Der Begriff „Migration“ leitet sich vom lateinischen Wort „migrare“ ab und bedeutet „(aus-)wandern, wegziehen, übersiedeln“. Gemäß der United Nations Economic Commission for Europe werden Personen mit Migrationshintergrund als Personen definiert, welche selbst (1. Generation) oder deren Eltern im Ausland geboren wurden (2. Generation) [1]. Die aus den 1960er Jahren stammende „Push-Pull-Theorie“ von Lee (1966) versucht, das Phänomen der Migration zu erklären. Die Theorie beinhaltet Faktoren, welche potenzielle Migranten aus Herkunftsländern drängen (Push) sowie Faktoren, welche Menschen in Zielländer ziehen (Pull) [2].

Pflegepersonalbedarf in Österreich — Migration als mögliche Lösung

Im Jahr 2021 hatten etwa 25 Prozent (2,240 Mio.) der Erwerbstätigen und jede fünfte Pflegeperson in Österreich einen Migrationshintergrund [3,4]. Die Gründe für Migrationsbewegungen sind vielfältig. Gesellschaftspolitische Entwicklungen, Krisen und die Globalisierung einschließlich der Zunahme an Mobilität führen zu einer zunehmend heterogenen und multikulturellen Bevölkerung [4].

Die Abwanderung von Gesundheitspersonal aus Entwicklungsländern in wirtschaftlich besser entwickelte Länder ist ein langjähriger Trend. Eine Querschnittsstudie von Murataj et al. (2022) mit Beschäftigten im Gesundheitswesen im Kosovo zeigt, dass 14 Prozent der Beschäftigten eine Auswanderung anstreben. Etwa 24 Prozent gaben an, dass die Wahrscheinlichkeit für eine Migration nach der COVID-19 Pandemie gestiegen ist. Unzufriedenheit mit Löhnen und Arbeitsbedingungen wurden mit einer hohen Migrationsbereitschaft assoziiert [5].

Altersdemographische Statistiken zeigen eine steigende Lebenserwartung und deuten künftig auf einen höheren Anteil an hochbetagten und pflegebedürftigen Menschen hin [6]. Gleichzeitig ist ein Rückgang an Betreuungsressourcen aus dem familiären Setting zu verzeichnen und Pensionierungswellen von qualifizierten Pflegekräften sind zu erwarten. Darüber hinaus ist die Forderung nach mehr Produktivität bei weniger Anreizen für viele Pflegekräfte körperlich und geistig erschöpfend [7]. Eine Bedarfserhebung prognostiziert für Österreich einen zusätzlichen Personalbedarf von etwa 76.000 Pflegepersonen bis 2030 [8]. Um der Herausforderung von Personalengpässen entgegenzuwirken, setzen insbesondere wirtschaftsstarke Länder auf die Strategie der Migration von Pflegekräften [9]. In einigen Fällen gibt es bilaterale Abkommen mit den Herkunftsländern, die vorteilhafte wirtschaftliche und politische Vereinbarungen zum Ziel haben, um Pflegepersonal in die Zielländer zu integrieren [10].

Für die gezielte Rekrutierung von Pflegepersonal sind Fragen hinsichtlich der Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie der Berufsanerkennung zu klären. Für Bürger innerhalb der EU, aus dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und der Schweiz besteht Visumsfreiheit. Ein Aufenthalt, der länger als drei Monate andauert, erfordert ein Beschäftigungsverhältnis in Österreich, genügend Existenzmittel und einen Krankenversicherungsschutz oder das Absolvieren einer Ausbildung. Für einen dauerhaften Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen (außerhalb der EU, des EWR und der Schweiz) ist ein Aufenthaltstitel erforderlich. Um aus einem Drittstaat kommend, längerfristig in Österreich leben und einen Beruf ausüben zu können, wird eine „Rot-Weiß-Rot-Karte“ benötigt, welche Arbeitskräfte berechtigt, sich in Österreich für eine Dauer von 24 Monaten aufzuhalten und einer Beschäftigung bei einem Arbeitgeber nachzugehen. Die „Rot-Weiß-Rot-Karte“ wird unter anderem an Fachkräfte in Mangelberufen vergeben, welche über eine verbindliche Zusage bei einem österreichischen Arbeitgeber verfügen und weitere Zulassungskriterien wie sprachliche Kenntnisse erfüllen [11]. Von den aktuell 98 bundesweiten Mangelberufen ist der Beruf der Diplomierten Gesundheitsund Krankenpflegepersonen auf Platz 17 eingereiht [12].

Innerhalb der EU gibt es, ausgenommen die allgemeine Gesundheits- und Krankenpflege, keine einheitlichen Mindestanforderungen an die Ausbildung. Daher erfolgt für Angehörige von Pflegeberufen mit einer im Ausland abgeschlossenen Ausbildung eine inhaltliche Prüfung. Es wird zwischen „Anerkennung“ und „Nostrifikation“ unterschieden. Grundlage für eine Anerkennung der Qualifikationen bildet die europäische Richtlinie über Berufsanerkennungsregeln 2005/36/EG. Im Rahmen einer Nostrifikation wird über die Gleichwertigkeit eines Ausbildungsabschlusses für Drittstaatsangehörige entschieden. Wenn keine Gleichwertigkeit vorliegt, sind Ergänzungsprüfungen und/ oder Praktika zusätzlich zu absolvieren [13].

Im Jahr 2021 haben von allen registrierten Gesundheits- und Krankenpflege-Berufen (DGKP, PFA, PA) etwa zehn Prozent die Ausbildung im Ausland abgeschlossen. Unter den ausländischen Beschäftigten sind jene aus Deutschland mit 22 Prozent die größte Gruppe, gefolgt von 14 Prozent aus der Slowakei und sieben Prozent aus Slowenien (nur 1. Generation berücksichtigt). Der Anteil an DGKP mit Anerkennungs- bzw. Nostrifikationsbescheid ist vom Jahr 2018 von zehn auf 19 Prozent im Jahr 2019 gestiegen [14].

Die Anwerbung von Pflegekräften aus dem Ausland bringt neben rechtlichen auch ethische Fragen mit sich. [15].

Die Arbeit an sich ist spannend, aber es gibt kaum Positiv-PR für die Pflege

In der Pflegepersonal-Bedarfsprognose für Österreich prognostizierte Dr. Elisabeth Rappold, Leiterin der Abteilung Langzeitpflege der Gesundheit Österreich GmbH, mit ihrem Team einen zusätzlichen Personalbedarf von etwa 76.000 Pflegepersonen bis zum Jahr 2030.

In der Praxis wird der Bedarf oft noch höher eingeschätzt. Welche Rolle spielt hier Migration? RAPPOLD: Was wir in der Pflegepersonal-Bedarfsprognose berechnet haben, beruht auf verschiedenen Quellen. Die Angaben zum akutstationären Bereich stammen aus der Krankenanstaltenstatistik und liegen damit systematisch vor. Für den Langzeitbereich wurde zwar auf vorhandene Daten zurückgegriffen, aber es wurden zusätzliche Erhebungen in den Bundesländern und bei Pflegeheimen durchgeführt, da keine systematischen Informationen zu den Pflegepersonen vorliegen. Was wir auch nur pauschal mitberücksichtigt haben, sind Heimhilfen, weil keine systematischen Erhebungen über das Personal vorhanden sind. Aus dem Gesundheitsberuferegister wissen wir, dass 89 Prozent der GuK-Berufsangehörigen österreichische Staatsbürger sind. Wir wissen, dass wir mit heimischem Personal den Fachkräftebedarf egal in welcher Sparte nicht decken werden können. Zwischen den Sektoren und auch zwischen Ländern entsteht zunehmend eine Konkurrenz in der Anwerbung von Personal. Deshalb glaube ich, dass wir gerade im Gesundheits- und Pflegewesen systematisch und abgestimmt vorgehen müssen, um Personalengpässe durch Pflegekräfte aus dem Ausland abzufedern, auch vor dem Hintergrund, dass ethische Prinzipien einzuhalten sind.

Wie würde so ein systematisches, abgestimmtes Vorgehen beim Anwerben von Pflegekräften aus dem Ausland idealerweise aussehen?

RAPPOLD: Eine nationale Agentur, die nicht privatwirtschaftlich getriggert ist, könnte koordiniert für Österreich Personal in den verschiedenen Ländern anwerben. Sie würde mit Bildungseinrichtungen im Ausland zusammenarbeiten, die jeweiligen Pflegeausbildungen kennen, Austauschprogramme umsetzen, zugeschnittene Online-Ausbildungsprogramme und Deutschkurse vor Ort anbieten. Damit wäre es den interessierten Personen bereits während ihrer Ausbildung möglich, nach Österreich zu kommen oder bereits im Heimatland Prüfungen zu machen, um später ihre Nostrifikation in Österreich schneller abwickeln zu können und ihrer Qualifikation entsprechend eingesetzt zu werden. Unterstützung bei notwendigen Behördenwegen würde geboten und relevante Informationen wären in unterschiedlichen Sprachen verfügbar, damit sie von den Menschen auch wirklich verstanden werden. Auch die Vermittlung kultureller Inhalte würde über die Agentur abgewickelt. Dabei ist es wichtig, Herkunftsländer nicht auszubeuten, sondern ein System des gegenseitigen Gebens und Nehmens zu entwickeln.

Ich habe den Eindruck, dass Anwerbungsversuche noch nicht systematisch genug umgesetzt werden. Diese finden bei uns punktuell von Einrichtungen statt und da passiert es, dass mehrere Einrichtungen in einem Land parallel aufschlagen. Das führt dazu, dass sich die Einrichtungen im Anwerbeprozess konkurrieren. Auch die Ressourcen, die die Einrichtungen für ein derart unkoordiniertes Vorgehen aufwenden müssen, sind zu hinterfragen.

Wäre eine nationale Agentur denn kurz- bis mittelfristig umsetzbar?

RAPPOLD: Ja, ich könnte mir vorstellen, dass diese Agentur auch kurzfristig umsetzbar sein könnte. Etwa als Teil der Gesundheits- und Pflegereform. Ich könnte mir vorstellen, dass dies eine Möglichkeit wäre, um rasch erste Schritte zu setzen und den Menschen Sicherheit zu geben. Flankierende Maßnahmen, wie etwa Familiennachzug oder soziale Aspekte in den Herkunftsländern, müssten mitgedacht werden.

Wo wird die Reise hingehen? Kann oder muss Auslandsanwerbung die Lösung für die Zukunft der Pflege sein?

RAPPOLD: Auslandsanwerbung kann nicht die einzige Säule sein, auf die wir uns verlassen sollten. Primär muss es uns gelingen, Rahmenbedingungen zu schaffen, die den Pflegeberuf für Personen aus Österreich attraktiv machen. Denn die Arbeit an sich ist spannend, es gibt nur im Moment kaum Positiv-PR für die Pflege. Wir müssen es schaffen, sowohl die Pflegeausbildungen als auch den Pflegeberuf zu attraktiveren. Die dritte Säule, die noch nicht ausreichend umgesetzt ist, ist die Digitalisierung. Gerade hier liegt ein großes Potential für die Entlastung des mobilen Bereichs. Auslandsanwerbung ist also sicher Teil der Lösung. Damit ist es aber nicht getan.

Wo liegen Ihrer Ansicht nach die besonderen Herausforderungen bei der Auslandsanwerbung von Pflegekräften?

RAPPOLD: Neben der Nostrifikation stellt sich im Kontext mit Migration natürlich immer die Frage der sozialen Gerechtigkeit. Was bedeutet es für ein Land wie Kolumbien, Tunesien oder Bosnien, wenn die Welt systematisch seine Märkte abgräbt? Ein Commitment zum WHO Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel [16] ist erforderlich. Denn das Anwerben von Pflegekräften darf keine Einbahnstraße sein. Auch das jeweilige Land muss etwas davon haben. Eine große Herausforderung für Österreich sehe ich schließlich in der nachhaltigen Bindung der angeworbenen Pflegekräfte. Diplomiertes Pflegepersonal hat im Ausland oft sehr viel mehr Kompetenzen bei medizinischer Diagnostik und Therapie als in Österreich. Wir müssen sehr darauf achten, den angeworbenen Pflegekräften die pflegerischen Kernkompetenzen (§14 GuKG) zu vermitteln und sie nicht enttäuschen, damit sie auch tatsächlich bei uns bleiben.

ESTHER* ERZÄHLT ...

Multikulturelle Teams ermöglichen anregenden Austausch

Über ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit im multikulturellen Pflegeteam berichten eine österreichische und ein slowenischer DGKP der Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz.

Chancen und Herausforderungen im pflegerischen Alltag

Sprachliche Barrieren zwischen Kollegen unterschiedlicher Herkunft stellen eine zentrale Herausforderung im pflegerischen Alltag dar. In diesem Zusammenhang erwähnt die österreichische DGKP, dass Patienten von Mitarbeitern mit Migrationshintergrund oft nicht verstanden werden, wenn sie etwa eingeschränkte Sprachfähigkeiten haben. „Als mir einmal eine Patientin gesagt hat, dass sie heute k.o. ist, habe ich mit ‚Ach wie schön‘ geantwortet, ohne zu wissen was es bedeutet“, erzählt der slowenische DGKP. Beide Interviewpartner betonen, dass insbesondere die Dialektsprache Grund für Kommunikationsprobleme ist.

Er berichtet auch, dass er Unterschiede im Image des Pflegeberufs wahrgenommen hat: „In meiner Heimat hat man als Gesundheits- und Krankenpfleger einen Top-Status. In Österreich wird das Berufsbild mehr als reine Pflegearbeit gesehen. Die medizinischen Tätigkeiten werden weniger wertgeschätzt.“ Um den Pflegeberuf in Österreich auszuüben, musste der DGKP seine im Ausland absolvierte Ausbildung behördlich prüfen lassen und für eine Berufsanerkennung mehr als 300 Stunden in Form von Praktika in der Langzeitpflege und im extramuralen Bereich leisten. Außerdem war der hohe Umfang an Dokumentationsarbeit für den DGKP in Österreich gewöhnungsbedürftig.

Beide DGKP berichten, dass die Zusammenarbeit im multikulturellen Team neue Sichtweisen und einen anregenden Austausch mit sich bringt. Die österreichische DGKP betont, dass eben „nicht nur eine Arbeitskraft aus dem Ausland kommt, sondern ein ganzer Mensch.“ Pflegepersonen mit Migrationshintergrund bringen andere Einstellungen und neues Wissen im Umgang mit Problemen und pflegerischen Fragestellungen mit, was sich zumeist positiv auf die Arbeitsqualität auswirkt. „Es ist sich jeder bewusst, dass man als Person mit Migrationshintergrund Hilfe braucht, zum Beispiel beim Verfassen eines Pflegeberichts“, berichtet der slowenische DGKP. Die gegenseitige Unterstützung im Team sieht er für den Pflegebereich als Grundvoraussetzung. Besonders positiv hebt er hervor, dass im multikulturellen Team jeder die Möglichkeit hat, seine Stärken zu entfalten und Schwächen durch Unterstützung anderer zu kompensieren.

Akzeptanz, Offenheit und Flexibilität für eine funktionierende Zusammenarbeit

Damit die Zusammenarbeit im multikulturellen Team gelingt, nennen beide DGKP Akzeptanz als zentralen Erfolgsfaktor. Der slowenische DGKP berichtet, dass im Gespräch mit Patienten und Kollegen häufig positive Assoziationen wie Urlaube mit seiner Heimat verbunden werden. Er ergänzt, dass „immer mehr Patienten selbst einen Migrationshintergrund haben“. Daher ist die Offenheit für neue Kulturen in der Pflege unerlässlich. Die DGKP aus Österreich sieht das ähnlich: „Wir sind jetzt multikulturell und da gehört viel Akzeptanz von beiden Seiten dazu. Kollegen mit Migrationshintergrund erzählen uns oft über ihre Herkunft und Bräuche, was unter den Mitarbeitern aber auch Patienten zu mehr Verständnis und Akzeptanz führt.“

Unterstützungsmaßnahmen

Die beiden DGKP sehen die Notwendigkeit, ausländische Mitarbeiter mit Sprachkursen, insbesondere in der Dialektsprache, auf deren pflegerischen Alltag möglichst frühzeitig vorzubereiten. „Auch kulturelle Aspekte müssen geschult werden. Wie läuft bei uns die Körperpflege ab? Welche Bräuche haben wir?“ Teambuilding-Maßnahmen und Fortbildungen zu unterschiedlichen Kulturen sowie ein regelmäßiger Austausch, welcher auch Gespräche über private Themen beinhaltet, sind für eine gelingende Zusammenarbeit förderlich.

Ein Blick in die Zukunft

Die österreichische DGKP geht davon aus, dass man „zukünftig noch mehr Pflegekräfte aus weit entfernten Destinationen einstellen wird bzw. werden muss, auch wenn man dadurch Fachkräfte aus ihrem sozialen Setting entzieht.“ Der slowenische DGPK schildert, dass es nach seinem Ausbildungsabschluss keinen Pflegemangel in Slowenien gab und Fixanstellungen in einem Pflegeberuf schwer zu bekommen waren, was auch ein Grund für die Entscheidung war, den Pflegeberuf in Österreich auszuüben. „Im Laufe der Zeit sind immer mehr Mitarbeiter wegen des Gehalts und besseren Arbeitsbedingungen nach Italien oder Österreich gegangen. In Slowenien ist jetzt auch ein Pflegemangel.“ Als Lösungsansatz sind Maßnahmen zur langfristigen Bindung und Weiterbildung von Mitarbeitern in Pflegeberufen erforderlich.

* Esther: eine historische und zugleich symbolische Person, die als eine Repräsentantin für Personen mit komplexen Bedürfnissen steht. Erfunden von den Gründerinnen und Gründern des südschwedischen ESTHER-Netzwerks.

Fragen und Anregungen zur Fachartikelreihe Alter:n neu denken und zum Thema Pflege der Zukunft: Albert Schweitzer Institut für Geriatrie und Gerontologie der Geriatrischen Gesundheitszentren der Stadt Graz

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