Einleitung

Bei einer Durchschau des Angebots der größeren Ausbildungsstätten für Psychotherapie in Österreich ist auffällig, dass gesellschaftliche Machtverhältnisse und ihr Wirken auf die Psyche kaum in Aus- und Weiterbildung thematisiert werden. Keupp (2009) spricht in diesem Zusammenhang von einer „Gesellschaftsvergessenheit“ (S. 131) innerhalb der Diskurse über Psychotherapie, bei welchem übersehen wird, dass Psychotherapie in keinem werte- und herrschaftsfreien Raum stattfindet, sondern gesellschaftliche Strukturen und Prozesse abbildet und Teil des gesellschaftlichen Handelns ist. Fehlt in der Haltung der Praktiker*innen ein Verständnis für die gesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenzen, so besteht die Gefahr, dass komplexe Zusammenhänge, wie sie bei intersektionalen Diskriminierungserfahren von geflüchteten Frauen vorzufinden sind, übersehen, simplifiziert, pathologisiert oder bagatellisiert werden. Werden intersektionale Diskriminierungen als Resultat vorherrschender Dominanzverhältnisse betrachtet und ihr Auswirken auf die Psyche berücksichtigt, so zeigt sich der Bedarf, gesellschaftliche Strukturen und Bedingungen in die Psychotherapie miteinzubeziehen, wie dies auch innerhalb der feministischen Psychotherapie gefordert wird (vgl. Ruck et al. 2019; Brown 2018).

Der folgende Beitrag zeigt erste Ergebnisse einer Studie, in welcher u. a. der Frage nachgegangen wird, welchen Beitrag Psychotherapie zur Bearbeitung intersektionaler Diskriminierungserfahrungen leisten kann.

Bevor auf die ersten Ergebnisse der Studie eingegangen wird, wird vorerst das Studiendesign sowie theoretische und empirische Erkenntnisse zu intersektionaler Diskriminierung und psychischem Wohlbefinden diskutiert. Abschließend werden von den Ergebnissen abgeleitete handlungsrelevante Grundsätze für eine machtsensible Haltung in der Psychotherapie vorgestellt.

Studiendesign

Ziel dieser qualitativen explorativen Studie ist es, Erfahrungen intersektionaler Diskriminierungen von Frauen mit Migrations- und Fluchtbiografien und ihre Bearbeitungsmöglichkeiten in der Psychotherapie zu verdichten. Die Ergebnisse, die in diesem Artikel vorgestellt werden, beziehen sich auf einen Teil der Untersuchung, welcher der Frage nachgeht, wie Psychotherapeut*innen mit Diskriminierungserfahrungen von Frauen mit Fluchterfahrungen umgehen und welche Bedarfe und Wünsche diesbezüglich im Forschungsfeld vorzufinden sind.

Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden fünf von den geplanten sieben semi-strukturierten Interviews (Flick 2016) mit Psychotherapeut*innen mit unterschiedlichen Ausbildungen (Integrative Therapie, Gestalttherapie) durchgeführt. Alle der befragten Personen definieren sich als Frau, sind seit mindestens zwei Jahren in die Liste der Psychotherapeut*innen eingetragen und haben mindestens drei Jahre Erfahrung in der psychotherapeutischen Arbeit mit Frauen mit Migrations- oder Fluchtbiografien. Die Dauer der Interviews, welche online durchgeführt wurden, variierte zwischen 50 und 90 min. Die Rekrutierung der Teilnehmerinnen erfolgte mittels zufälliger Email-Kontaktaufnahme und der Schneeballmethode. Als Auswertungsmethode werden die konstruktivistische Grounded Theory nach Charmaz (2006) und Teile der Diskursanalyse (Carabine 2001) angewandt. Die Interviews wurden nicht alle gemeinsam ausgewertet, sondern das weitere Vorgehen wurde im Sinne der Grounded Theory immer wieder neu an die Ergebnisse der vorherigen Arbeitsschritte angepasst und erfolgte in einem iterativen Prozess. Die Abfolge der Auswertungsschritte sind bei Johnson (2014) genau beschrieben und nachlesbar.

Intersektionale Diskriminierung und psychisches Wohlbefinden

Um die Komplexität von Diskriminierungserfahrungen von Frauen mit Fluchterfahrungen erfassen zu können, bietet sich eine intersektionale Perspektive an, da dadurch die Wechselwirkung, sowie Interaktion unterschiedlicher Differenz‑, Ungleichheits- und Unterdrückungsstrukturen analysiert und Prozesse sowie Strukturen von Diskriminierungsdynamiken hinterfragt werden können (McCall 2001). Marten und Walgenbach (2017) verstehen unter Intersektionalität, dass „historisch gewordene Diskriminierungskategorien wie Geschlecht, Behinderung, Sexualität, Race/Ethnizität/Nation oder soziales Milieu nicht isoliert voneinander konzeptualisiert werden können, sondern in ihren Überkreuzungen (intersections) oder Interdependenzen analysiert werden müssen“ (S. 158). Die afromeriakanische Juristin Kimerlè Crenshaw (1991) hat das Konzept der „Intersectionality“ bereits Ender der 80er-Jahre aus einer Kritik des weißen Mittelschichtfeminismus heraus begründet und dadurch neben dem Geschlecht auch weitere Unterdrückungsdimensionen, wie Klasse (class) und Ethnie (race) in die Diskussion über ungleichheitsgenerierende Strukturen aufgenommen. Intersektionalität wird heute nicht als statisches, sondern als dynamisches Konzept betrachtet; somit hängt es vom jeweiligen Erkenntnisinteresse der Forschung ab, welche Differenzkategorien zur Analyse herangezogen werden (vgl. Crenshaw 1991; Degele und Winker 2009). Anders wie bei der Verwendung von eindimensionalen Diskriminierungsmodellen, wird bei der intersektionalen Diskriminierung davon ausgegangen, dass die unterschiedlichen Diskriminierungsformen nicht einfach nebeneinanderstehen, sondern dass sich diese wechselseitig konstituieren, dadurch andere Formen der Diskriminierung hervorbringen und deshalb auch nicht isoliert voneinander untersucht werden können (vgl. Marten und Walgenbach 2017).

Intersektionale Diskriminierung und ihr Einfluss auf das psychische Wohlbefinden kann in deutschsprachigen Ländern noch immer als Randthema im Forschungsdiskurs identifiziert werden. Bei Forschungen in Zusammenhang mit Menschen mit Migrations- und Fluchterfahrungen wurde dabei meist auf rassistische Diskriminierungen Bezug genommen, wobei einer intersektionalen Perspektive nur wenig Rechnung getragen wurde. Es wurden bereits zahlreiche, vor allem quantitative Untersuchungen, die sich mit den negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von spezifischen ethnischen Gruppen und in diversen Kontexten beschäftigen, durchgeführt. Viele der Ergebnisse stammen aus psychiatrischen, diagnoseorientierten Bereichen (zB. Aichberger et al. 2015; Pascoe und Smart Richman 2009) und fassen Diskriminierung weniger als Resultat gesellschaftlicher Machtverhältnisse, sondern vor allem als individuelles Problem auf. Qualitative und weniger diagnoseorientierte Forschungen gibt es bis dato nur wenige. Folgend werden ausgewählte Erkenntnisse genauer dargestellt, welche auch für die vorliegende Studie relevant erscheinen:

Carter (2007) entwickelte aufbauend auf seinen Forschungsergebnissen das Modell des race-based traumatic stress. Er kommt zu dem Schluss, dass nicht die einzelnen rassistischen Mikroaggressionen jeweils traumatisierend sind, sie in ihrer Gesamtheit jedoch zu einer traumatisierenden Belastung führen können. Unter rassistischen Mikroaggressionen werden „brief and commonplace daily verbal, behavioral, and environmental indignities, whether intentional or unintentional, that communicate hostile, derogatory, negative racial slights and insults to the target person or group“ (Sue et al. 2007, S. 273) verstanden.

Carter (2007) stellt fest, dass besonders intersektionale Diskriminierung im Aufnahmeland zu einer Vervielfachung des Stresses führt und ist somit auch anschlussfähig an das Konzept der sequentiellen Traumatisierung nach Keilson (1979), welcher die Rolle der Post-Migrationsphase als besonders einflussreich auf das psychische Wohlbefinden darstellt. Einige qualitative Studien im amerikanischen Raum (z. B. Sue et al. 2007; Nadal et al. 2014) untersuchten die Auswirkungen von Diskriminierung auf das Wohlbefinden von Personen unterschiedlicher Zugehörigkeitsgruppen und alle kamen zu demselben Ergebnis: „Participants report that when they encounter microaggressions, they may feel immediate distress, and many report that the accumulation of such experiences have a detrimental impact on their well-being“ (Nadal et al. 2014, S. 58).

Im deutschsprachigen Raum gibt es bis heute nur wenige Studien zu dem Thema. Einzig kann auf die Studie von Igel et al. (2010) hingewiesen werden, in welcher in einer repräsentativen Untersuchung mit Menschen mit Migrationserfahrungen in Deutschland die negativen Auswirkungen auf die Gesundheit exploriert wurden. Ein Ergebnis war, dass Personen, die sich aufgrund ihrer Herkunft diskriminiert fühlten, ihre psychische sowie physische Gesundheit schlechter einschätzen, als jene die über keine dieser Erfahrungen verfügten. In der Studie wurden jedoch keine spezifischen Diskriminierungsformen erforscht und der Fokus lag vor allem auf Stressfaktoren und weniger auf Ungleichheitserfahrungen. Trotz einiger Schwächen der Studie, kann sie Auskunft über die psychische Belastung durch vor allem rassistische Diskriminierung geben. Wichtige Reflexionen zum Thema im deutschsprachigen Raum stammen beispielsweise von Lerch (2011, 2019) oder Fernandes Sequeira (2015).

Als Schutzfaktoren gegen Diskriminierung können nach Gahleitner (2005) schützende Inselerfahrungen genannt werden. Damit gemeint sind all jene alternative Erfahrungen, welche Wertschätzung, Zugehörigkeit und Selbstwirksamkeit vermitteln. Laurence (2011) benennt auch soziales Kapital, im Sinne von sozialen Netzwerken als förderlich. Besonders Netzwerke innerhalb der Dominanzgesellschaft, z. B. Nachbarschafskontakte, scheinen Diskriminierung und Exklusion entgegenzuwirken.

Laut ZARA (2022), dem Verein für Zivilcourage und Anti-Rassismus Arbeit, sind Frauen in Wien doppelt so häufig von Diskriminierung im öffentlichen Raum betroffen wie Männer. Zurückgeführt wird dies auf die niedrigere Hemmung „Frauen rassistisch zu attackieren, in unserer patriarchalen Gesellschaft“ (S. 8). Diese Erfahrungen werden, wie auch Herman (2018) thematisiert, nur allzu oft verschwiegen, da nur selten geschützte Räume für Frauen zur Verfügung stehen, in denen offen über diese Erlebnisse gesprochen werden kann. Eine machtsensible Haltung, welche sich an den Kernkonzepten einer feministischen Psychotherapie orientiert, könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten Schutzräume zu eröffnen, in welchen Ungleichheiten und unterdrückende Machtverhältnisse, die sich in beispielsweise Sexismus oder Rassismus wiederspiegeln, ernst genommen, als nicht gegeben angenommen und kritisch reflektiert werden (vgl. Brown 2018; Schigl 2012).

Ergebnisse

Durch die Auswertung der Interviews der Psychotherapeutinnen haben sich drei zentrale Dimensionen herauskristallisiert, welche anhand empirischen Datenmaterials aus den Interviews mit den Psychotherapeutinnen dargestellt und in eine diskursive Auseinandersetzung gebracht werdenFootnote 1. Es ist anzumerken, dass es sich dabei um die Rekonstruktion der Perspektive der Psychotherapeutinnen handelt, welche auf die Erfahrungen aus Ihrer Praxis mit den Frauen mit Fluchterfahrungen Bezug nehmen. Die Sichtweise der Frauen mit Fluchtbiografien wurde im Laufe der Studie separat erhoben und eine Zusammenschau der beiden Perspektiven ist geplant.

Thematisierung intersektionaler Diskriminierung in der Psychotherapie

Die Psychotherapeutinnen geben an, dass ihre Klientinnen mit Fluchtbiografien strukturelle Diskriminierung im Aufnahmeland Österreich als besonders belastend erleben: In diesem Zusammenhang wird vor allem auf das lange Asylverfahren, welches viele negative Konsequenzen für die Frauen mit sich bringt, Bezug genommen: „Diese Zumutung der langen Asylverfahren und (…) dass ihnen nicht geglaubt wird etc. das sind so Diskriminierungserfahrungen, die die Menschen einfach unwahrscheinlich belasten.“ (Frau Meyer). Die Glaubwürdigkeit betrifft häufig Erfahrungen von sexueller Gewalt und Ausbeutung, welche von Seiten des Gerichts im Bescheid als nicht nachvollziehbar bzw. glaubhaft eingestuft werden. Während der im Asylverfahren vorgesehenen Behördengänge kommt es laut der Psychotherapeutinnen auch immer wieder zu institutioneller Diskriminierung. So erzählt Frau Wolf von der Erfahrung ihrer Klientin mit einem Gutachter, welcher dieser vorwarf, eine schlechte Mutter zu sein, da sie ihre Kinder im Ursprungsland zurückgelassen hätte. Diese Aussage des Gutachters wurde zu einem zentralen Thema in der Psychotherapie. Ebenso wurden Diskriminierungen in Schule sowie Gesundheitswesen von den Klientinnen mit Fluchtbiografie in der Psychotherapie thematisiert.

Es zeigt sich, dass unterschiedliche Formen von Diskriminierung (Scherr et al. 2017) im Aufnahmeland als große Belastung wahrgenommen werden und dass diese zentrale Themen in den psychotherapeutischen Gesprächen darstellen. Wie aus anderen Studien (siehe Freedman 2015; Krause 2018) bekannt, ziehen sich intersektionale Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen wie ein roter Faden durch die Biografien von Frauen mit Fluchterfahrungen durch und kommen an unterschiedlichen Stellen des Migrationsprozesses vor. Cockburn (2004) spricht in diesem Zusammenhang von einem Kontinuum der Gewalt, welches sich bis in das Erleben im Aufnahmeland hindurchzieht und auch die Orte kennzeichnet, an denen eigentlich Schutz und Sicherheit gefordert werden. Psychotherapie kann hier einen Raum eröffnen, um diese Erfahrungen ansprechbar zu machen.

Bearbeitungsmöglichkeiten intersektionaler Diskriminierungserfahrungen in der Psychotherapie

Beziehungsaufbau gekennzeichnet durch Würde und Parteilichkeit

Als wichtiges Kernelement, wird von den befragten Psychotherapeutinnen der Beziehungsaufbau genannt. Spielen intersektionale Diskriminierungen eine Rolle, so unterscheidet sich der Beziehungsaufbau dahingehend, dass besonders diskriminierungsspezifische Aspekte im Mittelpunkt stehen. Maßgeblich beeinflusst wird der Beziehungsaufbau dabei von einem Schenken von Glauben sowie die Anerkennung bzw. Würdigung des durchgemachten Leidens und der erlebten Ungerechtigkeit: „(…) diese Übernahme der Zeuginnenschaft, das wirklich so anzunehmen und anzuhören, wie sie das erzählt“ (Frau Lorde). Die befragten Psychotherapeutinnen stellen fest, dass der Praxisraum häufig den einzigen Ort darstellt, wo die Frauen ihre Diskriminierungserfahrungen ansprechen können. Wie auch bei Herman (2018) diskutiert, kann ein Erzählen über Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen nur dann stattfinden, wenn es auch die Rahmenbedingungen zulassen und ein Raum zur Verfügung steht, in welchem den Erfahrungen mit Anerkennung und Empathie begegnet werden.

Ressourcenorientierung statt Zementierung auf Opferrolle

Aufgrund der sehr instabilen äußeren Umstände legen die befragten Psychotherapeutinnen hauptsächlich den Fokus auf stabilisierende Gespräche und eine ressourcenorientierte Vorgangsweise, um zur Bewältigung des von Unsicherheit geprägten Alltags beizutragen. Frau Meyer begründet dieses Vorgehen darin, dass die Stabilität zur Traumabearbeitung noch fehlt „(…) denn in Wirklichkeit ist das Trauma nicht vorbei“. Ähnliches stellen auch Lacroix und Sabbah (2011) fest, wenn sie davon sprechen, dass das Trauma auch im Aufnahmeland durch die restriktiven Bedingungen fortgesetzt wird, da Asylwerbende weiterhin mit dem Risko leben, einen negativen Asylbescheid zu bekommen, abgeschoben zu werden und bis dahin jahrelang in prekären Lebenslagen zu verbringen. Ein weiterer Grund der Ressourcenorientierung liegt im Aufzeigen der Stärken, statt einer Zementierung in eine gesellschaftlich vorgesehene Opferrolle. Frau Kahn beschreibt dies als eine herausfordernde Aufgabe in der Psychotherapie: „(…) dieses gleichzeitige sich mitfühlend zeigen und sie aber trotzdem nicht sozusagen nur als Opfer zu sehen, sondern auch ihre Stärken anzuerkennen, sie daran zu unterstützen, diese zu erkennen, trotz schwerster seelischer Verletzungen“ (Frau Kahn).

Übernahme juristischer & sozialarbeiterischer Beratung

Die Therapeutinnen geben an, dass es immer wieder auch Situationen gibt, in denen sie eine vermittelnde Rolle übernehmen müssen. Dabei kann es einerseits um die Vermittlung der Rechtslage gehen oder um die Aufklärung über den Anspruch sozialer Leistungen und die Vernetzung mit anderen zuständigen Behörden und Institutionen gehen. Die Übernahme dieser nicht vorgesehenen Aufgaben von Seiten der Psychotherapeutinnen können auf Schwächen eines Sozialsystems hinweisen, welches nur wenig strukturierte Hilfen für Asylwerberinnen zur Verfügung stellt und Psychotherapeutinnen in eine für sie nicht vorgesehene Rolle drängt.

Bündnispartner finden

Eine Psychotherapeutin beschreibt, dass es für die Arbeit mit Frauen mit Fluchtbiografien in manchen Fällen essentiell ist, Bündnispartner zu haben. Damit gemeint sind Personen, meist männliche Begleitpersonen wie Väter, Ehemänner oder Brüder, die bis zu einem gewissen Grad in die Therapie miteinbezogen werden, um Abbrüche zu vermeiden: „Und da habe ich schon einen Vater, der bei einer jungen Frau von 19, der da drei, viermal mitgekommen ist in die Therapiestunde (…)“ (Frau Lorde).

Die Therapeutin beschreibt es als prozesshafte Ablösung durch einen langsamen Vertrauensaufbau zu weiteren wichtigen Familienmitgliedern, ohne deren Einverständnis eine Psychotherapie nicht möglich wäre bzw. Abbrüche riskiert würden. Nur dadurch ist es manchen Frauen überhaupt möglich, Psychotherapie in Anspruch zu nehmen.

Entdramatisierung

Von einer Psychotherapeutin wurde angeben, dass sie es als ihre Aufgabe sieht, ihren Klientinnen zu erklären, wie das Leben in Europa funktioniert, um dadurch mehr Verständnis zu schaffen und dadurch zu einer „Entdramatisierung der Situation“ (Frau Symkalla) beizutragen. Weiter berichtet Frau Symkalla von einem Fall „wo die Dame sich also an und für sich ständig diskriminiert gefühlt hat, aufgrund von ihrer Hautfarbe, wegen dem Kopftuch (…). Und manchmal denke ich mir, da wird auch sehr viel hineininterpretiert (…) wo ihr Gegenüber es gar nicht so schlecht meint oder so diskriminierend wirken möchte“. Es erweckt den Eindruck, als würden Diskriminierungserfahrungen hier normalisiert und dadurch bagatellisiert werden; dadurch liegt die Verantwortung mit dem Erlebten umzugehen, bei der Betroffenen und hängt von ihren inneren Ressourcen ab. Mohaupt (2009) stellt in diesem Zusammenhang fest, dass „this individual-focused perspective can also lead to blaming the victim“ (S. 67). Eine Gefahr, die sich also hinter diesem Vorgehen verbirgt, ist, dass es innerhalb der Therapie zu einer Re-Produktion von Diskriminierungserfahrungen kommt, wenn diese als gegebene Selbstverständlichkeit des Daseins einer Asylwerberin betrachtet werden.

Herausforderungen und Bedarfe

Eine Psychotherapeutin nimmt wahr, dass allein die Tatsache eine Frau zu sein, häufig den Zugang zu Angeboten erschwert: „Also schlussendlich ist ein Stück das Frauenbild des Patriarchats auch eine Hürde auf dem Weg zu einem guten Genesungsweg zu kommen und einer adäquaten Unterstützung und Schutzräumen“ (Frau Meyer). Herman (2018) spricht in diesem Zusammenhang von einer zentralen Dialektik im Traumadiskurs, welche Überlebende in die dualistische Position zwischen Schweigen und Erzählen bringt. Den Gewalterfahrungen von Frauen wird häufig nur wenig Glauben geschenkt, sie fühlen sich schuldig für die ihnen widerfahrene Gewalt, schämen sich oder es wird ihnen unterstellt, nicht rechtzeitig etwas gesagt zu haben.Footnote 2 Dies wiederum könnte sich auch auf den Zugang zu Angeboten auswirken, da Schweigen einen gesellschaftlich akzeptierteren Umgang darstellt, als Hilfe zu suchen.

Aufgrund instabiler Lebensverhältnisse und der gemachten Erfahrungen in der Vergangenheit ist es für manche Frauen auch nicht einfach, eine Kontinuität im therapeutischen Prozess aufrecht zu halten. Die Psychotherapeutinnen würden sich daher eine flexiblere und offene Gestaltung der Therapie und niederschwellige psychotherapeutische Angebote wünschen, um das Risiko des Verlusts des Therapieplatzes zu reduzieren.

Eng damit in Zusammenhang steht auch der Bedarf nach multiprofessioneller Zusammenarbeit und Vernetzung mit anderen Einrichtungen und Institutionen innerhalb und außerhalb des bio-psycho-sozialen Bereichs. Vernetzung wird nicht nur unter den professionellen Fachkräften als wichtiger Aspekt hervorgehoben, sondern auch die Vernetzung zwischen den Frauen mit Fluchterfahrungen wird als bedeutsam wahrgenommen. Dabei würden sich die Therapeutinnen mehr psychotherapeutische Gruppenangebote für geflüchtete Frauen wünschen, damit sie auch Kontakt untereinander aufbauen können. Als Ziel wird dabei die Aktivierung der Netzwerke angegeben, welche zu mehr sozialer Partizipation führen sollten (vgl. Kupfer und Nestmann 2015).

Conclusio – Möglichkeitsräume einer machtsensiblen Haltung

Aus den eben dargestellten Ergebnissen können folgende übergreifende Elemente einer machtsensiblen Haltung abgleitet werden:

Empowerment fördern

Wie aus den Ergebnissen der Studie ersichtlich, bedeutet Empowerment hier den Fokus, trotz belastender Lebenssituationen, auf die (Re)Aktivierung von Stärken zu legen, indem die Klientinnen als aktive Akteurinnen der eigenen Lebensgestaltung und nicht ausschließlich in der Opferrolle wahrgenommen werden. Da das Hauptelement des Empowerment-Konzepts Macht darstellt, wird von den Psychotherapeut*innen hier verlangt, die eigene Machtposition in Frage zu stellen, sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden und Macht an ihre Klientinnen abzugeben, indem Hierarchien innerhalb der Klient*in-Thrapeut*in-Beziehung verringert werden (vgl. Ruck et al. 2019).

Diskriminierung ansprechbar machen

Diskriminierung kann nur dann ansprechbar werden, wenn Räume und Rahmenbedingungen dafür zur Verfügung gestellt werden. Dafür braucht es einen sicheren Ort, in welchem den Frauen Glauben und Würde entgegengebracht werden kann (vgl. Herman 2018). Dafür ist es manchmal notwendig, auch auf unkonventionelle Methoden, wie beispielsweise die Integration von „Bündnispartnern“ zurückzugreifen. Erst dadurch kann für Frauen mit Migrations- und Fluchterfahrungen ein Zugang zu sicheren Räumen geschaffen werden. Um eine Reproduktion gesellschaftlicher Machtverhältnisse innerhalb der Therapieräume zu vermeiden, kann es hilfreich sein, eigene Muster der „Entdramatisierung“, im Sinne von Bagatellisieren von Diskriminierungserfahrungen, in Frage zu stellen. Die Parteilichkeit gegenüber den Frauen, sowie die Anerkennung von Diskriminierungserfahrungen hat sich hier als wichtiger Aspekt herausgestellt.

Kooperation und Vernetzung begünstigen

Die komplexe Lebenssituation von geflüchteten Frauen erfordert ein besonderes Maß an Kooperationskompetenz der Psychotherapeut*innen und setzt Kenntnisse des bestehenden Angebots für geflüchtete Frauen voraus. Auch wenn es für die von Diskriminierung betroffenen Frauen oft nicht möglich ist, sich alleine gegen die erfahrene Diskriminierung zu wehren, so bietet eine Vernetzung mit Personen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben, eine Möglichkeit sich kollektiv mit den Erfahrungen auseinanderzusetzen bzw. sich zusammen dagegen zur Wehr zu setzen (vgl. Laurence 2011). Gleichzeitig können durch die Bildung von Netzwerken auch Ressourcen freigesetzt werden und eine gegenseitige Unterstützung gefördert werden (Kupfer und Nestmann 2015).

Die Ergebnisse zeigen, wie sehr unterschiedliche Formen von Diskriminierung in Wechselbeziehung zueinander stehen und auf das psychische Wohlbefinden wirken. Um intersektionale Diskriminierungserfahrungen erkennen und anerkennen zu können, stellt sich eine machtsensible Haltung, welche auch ein Kernelement der feministischen Psychotherapie darstellt, als hilfreich heraus. Erst durch das Hinterfragen eigener Glaubenssätze und verinnerlichter Stereotypisierungen ist es möglich die eigenen Privilegien und Unterdrückungsmechanismen zu erkennen und zu verstehen, wie diese auf die Beziehungsdynamiken wirken. Werden diese Prozesse vernachlässigt, laufen Psychotherapeut*innen Gefahr, selbst zu Kompliz*innen der Aufrechterhaltung von Ungleichheit zu werden (vgl. Brown 2018; Ruck et al. 2019).