Sowohl die Diagnosestellung als auch die Behandlung des Hodentumors können mit ausgeprägten somatischen und psychischen Belastungen der Betroffenen einhergehen. Sie können die Lebensqualität der Patienten beeinflussen und bedürfen in der klinischen Routine einer strukturierten, systematischen Erfassung.

Der maligne Hodentumor ist eine insgesamt seltene, bei jungen Männern allerdings die häufigste Krebserkrankung und verzeichnet eine steigende Inzidenz [1]. Mit 90% stellen Keimzelltumoren die häufigste Art der Hodentumoren dar und werden nach histologischer Beschaffenheit in Seminome (45%) und nichtseminomatöse Keimzelltumoren (NSKZT; 55%) unterteilt. Der Altersgipfel bei Erkrankung liegt bei den NSKZT zwischen dem 20. und dem 40. und bei Seminomen zwischen dem 30. und 50. Lebensjahr [2].

Viele auch ausgedehnt metastasierte Hodentumoren können heute kurativ behandelt werden

Dank verbesserter Therapieoptionen (insbesondere Cisplatin-basierte Kombinationschemotherapien) können heute auch ausgedehnt metastasierte Hodentumoren in überwiegender Mehrzahl kurativ behandelt werden. Die Fünfjahresüberlebensrate liegt dabei bei bis zu 96% [3]. Das therapeutische Vorgehen richtet sich nach der Histologie (Seminom vs. NSKZT), dem Erkrankungsstadium und der Klassifikation der International Germ Cell Cancer Collaborative Group (IGCCG) und umfasst operative Therapie (Orchiektomie), gefolgt von Surveillance ohne weiterführende Therapie und/oder adjuvante Chemotherapie, nervenschonende, retroperitoneale Lymphadenektomie und – bei Seminomen – adjuvante Radiotherapie ([2]; vgl. hierzu die anderen Beiträge im Heft).

Die Diagnose eines Hodenkarzinoms trifft Patienten meistens zu einem Zeitpunkt, an welchem sie mit zukunftsweisenden Lebensthemen wie Familiengründung, beruflicher Aus- und Weiterbildung bzw. Konsolidierung und Aufrechterhaltung partnerschaftlicher Beziehungen konfrontiert sind. Das niedrige Ersterkrankungsalter sowie eine mögliche Spättoxizität der Behandlung erhöhen das Risiko für bleibende psychische Belastungen und Einschränkungen der Lebensqualität (LQ), deren Förderung ein Ziel psychoonkologischer Behandlung darstellt [4].

Die Bedeutung von LQ in der Onkologie, neben klassischen onkologischen Zielkriterien wie progressionsfreie sowie generelle Überlebenszeit, Remissionsrate und -dauer ist mittlerweile unbestritten. Lebensqualität umfasst ein weites Spektrum an von Patienten selbst berichteten Endpunkten (sog. „patient-reported outcomes“, PROs; [5]), die auf die Auswirkungen von Krankheit und Behandlung auf wichtige Lebensbereiche Bezug nehmen. Neben Symptomen und physischer Funktionsfähigkeit gehören dazu auch z. B. soziale und emotionale Belastungen, Wohlbefinden und die generelle Lebenszufriedenheit [6].

Lebensqualität und psychische Belastung

Auf Basis der momentanen Studienlage zeigt sich, dass die LQ von Hodentumorpatienten nach erfolgreicher Therapie mit jener in der Normalbevölkerung vergleichbar ist, es allerdings Risikogruppen mit LQ-Beeinträchtigungen aufgrund der Behandlung und Diagnose und damit einhergehendem erhöhtem Behandlungsbedarf gibt [7]. Während bisherige Studien signifikante Beeinträchtigungen der LQ durch behandlungsassoziierte Nebenwirkungen wie gastrointestinale Symptome im Laufe der Radiotherapie sowie chemotherapieinduzierte, temporäre Infertilität, Neurotoxizität und Raynaud-Phänomen belegen [8, 9], scheint die LQ der Patienten nach Therapieende nicht von der Art der Behandlungsmodalität beeinflusst zu sein und sich im Laufe der Zeit an die Werte der Normalbevölkerung anzupassen [10, 11].

Behandlungsassoziierte Langzeiteffekte können die LQ in erheblichem Ausmaß beeinträchtigen

Jedoch sind, induziert durch die onkologische Therapie, Langzeiteffekte (z. B. primärer endokriner Hypogonadismus, Anreicherung von Cisplatin im Serum) zu erwarten, die spezifische Aspekte der LQ langfristig in erheblichem Maß beeinträchtigen können.

Zu den häufigsten Spätfolgen zählen sekundäre Neoplasien sowie kardiovaskuläre Erkrankungen, welche bis zu 10 Jahre nach der Behandlung auftreten können [12]. Weitere Langzeiteffekte beinhalten pulmonale Toxizität, Nephro- sowie Neurotoxizität, sexuelle Funktionsstörungen und Fertilitätsprobleme. Einen umfassenden Überblick über mögliche Langzeit- und Späteffekte der Therapie bei testikulären Keimzelltumoren bieten unterschiedliche Übersichtsarbeiten zu diesem Thema [13, 14].

Die Notwendigkeit psychoonkologischer Behandlungsangebote ergibt sich aus den möglichen psychischen Belastungen. Laut bisheriger Studien leiden 19–24% der Keimzelltumorpatienten an klinisch relevanter Angst [15] und bis zu 20% an Depressionen, sowohl zu Beginn der Therapie als auch in der Nachsorge [7, 16]. Hinzu kommt das Risiko, ein chronisches Fatiguesyndrom zu entwickeln [17] und die psychisch beanspruchenden Konsequenzen permanenter sexueller Funktionseinschränkungen [18].

Lebensqualität in der klinischen Routine

Die systematische Erfassung von LQ-Daten ermöglicht eine umfassende und strukturierte Abklärung behandlungsassoziierter Nebenwirkungen sowie Belastungen und fördert einen fokussierten Patientenkontakt. Außerdem trägt sie zur Verbesserung der Arzt-Patienten-Kommunikation und eines personalisierten klinischen Managements von Nebenwirkungen bei, fördert die Behandlungskontinuität sowie die gemeinsame Entscheidungsfindung [19, 20]. Um die Interpretierbarkeit von PROs im klinischen Kontext zu erhöhen, wurden klinische Schwellenwerte für unterschiedliche LQ-Bereiche definiert [21]. Die praktische Durchführbarkeit der LQ-Erhebung in der klinischen Routine gilt als belegt und kann mittels elaborierter Softwaresysteme an die komplexen Bedingungen des Klinikalltags angepasst und mit geringem Ressourceneinsatz zeitnah angewandt werden [22].

Anhand computergestützt erfasster LQ-Daten versucht die vorliegende Studie, die Frage nach dem Einfluss von Tumorcharakteristika auf die LQ von Hodentumorpatienten und den Verlauf dieser über die Zeit der Nachsorge zu klären.

Methoden

Für die Untersuchung der genannten Studienziele wurde eine retrospektive Analyse von Daten durchgeführt, die im Rahmen der routinemäßigen Erfassung von LQ von Hodentumorpatienten an der Universitätsklinik für Urologie in Innsbruck (Österreich) erhoben wurden. Für die Analysen wurden Querschnittdaten von Patienten mit Hodentumoren im Stadium I–III herangezogen. Die Patienten befanden sich in unterschiedlichen Phasen der Nachsorge (6 bis 120 Monate nach Abschluss der Therapie). Die Erfassung der LQ erfolgte mit den LQ-Fragebögen der European Organisation for Research and Treatment of Cancer (EORTC), dem Kernfragebogen EORTC QLQ-C30 und dem hodentumorspezifischen Modul EORTC QLQ-TC26.

Der EORTC QLQ-C30 [23] ist der validierte und international eingesetzte Kernfragebogen des modulären Fragebogensystems der EORTC Quality of Life Group. Er erfasst mit 30 Items physische, emotionale, kognitive, soziale Funktionen und Rollenfunktionen sowie 9 Symptombereiche (Fatigue, Übelkeit/Erbrechen, Schmerzen, Dyspnoe, Schlafstörungen, Appetitverlust, Konstipation, Diarrhö, finanzielle Auswirkungen) und die globale LQ. Die Fragen verwenden ein vierstufiges Antwortformat (überhaupt nicht, wenig, mäßig, sehr), mit Ausnahme der globalen LQ mit 7 Antwortkategorien. Höhere Werte beschreiben höhere Funktionsniveaus auf den Funktionsskalen und größeres Ausmaß an Beeinträchtigung auf den Symptomskalen. Zur Ermittlung des psychoonkologischen Behandlungsbedarfs wurde der Schwellenwert, basierend auf der Publikation von Giesinger et al. [21], verwendet.

Ergänzt wird der QLQ-C30 durch ein hodentumorspezifisches Modul EORTC QLQ-TC26 [24]. Dieses umfasst 6 Funktionsskalen (Behandlungszufriedenheit, Zukunftsperspektive, Kommunikation, sexuelle Aktivität, sexueller Genuss und Zufriedenheit mit dem Hodenimplantat) sowie 6 entitätsspezifische Symptomskalen (Nebenwirkungen der Behandlung, Probleme am Arbeitsplatz, familiäre Probleme, Infertilität, Probleme mit dem Körperbild und sexuelle Probleme). Die Antwortkategorien entsprechen jenen des QLQ-C30. Die finale Validierung des QLQ-TC26 im Rahmen einer internationalen Phase-IV-Feldstudie ist laufend.

Die Erhebung erfolgte elektronisch mit Hilfe eines Softwaresystems, dem Computer-based Health Evaluation System (CHES, www.ches.pro; [25]). CHES ist europaweit für verschiedene Validierungsstudien von Fragebogenmodulen der EORTC Quality of Life Group und in zahlreichen Kliniken zur elektronischen Routineerfassung von PROs (ePROs) sowie für klinisches Studienmonitoring im Einsatz [2628] und bietet umfangreiche Funktionalitäten zur elektronischen Erfassung, Speicherung sowie statistischen und graphischen Aufarbeitung von PRO-Daten.

Ergebnisse

Beschreibung der Stichprobe

Es lagen Daten von 236 Patienten in der Nachsorge nach einer Hodenkrebserkrankung vor und wurden ausgewertet. Das durchschnittliche Alter betrug 39 Jahre (Minimum 17, Maximum 72 Jahre), und zum Zeitpunkt der Befragung waren die Patienten durchschnittlich bereits 5 Jahre in der Nachsorge (±3 Jahre). Die Mehrheit der Patienten war an einem NSKZT (54%) erkrankt, 68% in Stadium I, und hatte postoperativ zumeist chemotherapeutische Behandlung erhalten (69%). Weitere Details sind Tab. 1 zu entnehmen.

Tab. 1 Charakteristiken der untersuchten Patienten

Lebensqualität in Abhängigkeit von Tumorcharakteristika

Beim Vergleich der LQ von Patienten in unterschiedlichen Tumorstadien ergaben sich statistisch signifikante Unterschiede bei mehreren Funktions- und Symptomskalen. Es zeigten sich signifikant schlechtere körperliche Funktionen (Stadium I: 97; Stadium II: 96; Stadium III: 90; p = 0,009) und Rollenfunktionen (92 vs. 91 vs. 73; p = 0,004) sowie geringere globale LQ bei zunehmendem Tumorstadium.

Patienten im Stadium III gaben in der Nachsorge signifikant größere Belastung durch Schmerzen (8 vs. 5 vs. 18; p = 0,018) und finanzielle Schwierigkeiten (8 vs. 9 vs. 24; p = 0,018) an, mehr Probleme im beruflichen (11 vs. 10 vs. 31; p = 0,010) und familiären Umfeld (15 vs. 13 vs. 35), aber auch in der Kommunikation über die Erkrankung und Sexualität mit dem Partner (85 vs. 90 vs. 73). Sexuelle Aktivität (71 vs. 73 vs. 53) und sexuelles Vergnügen (81 vs. 89 vs. 63) waren signifikant niedriger im fortgeschrittenen Tumorstadium und mit signifikant mehr sexuellen Problemen (9 vs. 15 vs. 22) verbunden (Tab. 2; Abb. 12).

Tab. 2 Lebensqualität und Tumorstadium
Abb. 1
figure 1

Allgemeine Lebensqualität und Tumorstadium. *Symptomskalen und Einzelsymptome (hohe Werte implizieren hohe Beeinträchtigung)

Abb. 2
figure 2

Hodentumorspezifische Lebensqualität und Tumorstadium. *Symptomskalen und Einzelsymptome (hohe Werte implizieren hohe Beeinträchtigung)

Über die meisten Lebensqualitätsbereiche hinweg erwies sich die LQ der Hodentumorpatienten mit jener der Allgemeinbevölkerung als vergleichbar. Die größte Abweichung zeigte sich zwischen Allgemeinbevölkerung und Patienten mit einer früheren Erkrankung im Stadium III im Bereich der Rollenfunktion und finanzieller Auswirkungen durch die Erkrankung.

Lebensqualität in Abhängigkeit vom histologischen Tumortyp

Statistisch signifikante Unterschiede zwischen Patienten mit Seminomen und Patienten mit NSKZT konnten weder in der krankheitsübergreifenden noch in den hodentumorspezifischen LQ-Bereichen gefunden werden (Tab. 3).

Tab. 3 Lebensqualität bei Seminomen und Nichtseminomen

Lebensqualität in Abhängigkeit von der Zeit seit Behandlungsende

Es zeigte sich ein signifikant positiver Zusammenhang zwischen körperlicher und sozialer Funktion wie auch der globalen Lebensqualität mit zunehmender Zeit seit der Behandlung. Symptombelastung durch Fatigue, Schmerzen, Schlafstörungen und Appetitverlust sowie hodentumorspezifische berufliche und familiäre Probleme, Infertilität, Probleme mit dem Körperbild wie auch sexuelle Schwierigkeiten wiesen eine negative Korrelation mit der Zeit seit Therapieende auf. Die Stärke der gemessenen Zusammenhänge ist insgesamt als gering einzustufen, wobei soziale Funktion (r = 0,26) und Probleme bei der Arbeit (r = −0,25) am stärksten mit der Zeit seit Therapieende korrelieren (Tab. 4).

Tab. 4 Lebensqualität und Zeit seit Behandlung

Psychoonkologischer Behandlungsbedarf

Bei einem Schwellenwert von 70 Punkten auf der Subskala Emotionale Funktion [21] wurde der Anteil der Patienten mit einer klinisch relevanten psychischen Beeinträchtigung bestimmt. Diese variierte je nach Stadium (Stadium I: 24%, II: 28%, III: 50%) und der Zeit seit Abschluss der Therapie (Patienten 0,5 bis 3 Jahre in Nachsorge: 36%, 4 bis 6 Jahre: 28%, 7 bis 10 Jahre: 20%). Bei Patienten mit Seminom wie auch mit NSKZT war der prozentuale Anteil gleich groß (27%).

Diskussion

Dieser Beitrag beleuchtet die LQ von 246 Hodentumorpatienten in Nachsorge anhand von Daten aus einer Routineerhebung an einem klinischen Zentrum in Österreich. Mehrheitlich litten die Patienten an einem NSKZT (54%) im frühen Erkrankungsstadium (68%) und hatten chemotherapeutische Behandlung erhalten (69%). Die LQ in dieser Gruppe von Hodentumorpatienten während der Nachsorge erwies sich als mit jener in der Allgemeinbevölkerung vergleichbar. Die größte Abweichung zeigte sich zwischen der Allgemeinbevölkerung und den in der Nachsorge befindlichen Patienten im Erkrankungsstadium III im Bereich der finanziellen Auswirkungen durch die Erkrankung sowie ihrer Rollenfunktion. Letzteres gibt Auskunft darüber, inwieweit der Patient in seinen Freizeitaktivitäten und in der Arbeit oder anderen tagtäglichen Beschäftigungen beeinträchtigt war. Eine mögliche Erklärung hierfür könnte das frühere Erkrankungsalter zu einem biografisch bestimmenden Zeitpunkt darstellen.

Im direkten Vergleich zeigten Patienten mit Seminomen und NSKZT keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich ihrer LQ. Dies steht in Einklang mit Ergebnissen aus früheren LQ-Studien, welche ebenfalls keine Unterschiede der LQ in Abhängigkeit von u. a. je nach histologischer Beschaffenheit des Tumors unterschiedlichen Behandlungsmodalitäten fanden [10, 11]. Verglichen mit Patienten in früheren Erkrankungsstadien sind Patienten in Stadium III am stärksten in ihrer Rollenfunktion, im familiären wie auch beruflichen Umfeld sowie in sexuellen Aspekten beeinträchtigt.

Im Vergleich der Angaben von Patienten zu unterschiedlichen Zeitpunkten nach Abschluss der Therapie zeigten sich höhere Werte bei körperlichen und sozialen Funktionen sowie spezifischen Symptomen (u. a. Fatigue, Schmerzen, Schlafstörungen und Appetitverlust) und beruflichen, familiären, sexuellen Problemen bei späteren Nachsorgezeitpunkten. Beeinträchtigungen in gewissen Bereichen können dennoch persistieren und weiterhin zu Behandlungsbedarf führen. So ist der Anteil der Patienten mit klinisch relevanter psychischer Belastung auch Jahre nach Therapieende beträchtlich hoch; nach 7 bis 10 Jahren liegt er noch bei 20%.

Die Resultate dieser Studie decken sich mit anderen Ergebnissen aus der vorliegenden wissenschaftlichen Literatur über die LQ von Hodentumorpatienten. So zeigte ein Vergleich von 1409 Hodentumorpatienten mit der Allgemeinbevölkerung nach einer medianen Nachsorgedauer von 11 Jahren keine klinisch relevanten Unterschiede in der LQ, die soziale Funktion blieb allerdings weiterhin beeinträchtigt [29]. Schlechtere Rollen- und soziale Funktion zeigte der SF-36 in einer Stichprobe von 116 Patienten in der Nachsorge nach Chemotherapie. In der katamnestischen Erhebung 12 Monate nach Therapie zeigten sich zwischen den Gruppen keine Unterschiede mehr und die selbstberichtete LQ war höher als bei der Erhebung vor Chemotherapiebeginn [30]. Smith et al. [7] fanden Beeinträchtigungen hauptsächlich hinsichtlich psychischer Aspekte generischer LQ bei 244 Patienten 6 Monate bis 5 Jahre nach Therapieende. In der hier vorliegenden Stichprobe schwankt der Anteil klinisch relevanter psychischer Beeinträchtigung zwischen 19% und 36%.

Limitiert wird die Interpretation dieser Ergebnisse dadurch, dass es sich um eine Querschnitterhebung handelt, welche den längerfristigen Verlauf der LQ nicht angemessen darstellen kann. Im Langzeitverlauf wird von einer zunehmenden Prävalenz von chronischer Fatigue berichtet, die bis zu 2 Jahrzehnte nach Behandlung noch bestehen kann [17]. Außerdem finden sich auch lange nach der Erkrankung noch persistierende Ängste bezüglich zukünftiger Fertilität [31]. Sogar nach 11 Jahren medianer Nachsorgedauer leidet trotz günstiger Prognose etwa ein Drittel der Patienten an Rezidivangst [7]. In der klinisch-onkologischen Nachsorge bleiben diese Belastungen oft unerkannt und daher unbehandelt [32].

Implikation für die klinische Routine

In der vorliegenden Stichprobe zeigt sich bei Patienten im Erkrankungsstadium III der größte psychoonkologische Behandlungsbedarf. Psychoonkologische Beratung und Behandlung sollte aber nicht nur diesen Patienten angeboten werden. Der Wunsch nach Unterstützung wird bei sexuellen Störungen und damit einhergehenden Problemen in der Partnerschaft und bei der Familiengründung immanent. Im Rahmen einer Erhebung des Unterstützungsbedarfs (n = 264) gaben 67% der befragten Hodentumorpatienten in der Nachsorge unabhängig vom Erkrankungsstadium an, Hilfe bei sexuellen und Fertilitätsproblemen zu benötigen [33].

Trotz bestehender Belastung in der Nachsorge nimmt nur ein geringer Anteil der Hodentumorpatienten psychoonkologische Behandlung in Anspruch [32]. Dies basiert einerseits auf fehlenden Angeboten, andererseits auf genderspezifischen Faktoren. Männliche Patienten tendieren eher dazu, bestehende psychische Belastungen zu negieren und sind zögerlich in der Inanspruchnahme von geeigneten Behandlungsangeboten [34]. Entsprechend sollten Ärzte auf die Patienten zugehen und ihnen aktiv die verschiedenen psychosozialen Angebote vorstellen [35].

Neben der Optimierung des Managements therapieassoziierter Morbidität ermöglicht die routinemäßige Erhebung der LQ auch die standardisierte Erfassung des psychoonkologischen Behandlungsbedarfs. Hierdurch unterstützt sie eine adäquate psychoonkologische Versorgung wie im Nationalen Krebsplan der Bundesrepublik Deutschland vorgesehen [36]. Aufgrund potenzieller Langzeitwirkungen und Spättoxizitäten wird eine langfristige bis lebenslange Nachsorge von ehemaligen Hodentumorpatienten empfohlen [14, 17, 37].

Die Modifikation des Gesundheitsverhaltens spielt eine wichtige Rolle

Diese sollen durch evidenzbasierte, risikoadaptierte Nachsorgepläne und personalisierte Interventionen zum Selbstmanagement unterstützt werden. Um Risiken möglicher behandlungsassoziierter Spättoxizitäten zu minimieren, spielt die Modifikation des Gesundheitsverhaltens (z. B. Rauchentwöhnung, gesunde Ernährung und vermehrte körperliche Aktivität) eine wichtige Rolle und sollte gefördert werden [13].

Möglichkeiten computergestützter LQ-Erhebung

Nach Beendigung der Therapie ergibt sich die Möglichkeit, für die kontinuierliche Erfassung des subjektiven Gesundheitszustands außerhalb des klinischen Settings webbasierte Patientenportale einzusetzen. Ergänzend zu den LQ-Erhebungen können diese den Patienten diagnosespezifische Informationen und auf ihren LQ-Daten basierende, personalisierte Anleitungen zum Selbstmanagement zugänglich machen und sie dadurch bei langfristigen Veränderungen ihres Gesundheitsverhaltens unterstützen. Ein derartiger Zugang zu Informationen bietet die Option einer unkomplizierten Intervention, welche keinen direkten, persönlichen Kontakt erfordert und die Hemmschwelle für die Inanspruchnahme daduch verringert. Durch einen Zugang im geschützten häuslichen Umfeld kann die Symptommitteilung in potenziell schambehafteten Bereichen (z. B. Sexualität) erleichtert werden [32]. Entsprechende Patientenportale, basierend auf CHES, sind unter anderem an der Universitätsklinik Innsbruck im Einsatz.

Die explizite Berücksichtigung der Patientenperspektive in Form der von Patienten berichteten LQ ermöglicht es, ein umfassendes Bild von der gesundheitsbezogenen Situation des Patienten, sowohl unter Therapie als auch in der Nachsorge, zu erhalten sowie nicht offensichtliche, aber dennoch klinisch relevante Problembereiche zu erfassen und personalisierte Interventionen anbieten zu können. Eine umfassende Patientenversorgung sollte die systematische Erfassung von somatischem wie auch psychoonkologischem Behandlungsbedarf bei Hodentumorpatienten beinhalten, um die Lebensqualität der Patienten im Erkrankungsverlauf bestmöglich erhalten zu können.

Fazit für die Praxis

  • Hodenkrebspatienten sind trotz einer guten Prognose einer Reihe von körperlichen, emotionalen und sozialen Belastungen ausgesetzt.

  • Sexuelle, somatische und psychische Beschwerden, die in der klinisch-onkologischen Praxis oft unerkannt und unbehandelt bleiben, können Jahre nach der Behandlung persistieren.

  • Der Behandlungsbedarf kann mittels standardisierter Erhebungen der LQ in der Routine erfasst und damit die Inanspruchnahme von Unterstützung und Hilfe durch niederschwellige Angebote gefördert werden.

  • Internetbasierte Lösungen (z. B. Patientenportale) ermöglichen die Erfassung potenzieller Langzeitnachwirkungen und unterstützen Patienten in ihrem Selbstmanagement.