Einleitung

Gesundheit wird von der WHO als Zustand von körperlichem, seelischem und sozialem Wohlbefinden definiert. Ferner legt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen fest, dass jeder Mensch das Recht auf Gesundheit und einen entsprechenden Lebensstandard mit ausreichend Nahrung, Kleidung, Wohnraum, ärztlicher Versorgung sowie sozialen Leistungen hat (A/RES/217 A). In der Realität haben Menschen jedoch unterschiedliche Möglichkeiten und Zugänge zu Leistungen des Gesundheitssystems. Dies gilt auch für wohlhabende Staaten wie Deutschland und Österreich in denen diverse Risikogruppen ausgemacht werden können und Gesundheitsleistungen, so auch psychotherapeutische, nicht alle gleichermaßen erreichen. Zu diesen Gruppen, welche mit Diskriminierungen, Zugangsbarrieren und Ausschluss konfrontiert sind, können auch hard to reach Klient:innenFootnote 1 gezählt werden, welche in diesem Beitrag im Fokus stehen sollen. Damit sind Menschen beschrieben, die von vielfältigen Problemlagen auf diversen Ebenen, neben sozialen und sozioökonomischen Schwierigkeiten oft auch von psychischen Störungen betroffen sind (Gahleitner 2012). Wie im Folgenden aufgezeigt werden soll, ist die ambulante Psychotherapie für diese Gruppierung von hoher Relevanz, da die psychotherapeutische Versorgung, die diese Menschen in besonderem Maße benötigen, nur unzureichend ankommt. Diese Benachteiligung von schwer erreichbaren psychisch erkrankten Personen, unabhängig von den in beiden Ländern vorherrschenden unterschiedlichen rechtlichen Regelungen und Traditionen, geschieht nicht willkürlich, sondern ist innerhalb der Gesundheitssysteme, deren Strukturen, samt der psychotherapeutischen Ausbildung zu verorten. In Hinblick auf die Novellierung des Psychotherapiegesetzes in Österreich, aber auch der reformierten psychotherapeutischen Ausbildung in Deutschland, soll in diesem Beitrag auf die Rolle der Psychotherapieausbildung beim Abbau der Zugangsbarrieren für hard to reach Klient:innen zur ambulanten Psychotherapie eingegangen werden. Des Weiteren sollen beispielhaft Möglichkeiten und Rahmenbedingungen aufgezeigt werden, wie auf die adäquatere Versorgung dieser Zielgruppe vorbereitet und struktureller Benachteiligung entgegengewirkt werden kann.

Versorgung von hard to reach Klient:innen

Bei Betrachtung der ambulanten psychotherapeutische Versorgungslage von hard to reach Klient:innen kann zunächst allgemein festgestellt werden, dass lediglich 41,8 % der psychisch erkrankten Menschen in Deutschland Kontakt zum Gesundheitssystem haben (Mack et al. 2014). Bei einer Spezifizierung auf fachspezifische Behandlung wird ersichtlich, dass weniger als ein Drittel aller Betroffenen irgendeine Form an fachspezifischer Behandlung in Anspruch nimmt (Nübling et al. 2014). Im Hinblick auf die ambulante Psychotherapie sind es nur noch ein Fünftel aller Betroffenen, die so versorgt werden (Mack et al. 2014). Vergleichend lässt sich in Österreich festhalten, dass nur jede vierte psychisch erkrankte Person Psychotherapie in Anspruch nimmt (Wancata 2017). Dies ergibt eine insgesamt niedrige Behandlungsrate und führt zu der Folgerung, dass nur ein Bruchteil aller Menschen mit psychischer Erkrankung Zugang zu einer fachspezifischen ärztlichen und psychotherapeutischen Behandlung hat. Dabei ist es wahrscheinlich, dass hard to reach Klient:innen zu der nicht versorgten Gruppe gehören, da zusätzlich zur psychischen Erkrankung noch weitere Problematiken vorhanden sind und ein niedrigschwelliger Zugang somit erschwert wird. In der Folge wird daher der Frage nachgegangen, welche Zugangsbarrieren dieser Zielgruppe eine Aufnahme von ambulanter Psychotherapie erschweren und daraus Aspekte abgeleitet, die in einer zukünftigen Psychotherapieausbildung stärker Berücksichtigung finden sollten, um diese Barrieren abzubauen.

Methodik

Um den aktuellen Forschungsstand in Bezug auf die Thematik adäquat zu erfassen, wurde eine systematische Literaturrecherche vorgenommen. Im Rahmen der Literaturrecherche wurde nach strukturellen und professionsspezifischen Zugangsbarrieren der Psychotherapie für hard to reach Klient:innen gesucht. Der Zeitraum begrenzte sich dafür auf Literatur ab 2000. Berücksichtigt wurde lediglich deutsch- sowie englischsprachige Literatur. Systematische Übersichtsarbeiten und Meta-Analysen sowie randomisiert-kontrollierte Studien wurden präferiert, da diese eine höhere Evidenz aufweisen (DiCenso et al. 2009). Aufgrund der geringen Anzahl solcher Studien wurden jedoch auch unkontrollierte Forschungsdesigns, Fallberichte, Artikel und Monografien miteingeschlossen. Zur Recherche wurden die Fachdatenbanken Pubmed, PubPsych, APAPsycInfo und SSOAR herangezogen. Die Suche bezog sich dabei auf die psychotherapeutische Behandlung von Erwachsenen. Im Rahmen der Literaturrecherche von März bis Juni 2022 ergaben sich zu den vorher festgelegten Suchkombinationen bei der Durchsuchung von Titel und Abstract insgesamt 1760 Treffer. Nach Sichtung und kriteriengeleitetem Ausschluss konnten 86 Literaturquellen als relevant identifiziert werden.

Ergebnisse

Anhand der Methodik konnten neun Zugangsbarrieren für hard to reach Klient:innen zur ambulanten Psychotherapie erörtert werden:

  1. 1.

    Hochschwellige Rahmenbedingungen: Wartezeiten, Kosten und andere Faktoren;

  2. 2.

    Dominanz von weißer Oberschicht;

  3. 3.

    Geringe Beachtung von Intersektionalität;

  4. 4.

    Fehlende Aktivierung von Ressourcen bezüglich des Abbaus von Sprachbarrieren;

  5. 5.

    Geringe Lebensweltorientierung;

  6. 6.

    Mangelnde Flexibilität des Psychotherapiesettings;

  7. 7.

    Vernachlässigung von kontextualen und sozialen Problematiken;

  8. 8.

    Exkludierende Selektion von Patient:innen;

  9. 9.

    Geringe interdisziplinäre Vernetzung.

Im Folgenden wird lediglich auf sechs der neun Aspekte näher eingegangen und Vorschläge formuliert, wie diese Befunde innerhalb der Psychotherapieausbildung berücksichtigt werden könnten, um den Zugang von hard to reach Klient:innen zur ambulanten Psychotherapie zu erleichtern. Diese Auswahl wurde unter dem Gesichtspunkt getroffen, dass die Psychotherapieausbildung direkt auf diese Faktoren einwirken kann. Zur vertieften Auseinandersetzung mit diesen Zugangsbarrieren, über die Ausbildungsdimension hinaus, sei auf Eller (2023) verwiesen.

Dominanz von weißer Oberschicht → Förderung von diversen Ausbildungsteilnehmer:innen

Es handelt sich bei Psychotherapeut:innen um eine äußerst homogene Gruppe mit eingeschränkter Diversität. Um den Beruf des:der Psychotherapeut:in zu erlernen, ist ein erheblicher finanzieller Aufwand notwendig. Dies hat zur Folge, dass ein großer Teil der Bevölkerung aufgrund seines sozioökonomischen Status ausgeschlossen wird, den Beruf Psychotherapeut:in zu erlernen (Grubner 2018). Auch bezüglich Ethnizitäten und Hautfarben finden sich in der Profession laut Aussage einer österreichischen Psychotherapeutin of Color fast ausschließlich weiße Psychotherapeut:innen und lediglich ein sehr geringer Anteil an Psychotherapeut:innen of Color (Kapeller 2021). Bei Betrachtung von soziodemographischen Daten von österreichischen Psychotherapeut:innen wird ersichtlich, dass rund 94 % die österreichische Staatsbürgerschaft besitzen und lediglich 590 Psychotherapeut:innen eine nichtösterreichische Staatsbürgerschaft. Davon besitzen 60 % die deutsche und 19,2 % die italienische Staatsbürgerschaft (Sagerschnig und Nowotny 2020). Wenn auch daraus, wie aus den vorherigen Aussagen nicht auf den Migrationshintergrund von Psychotherapeut:innen geschlossen werden kann, lässt dich jedoch durchaus die Hypothese vertreten, dass die kulturelle Diversität niedriger ist als in der Allgemeinbevölkerung und bei hard to reach Klient:innen. Kahraman (2008) macht auf die Bedeutsamkeit des Vorhandenseins von Professionist:innen mit eigener Migrationsgeschichte aufmerksam, da diese den Zugang für Menschen mit Flucht- bzw. Migrationshintergrund erleichtern sowie kultursensible Angebote mitgestalten können. Bezugnehmend auf die Metaanalyse von Lorin und Felner (1986) äußert sie, dass weiße Ausbildungsteilnehmer:innen, die der mittleren Einkommensklasse entsprachen, die Zusammenarbeit mit Personen mit mittleren und hohen Einkommensklassen bevorzugten und bei Personen aus weniger privilegierten Sozialschichten sowie Minderheiten von geringeren Erfolgschancen ausgingen (ebd.). Dies ist durchaus problematisch, wenn dies den Großteil der Psychotherapeut:innen ausmacht. Um diese Barriere abzubauen, sollte die Ausbildung für jegliche Bevölkerungsgruppen zugänglich sein und nicht an erhebliche finanzielle Beträge geknüpft sein, sodass nur privilegierte Personen Zugang erhalten können. Zusätzlich könnten Förderplätze für Menschen mit intersektionalen Merkmalen vergeben werden.

Geringe Beachtung von Intersektionalität → Sensibilisierung von angehenden Psychotherapeut:innen zu Intersektionalitätsmerkmalen

Die Dimension Intersektionalität wurde in der Psychotherapie bislang zu wenig beachtet, was u. a. zur Folge hat, dass betroffene Personen keine Psychotherapie aufsuchen und Diskriminierung erfahren. Dies betrifft die Dimensionen nationale Herkunft und Ethnie, sexuelle Orientierung und Geschlecht, körperliche und geistige Behinderung, soziale Herkunft und sozioökonomischer Status sowie Alter. Aufgrund der Länge des Beitrags kann an dieser Stelle nicht auf die einzelnen Dimensionen eingegangen werden. Vielmehr ist festzuhalten, dass es mehr Sensibilisierung für Intersektionalität benötigt, sowie die eigene Reflexion bezüglich der Haltung gegenüber Minderheiten unabdingbar ist (Gahleitner 2012). Dies kann durch besondere Trainings, Vorträge, Fortbildungen, curriculare Verankerung und somit mehr Beachtung innerhalb der Ausbildung stattfinden (Harb et al. 2019; Janßen 2020; Schröder und Vereenooghe 2021; Wanner und Landsteiner 2019). Dies ist von hoher Bedeutsamkeit, da feministische, queere, postkoloniale und klassenspezifische Themenkomplexe bislang weitgehend als Sonderdiskurse behandelt werden und außerhalb von allgemeinen psychotherapeutischen Lehrinhalten und Fortbildungen positioniert werden (Grubner 2018). Zudem sind vor allem bei hard to reach Klient:innen, bei denen mehrere Intersektionalitätsmerkmale zusammenspielen, asymmetrische Machtverhältnisse zwischen Patient:in und Psychotherapeut:in zu beobachten. Diese Diskrepanz an Macht und Privilegien gilt es anzuerkennen und Wege zu finden, dies zu reflektieren und zu verringern (Lavie-Ajayi und Nakash 2017; Wanner und Landsteiner 2019). Dafür sollten intersektionale Ansätze herangezogen werden, da „psychotherapeutische Zugänge im überwiegenden Maße auf heteronormativen, monokulturellen Annahmen basieren“ (Wanner und Landsteiner 2019, S. 73) und multidimensionale Aspekte von sozialen und psychischen Realitäten beachtet werden. Eine weitere wichtige Möglichkeit, die zur Verbesserung beitragen kann, ist die Kooperation mit Organisationen, die mit spezifischen intersektionalen Zielgruppen arbeiten, damit Psychotherapeut:innen mehr Expertise in den jeweiligen Bereichen bekommen (Schröder und Vereenooghe 2021; Wanner und Landsteiner 2019).

Fehlende Aktivierung von Ressourcen bezüglich des Abbaus von Sprachbarrieren → Verstärkte Ausbildungsinhalte zur Arbeit mit Sprachmittler:innen

Innerhalb der Psychotherapie ist Sprache das Hauptarbeitsinstrument, weshalb eine gemeinsame Sprache und Verständigungsmöglichkeit unabdingbar für Diagnostik, Anamnese und Therapie sind (Kluge 2017). Wiborg und Joksimovic (2019) fanden bei der Zielgruppe von Diabetespatient:innen mit Migrationshintergrund heraus, dass sprachliche Barrieren auf Seiten der Patient:innen eine erhebliche Barriere darstellen und dadurch ein fast zehnmal höheres Risiko besteht, keine Psychotherapie in Anspruch zu nehmen. Darauf muss die Profession Psychotherapie adäquat reagieren, da dies ein wesentlicher Aspekt ist, um Klient:innen, insbesondere hard to reach, erreichen zu können (Bierwirth und Amadou 2013). Wenn Patient:innen nur limitierte oder keine Deutschkenntnisse haben, und die:der Psychotherapeut:in über keine weiteren Sprachkenntnisse verfügt, kann der Einsatz von Sprachmittler:innen sehr hilfreich sein. Zudem gilt dies auch für gehörlose Personen (Schröder und Vereenooghe 2021). Vor allem ist dies bei schwierigen Themen notwendig, bei denen ansonsten wichtige Details verloren gehen oder nicht ausgedrückt werden können (Bierwirth und Amadou 2013). Im medizinischen Bereich gibt es zum Einsatz von Sprachmittler:innen klare Regeln, während im Setting der Psychotherapie bislang nur wenige Richtlinien zum Einsatz solcher bestehen (Martin et al. 2020). Zudem besteht kein Standardverfahren, das bei Verständigungsproblemen eingesetzt wird (Kluge 2017). Eine wesentliche Hürde, bei der Implementierung von Sprachmittler:innen ist die Beantragung, Organisation, Kostenübernahme und Finanzierung (Kluge 2017; Mewes et al. 2016; Weidenfeller 2021). Dies kann dazu beitragen, dass Psychotherapeut:innen aufgrund dieser Schwierigkeiten innerhalb der Sprachmittler:innenbeantragung eine Therapie mit anderssprachigen Personen ablehnen (Mewes et al. 2016). Zugleich kann bei Verbleib dieser Verantwortlichkeit bei den Klient:innen eine geringere Inanspruchnahme beobachtet werden. Deshalb ist es notwendig, Unterstützungsmöglichkeiten für Patient:innen sowie Psychotherapeut:innen innerhalb des Beantragungsprozesses zu schaffen. Folglich sollte dieser Themenschwerpunkt bereits in der Ausbildung berücksichtigt werden und Ausbildungsteilnehmer:innen auf theoretischer sowie praktischer Ebene stärker darauf vorbereitet werden.

Vernachlässigung von kontextualen und sozialen Problematiken → Miteinbezug von system- und sozialtherapeutischen Perspektiven

Grubner (2018) weist darauf hin, dass strukturelle Probleme innerhalb der Psychotherapie zunehmend psychologisiert werden. Aus dieser Perspektive werden Krisen, Probleme sowie auch Erkrankungen zu einem persönlichen Versagen des Individuums, während andere Faktoren außerhalb der eigenen Verantwortlichkeit in den Hintergrund gelangen, was vor allem Menschen aus sozial schwachen Bevölkerungsgruppen trifft (Grubner 2018; Hook 2003; Lavie-Ajayi und Nakash 2017; Scanlon 2015). Soziale Umstände sowie das Verstehen von Zusammenhängen und Lebensverhältnissen werden folglich weniger beachtet (Maio 2014). Auf diese Weise werden Menschen dazu gebracht, bestimmte Situationen zu akzeptieren und darüber hinaus als persönlich erträglich anzunehmen, obwohl diese eigentlich als sozial unerträglich betrachtet werden sollten (Hook 2003). Wenn diese individualistische Haltung praktiziert wird und der soziale und historische Kontext unberücksichtigt bleibt, kann der psychotherapeutische Diskurs dazu beitragen, die soziale Ungleichheit zu erhalten (Lavie-Ajayi und Nakash 2017). Zudem können im therapeutischen Prozess, wenn keine ausreichende Reflexion des:der Psychotherapeut:in stattfindet, Probleme der:des Patient:in eher auf intrapsychische Faktoren als auf komplexe oder externe Umstände zurückgeführt werden. Dadurch werden soziokulturelle Systeme im Allgemeinen sowie gesellschaftliche Machtverhältnisse im Besonderen, die auch innerhalb der Psychotherapie vorhanden sind, nicht beachtet und der:die Psychotherapeut:in läuft Gefahr, soziale Ungerechtigkeiten nicht zu berücksichtigen und seinen:ihren Patient:innen die Schuld an der eigenen Lage zu geben. Dies führt zu einer geringeren Empathiefähigkeit für die:den Patient:in und einer schlechteren Qualität der Behandlung (Lavie-Ajayi und Nakash 2017). Es gilt zu bedenken, dass oft durch das Lösen von sozialen Problematiken die psychische Gesundheit verbessert wird. Dies erfordert eine Berücksichtigung dieser Dimension und gesteigerte Sensibilität bezüglich sozialer Krisen, um diese erkennen und adäquat intervenieren zu können. Folglich wäre es nutzbringend, dass gesellschaftliche Funktionen sowie systemisch-kontextuale und soziale Problematiken in der Psychotherapieausbildung vermehrt thematisiert würden. Sozialtherapeutische Interventionen in der Behandlung wirken sich dabei mutmaßlich nicht nur positiv auf die Arbeit mit hard to reach Klient:innen aus sondern erleichtern aufgrund ihrer Anschlussfähigkeit zudem die Kooperation mit der Sozialen Arbeit (Bösel und Gahleitner 2020).

Exkludierende Selektion von Patient:innen → Reflexion bewusster und unbewusster Selektionskriterien bereits im Stadium der Ausbildung

Es führen mehrere individuelle Faktoren zur Inklusion oder Exklusion von Patient:innen in eine ambulante Psychotherapie. Die Entscheidung, ob bestimmte Patient:innen aufgenommen werden, obliegt schlussendlich dem:r Psychotherapeut:in. Diese Selektionskriterien sind nicht transparent und können vielfältig sein. Es ist hierbei jedoch ersichtlich, dass Menschen mit Intersektionalitätsmerkmalen häufiger abgewiesen werden (Heil 2017; Kahraman 2008). Es zeigt sich, dass vor allem Patient:innen mit schweren und komplexen Störungsbildern abgewiesen werden, obwohl hier der höchste Bedarf einer längerfristigen Psychotherapie gegeben wäre. Häufig werden diese Patient:innen von stationären Einrichtungen aufgefangen, wo jedoch keine nachhaltige und ausreichende Behandlung der komplexen Problemstellungen und Situationen stattfinden kann (Schnell et al. 2014). Es bedarf daher der Reflexion von Seiten der (angehenden) Psychotherapeut:innen anhand welcher Kriterien eine Selektion und Abweisung stattfindet. Zudem soll in der Ausbildung, aber auch in Weiterbildungen über Selektionsprozesse gesprochen und eigene Mechanismen welche zur Exklusion gewisser Patient:innen führen hinterfragt werden, sodass weniger Ablehnung und Exklusion von hard to reach Klient:innen stattfindet.

Geringe interdisziplinäre Vernetzung → Erlernen von interdisziplinärer und interprofessioneller Kooperation

Wie sich in der Recherche zeigte, besteht lediglich eine geringe oder sehr selektive Kooperation von Psychotherapeut:innen mit diversen Institutionen und Professionen. Das mag unterschiedliche Gründe haben. Hinsichtlich hard to reach Klient:innen könnte die psychotherapeutische Versorgung ein wichtiger Baustein im Kontext eines gelungenen Hilfearrangements sein, welches auf der Vernetzung unterschiedlicher Akteure im Sozial- und Gesundheitssystem aufbaut (Große und Gahleitner 2021). Insbesondere Allgemeinmediziner:innen sowie Sozialarbeiter:innen wären in diesem Sinne wichtige Kooperationspartner innerhalb der Behandlung (Gaebel et al. 2013; Kleineberg-Massuthe et al. 2017). Am Beispiel der Vermittlung von ehemaligen Straftäter:innen in die ambulante Psychotherapie wird deutlich, wie diese von einer Zusammenarbeit zwischen Justiz(vollzugs)anstalt, Bewährungshilfe und Psychotherapie profitieren könnten (Sarubin et al. 2016). Durch den schleppenden Austausch zwischen den Instanzen jedoch werden einerseits therapiebedürftige Patient:innen nicht optimal oder zeitnah weitergeleitet und andererseits gehen Informationen über den:die Patient:in verloren (Watzke et al. 2015). Erforderlich wäre, dass bereits in der Ausbildung Methoden zu interdisziplinärer Vernetzung thematisiert werden und zukünftigen Psychotherapeut:innen Strategien an die Hand gegeben werden, wie dies im Praxisalltag gelingen könnte.

Fazit

Mit der vorgelegten Analyse konnten einige bedeutsame Aspekte dargelegt werden, warum ambulante Psychotherapie bislang nur begrenzt von hard to reach Klient:innen in Anspruch genommen werden kann. Für diese Zielgruppe, deren wesentliche Ansprechpartner:innen innerhalb der Klinischen Sozialen Arbeit zu verorten wären, bestehen eine Reihe unterschiedlicher Zugangsbarrieren zur Behandlung in einer Psychotherapiepraxis. In Teilen sind diese bereits im Zeitraum der Psychotherapieausbildung angelegt bzw. könnten zumindest dort bearbeitet werden, um niedrigschwellige Zugänge für diese Gruppe zu ebnen. Ebenso wird deutlich, dass einige der aufgezeigten Aspekte tiefer in die Geschichte und Verfasstheit der Psychotherapie, wie diese in Österreich und Deutschland ins Gesundheitssystem eingewoben sind, rekurrieren und es sicherlich mehr bedarf, um eine Verringerung der Versorgungslücke von hard to reach Klient:innen zu erzielen. Es bleibt zu hoffen, dass die Umstrukturierung der Psychotherapieausbildung als Chance verstanden wird, um bislang vernachlässigte Thematiken miteinzubeziehen und somit der systematischen Ungleichheit hinsichtlich Versorgungsrealitäten entgegen zu treten.