Und es lässt sich doch nicht alles berechnen und vorhersehen. „Unser“ neuer Physik-Nobelpreisträger Anton Zeilinger sagt es überzeugt und voll Respekt für den Zufall und für nichtlineare Gedankengänge. So, wie viele andere Menschen, die sowohl in den Natur- wie in den Geisteswissenschaften oder auch in Kunst und Kultur herausragende Leistungen vollbracht haben und vollbringen, hat er nicht bestehende Modelle fortgeschrieben, sondern gegen viele konventionelle Meinungen, neue Wege beschritten. Zahlreiche fundamentale Entwicklungen sind in dieser Form erst möglich geworden. Dazu kommt die Begeisterung für das, womit man sich beschäftigt, die große Neugierde und eine gewisse Hartnäckigkeit, sich nicht beirren zu lassen von Kritikern, die einem sinn- und zweckloses Tun unterstellen. Denn erstens wird der Sinn und Zweck eben nicht immer schon ursprünglich ersichtlich – und zweitens kann die Sinnhaftigkeit von forschender Beschäftigung auf einer ganz anderen Ebene liegen, zum Beispiel in der Erschließung von neuen Denkräumen und Möglichkeiten. Oder vielleicht auch ganz anders.

Gedanken zu Raum und Zeit

Dieses „ganz anders“ hat sich dem Nobelpreisträger auch in seiner Erkenntnis zu Raum und Zeit offenbart. Raum und Zeit, so Zeilinger kürzlich in einem Interview [1], spielen überhaupt keine Rolle. Es komme bei der Realität nicht auf die Abfolge von Ereignissen an und auch nicht auf die räumliche Gestaltung. Zeilinger nennt dies „eine tiefe Erkenntnis“. Interessanterweise hat sich die Philosophie des Zen schon seit jeher mit dieser Annahme von Raum und Zeit beschäftigt und die Feststellung getroffen: Es gibt keinen Raum und keine Zeit. Dies seien menschliche Konstrukte.

Die Folgerungen aus dieser Erkenntnis sind vielleicht durchaus unterschiedlich, die unbedingte Fixierung auf eine absolute Größe für Raum und Zeit bedeutet allerdings zweifellos eine deutliche Einschränkung – im Denken und im Tun. Das Argument, dies rücke in esoterische Gefilde vor, kann man Anton Zeilinger wohl eher nicht vorwerfen. In der Praxis bedeutet es beispielsweise, dass Entscheidungen sich nicht immer auf eine bestimmte Kausalität zurückführen lassen, dass sich diese nicht immer tatsächlich beweisen lasse, sondern oft einfach angenommen wird, weil es dafür – im Moment – keine andere Erklärung gibt. Eine eher schwache Antwort, wie der Physiker feststellt. Und eine, die das Denken einschränkt.

Frei von unmittelbarem Zweck

Das Plädoyer für den Zufall und für die Forschung, die frei von unmittelbarem Zweckdenken ist, bedeutet nicht nur ein Plädoyer für die sogenannte Grundlagenforschung – von der meist auch erwartet wird, dass sie irgendwann für irgendetwas gut sein wird. Es schließt wohl im weiteren Sinne auch jene Wissenschaften und Forschungsprojekte ein, die sich mit Phänomenen und Zusammenhängen beschäftigen, deren Ergebnisse sich nicht kommerzialisieren lassen, wie dies oft in den Geisteswissenschaften und in der Kunst der Fall ist, die deshalb – abgesehen von Einzelfällen – immer wieder um ihre Existenzberechtigung und deren Proponenten um’s Überleben kämpfen müssen. Die Erforschung der ursprünglichen Aussprache des Altenglischen oder die Verbreitung von arabischen Texten des Mittelalters scheint auf den ersten Blick ein Nischeninteresse zu sein. Darum geht es aber gar nicht, sondern es geht um die Faszination und Begeisterung, mit der diese Fragestellungen verfolgt werden und die auch immer weiterführen zu neuen Fragestellungen und neuen Zusammenhängen, die durchaus manches erklären können, was für uns sehr relevant ist – über konventionelle Zeit- und Raumgrenzen hinweg. Nur Stillstand ist ein Fehler meint Ihre

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V. Kienast