Kasuistik

Ein 65-jähriger Patient berichtet über seit etwa 3 Monaten bestehende und mehrmals täglich plötzlich einschießende, unwillkürliche Bewegungen besonders der oberen Extremitäten sowie eine zunehmende Gangunsicherheit. Intermittierend und ebenso nicht kontrollierbar komme es besonders im Stehen zum Anspannen oder zu Zuckungen der Muskulatur, welche die Gangunsicherheit zusätzlich verstärken. Zu Stürzen sei es bislang noch nicht gekommen. Kognitive Einschränkungen wären dem Patienten und seiner anwesenden Frau keine aufgefallen, wenn auch vielleicht das Gedächtnis in letzter Zeit nicht ganz so gut gewesen sei wie sonst, was sich der Patient aber als Alterserscheinung erklärt habe. Hinweise auf stattgehabte Krampfanfälle konnten ebenfalls nicht eruiert werden. Davon abgesehen schlafe der Patient seit Längerem auffallend schlecht und essen würde er fraglich auch weniger als sonst, jedenfalls sei es zu einem ungewollten, aber nicht unwillkommenen Gewichtsverlust von einigen Kilogramm gekommen. Nach weiteren Auffälligkeiten befragt, ergänzt der Patient, dass er oftmals brennende Schmerzen beidseits an den Fußsohlen verspüre, die auf probatorisch eingenommenes Paracetamol nicht reagiert hätten. Die Vorgeschichte bleibt bis auf eine behandelte arterielle Hypertonie ohne relevante Auffälligkeiten. Bis auf sein Antihypertensivum nehme der Patient keine regelmäßigen Medikamente ein.

Während des Gesprächs und der klinisch-neurologischen Untersuchung fallen die anamnestisch angegebenen Bewegungsstörungen auf. Sie veranlassen eine Blutabnahme und eine cMRT. Weder Routinelabor noch Bildgebung zeigen relevante Auffälligkeiten. Sie vermuten eine immunologische Ursache, führen eine Lumbalpunktion (LP) durch und leiten Serum und Liquor zur entsprechenden Diagnostik weiter. Die Routineparameter im Liquor sind ebenfalls normal. Sie entlassen den Patienten nach kurzer Beobachtung anschließend an die LP in gutem Allgemeinzustand nach Hause und vereinbaren einen Termin zur Befundbesprechung 2 Wochen später mit der Empfehlung sich bei Befundprogredienz telefonisch zu melden. Sie recherchieren währenddessen (s. Tab. 1) und haben unter den potenziellen Antikörpern schon für den Patienten passende im Kopf. Ein paar Tage vor dem Termin erhalten Sie den Befund, der Ihren klinischen Befund bestätigt: Der Patient hat in Serum und Liquor Antikörper gegen das Contactin-assoziierte Protein‑2 (Caspr2). Entsprechend diagnostizieren Sie eine Caspr2-Antikörper-assoziierte Erkrankung. Sie initiieren eine letztlich unauffällige Tumorsuche mit besonderem Fokus auf ein Thymom und starten eine Therapie mit intravenösen Immunglobulinen. Nach unzureichendem Ansprechen auf den ersten Zyklus kombinieren Sie diese mit Plasmapherese. Darunter bessern sich die Symptome, vor allem die den Patienten am meisten irritierenden Bewegungsstörungen. Die nächste klinische Kontrolle, inklusive erneuter Untersuchung der Serumantikörper gegen Caspr2, ist in 6 Monaten oder bei Bedarf früher geplant.

Tab. 1 Assoziation häufiger Antikörper mit Bewegungsstörungen und Tumoren. (Modifiziert nach [1])

Einleitung

Immunmediierte Bewegungsstörungen können im Rahmen unterschiedlicher Erkrankungen auftreten und dabei unter anderem Antikörper-vermittelt, postinfektiös bzw. infektiös getriggert oder paraneoplastisch verursacht sein. Im folgenden Beitrag soll anhand von konkreten Beispielen kurz auf diese 3 Gruppen eingegangen werden.

Antikörpervermittelte Bewegungsstörungen

Diese Gruppe beinhaltet mehrere klinisch heterogene Krankheitsbilder und lässt sich anhand des Zielantigens der vorliegenden Antikörper in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen betreffen die Antikörper dabei extrazelluläre Antigene von neuronalen Oberflächenproteinen und zum anderen intrazelluläre Antigene. Den Antikörpern der ersten Gruppe wird in der Pathogenese der jeweiligen Erkrankung eine kausale Rolle zugesprochen, was durch den passiven Transfer dieser Antikörper auf Versuchstiere bestätigt werden konnte [1]. Dahingegen werden Antikörper, die sich gegen intrazelluläre Antigene richten und dadurch keine Möglichkeit haben, überhaupt an ihr Antigen zu binden, als Bystander im ablaufenden immunologischen, vornehmlich CD8-Zellen-mediierten Prozess betrachtet. Darunter fallen etwa die paraneoplastisch auftretenden und deswegen oft als onkoneural bezeichneten Antikörper unter anderem gegen Yo, Hu und Ri. Eine partielle pathogenetische Rolle könnten Antikörper gegen die Glutamatdecarboxylase 65 (GAD65) und Amphiphysin spielen, bei welchen sich die intrazellulären Antigene temporär an der Zelloberfläche befinden und dort von Antikörpern gebunden werden können.

Nachgewiesen werden onkoneurale Antikörper mittels Immunoblot und gewebsbasiertem Assay, Oberflächenantikörper werden mittels gewebs- und lebendzellbasierten Assays in entsprechend erfahrenen Laboren detektiert (siehe Abb. 1). Um die höchstmögliche Sensitivität und Spezifität zu gewährleisten, wird die Analyse von Serum und Liquor empfohlen.

Abb. 1
figure 1

a Der Liquor eines Patienten mit NMDAR-Enzephalitis zeigt im gewebebasierten Assay im Hippocampus ein kräftiges Neuropilfärbemuster. b Der Liquor eines Patienten mit bislang uncharakterisierten antineuronalen Oberflächenrezeptorantikörpern zeigt eine starke Membranfärbung einer lebenden kultivierten Nervenzelle. © Romana Höftberger

Die exemplarisch vorgestellten Krankheitsbilder können sich isoliert durch Bewegungsstörungen präsentieren. In den meisten Fällen treten diese aber in Verbindung mit einer Autoimmunenzephalitis auf, auf welche in diesem Beitrag nicht näher eingegangen wird (s. hierzu [2]). Ergänzungen zu den jeweiligen Erkrankungen hinsichtlich zusätzlicher Charakteristika und Tumorassoziation finden sich in Tab. 1.

Patient*innen mit Antikörpern gegen den N‑Methyl-D-Aspartat-Rezeptor (NMDAR) zeigen, neben früh auftretenden psychiatrischen und kognitiven Auffälligkeiten, eine charakteristische Hyperkinesie, die Gesicht, Extremitäten und Stamm betrifft und als dyskinetisch oder choreatisch beschrieben wird. Die Dyskinesien manifestieren sich dabei vor allem orobukkolingual. Auch Dystonien, Katatonien und stereotype Bewegungsmuster können vorkommen.

Eine Besonderheit bei Antikörpern gegen LGI1 sind faziobrachiale dystone Anfälle

Weiterhin bleibt bei diesen LGI1-Antikörpern („leucine-rich, glioma inactivated 1“) unklar, ob diese letztlich Krampfanfälle sind oder eine distinkte Bewegungsstörung darstellen. An weiteren Bewegungsstörungen werden Myoklonien, Chorea und Parkinsonismus beschrieben. Eine oftmals auftretende Hyponatriämie kann diagnostisch hinweisend sein.

Die Charakteristika einer Caspr2-assoziierten Erkrankung werden bereits in der Kasuistik beschrieben. Die häufigste Bewegungsstörung bei Antikörpern gegen IgLON5 („IgLON family member 5“) besteht in einer Chorea, aber auch Parkinsonismus, Ataxie, Dystonie und eine Steifigkeit der Extremitäten kommen vor. Die Patient*innen präsentieren sich initial aber zumeist aufgrund einer chronischen Non-REM- und REM-Schlafstörung. Auch kognitive Einschränkungen und eine bulbäre Symptomatik können auftreten.

Zu den Leitsymptomen der Stiff-Person-Spektrum-Erkrankungen (SPSD) gehören fluktuierende, rumpfbetonte Rigidität und Spasmen, die vornehmlich die Lendenwirbelsäule (LWS) und die proximalen Bereiche der unteren Extremitäten betreffen. Selten ist nur eine Extremität betroffen, was dann als Stiff-Limb- oder Stiff-Leg-Syndrom bezeichnet wird. In weiterer Folge entwickelt sich eine durch Vorbeugen nicht ausgleichbare Hyperlordose der LWS. Auch eine Hyperekplexie, myoklonisch gesteigerte Schreckreflexe, kann auftreten. Am klinisch schwerwiegenderen Ende des Spektrums findet sich die progressive Enzephalomyelitis mit Rigidität und Myoklonien (PERM) mit prominenter Hyperekplexie, Myoklonien, einer generalisierten Steifheit, Hirnstammzeichen und autonomen Störungen. Assoziierte Antikörper richten sich gegen GAD65 und den Glycinrezeptor. Auch Antikörper gegen GABAA (γ-Aminobuttersäure-A)-Rezeptor, DPPX (Dipeptidyl-Peptidase-like Protein-6) und Amphiphysin sind bei SPSD beschrieben.

Die radiologischen Befunde der genannten Krankheitsbilder können unauffällig sein, aber auch T2-gewichtete Hyperintensitäten im Marklager, den Basalganglien und, vor allem im Zusammenhang mit einer Autoimmunenzephalitis, in den mesialen Temporallappen zeigen. Auch die Ergebnisse der Liquoruntersuchung reichen von normal bis Pleozytose, erhöhtem Gesamtprotein oder IgG-Index, sowie oligoklonalen Banden im Liquor [3].

Diese diversen antikörpervermittelten Bewegungsstörungen eint, dass ein rascher Therapiebeginn die Prognose signifikant beeinflusst. Zur Immuntherapie erster Wahl zählen hoch dosiertes Methylprednisolon, intravenöse Immunglobuline (IVIG) und Plasmapherese (PLEX). Bei pädiatrischen Patient*innen oder krankheitsbedingt unzureichender Kooperation ist eine PLEX oft nur erschwert möglich. Nicht selten benötigen die Patient*innen zusätzliche Immuntherapien zweiter Wahl, etwa Rituximab (RTX) und Cyclophosphamid (CPM) [4]. Bei der IgLON5-Antikörper-assoziierten Erkrankung konnten initiale Publikationen nur ein schlechtes Ansprechen auf Immuntherapien nachweisen, rezentere Studien belegten dahingegen zumindest einen teilweisen Therapieerfolg [1].

Postinfektiöse und infektiös getriggerte Bewegungsstörungen

Die Chorea Sydenham ist der Prototyp der postinfektiösen Bewegungsstörung, betrifft vor allem ältere Kinder und Adoleszent*innen. Sie wird nach der vorherrschenden Hypothese durch kreuzreagierende Antikörper verursacht, die auf eine Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken (GAS), vor allem Streptococcus pyogenes, gebildet werden. Dale et al. konnten bei 10/30 pädiatrischen Patient*innen mit Chorea Sydenham Antikörper gegen den Dopamin-2-Rezeptor nachweisen, eine Bestätigung dieser Beobachtung durch andere Arbeitsgruppen steht jedoch noch aus. Neben Chorea bzw. seltener Hemichorea treten auch Verhaltensänderungen oder, bei vorliegendem rheumatischem Fieber, Karditis und Arthritis auf. Die Therapie basiert auf einer antibiotischen Eradikation der GAS mit Penicillin, vornehmlich zur Verhinderung eines rheumatischen Fiebers. Eine medikamentöse Behandlung der Bewegungsstörung kann etwa mit Dopaminantagonisten erfolgen. Bei moderaten bis schweren Verläufen ist eine Immuntherapie mit oralem Prednisolon 1–2 mg/kg/Tag für 2 Wochen mit anschließendem Ausschleichen indiziert, bei unzureichendem Therapieansprechen bei limitierter Datenlage eventuell zudem IVIG oder PLEX.

Das Konzept von „pediatric autoimmune neuropsychiatric disorders associated with streptococcal infections“ (PANDAS) bzw. „pediatric acute-onset neuropsychiatric syndrome“ (PANS) ist umstritten, da die Rolle der Streptokokkeninfektion, der natürliche Verlauf und die Rolle der symptomatischen Therapie bzw. Immuntherapie weiterhin unzureichend geklärt sind. Der beschriebene angenommene infektiös getriggerte Krankheitsverlauf soll den abrupten Beginn einer Persönlichkeitsveränderung verbunden mit Zwangsstörungen und Tics bei vorher gesunden Kindern beinhalten (s. Infobox 1). Initial wurde diese Erkrankung bei Patient*innen in zeitlichem Zusammenhang mit Streptokokkeninfektionen beobachtet (PANDAS), bei vielen Betroffenen fehlte dieser aber, was entsprechend als PANS eingestuft wurde. Die aktuelle Datenlage lässt keine antibiotische oder Immuntherapie empfehlen. Retrospektive Studien belegen einen gewissen Nutzen von oralem Prednisolon, aber in kontrollierten Studien konnte kein relevanter Unterschied zwischen IVIG, PLEX und Placebo gezeigt werden [5].

Infobox

2012er diagnostische Kriterien für PANS, übersetzt nach [5]

  1. 1.

    Abrupter, dramatischer Beginn einer Zwangsstörung und deutlich eingeschränkte Nahrungsaufnahme (< 48 h). Die Symptome der Zwangsstörung müssen schwer und häufig genug sein, um die DSM-IV-Kriterien für eine Zwangsstörung zu erfüllen.

  2. 2.

    Gleichzeitige Präsenz von zusätzlichen neuropsychiatrischen Symptomen mit ähnlich schwerem und akutem Beginn (zumindest zwei der folgenden Symptome):

    1. a.

      Angst

    2. b.

      Emotionale Labilität und/oder Depression

    3. c.

      Irritabilität, Aggression und/oder starkes oppositionelles Verhalten

    4. d.

      Verhaltens‑/Entwicklungsregression

    5. e.

      Verschlechterung der schulischen Leistungen

    6. f.

      Sensible oder motorische Probleme

    7. g.

      Somatische Zeichen oder Symptome, einschließlich Schlafstörungen, Enuresis oder frequentes Urinieren

  3. 3.

    Die Symptome sind nicht besser erklärbar durch eine bekannte oder neurologische Erkrankung, wie etwa Chorea Sydenham, systemischer Lupus erythematodes, Tourette-Syndrom oder andere.

Paraneoplastische Bewegungsstörungen

Dazu gehören zum einen Bewegungsstörungen vermittelt durch identifizierte onkoneurale Antikörper und zum anderen das Opsoklonus-Myoklonus(Ataxie‑)Syndrom (OMS). Letzteres kommt am häufigsten bei Kindern unter drei Jahren vor und äußert sich durch einen Opsoklonus, d. h. unwillkürliche, unregelmäßige Augenbewegungen in alle Richtungen, und Myoklonien. Auch Ataxie, Verhaltensauffälligkeiten, Irritabilität, Schlafstörungen oder kognitive Defizite können auftreten. Bei pädiatrischen Patient*innen lässt sich in 50 % ein Neuroblastom nachweisen. Bei Erwachsenen finden sich bei etwa 40 % unter anderem kleinzellige Lungenkarzinome, Mammakarzinome oder Ovarialteratome. Zumeist tritt das OMS auf, bevor die Krebserkrankung entdeckt wurde. Bei einigen Patient*innen sind onkoneurale Antikörper gegen Hu, CRMP5 oder Ma2 detektierbar, seltener kommen aber auch solche gegen oberflächliche Antigene wie GABAA, GABAB oder DPPX vor. Die Therapie richtet sich nach der Grunderkrankung. Kognitive Defizite oder Verhaltensauffälligkeiten können bei etwa der Hälfte der Patient*innen bestehen bleiben.

Fazit für die Praxis

  • Bei Verdacht auf antikörpervermittelte Bewegungsstörungen sollte Serum und Liquor vor Therapiebeginn an ein erfahrenes neuroimmunologisches Labor zur Untersuchung geschickt werden (Verwendung geeigneter Testverfahren für den Nachweis von intrazellulären und Oberflächenantikörpern).

  • Die unterschiedlichen Antikörper verursachen teils distinkte klinische Merkmale. Die Immuntherapie sollte rasch eingeleitet werden, um die Prognose günstig zu beeinflussen.

  • Die Chorea Sydenham wird antibiotisch mit Penicillin und bei moderat bis schwer betroffenen Patient*innen zusätzlich mit Immuntherapie (orales Prednisolon, ggf. IVIG oder PLEX) behandelt.

  • PANS und PANDAS sind in Diskussion befindliche Krankheitskonzepte. Eine antibiotische oder Immuntherapie wird derzeit nicht empfohlen.

  • Ein Opsoklonus-Myoklonus-Syndrom zeigt sich mit den namensgebenden Symptomen, tritt häufig vor Diagnose einer onkologischen Erkrankung auf und indiziert entsprechend eine Tumorsuche.