Die vorliegende Publikation stellt die dritte Tranche einer psychoedukativen Intervention für bipolare Störungen dar, die an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Westfälischen Wilhelms-Universität entwickelt wurde. Die ersten 2 Teile mit der Darstellung der Module I bis VI sind bereits in psychopraxis.neuropraxis veröffentlicht worden [1, 2].

Modul VII ist als offene Stunde konzipiert, hier können unbeantwortet gebliebene Fragen im Detail beantwortet werden. In einigen Gruppen wurden rechtliche Aspekte angesprochen (z. B. das Unterbringungsgesetz). Abb. 1 zeigt die Inhalte des Moduls.

Abb. 1
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Inhalte des Moduls VII

Selbsthilfe stellt für bipolare Personen ein sehr wichtiges Konzept dar

Hilfreich und von vielen Teilnehmern gewünscht ist die weitere Auseinandersetzung mit dem Thema der eigenen Bipolarität – über die Teilnahme an der psychoedukativen Gruppe hinaus. Wichtig ist die Vermittlung von lokalen Adressen der Selbsthilfe als auch von jenen Institutionen, die sich seit vielen Jahren international für die Belange bipolarer Menschen einsetzen. Hier sind vor allem zu nennen: die Deutsche Gesellschaft für bipolare Störungen (https://dgbs.de), die 2003 erstmals ein „Weißbuch Bipolare Störungen in Deutschland“ [3] herausgegeben hat, der in der Schweiz tätige Verein „Equilibrium“ (Verein zur Bewältigung von Depressionen: https://www.depressionen.ch), sowie die Depression and Bipolar Support Alliance (DBSA: https://www.dbsalliance.org).

In zahlreichen Büchern können Patientinnen und Patienten Informationen über Diagnose und Therapie erhalten, empfehlenswert sind unter anderem:

  • Schou, Mogens. Die Lithiumtherapie affektiver Störungen: Praktische Informationen für Ärzte, Patienten und Angehörige. Thieme; 6., überarbeitete Auflage (8. Dezember 2004) ISBN-13: 978-3135933061.

  • Bräunig, Peter. Leben mit bipolaren Störungen: Manisch-depressiv: Antworten auf die meistgestellten Fragen. TRIAS; 3. Auflage (13. Juni 2018) ISBN-13: 978-3432105789

  • Meyer, Thomas D. und Hautzinger, Martin. Ratgeber Manisch-depressive Erkrankung: Informationen für Menschen mit einer bipolaren Störung und deren Angehörige. Hogrefe Verlag; 1. Auflage 2013 (9. Juli 2013). ISBN-13: 978-3801725198.

Eine Besonderheit im bipolaren Spektrum spielt die cyclothyme Störung, leider ist der wichtigste Ratgeber für Patientinnen und Patienten (noch) nicht ins Deutsche übersetzt worden: Hantouche, Elie; Majdalani, Caline und Blain, Régis. J’apprends à gérer ma cyclothymie (Französisch), Josette Lyon (7. September 2012) ISBN-13: 978-2843192722.

Aufschlussreich können Bücher von Betroffenen sein, so die Darstellungen des eigenen bipolaren Verlaufes in:

  • Melle, Thomas. Die Welt im Rücken. Rowohlt Taschenbuch; 5. Auflage (20. Februar 2018). ISBN-13: 978-3499272943 sowie in Taschenbuch – 20. April 2021

  • Hornbacher, Marya. Gefangen in meinem Selbst: Mein Leben mit einer bipolaren Störung. mvg Verlag (20. April 2021). ISBN-13: 978-3747402818

Besonders empfehlenswert sind die Bücher von Kay Redfield Jamison, die teilweise auch in deutscher Sprache vorliegen:

  • Meine ruhelose Seele: Die Geschichte einer bipolaren Störung (Deutsch). mvg Verlag; 1. Auflage (15. August 2014). ISBN-13: 978-3868825046

  • Wenn es dunkel wird. Zum Verständnis des Selbstmordes (Deutsch). Berliner Taschenbuchverlag (1. Januar 2002). ISBN-13: 978-3442760886

  • Exuberance: The Passion for Life (Englisch). Vintage; Reprint Edition (13. September 2005) Taschenbuch. ISBN-13: 978-0375701481

  • Touched With Fire: Manic-Depressive Illness and the Artistic Temperament (Englisch). Free Press; Reissue Edition (18. Oktober 1996) ISBN-13: 978-0684831831

In vielfältiger Weise wurden bipolare Störungen in Literatur und Film dargestellt. Als empfehlenswerte Beschreibungen in der Literatur seien genannt:

  • Eugenides, Jeffrey. Die Liebeshandlung (The Marriage Plot) Rowohlt; 1. Auflage (18. Oktober 2011) ISBN-13: 978-3498016746. Der Roman beschreibt eine Dreiecksgeschichte im Milieu einer amerikanischen Elite-Universität. Zwei Kommilitonen bemühen sich um die Liebe der Studentin Madeleine: der bipolare Leonhard und Mitchell, der autobiographische Züge trägt.

  • Widmer, Urs. Der Geliebte der Mutter. Diogenes; 1. Auflage (25. September 2012) ISBN-13: 978-3257057324. In dieser (fiktiven) Autobiographie beschreibt Widmer die an einer bipolaren Störung leidende Mutter aus der Perspektive des Kindes.

  • Haslett, Adam. Stellt euch vor, ich bin fort (Imagine Me Gone) Rowohlt; 1. Auflage (24. Januar 2018) ISBN-13: 978-3498030285. Der Roman stellt die Geschichte einer bipolaren Familie über zwei Generationen dar.

Zahlreich sind die Darstellungen bipolarer Störungen in Literatur und Film

Das Genre Film ist besonders gut geeignet, um verschiedene Facetten affektiver Störungen darzustellen. Folgende Filme seien als Beispiele genannt.

Einen depressiven Mischzustand zeigt: Von Angesicht zu Angesicht (Ansikte mot ansikte). Ingmar Bergman, Schweden 1976 mit Liv Ullmann, Erland Josephson, Gunnar Björnstrand und Aino Taube.

Darstellungen der Manie finden sich in:

  • Aguirre, der Zorn Gottes. Werner Herzog, Deutschland, Mexiko, Peru 1972 mit Klaus Kinski, Helena Rojo und Ruy Guerra,

  • Eine Frau unter Einfluß (A Woman under the Influence). John Cassavetes, USA 1974 mit Gene Rowlands und Peter Falk,

  • Mr. Jones. Mike Figgis, USA 1993 mit Richard Gere, Lena Olin und Anne Bancroft.

In einigen Filmen ist die bipolare Störung nicht der zentrale Handlungsstrang, sondern mehr die Kulisse für eine tragikomische Erzählung, so in Silver Linings (Silver Linings Playbook). David O. Russell, USA 2012 mit Bradley Cooper, Jennifer Lawrence und Robert De Niro sowie in Infinitely Polar Bear. Maya Forbes, USA 2014 mit Mark Ruffalo, Zoë Saldaña und Keir Dullea.

Eine besondere Bedeutung für bipolare Verläufe hat das hyperthyme Temperament im Übergang zur Hypomanie. Für Patientinnen und Patienten ist es wichtig zu erkennen, dass die Hypomanie nicht nur eine „sonnige“ Seite haben kann [4,5,6,7], sondern auch eine „dunkle“ [5,6,7]; Hypomanien im Verlauf also nicht unbedingt immer erstrebenswert sind. Besonders beeindruckend ist in diesem Zusammenhang die Darstellung des hypomanen Bruno in Il sorpasso (deutscher Verleihtitel: Verliebt in scharfe Kurven). Dino Risi, Italien 1962 mit Vittorio Gassman, Jean Louis Trintignant und Catherine Spaak. Der auch im richtigen Leben bipolare Schauspieler Vittorio Gassman spielt den Bruno als einen mitreißenden, selbstsicheren, energetischen, verführerischen, aber moralisch verantwortungslosen und oberflächlichen Menschen. Es wird deutlich, dass der Bipolare sozial isoliert und tragisch einsam sein kann, sich die (Hypo)manie als Konzept für eine „Lebensphilosophie“ [8] letztlich doch „falsch“ anfühlt.

Im Modul VIII wird die retrospektive Life-Chart [9, 10] erlernt. Abb. 2 zeigt die Inhalte des Moduls. Als Hausaufgabe für die nächsten Wochen soll für jedes vergangene Lebensjahr von jedem Teilnehmer der in Abb. 3 gezeigte Life-Chart-Bogen ausgefüllt werden. Das ermöglicht gemeinsam mit der bereits erlernten prospektiven Life-Chart [1, 9, 10] eine lückenlose Erfassung des Verlaufes [2, 11] und seiner Determinanten [12,13,14,15,16,17] durch die bipolare Person. Manche Aspekte des Moduls V (Verlauf) werden durch das Ausfüllen der retrospektiven Life-Chart am eigenen Beispiel deutlich, etwa die Bedeutung von Mischzuständen [18, 19], von Komorbiditäten [20,21,22,23,24,25,26,27], von Polaritätswechseln [28, 29], von Therapieresistenz [29,30,31] und des Verlaufstyps [32, 33]. Dieses stellt eine große Hilfe für den therapeutischen Prozess dar – auch in Hinblick auf das Erreichen von Adhärenz [34] und einer guten psychosozialen Funktionsfähigkeit [35] – und macht die Patientin/den Patienten zur Expertin/zum Experten ihrer/seiner Erkrankung.

Abb. 2
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Inhalte des Moduls VIII

Abb. 3
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Retrospektive Life-Chart. (Nach Leverich und Post [9] und Dittmann et al. [10])

Am Ende der Psychoedukation sollte jede Person alle Abbildungen der 3 Tranchen als Fotokopie erhalten haben; diese Sammlung kann ihr auch in der Zukunft als Gedächtnisstütze und für das Ausfüllen der prospektiven Life-Chart dienen.

Fazit für die Praxis

  • Psychoedukation ist ein wichtiger Bestandteil der Therapie bipolarer Störungen.

  • Die Zeitschrift psychopraxis.neuropraxis hat – über 3 Hefte verteilt – eine psychoedukative Intervention mit 8 Modulen abgedruckt.

  • Die retrospektive Life-Chart ermöglicht die Erfassung des bisherigen bipolaren Verlaufes.

  • Ziel von Psychoedukation ist, dass bipolare Personen eine eigene Expertise über ihren Krankheitsverlauf erlangen.