Die selektive interne Strahlentherapie (SIRT; Synonym: Radioembolisation, RE; transarterielle Radioembolisation, TARE) gehört zu den lokoregionären Therapiekonzepten. Mit Zugang über die Leistenarterie erfolgt die Applikation von strahlenden Partikeln (Mikrosphären), die sich in den Lebertumoren anreichern und dort eine örtliche Bestrahlungsbehandlung von Lebermalignomen bewirken.

Einführung

Für Patienten mit auf die Leber begrenzten Malignomen, die weder operativ noch lokal-ablativ behandelt werden können, hat die 90Y-RE inzwischen sowohl bei lebereigenen Malignomen wie auch Lebermetastasen einen wachsenden Stellenwert als alternative Therapieoption in palliativen und kurativen Therapiekonzepten. In der klinischen Praxis werden heutzutage bei diesem Verfahren kleinste radioaktiv beladene Kügelchen, sog. Mikrosphären (Staubkorngröße, 20–60 µm), als Radiopharmakon direkt in die leberversorgenden Arterien appliziert. Die Mikrosphären werden für die Radioembolisation mit radioaktivem Yttrium-90 (90Y), einem β‑Strahler, beladen (im Folgenden als 90Y-RE abgekürzt). Mikrosphären werden nicht metabolisiert oder ausgeschieden, sondern verbleiben in der Leber. Zwei Radiopharmaka mit 90Y von unabhängigen Herstellern kommen inzwischen in der klinischen Routine zum Einsatz. In der frühen klinischen Erprobung finden sich auch im MRT sichtbare Mikrosphären, welche mit dem Radioisotop Holmium-166 beladen sind. Bei dem Radioisotop Holmium-166 handelt es ich auch um einen vorwiegenden β‑Strahler. Im Gegensatz zu 90Y besitzt Holmium-166 allerdings einen höheren Υ‑Strahlungsanteil und scheint daher für nuklearmedizinische Detektierbarkeit und Kontrolle Vorteile zu besitzen (Tab. 1).

Die 90Y-RE erfolgt analog zur TACE nach örtlicher Betäubung kathetergestützt über die Leistenarterie des Patienten, wobei die radioaktiven Mikrosphären direkt in die Leberarterie appliziert werden. Der therapeutische Effekt wird in erster Linie über die innere Bestrahlung erreicht und weniger über die Embolisation (Gefäßverschluss) wie bei der TAE oder TACE. Die Mikrosphären reichern sich wegen ihrer geringen Größe besonders gut in hypervaskularisierten präkapillären Tumorgeweben an, wodurch eine Maximierung der inneren Bestrahlung im Zielvolumen erreicht wird. Die 90Y-RE ist insbesondere für diffuse und multifokale Befallsmuster der Leber geeignet. Ein Vorteil der 90Y-RE gegenüber der TACE ist, dass sie in der Regel als Einzelsitzung und auch bei Patienten mit verschlossener Portalvene angewandt werden kann.

Tab. 1 Beschreibung der verfügbaren und in der klinischen Anwendung bzw. Erprobung befindlichen Radiopharmaka für die Radioembolisation

Bei der 90Y-RE handelt es sich um ein technisch aufwendiges Verfahren, welches inzwischen in einigen onkologischen Behandlungskonzepten zur Anwendung kommt. Die Indikationsstellung und genaue therapeutische Vorgehensweise sollte für alle Patienten unabhängig von der zugrunde liegenden Tumorentität in einem interdisziplinären Tumorboard mit Anwesenheit von Vertretern der Chirurgie, Strahlentherapie, internistischen Onkologie, Radiologie, Nuklearmedizin und Pathologie festgelegt werden.

Radiologische Technik

Bei der 90Y-RE kommt in erster Linie der β‑Strahler Yttrium-90 als Radiopharmakon in der klinischen Routine zur Anwendung. β‑Strahler besitzen nur eine geringe Reichweite von wenigen Millimetern im Gewebe, womit sich der therapeutische Effekt unmittelbar am Ablagerungsort über die Zeit entfaltet. Das klinische Anwendungsgebiet für die 90Y-RE beschränkt sich bisher auf die Leber. Die Applikation des Radiopharmakons erfolgt regelhaft endovaskulär über die Leberarterie. Es existieren zwei Produkte für die 90Y-RE, und zwar 90Y-beladene Glasmikrosphären (Therasphere®, BTG International Canada Inc., Ottawa, Kanada) sowie Resin Kunststoffmikrosphären (SIR Sphere®, Sirtex Medical Inc., Sydney, Australien). Im Gegensatz zu anderen lokoregionären Therapiekonzepten wird die 90Y-RE in zwei Schritten durchgeführt (Tab. 2): Im ersten Schritt erfolgen eine diagnostisch angiographische Evaluation zur Klärung anatomischer Varianten der Gefäßversorgung, Flussverhältnisse im Tumor und ggf. eine Coil-Embolisation von Kollateralgefäßen zur Vermeidung einer Non-Target-Embolisation sowie die präzise Aktivitätsplanung für die radioaktive Therapie anhand des kalkulierten Lungen-Shunts der 99mTc-MAA-Testpartikel. Hierzu dient die Applikation von rein diagnostischen 10–90 μm großen 99mTc-MAA (makroaggregierte Albuminpartikel) als Surrogat für die zeitlich später geplante und therapeutische 90Y-Mikrosphären-Applikation.

Im Anschluss an die diagnostische 99mTc-MAA-Applikation findet eine szintigraphische Bestimmung der Dosis- bzw. Aktivitätsverteilung in der Leber und ein Ausschluss eines signifikanten Lungenshunts für die zu erwartende Verteilung der 90Y-Mikrosphären unter Therapie mittels einer Single-Photonen-Emissions-Computertomographie (SPECT) statt. Nach Abschluss und Auswertung der Evaluationsergebnisse wird eine für den individuell zu behandelnden Patienten genaue Aktivität der 90Y-Mikrosphären beim Hersteller bestellt. Die therapeutische Applikation findet daher ein bis 2 Wochen nach der Evaluation in einem relativ engen Zeitfenster statt, um eine möglichst präzise Aktivität des Radiopharmakons am Wirkungsort, z. B den Lebermetastasen, zu gewährleisten. Die 90Y-RE sollte auch von einer möglichst identischen Mikrokatheterposition zur vorherigen 99mTc-MAA-Evaluation erfolgen.

Tab. 2 Zeitlich voneinander in 2 Stufen getrennte Radioembolisationa

Für die präzise Durchführung dieser Therapie mit gutem therapeutischen Ergebnis bei Reduktion von Nebenwirkungen ist ein standardisiertes Vorgehen und eine enge Zusammenarbeit zwischen Medizinphysikexperten, Nuklearmedizin und interventioneller Radiologie zwingend notwendig. Es ist ebenso erforderlich, dass in dem durchführenden onkologischen Zentrum konkrete interdisziplinäre Verfahrensanweisungen sog. SOPs (Standard Operating Procedures) fest etabliert sind. Als Kontraindikationen für die 90Y-RE gelten im Allgemeinen ein Karnofsky-Index ≤ 70 bzw. ECOG ≤ 2, ein Bilirubin > 34 µmol/l (2 mg/dl), Albumin < 30 g/l, > 60 % intrahepatische Tumorlast, ausgedehnte extrahepatische Tumorlast sowie ausgeprägte pulmonale und gastrointestinale Shunts [7].

Hepatozelluläres Karzinom

Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist der häufigste primäre maligne Lebertumor, der sich meist auf dem Boden einer Leberzirrhose entwickelt. Mit einer Inzidenz von ca. 5 pro 100.000 Einwohner und Jahr ist die Inzidenz in Deutschland jedoch relativ gering. Die 90Y-RE ist inzwischen ein integraler Bestand der aktuellen internationalen Leitlinien zur Behandlung des HCC als Erst- und Zweitlinientherapie (US National Comprehensive Cancer Network, NCCN; American Hepato-Pancreato-Biliary Association, AHPBA; Society of Surgical Oncology, SSO; Society for Surgery of the Alimentary Tract, SSAT; European Society of Medical Oncology, ESMO; [1, 23, 58]). Für die Prognoseeinschätzung beim HCC findet die Barcelona-Clinic-Liver-Cancer(BCLC)-Klassifikation Anwendung. Hierbei werden Tumorausbreitung, Gefäßinvasion, portale Hypertension und auch Leberfunktion berücksichtigt. Die 90Y-RE wird in erster Linie bei nichtresektablen BCLC-Stadien A, B oder C mit dem Ziel, die Tumorlast zu verringern, oder zum Downstaging angewendet, um ggf. einen kurativen Therapieansatz zu ermöglichen. Im Bridging zur Lebertransplantation bestehen mit der 90Y-RE bisher nur wenig Erfahrungen [3].

In einer großen Multizenterstudie vom European Network on Radioembolisation wurden bei 325 konsekutiven Patienten mit nichtrespektablen HCC das Überleben und die Sicherheit von 90Y-RE mit Resin-Mikrosphären evaluiert. Das mediane Überleben betrug 12,8 Monate (95 %-KI, 10,9–15,7), dabei zeigte sich jedoch eine deutliche Varianz in Bezug auf den BCLC-Status: BCLC A, 24,4 Monate (95 %-KI, 18,6–38,1); BCLC B, 16,9 Monate (95 %-KI, 12,8–22,8); BCLC C, 10,0 Monate (95 %-KI, 7,7–10,9) [50]. In einer prospektiven Studie von Lau et al. sind auch Patienten mit einem Lokalrezidiv nach vermeidlich kurativer Leberteilresektion eingeschlossen worden. Es zeigte sich ein Gesamtüberleben (OS) von 9,4 Monaten (1,8–46,4 Monate), wobei sich kein signifikanter Unterschied zwischen den Patienten mit postoperativem Rezidiv oder Erstlinientherapie mit Resin-90Y-RE zeigte (8,6 vs. 9,4 Monate; p = 0,941). Nach 90Y-RE zeigt sich bei 94 % der Patienten eine Verringerung des α1-Fetoprotein(AFP)-Tumormarkers. 10 % wiesen dabei eine CR („complete response“, komplette Remission) und 67 % eine PR (partielle Remission) in Hinblick auf einer Normalisierung des AFP-Werts auf [32]. Bauschke et al. konnten bei Patienten mit nichtresektablem HCC zeigen, dass sich ein AFP vor erster 90Y-RE > 30 ng/ml, ein Zeitintervall von < 12 Monaten zwischen Erstdiagnose und erster 90Y-RE sowie Tumordurchmesser von > 5 cm und eine Pfortaderthrombose als unabhängige, negative Einflussfaktoren auf das OS auswirken [6]. In einer randomisierten Studie verglichen Salem et. al. die 90Y-RE mit einer konventionellen TACE (cTACE) beim HCC. Sie konnten zeigen, dass bei der 90Y-RE die Zeit bis zum hepatischen Progress signifikant länger war; allerdings zeigte das OS keinen signifikanten Vorteil für die 90Y-RE gegenüber der cTACE [49].

Als Systemtherapie ist der Multikinaseinhibitor Sorafenib beim HCC von großer Bedeutung

Als Systemtherapie beim HCC hat der Multikinaseinhibitor Sorafenib einen hohen Stellenwert. Es laufen aktuell zwei prospektive RCTs, die bei Patienten mit inoperablem HCC die Effizienz der Kombination aus entweder 90Y-RE mit Resin-Mikrosphären (Studie: SORAMIC) oder Glas-Mikrosphären (Studie: Stop-HCC) und Sorafenib gegen Sorafenib allein als Kontroll-Arm prüfen [48, 63, 64]. Aktuell wurden die Ergebnisse von zwei randomisierten Multizenterstudien, SARAH (459 Patienten) und SIRveNIB (360 Patienten), vorgestellt, die beim fortgeschrittenen HCC (in der Regel BCLC-C-Stadium) eine systemische Chemotherapie mit Sorafenib und eine 90Y‑RE verglichen [13, 68]. In beiden Studien war das Gesamtüberleben in der Gruppe der Patienten mit Systemtherapie und 90Y‑RE nicht signifikant unterschiedlich (SARAH: 9,9 vs. 8,0 Monate, p = 0,179; SIRveNIB: 10,58 vs. 8,54 Monate, p = 0,203), aber die Rate an schweren Nebenwirkungen war deutlich geringer bei der 90Y‑RE-Therapie (SARAH 16,5 % vs. 11,7 %, SIRveNIB: 50,6 % vs. 27,7 %). In beiden Studien konnte bei einem hohen Prozentsatz (SARAH 26,6 %; SIRveNIB 28,6 %) der zur 90Y‑RE randomisierten Patienten letztendlich keine 90Y‑RE-Therapie durchgeführt werden, da die Zentren aufgrund anatomischer Besonderheiten oder des Lungen-Shunts eine 90Y‑RE als nicht möglich erachteten. Dies ist möglicherweise auf nicht so 90Y‑RE-erfahrene interventionell-radiologische Zentren zurückzuführen.

Lebermetastasen beim kolorektalen Karzinom

Lebermetastasen sind beim kolorektalen Karzinom (CRCLM) aufgrund des Metastasierungswegs über die Pfortader häufig und bestimmen maßgeblich die Prognose der Patienten [41].

CRCLM, die technisch und funktionell operabel sind, sollten reseziert werden. Durch eine systemische Chemotherapie können ansonsten inoperable CRCLM in technisch und funktionell resektable CRCLM überführt werden. Durch die Resektion lassen sich Fünfjahresüberlebensraten von 25–50 % erreichen; allerdings sind bei Diagnosestellung nur 20 % der CRCLM in einem resektablen Zustand (Abb. 1).

Bei der systemischen Chemotherapie stehen beim kolorektalen Karzinom Irinotecan- und Oxaliplain-haltige Chemotherapien im Vordergrund. Aktuell kommt die Radioembolisation beim CRCLM meist zum Einsatz, wenn die CRCLM unter diesen beiden Chemotherapieregimen progredient sind und die Metastasierung auf die Leber beschränkt („liver only“) oder die Lebermetastasierung dominant („liver dominant“) ist. Diese Therapieindikation wird vereinzelt auch Salvage-Situation oder chemorefraktäre Situation genannt. Die meinen retrospektiven Studien haben Patienten mit dieser Indikation als Einschlusskriterium. Hierbei konnten durch die 90Y-RE ein OS ab 90Y-RE von 4,5−29,4 Monaten erreicht werden. Auf der Basis dieser Studien empfehlen die aktuellen ESMO-Leitlinien die 90Y-RE bei CRCLM, wenn keine chemotherapeutischen Optionen mehr bestehen [66]. Diese Empfehlung steht im Gegensatz zu den Deutschen S3-Leitlinien, die eine 90Y-RE nur innerhalb von Studien empfehlen [66].

Saxena et al. konnten in einer systematischen Übersichtarbeit von 20 Studien mit insgesamt 979 Patienten mit CRCLM und 90Y-RE in der Salvage-Situation zeigen, dass im Median ein Überleben von 12 Monaten nach der 90Y-RE erreicht werden konnte [55]. Faktoren, die ein schlechteres Überleben determinieren, waren mehr als 2 Linien (≥ 3) einer Chemotherapie, schlechtes radiologische Ansprechen auf die Therapie, extrahepatische Tumormanifestationen und ein extensiver Leberbefall (> 25 %). In einer weiteren Studie konnten Kennedy et al. zeigen, dass das Lebensalter der Patienten keinen Einfluss auf die Nebenwirkungen oder das Überleben nach 90Y-RE hat [27].

Einen neuen Weg beschreitet die SIRFLOX-Studie. Hier erfolgte nach der Diagnosestellung der irresektablen Lebermetastasierung eine Randomisation in einen Therapie-Arm FOLFOX-6 und einen Therapie-Arm 90Y-RE und FOLFOX-6 [67]. Diese Studie ist nach Einschluss von 530 Patienten mittlerweile abgeschlossen und die Daten zum progressionsfreien Überleben (PFS) sind veröffentlicht worden. Das mediane PFS konnte durch die Hinzunahme der 90Y-RE nicht signifikant verbessert werden (10,7 vs. 10,2 Monate); allerdings wurde das PFS in der Leber von 12,6 Monate auf 20,5 Monate (p = 0,002) durch die Hinzunahme der 90Y-RE verlängert. Gleichzeitig konnte ein verbessertes Ansprechen (68,8 % vs. 78,7 %) im Therapie-Arm mit der 90Y-RE bildgebend festgestellt werden, und die Resektionsrate (13,7 % vs. 14,2 %) war in diesem Arm höher. Die Summe der scherwiegenden Nebenwirkungen war gegenüber der Kontrollgruppe nicht signifikant unterschiedlich. Das primäre Ziel der Studie (PFS) konnte nicht verbessert werden. Auf dem diesjährigen ASCO wurden die Überlebensdaten der FOXFIRE-, SIRFLOX- und FOXFIRE-Global-Studien vorgestellt [60]. Hier konnte bei insgesamt 1075 Patienten im Vergleich FOLFOX-6-Chemotherapie mit oder ohne zusätzlicher 90Y‑RE kein Überlebensvorteil für die zusätzliche 90Y‑RE-Therapie in der Erstliniensituation demonstriert werden (HR 1,04, p = 0,609). Auch bezüglich des PFS gab es keine signifikanten Unterschiede. Die objektive Responserate und das bessere Leber-PFS sprachen für die zusätzliche 90Y‑RE, Grad-3–5-Nebenwirkungen waren allerdings bei dieser Kombination auch häufiger (74 % vs. 66,5 %). Eine Auflistung von ausgewählten Studien zur 90Y‑RE bei CRCLM befindet sich in Tab. 3.

Abb. 1
figure 1

Verlauf von CRCLM (kolorektale Karzinome mit Lebermetastasen) unter Radioembolisation. a MRT mit Gd-EOB-DTBA vor Yttrium-90-Radioembolisation (90Y-RE; Baseline). b 4 Monate nach 90Y-RE mit typischen Post-90Y-RE-Veränderungen und Größenregredienz („partial response“) der hepatischen Metastasen. c 8 Monate nach 90Y-RE weiterhin Größenregredienz („partial response“) der hepatischen Metastasen. d 12 Monate nach 90Y-RE Progress der hepatischen Metastasen des kolorektalen Karzinoms („progressive disease“)

Tab. 3 Ausgewählte publizierte Studienergebnisse zur Radioembolisation bei Lebermetastasen eines kolorektalen Karzinoms

Neuroendokrine Tumoren

Neuroendokrine Tumoren (NET) sind eine heterogene Gruppe von langsam wachsenden und teilweise hormonaktiven gut- und bösartigen Tumoren. NET entstehen aus dem Neuroektoderm (Neuralleiste) und gleichen immunhistochemisch endokrinen Drüsenzellen. Ihren Ursprung haben 75 % der NET im gastroenteropankreatischen System (v. a. Dünndarm, Appendix, Pankreas), sog. gastroenteropankreatische neuroendokrine Tumoren (GEP-NET), sodass der erste Metastasierungsort häufig die Leber ist [43]. In Abhängigkeit von den produzierten Hormonen und Botenstoffen (Gastrin, Serotonin, vasoaktives intestinales Peptid [VIP], Insulin, Glucagon etc.) können bei funktionell aktiven NET unterschiedliche klinische Syndrome auftreten. Da viele dieser Hormone bei GEP-NET in der Leber inaktiviert werden, treten bei solchen Tumoren diese hormonellen Syndrome meist erst bei einer Lebermetastasierung der NET auf, wenn die Hormonausschüttung der Lebermetastasen direkt in eine Lebervene erfolgt. Am bekanntesten ist das durch Serotoninausschüttung ausgelöste Karzinoidsyndrom mit Bauchkrämpfen, Durchfällen, Flushs und Herzschäden.

Lebermetastasen eines neuroendokrinen Karzinoms (NETLM), die für eine Resektion geeignet sind, profitieren von einer chirurgischen Resektion der Lebermetastasen, sodass transarterielle Therapien nur bei irresektablen Lebermetastasen indiziert ist [11, 37, 42].

Da nur wenige NETLM für eine chirurgische Therapie geeignet sind und da sie in der Regel stark arteriell hypervaskularisiert sind, haben lokale, transarterielle Therapien wie die TAE, die TACE oder die 90Y-RE bei einer auf die Leber beschränkten, nichtresektablen Metastasierung oder leberdominanten Erkrankung einen hohen Stellenwert als Therapieoption [70].

Nur wenige NETLM sind für eine chirurgische Therapie geeignet

Zahlreiche Mono- und Multizenterstudien zur 90Y-RE von neuroendokrinen Lebermetastasen sind publiziert (Tab. 4). Allen Studien gemein ist, dass es sich um retrospektive Studien ohne eine Vergleichsgruppe (Chemoembolisation, transarterielle Chemoembolisation [TACE], oder systemische Chemotherapie) handelt. Im Vergleich zu Lebermetastasen anderer Karzinome, wie z. B. des kolorektalen Karzinoms, haben Lebermetastasen eines neuroendokrinen Karzinoms eine deutliche bessere Prognose, sodass nach der 90Y-RE mittlere Überlebensraten von 14–70 Monaten resultieren. In einem Vergleich zwischen Glas- und Resin-90Y-Mikrosphären bei NET-Lebermetastasen konnten Rhee et al. keinen Unterschied zwischen beiden Mikrosphären bezüglich des Ansprechens und Überlebens feststellen [47].

Tab. 4 Publizierte Studienergebnisse zur Radioembolisation bei Lebermetastasen eines neuroendokrinen Karzinoms

Bei infolge der Transmitterausschüttung der Lebermetastasen symptomatischen Patienten konnte die klinische Symptomatik durch die 90Y-RE der Metastasen in 50−100 % der Fälle verbessert werden [24, 28, 29, 38, 44, 46].

Intrahepatisches Cholangiokarzinom

Das intrahepatische Cholangiokarzinom (ICC) ist ein lebereigener Tumor mit einer relativ niedrigen Inzidenz von 2–4 pro 100.000 Einwohner und Jahr, der von den intrahepatischen Gallengängen ausgeht. Das ICC stellt jedoch das zweithäufigste lebereigene Malignom dar. Bei einem überwiegenden Anteil der Patienten liegt bereits bei der Diagnosestellung ein lokal weit fortgeschrittenes, inoperables oder metastasiertes Stadium vor. Als Chemotherapie hat sich beim fortgeschrittenen inoperablen ICC inzwischen eine Kombinationstherapie von Gemcitabin mit Platin als Standard etabliert. Valle et al. haben in einer prospektiv-randomisierten Phase-III-Studie Gemcitabin mit der Kombination Cisplatin/Gemcitabin (CIS-GEM) verglichen und konnten eine signifikante Verbesserung des PFS im Gemcitabin-Cisplatin-Arm (8,0 vs. 5,0 Monate; p < 0,001) zeigen [65].

Die 90Y-RE hat ihren Stellenwert bei dem prädominierend hypervaskularisierten ICC im inoperablen palliativen Stadium. Die Indikationsstellung sollte interdisziplinär im Tumorboard gestellt werden. In einer prospektiven Studie konnten Saxena et al. anhand einer kleinen Kohorte zeigen, dass die 90Y-RE bei fortgeschrittenen nichtresektablen und/oder chemotherapierefraktären ICC insbesondere im Hinblick auf fehlende Behandlungsoptionen eine relative sichere und effektive Therapie darstellt. Das mediane Überleben betrug 9,3 Monate mit einem Überleben von 56 % nach 6 Monaten, 40 % nach einem Jahr, 27 % nach 2 Jahren und 13 % nach 3 Jahren. Nach RECIST („response criteria in solid tumors“) betrug die ORR („objective response rate“) 24 %, wobei 48 % als SD („stable desease“) nach der ersten Therapie gewertet worden sind. Patienten mit einer peripheren intrahepatischen Tumorausbreitung und einem ECOG-Stadium von 0 zeigen ein signifikant besseres Überleben [54]. Camacho et al. haben bei gleichen Einschlusskriterien das Therapieansprechen der 90Y-RE bei unterschiedlichen Response-Kriterien untersucht. Das mediane OS betrug 16,3 Monate bei einem OR mit der modifizierten RECIST-Bewertung von 56,2 % nach 3 Monaten post Y90-RE (12,5 % CR; 43,7 % PR) und 31,3 % SD. Beim modifizierten RECIST werden ausschließlich die hypervaskularisierten Anteile des Tumors nach Kontrastmittelgabe ausgemessen. Es zeigt sich bei mRECIST („modified response evaluation criteria in solid tumors“) eine deutliche Unterscheidung zwischen dem Therapieansprechen und Therapieversagen (medianes OS 21,4 vs. 7,4 Monate; p = 0,005). Die Autoren konstatieren, dass bei der 90Y-RE des ICC eine adaptierte Anwendung des mRECIST mit Bewertung der spät-venösen Kontrastmittelgabe nach 3 Monaten erfolgen sollte und somit eine gute Vorhersage des Überlebens möglich ist, wobei bei der klassischen Bewertung nach RECIST keinerlei Korrelation zum Überleben besteht. [9].

In einer retrospektiven Kohorte (n = 33) von Hoffmann et al. waren bei einer durchschnittlichen Nachverfolgung von 13,5 Monaten (3,1–44 Monate) 15 von 33 Patienten am Studienende noch am Leben. Der Tumormarkers CA19-9 verminderte sich um 28,3 % im Median nach 3 Monaten nach 90Y-RE, TTP („time to progression“) betrug 9,8 Monate, das mediane OS erreichte 22 Monate nach 90Y-RE und das mediane OS nach Diagnosestellung sogar 43,7 Monate. Bei einer Subanalyse dieser Kohorte zeigte sich ein deutlich besseres medianes OS bei Patienten mit ECOG 0 (29,4 Monate), Tumorlast ≤ 25 % (26,7 Monate), bei Patienten mit PR (35,3 Monate) und bei CA19-9-Respondern (12,5 Monate) [22]. Die zurzeit laufende multizentrische randomisiert-kontrollierte Studie SIRRCA vergleicht als Erstlinientherapie die Resin-90Y-RE, gefolgt von einer Cis-Gen-Chemotherapie, mit der alleinigen CIS-Gen-Chemotherapie als Kontrollgruppe bei nichtresektablen ICC [62]. Mit der Kenntnis, dass die 90Y-RE bei einem ECOG 0 und einer geringen Tumorlast ein gutes Ansprechen und ein Überleben von über 2 Jahren erreichen kann, ist ein frühzeitiger Einsatz der 90Y-RE beim ICC durchaus zu empfehlen. Zu bemerken ist, dass alle bisherigen Studien ausschließlich mit Resin-90Y-RE durchgeführt worden sind. Für die 90Y-RE mit Glasmikrosphären gibt es bisher keine veröffentlichten Studiendaten für die Behandlung des ICC.

Komplikationen

Neben den allgemeinen Komplikationen der invasiven Angiographie (Blutung, Bluterguss, Aneurysma spurium, Gefäßverletzung, Gefäßdissektion, Thrombose) und der transarteriellen Embolisation (TAE) (Postembolisationssyndrom mit Fieber, Oberbauchschmerzen, Übelkeit und Abgeschlagenheit) können auch spezielle durch die Einbringung eines Radionuklids ausgelöst werden. Diese für die 90Y-RE speziellen Komplikationen sind die Fehlembolisation und somit Fehlbestrahlung von Nichtzielorganen und die „radioembolisation-induced liver disease“ (REILD; [35]).

Eine Fehlembolisation in Nichtzielorgane kann z. B. durch Arterien, die nahe der Leberarterien aus der A. hepatica propria bzw. communis abgehen, erfolgen.

So sind v. a. die A. gastroduodenalis und die A. gastrica dextra häufig ursächlich für eine Fehverschleppung von radiogenen Partikeln und sollten deshalb möglichst vor der 90Y-RE verschlossen werden. Gelegentlich können auch aus der Leber noch Arterien zum Magen, zum Ösophagus oder zum Bauchnabel (A. falciforme) ziehen. Sollten diese sichtbar sein, müssen sie vor einer 90Y-RE verschlossen werden. Zum Ausschluss einer Fehlembolisation dient die 99mTc-MAA-Testembolisation vor der 90Y-RE. In den letzten Jahren konnte gezeigt werden, dass durch das intraangiographische Cone-Beam-CT (CBCT) viele Verbindungen zu Nachbarorganen detektiert werden können und somit zur Vermeidung von Fehlembolisationen beiträgt [34].

Eine weitere Ursache von einer Verschleppung von Partikeln ist eine zu große Verbindung zwischen der kapillären Leberarterie und den Lebervenen auf Höhe der Lebersinusoide. Durch diese Shunts innerhalb der Leber kann es zu einer Verschleppung der Partikel in die Lunge kommen, da diese nicht in den Leberkapillaren hängenbleiben. Diese Partikelverschleppung in die Lunge muss ebenfalls durch die 99mTc-MAA-Testembolisation mit Szintigraphie quantifiziert werden. In Falle einer zu großen Partikelverschleppung in die Lunge mit pulmonalen Dosen > 30 Gy droht eine radiogene Pneumonie mit Fibrose der Lunge.

Eine seltene, aber sehr schwerwiegende Komplikation nach 90Y-RE der Leber ist die REILD („radioembolization-induced liver disease“). Bei der REILD wird das gesunde Leberparenchym mit einer zu hohen Dosis bestrahlt und nachhaltig geschädigt. Nach Sangros et al. ist eine REILD definiert als Anstieg des Serum-Bilirubins über 3 mg/dl (51,3 μmol/l), neu aufgetretener Aszites (bildgebend oder klinisch) ohne Zeichen einer Tumorprogression oder einer Gallengangsobstruktion [8, 18, 51]. Typischerweise wird eine REILD 1–2 Monate nach der 90Y-RE klinisch auffällig. Die Therapie einer REILD erfolgt im Wesentlichen symptomatisch (Vermeidung hepato- und nephrotoxischer Medikamente und Reduktion der exzessiven extravaskulären Flüssigkeit (Aszites, Ödeme, Pleuraerguss) durch Diuretika, Parazentese und Thorakozentese) und hat eine schlechte Prognose [8]. Bei der REILD handelt es sich um eine Form des sinusoidalen obstruktiven Syndroms (SOS) bzw. der venookklusiven Erkrankung (VOD), das auch von vielen Chemotherapien bekannt ist. Analog zu diesem gibt experimentelle Therapieansätze, z. B. mit niedermolekularem Heparin, Pentoxifyllin, Urodesoxycholsäure, Defibrotide und frühzeitiger TIPSS-Implantation (transjuguläre intrahepatische portosystemische Shunt) [8].

Patienten mit einem hohen Risiko für die Entwicklung eines REILD sind solche mit vielen Zyklen einer systemischen Chemotherapie, vorangegangener 90Y-RE, externer hepatischer Bestrahlung und TACE. Darüber hinaus spielt die verabreichte Aktivität pro Lebervolumen während der 90Y-RE eine große Rolle. So ist eine Aktivität von mehr als 0,8 GBq/l Lebervolumen mit einem erhöhten Risiko für ein REILD verbunden. Eine zeitversetzte oder sequenzielle Therapie des rechten und linken Leberlappens mit einem Intervall von 6 Wochen stellt eine sehr gute Option zur REILD-Risikoreduktion dar.

Die meisten Kliniken empfehlen den Patienten ferner eine medikamentöse Therapie zur REILD-Prophylaxe nach der 90Y-RE mit beispielsweise Urodesoxycholsäure, Kortison, niedermolekularem Heparin und/oder Pentoxifyllin.

Während bei vielen transarteriellen Therapien, deren antitumorale Wirkung v. a. auf Ischämie beruht wie beispielsweise der TACE oder TAE, eine biliodigestive Anastomose ein Risikofaktor für die Entwicklung von Leberabszessen darstellt, ist nach der 90Y-RE keine erhöhte Inzidenz von Leberabszessen bekannt [12, 17].

Fazit für die Praxis

  • Die 90Y‑RE gehört zu den lokoregionären Therapiekonzepten und stellt heute bereits eine wichtige Säule in der Erst- und Zweitlinientherapie bei Cholangio- und hepatozellulären Karzinomen dar.

  • Bei Lebermetastasen kommt die 90Y‑RE meist zum Einsatz, wenn die Metastasierung unter Chemotherapie progredient ist und sich auf die Leber beschränkt („liver only“) oder dominant („liver dominant“) ist. Diese Therapieindikation wird vereinzelt auch als Salvage-Situation oder chemorefraktäre Situation bezeichnet.

  • Es können mit der Radioembolisation auch weit fortgeschrittene Leberkrebserkrankungen behandelt werden. Auch bei einem Tumorbefall von bis zur Hälfte der Leber ist bei noch ausreichender Leberfunktion die 90Y-RE eine realistische Therapieoption bei einem relativ niedrigen Komplikationsrisiko. Wegen des hohen logistischen Aufwands sollte die Indikationsstellung und genaue therapeutische Vorgehensweise für alle Patienten unabhängig von der zugrunde liegenden Tumorentität in einem interdisziplinären Tumorboard erfolgen.