der deutschen S3-Leitlinie zu Behandlung von Keimzelltumoren für Seminompatienten im Stadium I aktive Überwachung. (Mod. nach [20])

Fazit für die Praxis

Die Therapie von Patienten mit einem Seminom im Stadium I–IIB bleibt weiterhin eine Herausforderung in der Abwägung zwischen einer hocheffektiven onkologischen Therapie mit minimalem Risiko für ein Rezidiv und einer möglichen Übertherapie mit Inkaufnahme von Spättoxizitäten.