Einleitung

Alopecia areata (AA) ist eine weit verbreitete Haarausfallerkrankung bei ca. 2 % der Bevölkerung weltweit (Villasante und Miteva 2015) durch akut einsetzenden, nicht vernarbenden Haarausfall in meist scharf abgegrenzten Bereichen, daher die Bezeichnung „kreisrunder Haarausfall“. Die Ausdehnung reicht von münzgroßen Arealen bis hin zum totalen Haarverlust. Alopecia areata totalis (AAT) betrifft den gesamten Kopf, Alopecia areata universalis (AAU) den gesamten Körper. Je nach Ausprägung und Umfang ist der Haarausfall eine wichtige Ursache für Ängste und Behinderungen. Die Betroffenen leiden in der Folge unter vielfältigem psychologischem Stress (Gieler und Bosse 1996; Gieler 2019).

Es gibt wenige kontrollierte Therapiestudien zu Alopecia areata (Willemsen et al. 2006). Günstig dürften Maßnahmen sein, die auf einen verbesserten Umgang mit Entstellung und stigmatisierenden Umweltreaktionen abzielen (Stangier 2003).

Der offensichtlich begrenzte Erfolg der evidenzbasierten Therapien deutet auf eine größere Komplexität dieser Form von Haarausfall hin. Auch Studien mit Abatacept, diversen Antikörpern und Janus-Kinase-Inhibitoren zeigten kontroverse Ergebnisse (Phan und Sebaratnam 2019).

Möglicherweise sind es Stressoren, die Zytokine erzeugen, welche das entzündliche Infiltrat um die Haarfollikel verursachen und somit psychische Alterationen als Ursache für den kreisrunden Haarausfall auslösend sind (Ahn et al. 2023).

In der Literatur werden zur psychosozialen Therapie der AA häufig Hypnotherapien eingesetzt und beschrieben, so dass Hypnotherapie geeignet schien, bei einer therapieresistenten Patientin eingesetzt zu werden (Shenefelt 2000). So konnten Willemsen et al. (2011) mit wenigen Sitzungen Hypnotherapie bei ca. 75 % der n = 14 behandelten AA-Patientinnen ein Nachwachsen der Haare verzeichnen. Wir haben deshalb eine Patientin mit seit über 15 Jahren bestehender AAT über ein Jahr lang psychosomatisch mit Verhaltens- und Hypnotherapie begleitet.

Fallbericht: Anamnese und Haarhistorie

Bei der Geburt hatte die Patientin lange schopfartige Haare, die in den ersten Lebensjahren ausfielen. Mit 5 Jahren zeigte sich eine erste kreisförmige Verdünnung. Allgemein beschreibt die Patientin eine sorgenfreie Kindheit. Sie hatte bis zur Pubertät immer noch Haare an einzelnen Stellen am Kopf. Wimpern und Augenbrauen fehlten immer. In der Pubertät wuchsen Achsel- und Schamhaare teilweise. Mit Ausbreitung der kahlen Stellen am Kopf gewöhnte sie sich an, den Haarverlust mit Kopfbedeckungen zu kaschieren. Mit ihrem 17. Lebensjahr begann sie eine Perücke zu tragen.

Sie hielt über viele Jahre ihre Haarlosigkeit mit hohem psychischem Aufwand geheim. In der ersten langjährigen Beziehung erfuhr der Freund erst nach 10 Jahren von der Perücke. Auswirkungen dieser Geheimhaltung waren soziale Isolation „ich bin grundlegend anders als die anderen“, niedriger Selbstwert, mit immer wieder geschilderten depressiven Phasen und Abgrenzungsproblemen. Bis zum Beginn der psychosomatischen Therapie konnte die Patientin nicht frei über ihren fehlenden Haarwuchs sprechen. Ihre gesamte Lebensgestaltung war durch AA kumulativ beeinträchtigt (vgl. Kimball et al. 2010).

Behandlungsschritte

Psychologische Testung

Die Testmanuale orientierten auf Persönlichkeitseigenschaften der Patientin und ihre Sichtweisen auf den Körper.

  • Symptom-Checkliste (SCL-90-R) (Franke 2002)

  • Persönlichkeits-Stil- und Störungs-Inventar (PSSI) (Kuhl und Kazen 2009)

  • Fragebogen zur Beurteilung des eigenen Körpers (FBeK) (Strauß und Richter-Appelt 1996)

  • Fragebogen zum Körperbild (FKB-20) (Clement und Löwe 1996)

  • Skala zur Erfassung der Selbstakzeptierung (SESA) (Sombre und Westhoff 1985)

  • Inkongruenzfragebogen (INK) (Grosse-Holtforth et al. 2003)

  • Stressverarbeitungsfragebogen (Erdmann et al. 1984)

  • Becks-Depressions-Inventar (BDI-II) (Hautzinger et al. 2009)

Ergebnisse

Die meisten Testwerte werden in T‑Werten dargestellt (M = 50, SD = 10). T‑Werte ≥ 63 zeigen an, dass in dieser Skala eine überdurchschnittliche Ausprägung gegeben ist.

SCL-90-R

In der Symptom-Checkliste wird die subjektiv empfundene Beeinträchtigung einer Person durch körperliche und psychische Symptome innerhalb eines Zeitraumes von 7 Tagen gemessen. Der Test enthält 9 Skalen: Somatisierung, Zwanghaftigkeit, Unsicherheit im Sozialkontakt, Depressivität, Ängstlichkeit, Aggressivität, Phobische Angst, Paranoides Denken, Psychotizismus und 3 Globale Kennwerte. Diese geben Auskunft über das Antwortverhalten bei allen 90 Items. Ein Kennwert, der GSI (Global Severity Index) misst die grundsätzliche psychische Belastung und „kann als bester Indikator für das aktuelle Ausmaß der insgesamt vorhandenen psychischen Belastung gelten“ (Franke 2002, S. 21). Im Vergleich zur alters- und geschlechtsspezifischen Normstichprobe lagen die Werte der Klientin in allen 9 Skalen und im GSI im durchschnittlichen Bereich (T-Werte zwischen 40 und 58). „Ein Proband gilt als psychisch auffällig belastet oder als ‚Fall‘, wenn: TGSI ≥ 63 und/oder T2 SKALEN ≥ 63.“ (Franke 2002, S. 29).

PSSI

Ist ein Selbstbeurteilungsinstrument, mit dem die relative Ausprägung von Persönlichkeitsstilen erfasst wird. Unterdurchschnittliche Ausprägung im eigenwillig-paranoiden Stil (T = 26), im sorgfältig-zwanghaften Stil (T = 39) sowie im hilfsbereit-selbstlosen Stil (T = 37). Leicht erhöht: der ahnungsvoll-schizotypische Stil (TAS = 61) und der liebenswürdig-histrionische Stil (TLH = 64). Stark erhöht: der optimistisch-rhapsodische Stil (TOR = 72). Die übrigen Stile waren durchschnittlich ausgeprägt.

FBeK

Fragebogen zur Beurteilung des eigenen Körpers. Im Vergleich zur geschlechtsspezifischen Normstichprobe lag der Wert hinsichtlich „Akzentuierung des körperlichen Erscheinungsbildes“ mit einem T = 62, sowie der Wert hinsichtlich „Unsicherheit/Besorgnis“ mit einem T = 69 im leicht überdurchschnittlichen Bereich.

INK

Erfasst als Selbstbeurteilungsinstrument die unzureichende Umsetzung motivationaler Ziele. Leicht erhöhte Inkongruenz bei den Annäherungszielen bezüglich Selbstbelohnung (T = 62). Die Vermeidungsziele liegen im durchschnittlichen Bereich.

SVF-120

Erfasst die Bewältigung und Maßnahmen der Verarbeitung in belastenden Situationen. Die Patientin zeigt erhöhte Werte in den Positiv-Strategien: Skalen Bagatellisierung (T = 61,4), Herunterspielen (T = 62,5) und Entspannung (T = 72,5). In den Skalen Negativ-Strategien, Resignation (T = 35), Selbstbemitleidung (T = 26,1) und Aggression (T = 37,8) sind die Werte unterdurchschnittlich. Alle übrigen Werte liegen im durchschnittlichen Bereich. Zusammengefasst erreichte die Klientin in der Skala Positiver Strategien höhere Werte (T = 61,6) als in den Negativen Strategien (T = 50,1).

FKB-20

Misst zwei unabhängige Dimensionen des Körperbildes. In der Skala „Ablehnende Körperbewertung“ (AKB) lag die Patientin mit einem Summenwert von 29 (ProzentrangAKB = 85) im überdurchschnittlichen Bereich (Normstichprobe: M = 20,55, SD = 7,10). Der Wert der Skala „Vitale Körperdynamik“ (VKD) lag im unauffälligen Durchschnittsbereich (ProzentrangVKD = 60–70). Werte zwischen den Prozenträngen 16–84 geben eine durchschnittliche Ausprägung an.

SESA

Skala zur Erfassung der Selbstakzeptierung. Der Summenwert der Klientin ist mit 93 Punkten unterdurchschnittlich (Normstichprobe: M = 112,27, SD = 15,92). Selbstakzeptanz und Selbstwert sind also gering ausgeprägt.

BDI-II

Das Selbstbeurteilungsinstrument erfasst den Schweregrad einer Depression. Es können maximal 63 Punkte erreicht werden (schwere Depression). Ein Gesamtwert von 0–8 Punkten weist darauf hin, dass keine Depression gegeben ist. Die Klientin hatte den Summenwert 1, also keine Depression.

Klinisch-psychologische Interpretation

Die testdiagnostischen Ergebnisse sprechen dafür, dass zum Zeitpunkt der Erhebung keine Anzeichen für eine klinisch-relevante psychische Störung vorliegen.

Die Ergebnisse des PSSI weisen auf eine unauffällige Persönlichkeitsstruktur hin, mit einer durchweg positiven Lebenseinstellung und erhöhter Tendenz zu intuitiv, warmherzigem Verhalten im zwischenmenschlichen Bereich sowie einer besonderen Sensibilität für das Erahnen von Ereignissen und Handlungsmöglichkeiten.

Die Ergebnisse des FBeK und des FKB-20 zeigen, dass die Patientin zu einer ablehnenden Körperbewertung und zu einer starken Beschäftigung mit ihrem eigenen körperlichen Erscheinungsbild neigt. Die Ergebnisse der SESA sprechen dafür, dass ein niedriges Selbstwertgefühl bzw. eine geringe Selbstakzeptanz vorliegen. Im SVF ließen sich dennoch gute Bewältigungsstrategien und generell eine günstige Stressverarbeitungstendenz beobachten.

Kognitive Verhaltenstherapie und Hypnotherapie

In der Kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) wird häufig mit dem ABC-Modell von Ellis (1977) gearbeitet. „Dieses Modell eignet sich zur Kombination mit hypnotischen Verfahren. Durch eine Vorbereitung der Problematik mit dem ABC-Modell werden die Arbeitsschritte in der Trance und Tiefenentspannung für den Patienten transparenter und für die eigenständige Fortführung der Bearbeitung handhabbarer.“ (Winiarski 2005, S. 545). Die KVT wurde vom Therapeuten, die Hypnotherapie (HT) von der Therapeutin durchgeführt. Die Therapeutin hatte in früheren Fällen bei stressbedingtem Haarausfall mit HT episodisch Erfolge erzielt, sodass die Haare der Patientinnen wieder nachgewachsen waren. Therapeutin und Therapeut haben in früheren Therapien bereits gemeinsam gearbeitet. Wenn in der KVT eine/r der Zwei eine zusätzliche HT für sinnvoll hielt, dann wurde diese Methode den Patient:innen angeboten und der entsprechende Ablauf begründet und erklärt. Je nach psychologischer Situation wurden KVT und HT ineinandergreifend oder hintereinander durchgeführt. Das neue Procedere verlangte von allen Beteiligten gute Kooperation, Lösungskompetenz, regelmäßige Reflexion und unterstützte die Therapie-Adhärenz der Patient:innen. Im aktuellen Fall wurde zuerst die KVT und dann die HT zur Verstärkung der Emotionalität umgesetzt. Die Patientin war damit nicht nur einverstanden, sondern erfreut über das zusätzliche intensive Angebot. Der therapeutische Erfolg war auch auf diese Form der Intervention zurückzuführen.

Aufgrund der psychologischen Diagnostik und der Verhaltensanalyse (Müller et al. 2022) wurden folgende Zusammenhänge geklärt und dementsprechende Ziele formuliert:

  • Das Thema Haarwuchs in den Alltag integrieren

  • Ihren Körper akzeptieren und wertschätzen

  • Den Selbstwert stärken

  • Eigene Bedürfnisse wahrnehmen und ausleben

  • Soziale Unsicherheit reduzieren

Das Nachwachsen der Haare war ein implizites Ziel, auch wenn der Patientin aufgrund der wissenschaftlichen Literatur kein Therapieeffekt hinsichtlich des Nachwachsens der Haare versprochen wurde.

Verhaltenstherapeutische Diagnostik

Die verhaltenstherapeutische Diagnostik beinhaltet den Psychosomatischen Anamnesefragebogen (Kogler und Kogler 2012), das SORKC-Modell und die Plananalyse zur Abklärung kognitiver Prozesse (Hautzinger und Linden 2021). Damit wird ein hypothetisches Bedingungsmodell erstellt.

SORKC Modell: Horizontale Verhaltensanalyse

Die Horizontale Verhaltensanalyse erfasst das Problemverhalten in einer aktuellen Situation auf 4 Ebenen: Verhalten (Aktivität), Kognition, Emotion, Physiologie.

Erklärung: S bedeutet die aktuelle Situation. Die Organismusvariable O stellt eine globale, das Problemverhalten ständig mitbeeinflussende Variable dar. Sie beschreibt die innere Verarbeitung und die Wahrnehmung bestimmter Situationen aufgrund übergeordneter biologischer, kognitiver, psychologischer, emotionaler, sozialer und kultureller Muster. Dies sind überdauernde, die Reaktion beeinflussende Persönlichkeitsfaktoren wie Einstellungen, Regeln, Pläne, Grundüberzeugungen oder Wertvorstellungen (Müller et al. 2022). R bedeutet die Reaktion auf ein Problemverhalten, das sich auf den vier Verhaltensebenen zeigt. K beschreibt die Kontingenz, mit welcher Regelmäßigkeit eine bestimmte Konsequenz auf ein Problemverhalten folgt. C, die Konsequenzvariable, beschreibt positive und negative Folgen des Problemverhaltens. Wenn beispielsweise, wie bei dieser Patientin ein Vermeidungsverhalten sichtbar wird, ergibt sich daraus das Ziel, sich der dahinterliegenden Angst zu stellen (Tab. 1).

Tab. 1 SORKC Modell

Plananalyse: Vertikale Verhaltensanalyse

Die Plananalyse ist ein Instrument, um Zusammenhänge und Kausalitäten zwischen dem aktuellen Verhalten und den übergeordneten Mustern (Pläne, Regeln, Grundbedürfnisse) genauer zu erfassen. Bei der Plananalyse werden Verhaltensweisen eines Menschen in Beziehung zu seinen Grundbedürfnissen gesetzt. Menschen setzen verschiedene Verhaltensweisen als Mittel für die eigene Bedürfnisbefriedigung ein.

Anhand einer Alltagssituation wurden die Zusammenhänge dargestellt und geklärt (siehe Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Die Patientin zeigte starkes Vermeidungsverhalten, um vermeintlich ihren Selbstwert zu stärken und die Kontrolle über ihr Leben zu erlangen. Sie hat implizite Regeln gelernt, um sich mit ihren Schamgefühlen nicht auseinandersetzen zu müssen. Außerdem sind ihre Grundüberzeugungen sehr rigide und machen es ihr schwer, möglichst natürlich und entspannt sich in sozialen Situationen adäquat zu verhalten

Vertikale Analyse/Plananalyse

(Abb. 1)

Behandlungs-Phase KVT

Folgende Themen standen im Vordergrund: Das Herausarbeiten von dysfunktionalen Gedanken mithilfe des ABC-Modells von Ellis (1977). A beschreibt die Situation, das aktivierende Ereignis (Beispiel: „Heute kommt mein Freund“), B die Kognitionen und Bewertungen („Hoffentlich bemerkt er nicht, dass ich eine Perücke trage!“) und C die in der Konsequenz folgenden Gefühle (Anspannung, Unsicherheit) und Handlungen (Perücke aufsetzen). Die Methode ermöglicht ein Verständnis dafür, wie sehr Alltagssituationen unbewusst die emotionalen Befindlichkeiten und ihre Aktivitäten beeinflussen.

Mithilfe der Fragetechnik des Sokratischen Dialogs (Kogler et al. 2022) konnte sie ihre dysfunktionalen, irrationalen Ideen (Ellis 1977) auf Realitätsbezug, Logik und Funktionalität prüfen. In diesem kognitiv-emotionalen Prozess wurde ihr klar, dass ihr mangelnder Selbstwert eine Konsequenz ihrer dysfunktionalen Gedankenmuster war.

Nachdem die Patientin die Zusammenhänge erkannt hatte, konnte sie mithilfe der Kognitiven Umstrukturierung (Beck 2013) neue nützliche Gedankenmuster entwickeln. Im Prozess der Kognitiven Umstrukturierung (Kogler et al. 2022) entwickelte die Patientin mittels Selbstinstruktion einen neuen Glaubenssatz: „Ich bin der Mittelpunkt meines Lebens“.

Selbstwert, Spiegelübung und Konfrontation

Begleitend zu diesen spezifischen Maßnahmen wurde an der Erhöhung des Selbstwerts gearbeitet. Es finden sich in der Literatur Hinweise, dass es einen „Zusammenhang zwischen Selbstwert und physiologischen Aktivitäten, inklusive der Immunaktivität“ gibt (Schubert 2018).

Mit der Spiegelübung aktivierte sie Ressourcen und stärkte ihr Selbstwertgefühl. „Um das Selbstwertgefühl von Patienten zu verbessern, ist es notwendig, dass sie gut über eigene Fähigkeiten, Eigenschaften und Leistungen Bescheid wissen. Diese psychologischen Parameter werden in der Therapie erarbeitet, aufgeschrieben und sollen zuhause vor dem Spiegel eingeübt werden, indem sich die Patienten täglich vor den Spiegel stellen und laut und deutlich ihrem Spiegelbild das, was sie aufgeschrieben haben, sagen.“ (Kogler et al. 2022).

Zusammen mit Techniken der Selbstwertstärkung (Kogler et al. 2022), mit Übungen für das positive Körpergefühl vor dem Spiegel und Imaginationsübungen – „Innerer Film“ nach Steve de Shazer (2003) – gelang es ihr, selbstfürsorglich zu handeln. Sie trägt in der Vorstellungsübung extravagante Kleidung und hält sich stolz aufrecht. Sie bekommt den Auftrag, diese Körperhaltung und Kleidung im Alltag auszuprobieren. Sie kauft am nächsten Tag neue Kleider, macht das Experiment in der Stadt mit Perücke, und fühlt sich wohl und selbstsicher. Sie will sich in Zukunft öfter „feiern“.

Nach fünf Wochen Üben vor dem Spiegel begann ihr der Körper zu gefallen. Allerdings nur mit Perücke. Daher war der nächste Schritt die Konfrontation mit der Angst (Kogler et al. 2022), ohne Perücke niemandem zu gefallen. Mit Konfrontationstechniken wurde die Patientin genau jenen Situationen ausgesetzt, in denen ihre psychischen Probleme sichtbar wurden.

Nach der 18. Stunde konnte sie ohne Perücke in die Therapie kommen. Sie fühlte sich sogar wohl damit. Als weitere Intensivierung der Konfrontation kam ein männlicher Praktikant in den Therapieraum. Die Konfrontation wurde angekündigt und die Patientin war – nach anfänglichem Zögern – damit einverstanden. Es ist notwendig, der Klientin den Zweck dieser Verhaltensübung zu erklären. Diese Methode ruft eine hohe Emotion hervor. Die Patientin soll diese Erregung so lange aushalten, bis sie spürt, dass die Anspannung nachlässt. Der junge Mann sollte sie einige Minuten schweigend ansehen und ihr Rückmeldung über seine Wahrnehmung geben. Nach anfänglichem Erröten nahm die Erregung ab. Sie war stolz, dies geschafft zu haben. Die ersten Schritte waren getan, dass sie ohne Haare wohlwollend in den Spiegel schauen konnte.

Mit diesen kognitiv-emotionalen Techniken konnte sie das Thema Haare in den Alltag integrieren.

Hypnotherapie

Hypnose ist ein ressourcenorientiertes Verfahren, das unter anderem das Plasma-Cortisol-Niveau und damit die „Stressreaktion reduziert und die Immunbereitschaft erhöht“ (Revenstorf 2001, S. 15). Die Ressourcenarbeit erzeugt mit der Aktivierung von Bildern positive Emotionen. Mithilfe der hypnotischen Trance können Patient:innen Ressourcen mobilisieren, die das Alltagsdenken nicht nutzt. Es war ein Ziel, die Antikörper zu visualisieren, die die Haarwurzeln der Klientin am Wachstum hindern. „Insbesondere ist es nötig, dass die Patienten zunächst die zelluläre Störung im Immunprozess visualisieren, um sicher zu gehen, dass sie auf ihre Gesundheitsprobleme konzentriert sind. Dann soll der Fokus auf das Immunsystem gerichtet werden, wie es die Kontrolle über den Autoimmunprozess übernimmt, woraus eine Abnahme der Symptome und eine Besserung des Gesundheitszustandes erfolgt“ (Schubert 2018, S. 43).

Deshalb sollte die Patientin in der Trance die Lebendigkeit und damit das Wachsen der Haare imaginieren und spüren. Sie beschreibt das Bild während der Übung folgendermaßen: „Die Antikörper streiten an einer Wasseroberfläche. Darunter warten die roten Blutkörperchen, dass sie dorthin können. Antikörper fühlen sich wie eine Kruste an.“ Durch Führung der Therapeutin beginnen die Antikörper sich zu entfernen und den roten Blutkörperchen Platz zu machen. Das schildert die Klientin so: „Ich spüre ein starkes Kribbeln in der rechten Kopfhauthälfte, ich fühle mich wohl. Jetzt geht was weiter!“

Die Bilder aus der Hypnotherapie bleiben „leichter im Gedächtnis, was einen deutlichen Unterschied zum Alltäglichen darstellt“ (Meiss 2001, S. 90). Nach der Übung bekam sie den Auftrag, die Imagination zeichnerisch in ein Bild umzusetzen (siehe Abb. 2). Diese Imaginationsübung, um ihre Kopfhaut zu „heilen“, wendet sie auch nach Beendigung der Therapie regelmäßig an und empfindet sie weiterhin als hilfreich.

Abb. 2
figure 2

Visualisierung: Antikörper entfernen sich und machen den roten Blutkörperchen Platz

In der 30. Einheit, der letzten Therapiestunde, resümierte die Patientin: „Ich finde mich ohne Haare schön. Ich habe mit Mutter ohne Haare geskypt. Ich habe immer weniger Lust, die Perücke zu tragen. Mein Schamgefühl diesbezüglich hat sich sehr reduziert. Ich habe mich in Seminaren ohne Perücke gezeigt. Ich habe das Gefühl, dass der Haarwuchs durch mein Verhalten, meine Gedanken und meine Emotionen angekurbelt wird.“ Die katamnestischen Testergebnisse unterstützen diese Selbstaussage.

Katamnese

In der Katamnese nach einem Jahr sagt sie: „Haarwuchstechnisch hat sich nichts (Offensichtliches) getan, ich denke häufig an die Visualisierungsübung, die ich gemalt habe. Sie gibt mir eine Verbindung und fühlt sich sinnvoll an. Im Umgang mit meinem ‚Nichthaarwuchs‘ bin ich lockerer geworden, und rede viel unbefangener darüber. Ich war ein paar Mal ohne Perücke spazieren und hab ein Foto-Shooting mit einem attraktiven Mann ohne Perücke gemacht. Das war eine tolle Erfahrung! Ich fühle mich gereifter und immer selbstwirksamer. Ich freue mich jeden Tag aufs Leben.“

Auf der Zufriedenheitsskala befindet sie sich auf einem Skalenwert 9 (von 10). Ihr Selbstwert stieg auf der Skala zur Selbstakzeptierung (SESA) von unterdurchschnittlich auf durchschnittlich. Die Ergebnisse des FBeK und des FKB-20 zeigten, dass die ablehnende Körperbewertung („Akzentuierung des körperlichen Erscheinungsbildes“) geringer wurde und mit dem Summenwert von T = 24 im durchschnittlichen Bereich der Normstichprobe lag.

Diskussion

Das Hautorgan ist jederzeit sichtbar und somit einer ständigen Beobachtung seitens der Betroffenen und der Umgebung zugänglich. Scham, Depressionen und Ängste sind häufig die Folge (Grahovac et al. 2010; Gupta und Gupta 1996).

Bei AA handelt es sich nach derzeitigem Kenntnisstand um eine Autoimmunerkrankung des Haarfollikels mit genetischem Hintergrund. Die medizinische Forschung versucht seit Jahrzehnten über diverse Ansätze die komplexe Pathogenese der AA zu enträtseln. Genomweite Assoziationsstudien belegen, dass sowohl die angeborene als auch die erworbene Immunität an der Pathogenese beteiligt sind (Trüeb und Dias 2018).

Andererseits liegt nahe, dass AA ein ästhetisch störendes Symptom mit psychoneuroendokrinem Hintergrund darstellt. Komorbiditäten der AAT mit psychiatrischen Symptomen, kritischen Lebensereignissen, Ängsten und Depression (Gupta und Gupta 1996), mit Depression (Grahovac et al. 2010) und mit medizinischen Paradigmata werden diskutiert (Ahn et al. 2023). Für die Aktualisierung der haarlosen Areale wird auch Stress verantwortlich gemacht (Gieler et al. 2020). In der Literatur finden sich Hinweise auf positive Auswirkungen von Hypnotherapie und Verhaltenstherapie auf Autoimmunkrankheiten (Stangier 2003; Gerl et al. 2001; Horton-Hausknecht 2001). Trotzdem gibt es keine State-Of-The-Art-Therapie.

Mit dieser Fallstudie kann kein direkter Zusammenhang zwischen der psychischen Situation der Patientin vor dem Auftreten der ersten AA-Herde hergestellt werden. Wir konnten aber darstellen, dass sich die Haarlosigkeit sekundär auf die psychische Situation der Betroffenen auswirkt. Durch die Kombination aus Verhaltens- und Hypnotherapie kann die psychische Bewältigung der Erkrankung deutlich positiv beeinflusst werden, selbst wenn das Nachwachsen der Haare durch die Therapie nicht erreicht wurde.

Die medizinische und psychologische Literatur macht die Komplexität der AA deutlich. Die Autor:innen versuchten im Studienprocedere diese Komplexität abzubilden. Die Zusammenarbeit zwischen den Disziplinen war nicht nur problemlos, sondern gegenseitig unterstützend und lösungsorientiert. Dies war möglich aufgrund des besonderen Vertrauensverhältnisses, das sich in früheren Kooperationen herausgebildet hat.

Auf dieser Basis könnten Studien mit einem größeren Kollektiv an Betroffenen möglicherweise den Benefit dieser Therapieformen untermauern. Wir konnten nicht wie Willemsen et al. (2011) mit wenigen Sitzungen Hypnotherapie ein Nachwachsen der Haare verzeichnen, aber die Krankheitsakzeptanz und die Krankheitsverarbeitung sehen wir als deutlich gebessert an.