Die Telefonseelsorge – Notruf 142

Die Telefonseelsorge spielt eine wichtige Rolle im Bereich der telefonischen (Rek und Dinger 2016) und digitalen (Wenzel 2008) Krisenintervention mit einem besonderen Schwerpunkt auf Suizidprävention. Das Beratungsangebot dieser Krisenhotline bietet vor allem Menschen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation oder Krise befinden, ein offenes Ohr, Entlastung, Unterstützung – unabhängig von deren Alter, Geschlecht, Religion und sozialer Herkunft.

In Österreich ist die Telefonseelsorge unter der amtlichen Notrufnummer 142 rund um die Uhr (24/7), gebührenfrei, vertraulich und niederschwellig erreichbar. Sie arbeitet mehrheitlich mit ehrenamtlich tätigen, speziell geschulten Mitarbeiter_innen und ist bundesländerweise organisiert sowie regional vernetzt. Im Jahr 2012 wurde die Telefonseelsorge in Österreich durch das Angebot der Mailberatung und 2016 durch die Chatberatung – zunächst ausschließlich mit Terminvereinbarung über die TS-Homepage – erweitert.

Die Telefonseelsorge ist zudem auch international organisiert. Die „International Federation of Telephone Emergency Services (IFOTES)“ wurde 1967 als Non-Profit-Organisation mit Sitz in der Schweiz gegründet und auch in Udine (Italien) registriert. Die Gründung erfolgte mit dem Ziel, Menschen in psychischen Krisen, Einsamkeit oder mit Suizidabsichten unverzüglich zugängliche, emotionale Unterstützung zur Verfügung zu stellen. 31 Organisationen aus 24 Ländern haben sich IFOTES angeschlossen – eine davon ist die Telefonseelsorge Österreich. IFOTES wird von 338 Telefonzentralen, von über 20.000 geschulten ehrenamtlichen Mitarbeiter_innen und von über 800 hauptamtlich Angestellten getragen (IFOTES 2021).

In der 1966 in Österreich gegründeten Telefonseelsorge arbeiten heute in neun Telefonzentralen 886 professionell ausgebildete ehrenamtliche Mitarbeiter_innen und 31 hauptamtlich Angestellte. Das Durchschnittsalter der Berater_innen beträgt im Mittel 58 Jahre (M = 57,65, SD = 12,43; Humer et al. 2021). Pro Telefonzentrale sind oft mehrere Telefonleitungen besetzt. Regelmäßige fachlich spezifische Fortbildungen, Intervisions- und Supervisionsangebote sowie bundesländerübergreifender Informationsaustausch und Support bei technischen Herausforderungen sind als Qualitätsmerkmale der TS Österreich verankert. Zudem stehen den Berater_innen – neben Beratungstools – rund um die Uhr interne Ansprechpersonen (im Sinne von Bereitschaftsdiensten hauptamtlicher Mitarbeiter_innen) zum zeitnahen fachlichen Austausch zur Verfügung.

Hinsichtlich des Krisenmanagements ermöglicht die Telefonseelsorge häufig eine Verbindung zur psychotherapeutischen Face-to-Face-Behandlung. Etwa kann im Beratungsverlauf dazu ermutigt werden, Psychotherapeut_innen zu konsultieren. So ergab sich seit dem Jahr 2020 in Oberösterreich eine Kooperation mit niedergelassenen Psychotherapeut_innen: Anrufende können über die Telefonseelsorge fünf Stunden Psychotherapie kostenfrei erhalten, welche von der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) finanziert werden. Ergänzend dazu kann im psychotherapeutischen Prozess auf in Anspruch genommene Online- oder Telefonberatungen Bezug genommen werden. Dieser Brückenschlag wird besonders dadurch unterstützt, dass das Angebot der Telefonseelsorge von den Kontaktsuchenden äußerst niederschwellig in Anspruch genommen werden kann (siehe z. B. Knatz und Dodier 2003, S. 16 f.).

Telefonisches und digitales Krisenmanagement

Nach Caplan (1964) und Cullberg (1978) wird „Krise“ als „Verlust des seelischen Gleichgewichts“ beschrieben, und zwar insofern, indem

ein Mensch verspürt, wenn er mit Ereignissen und Lebensumständen konfrontiert wird, die er im Augenblick nicht bewältigen kann, weil sie von der Art und vom Ausmaß her seine durch frühere Erfahrungen erworbenen Fähigkeiten und erprobten Hilfsmittel zur Erreichung wichtiger Lebensziele oder zur Bewältigung seiner Lebenssituation überfordern (zit. nach Sonnek et al. 2012, S. 15).

Bei der Bewältigung von Krisen sind interne und externe Perspektiven relevant. So beschreiben aktuelle Studien einen Zusammenhang interner und externer Perspektiven im Krisenmanagement (Bundy et al. 2017; Mikušová und Horváthová 2019; Tagarev und Ratchev 2020). Dabei fokussiert die interne Krisenperspektive die Krisenbewältigung: Nach James et al. (2011) ist die Fähigkeit, Herausforderungen und Krisen konstruktiv zu bewältigen, unter anderem besonders darauf begründet, dass Verständnismöglichkeiten betrachtet und gegenübergestellt werden, bzw. dass dadurch schlussendlich neue Erfahrungen und Bewältigungsstrategien generiert werden (James et al. 2011). In diesem Sinne bestätigen zum Beispiel Madsen und Desai (2010) einen positiven Einfluss von Krisen auf die Lernfähigkeit sowie auf die Motivation der Betroffenen. Dies wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit einer umfassenden Suche nach der Ursache und adäquaten Lösungsansätzen (Madsen und Desai 2010). Dabei unterstützt die Beratung mittels eines transparenten, interaktiven Dialogs, durch das gemeinsame Recherchieren relevanter Informationen (du Plessis 2018) und das Zusammenführen interner und externer Perspektiven. Ergänzend dazu steht die Wahrnehmung von Krisen im Fokus externer Krisenperspektiven. Studien beschäftigten sich bei der Untersuchung „externer Krisenperspektiven“ vorwiegend damit, wie Krisen wahrgenommen werden, wie auf sie reagiert wird und wie Gesellschaft, Organisationen, Beratungseinrichtungen das Krisenempfinden beeinflussen (Bundy et al. 2017).

In der täglichen Arbeit der TS ist das Ziel der Krisenintervention, im Rahmen eines ersten Gesprächs (unabhängig vom Medium) einen guten, vertrauensvollen Kontakt herzustellen sowie die aktuelle Problemlage bzw. Situation zu erfassen (Stein 2015). Gerade in der praktischen Erfahrung zeigt sich, dass diese wichtige Basis der Krisenintervention einen positiven Effekt hinsichtlich der Bewältigung der eigenen Lebenssituation in allen drei Formaten – in der Telefon‑, Mail- und Chatberatung – hat (für Onlineberatung siehe z. B. Gahleitner (2005)) und eine wichtige Ergänzung zu Face-to-Face-Kriseninterventionseinrichtungen bietet (Stein 2015).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die Bedeutung der Krisenbewältigungsstrategien durch den dialogischen Kommunikationsprozess, das vielseitig eingesetzte Kommunikationswerkzeug und durch die dabei gewonnenen Informationen positiv beeinflusst wird (Bundy und Pfarrer 2015; Coombs 2015; Hegner et al. 2016; Park 2017).

Telefonseelsorge und Krisenintervention per Telefon

Das äußerst vertrauliche Angebot der TS bietet für Menschen in Krisen und schwierigen Lebenssituationen eine erste Anlaufstelle. In der Telefonberatung beginnen Gespräche oft unmittelbar, teilweise direkt aus dem aktuellen Geschehen heraus ohne Einstieg über eine formale Begrüßung (Seidlitz und Theiss 2007). Weder Anrufende noch Beratende haben Vorinformationen über die Person am anderen Ende der Leitung. Darüber hinaus ist die Wahrnehmung auf den akustischen Kanal reduziert. Dies fördert Assoziationen zu Geräuschen im Hintergrund – dadurch gibt es einen komplexen Interpretationsspielraum mit einem breiten Spektrum an Deutungsmöglichkeiten (Seidlitz und Theiss 2007).

Ein weiteres Merkmal der Telefonberatung ist, dass die Anrufe jederzeit abgebrochen werden können. Anrufende haben immer die Möglichkeit, das Gespräch schnell und ohne Angabe von Gründen zu beenden. Ferner gibt es keine Fortsetzungen der Gespräche: Bei erneuten Anrufen wird das Gespräch wahrscheinlich von einer anderen Beraterin oder einem anderen Berater entgegengenommen (Seidlitz und Theiss 2007).

Das „helfende Gespräch“ basiert vor allem auf den folgenden sieben tragenden Säulen in der Beratung: (1) zuhören, (2) klären, (3) ermutigen, (4) mittragen, (5) begleiten, (6) unterstützen/fördern beim Treffen eigener Entscheidungen und (7) informieren über weitere Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen (Schohe 2006). Eine regionale und wohnortnahe Vernetzung wird in der Versorgungsforschung sowohl bei physischen als auch bei psychischen Beeinträchtigungen und Betreuungsnotwendigkeiten als eines der wichtigsten Handlungsfelder gesehen (Amelung et al. 2021; Stummer et al. 2016).

Die offene und vorurteilsfreie Haltung der Berater_innen ermöglicht die Selbstoffenbarung der Anrufenden auch bei sehr schambesetzten Themen und kann bei der Klärung der weiteren Vorgehensweise unterstützend wirken. Aktives Zuhören, ein verständnisvoller, empathischer Umgang mit den Anrufenden sowie Interesse und Aufmerksamkeit tragen dabei am Telefon zum Aufbau einer guten Beziehung bei – im Sinne einer beziehungsfördernden Grundhaltung (vertiefend dazu Stein (2015, S. 81)). Vor allem der Aspekt des gelungenen Beziehungsaufbaus bildet die Grundlage für die Arbeit der Berater_innen (für konkrete Fallbeispiele am Telefon siehe Seidlitz und Theiss (2007, S. 159 f. und S. 166 ff.)).

Im weiteren Gesprächsverlauf schätzen die Berater_innen die Gefährdung der Betroffenen ein, z. B. ob eine akute Selbstgefährdung vorliegt. Hier „(…) kann das niedrigschwellige unterstützende Gespräch sich darauf fokussieren, verfügbare oder erreichbare Ressourcen zu erörtern, die möglichst direkt dem Menschen in der Krise eine erste Entlastung (…) gewährleisten sollen“ (Sötemann 2018, S. 29). Ergänzend dazu kann das Erfragen früherer suizidaler Krisen sowie hilfreicher Strategien in solchen Krisen sinnvoll sein (Sötemann 2018). Nach anschließender Zusammenfassung wird ein gemeinsamer Problemlösungsprozess initiiert (im Sinne eines möglichst konkreten nächsten Schrittes). Dabei kann beispielsweise der Fokus auf der Förderung der Distanzierungsfähigkeit von Suizidgedanken und auf Sinnsensibilisierung oder auf einem gemeinsamen Abwägen einer möglichen Kontaktaufnahme mit Psychotherapeut_innen liegen.

Telefonseelsorge und Krisenintervention online

Studien aus Deutschland legen nahe, dass die Beratungsformen – Mail und Chat – (a) insbesondere bei schambehafteten und vielschichtigen Themen (Döring 2003) und (b) für jüngere Personen Vorteile bieten (Kupfer und Mayer 2019). Die Onlineberatung per E‑Mail und Chat gilt auch als „ideales Medium für Menschen, die Schwierigkeiten im direkten Kontakt und im Umgang mit anderen Menschen haben“ (Knatz und Dodier 2003, S. 13).

Durch die virtuelle Kommunikation im Rahmen der Onlineberatung wird dem Ratsuchenden ein hohes Maß an Kontrolle in seiner Selbstdarstellung und Selbstoffenbarung gewährleistet. Außerdem wird durch den virtuellen Raum ein Experimentieren mit unterschiedlichen Persönlichkeitsanteilen ermöglicht (Knatz und Dodier 2003, S. 18). Beim Schreiben kann die eigene Problemsituation erst einmal überlegt, sortiert, reflektiert werden, zudem können Gefühle geäußert und Spannungen abgebaut werden (vgl. Knatz und Dodier 2003, S. 13). Im Zuge dessen wird ein Prozess in Gang gesetzt, der zu einer psychischen Entlastung führen und persönliche Ressourcen aktivieren kann (Reindl et al. 2012). Dem Internet wird dabei auch meist mehr Anonymität als dem Telefon beigemessen (Kupfer und Mayer 2019).

Seit 2019 gibt es die Sofortchatberatung der TS, für die keine Terminvereinbarung notwendig ist. Diese ist über die Website telefonseelsorge.at/chatberatung erreichbar und täglich zwischen 16 und 22 Uhr geöffnet. Verfügbaren Berater_innen kann zunächst eine Kurznachricht über den Anlass der Kontaktaufnahme übermittelt oder direkt (ohne Registrierung) in den Chatberatungsprozess eingestiegen werden. Einen konkreten Einblick in die Sofortchatberatung soll ein anonymisiertes Beispiel über den Beginn eines Chatverlaufs (Originaltext) ermöglichen (s. Anhang).

Die Telefonseelsorge Salzburg bietet darüber hinaus mit der „kids-line-Chatberatung“ ein spezielles Angebot für Kinder und Jugendliche an. Anders als bei der „kids-line“ wird der Sofortchat der TS österreichweit vorwiegend von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in Anspruch genommen.

Nach beinahe zehn Jahren der anonymen Onlineberatung (Mail und Chat) zeigt sich, dass dieses Angebot vor allem jüngere Personen anspricht, über 50 % der Ratsuchenden sind unter 30 Jahre alt, in Tab. 1 finden sich die aktuellen Statistiken aus Österreich. Während der Sars-CoV2-Pandemie ergab und ergibt sich dabei ein weiterer Vorteil: In Zeiten von Homeschooling und Homeoffice hatten und haben einige Personen etwa nicht die Ruhe, um ungestört und vor allem ungehört zu telefonieren.

Tab. 1 Nutzungsdaten der Telefon- und Onlineberatung 2020

Tab. 2 zeigt den Anstieg der Nachfrage im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr 2019. Grundsätzlich ist ein Zuwachs bei allen Kommunikationsmedien zu beobachten. In Bezug auf die Chatberatung fällt dieser jedoch besonders ins Auge: Hier sind die Anfragen um fast 300 % gestiegen. Dies wird durch eine erhöhte Nachfrage begründet, aber auch durch eine zeitliche und personelle Ausweitung des Angebotes ab Mitte März 2020, um diesem erhöhten Bedarf gerecht werden zu können.

Tab. 2 Absoluter und relativer Zuwachs in der Telefon- und Onlineberatung im Jahresvergleich 2019/2020

Auffallend bei der Onlineberatung ist, wie aus deutschen Studien hervorgeht, der hohe Anteil an schambesetzten Themen (Götz 2009), wie z. B. selbstverletzendes Verhalten (Eichenberg 2011; Feikert 2016), suizidale Krisen (Störr 2013; Oswald 2018; Gekeler 2018; Culemann 2002), Missbrauch (Meßmer et al. 2012; Eichenberg und Malberg 2012) oder Suchtproblematik (Drda-Kühn et al. 2018; Maier und Schaub 2013). Dies deckt sich mit den Erfahrungen der Telefonseelsorge. Deutlich wird, dass das Thema Einsamkeit in der digitalen Kommunikation wesentlich weniger vorkommt. Wohingegen Themen wie Gewalt/Missbrauch, Suizid, Beziehungsprobleme und psychische Gesundheit allgemein wesentlich häufiger angesprochen werden. Das kann natürlich sowohl am Medium selbst als auch an den unterschiedlichen Altersgruppen der Mediennutzer_innen liegen (Tab. 3).

Tab. 3 Themen in der Telefon- und Onlineberatung (absolute und relative Zahlen 2020)

Trends für die Zukunft

Das Kommunikationsverhalten der einzelnen Generationen ändert sich stark. War vor einigen Jahren Facebook noch ein junges Medium, so sind es aktuell andere Dienste, insbesondere Messenger, die genutzt werden (Institut für Jugendkulturforschung 2021). Diese Veränderung wird auch in der niederschwelligen, kostenfreien Beratung ihre Spuren hinterlassen. Konkret konnte dies bereits durch eine deutschlandweite Studie über die Veränderung der Gesprächskultur aus dem Jahr 2010 bestätigt werden: Etwa 89 % der über 60-Jährigen sahen die Möglichkeit eines guten Gesprächs lediglich via Face-to-Face, d. h. weder per Telefon noch per Internet. Dieser Wert sank bei den 14–17-Jährigen auf 44 %. In letzter Gruppe überwog mit 46 % auch die Meinung, dass gute Gespräche auch über Messenger, Chat, Mail und andere internetbasierte Kommunikationsformen durchgeführt werden können und nichts verloren ginge (Institut für Demoskopie 2010). Seit dem Jahr 2010 ist eine Fortsetzung dieses Trends zu beobachten. In Österreich sind große Ähnlichkeiten zu erwarten, obwohl dazu keine repräsentativen Untersuchungen vorliegen.

Die Nutzung von Beratungsapps, Kurznachrichten oder auch Messenger im psychosozialen Bereich dürfte stark zunehmen. Dies stellt natürlich einerseits die Betriebsorganisation und andererseits die Ausbildung der Mitarbeiter_innen vor die Herausforderung, professionelle Beratungen in diesen Formaten anzubieten. In der Psychotherapie und der Sozialen Arbeit gibt es bereits in einigen Ländern Europas positive Erfahrungen mit Beratungsapps (Steinhart et al. 2014; Moessner und Bauer 2017). Dies würde aber dem TS-Charakter einer schnellen, barrierefreien und anonymen Zugänglichkeit widersprechen (z. B. entsteht möglicherweise durch das Herunterladen der App eine erste Hürde).

Die Telefonseelsorge setzt auf die Option sich ergänzender Kommunikationskanäle. So werden Klient_innen in akuten Krisen im Rahmen der Onlineberatung dazu motiviert, zusätzlich möglichst zeitnahe Kontakt mit dem Notrufdienst 142 der Telefonseelsorge aufzunehmen.

Hervorzuheben ist, dass über die Social-Media-Kanäle wie Facebook, Instagram oder über den WhatsApp-Messenger keine Beratungen der TS stattfinden, da über diese Medien die Datensicherheit und die zwei wichtigsten Grundsätze der TS – nämlich „Vertraulichkeit“ und „Anonymität“ nicht gewährleistet werden können. Eine Erweiterung des Portfolios der Onlineberatungskanäle muss mit diesen Grundsätzen einhergehen, wobei laufende organisatorische Adaptierungen und eine entsprechende Flexibilität der Mitarbeiter_innen ebenso erforderlich sind. Darüber hinaus wird auch die Aneignung von Fachwissen über den Einfluss medialer und digitaler Entwicklungen als essenzieller Bestandteil von Fortbildungsveranstaltungen im Onlineberatungsbereich berücksichtigt (Engelhardt 2018).

Die Berater_innen können frei wählen, über welches Medium sie tätig sein wollen. Ein weiterer Aspekt ist die Erweiterung des Beratungsteams durch die gezielte Gewinnung von jüngeren Berater_innen, die eher die Nutzung digitaler Medien bevorzugen. Zur Gewinnung jüngerer Berater_innen läuft derzeit ein EU-Projekt („Chat your value“) unter der Projektleitung von IFOTES.

Derzeit gibt es noch kaum wissenschaftliche Literatur, die sich mit Beratung über Messenger auseinandersetzt. Einen kurzen Überblick gibt z. B. Engelhardt (2018, S. 66 f.). Die folgenden abschließenden Annahmen und Erwartungen erfolgen demnach erfahrungsbasiert. Es ist anzunehmen, dass der Einsatz von Messenger in der Beratung zu einer Veränderung der Kommunikation führt. Als vorteilhaft wird hierbei erachtet, dass der ganze Beratungsverlauf ständig sichtbar ist – dies kann Kohärenz und Kontinuität wiederum positiv beeinflussen. Dadurch wird die inhaltliche Kommunikationsebene beeinflusst bzw. wird der Beratungsprozess zeitlich ausgedehnt – vergleichbar einer Chatberatung, die sich über mehrere Tage erstrecken kann (Engelhardt 2018).

Ferner ist es wahrscheinlich, dass Ratsuchende vorwiegend von einem Smartphone schreiben. Das kann bedeuten, dass sich die „Schreiborte“ verändern, z. B. hin zu einer Anfrage von unterwegs, wie beispielsweise aus der U‑Bahn. Zu überlegen ist daher, welche Adaptierung der Onlineberatungsangebote durch diese Veränderungen des Beratungssettings erforderlich sind, um einen solchen dialogischen Beratungsprozess adäquat und hilfreich anzubieten.

Zudem kann es zu einer vermehrten Auflösung regionaler Grenzen kommen – wie dies auch in verschiedenen Disziplinen unter dem Begriff Entgrenzung diskutiert wird (für eine ausführliche Definition des Begriffs Entgrenzung siehe z. B. Ebner-Zarl (2021, S. 1 ff.)). Für die optimale psychosoziale und regionale Versorgung erscheint es sinnvoll, verstärkt über Ländergrenzen hinweg vernetzt zusammenzuarbeiten, z. B. im gesamten deutschsprachigen Raum.

Die Sars-CoV2-Pandemie hat diese Entwicklung jedenfalls massiv verstärkt. So berichten etwa die deutschen Jugendämter, dass sie Kontakt mit ihren Klient_innen zu 99 % über Telefon, zu 94 % über internetbasierte Kanäle und nur mehr zu 64 % Face-to-Face anbieten (Mairhofer et al. 2020). Vieles davon wird auch nach der Pandemie bestehen bleiben – mit den bereits genannten Herausforderungen an Ausbildung, Organisation und Qualität der Kommunikation im Zuge der Krisenintervention durch die Telefonseelsorge.

Denkbar ist, zukünftig weiterhin technische Trends im Beratungsfeld der Telefonseelsorge (Telefon‑, Mail- und Chatberatung) aufzugreifen und etwa analog zu Messenger wie WhatsApp, ein datensicheres Messengerberatungsangebot zu schaffen. Damit wäre es den Ratsuchenden flexibel möglich, das Beratungsmedium entsprechend zu ihrer Zeit und ihrem Anliegen bzw. Thema zu wählen. Dies könnte vor allem jüngere Erwachsene in dem Kommunikationsmedium abholen, in dem sie sich ohnehin bewegen – wie dies bereits mit der aktuellen Mail- und Chatberatung gelungen ist. In der Telefonseelsorge ist und bleibt das Herstellen eines guten Kontaktes, respektive der Aufbau einer Beziehung, wesentlicher Wirkfaktor (Stein 2015).