Ergebnisse der statistischen Auswertungen
Deskriptive Daten
Es wurden Daten von insgesamt 2556 Patient_innen ausgewertet, 61,6 % davon weiblich. Das Durchschnittsalter beträgt 42,7 Jahre (SD = 11,3) mit einer Spannweite von 16 bis 82 Jahren. Die Patient_innen haben zum Teil mehrere Diagnosen. Depressive Störungen (51,2 %), Angststörungen (24,3 %) und Persönlichkeitsstörungen (14,8 %) zählen zu den häufigsten. Etwa 28 % der Patient_innen haben einen Migrationshintergrund (entweder eine andere Staatsbürgerschaft als Österreich oder ein anderes Geburtsland). 33 Therapeut_innen, 58,6 % davon weiblich, führten die Behandlungen durch. Ihre Eintragung in die Psychotherapeutenliste lag zu Beginn der Therapie jeweils zwischen 11 Monate und 29 Jahre zurück.
Ausscheidungsgründe
Der Wilcoxon-U-Test zeigt, dass deutlich weniger Gruppentherapiestunden in jenen Fällen in Anspruch genommen worden waren, in denen die Therapeut_innen den Ausscheidungsgrund „Abbruch“ bzw. „Patient_in war nicht mehr erreichbar“ (Mdn = 7,0 Sitzungen) angegeben hatten, im Vergleich zu anderen Ausscheidungsgründen (Mdn = 17,0 Sitzungen; U = 231.052.500, Z = −10.275, p < 0,001). Andere Ausscheidungsgründe waren beispielsweise „Umzug des/der Patient_in“, oder „andere Institution passender“. Siehe Abb. 1.
Beim Ausscheidungsgrund „Therapieerfolg“ (Mdn = 40 Sitzungen) dagegen waren signifikant mehr Gruppentherapiestunden in Anspruch genommen worden als bei anderen Ausscheidungsgründen (Mdn = 10 Sitzungen; U = 348.656,0, Z = 348.656,0, p < 0,001). Siehe Abb. 2.
In beiden Fällen bestätigt auch der T‑Test mit den logarithmierten Werten einen statistisch signifikanten Unterschied.
Einflüsse patient_innenspezifischer Variablen auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes
Eine logistische Regressionsanalyse zeigt, dass das Alter der Patient_innen bei Therapiebeginn einen signifikanten Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines Therapieendes innerhalb der ersten zehn Einheiten hat. Dabei sinkt – analog zu den erwähnten Ergebnissen anderer Studien – die Wahrscheinlichkeit eines frühen Endes mit steigendem Alter.
Die genauen statistischen Maßzahlen sind in Tab. 1 angeführt.
Tab. 1 Patient_innenspezifische Variablen und Einflüsse auf frühe Therapieenden Ebenso zeigt sich ein signifikanter Unterschied bezüglich des Geschlechts der Patient_innen: Durchschnittlich 32 % der Männer hören in den ersten zehn Einheiten auf, im Vergleich zu 36,9 % der Frauen.
Die Tendenz, dass Frauen früher aus der Gruppentherapie aussteigen, zeigt sich etwas abgemildert durch den Besuch einer reinen Frauengruppe: Hier kommt es signifikant seltener zu Therapieenden in den ersten 10 Einheiten als in geschlechterheterogenen Gruppen (39,3 % vs. 30,4 %; Chi2 (1) = 6,7, p =0,01, n = 1472, Phi = −0,067).
Bei Patient_innen, bei denen eine Depression diagnostiziert wurde, werden signifikant seltener frühe Enden beobachtet (33,7 %) als bei Patient_innen ohne Depressionsdiagnose (37,8 %). Allerdings zeigt sich dieser Zusammenhang nur bei weiblichen Patient_innen (41,8 % bei Pat. ohne vs. 34,2 % bei Pat. mit Depressionsdiagnose), nicht aber bei männlichen (31,3 % vs. 32,9 %).
Bei einer Diagnose der PTBS (posttraumatische Belastungsstörung) werden signifikant häufiger frühe Enden beobachtet (42,7 %) als bei Patient_innen ohne PTBS-Diagnose (34,8 %); auch hier zeigt sich ein Geschlechtereffekt: Bei Frauen kann kein signifikanter Unterschied beobachtet werden, dafür zeigt sich bei männlichen Patienten ein umso deutlicherer Unterschied (45,2 % vs. 31,2 %).
Bei den soziodemographischen Variablen finden sich – anders als durch frühere Forschungsergebnisse angenommen – keine signifikanten Einflüsse: Weder beim Netto-Einkommen, noch beim Bildungsstand oder der aktuellen Berufstätigkeit der Patient_innen.
Ebenso zeigt sich kein signifikanter Unterschied zwischen Patient_innen mit und ohne Migrationshintergrund. Auch dieses Ergebnis ist angesichts früherer Forschungsergebnisse überraschend.
Einflüsse therapeut_innenspezifischer Variablen auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes (Tab. 2)
Tab. 2 Therapeut_innenspezifische Variablen und Einflüsse auf frühe Therapieenden
Insgesamt wird kein signifikanter Unterschied in der Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes bei der Behandlung durch eine/n männlichen bzw. weibliche Therapeut_in beobachtet.
Wird allerdings ein Interaktionseffekt zwischen dem Geschlecht des/der Therapeut_in und dem Geschlecht des/der Patient_in berücksichtigt, so zeigt sich bei männlichen Therapeuten, dass Unterschiede zwischen dem Patient_innengeschlecht verstärkt werden: Weibliche Patientinnen beendeten die Therapie hier signifikant häufiger (38,7 %) als Männer (30 %) in den ersten zehn Einheiten. Bei weiblichen Therapeutinnen zeigt sich hingegen kein signifikanter Unterschied (34,1 % der Männer vs. 35,9 % der Frauen). Siehe Abb. 3.
Bezüglich der schulenspezifischen Therapiemethode der Gruppenleiter_innen zeigt sich ebenfalls kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen in der Gesamtstichprobe.
Allerdings kann auch hier ein Geschlechtereffekt festgestellt werden: Wird die Stichprobe nach dem Patient_innengeschlecht aufgeteilt, so zeigen sich bei weiblichen Patientinnen signifikante Unterschiede, nicht jedoch bei männlichen Patienten. Siehe Abb. 4.
Bei der Arbeitserfahrung der Therapeut_innen (operationalisiert als Zeit zwischen der Eintragung in die Psychotherapeut_innenliste und dem Beginn der Gruppentherapie durch Patient_innen der Ambulanz) wird – anders als anhand des einzigen mehrfach replizierten therapeut_innenspezifischen Ergebnisses in der früheren Forschung angenommen – kein signifikanter Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit eines frühen Therapieendes gefunden.
Ergebnisse der qualitativen Auswertungen
In einem ersten Zugriff auf den wörtlichen bzw. immanenten Sinngehalt der Erzählungen (Przyborski und Slunecko 2020) der ehemaligen Patient_innen zeigen sich, außer vielen affirmativen Aussagen die Ambulanz betreffend z. B. die Kontaktaufnahme, insbesondere Zweifel und Kritik an den jeweiligen Therapeut_innen. So wird beispielsweise vom ehemaligen Patienten BmFootnote 3 bemängelt, dass die Therapeutin die Technik des „Reframings“, die einen tatsächlich „weiterbringt“, nicht vermittelt hätte. Em bemängelt, dass „in den seltensten Fällen irgendwelche Themen vorgegeben“ wurden. Ff empfindet das Geschehen als vom_von der jeweiligen Therapeut_in zu wenig strukturiert. Df sieht die Gruppentherapie als „bedrohlich für das Wohlergehen der Einzelnen“, insbesondere der „Schwächeren“ – um einige Beispiele zu nennen.
Über diese Unterschiede auf der immanenten Ebene hinweg weisen die Interviews auf der Eben des Dokumentsinns eine klare Gemeinsamkeit auf: So hält Fm fest, dass er „normal reingegangen und … ganz durcheinander raus gegangen“ ist. Wie es dazu kommt, ist für ihn kaum beschreibbar, was auf eine Unverständlichkeit des Geschehens hinweist. Bm findet, dass alles, was „wichtig“ sei „ignoriert“ werde, das „Unwichtige“ dagegen „wichtig“ genommen würde. Unwichtiges wichtig zu nehmen, kann man als „Un-Sinn“ bezeichnen, was darauf hinweist, dass sich für Bm kein Sinn erschließt. Em spricht von einem „unkoordinierten Wasserlauf“. Die Gemeinsamkeit liegt also darin, dass im Interaktionsgeschehens der Gruppentherapie keine Sinnhaftigkeit wahrgenommen werden kann.
Dem Sinnvakuum wird mit Ordnungsversuchen begegnet, die in den Interviews wesentlich mehr Raum einnehmen als Sequenzen, in welchen sich der Mangel an Sinnhaftigkeit rekonstruieren lässt. Bm erlebt die Therapeutin beispielsweise wie eine „Kindergartentante, die mit ihren Kindern im Kreis sitzt“. Bms Sinnvakuum zeigt sich darin, dass offen bleibt, was außer sitzen getan wird. In der Metapher des Kindergartens wird seine pädagogische Rahmung der Situation deutlich, in dem die Therapeutin die Rolle einer Lehrperson einnimmt.
Drei verschiedene Formen von Ordnungsversuchen, die quasi über das Interaktionsgeschehen gelegt werden, lassen sich rekonstruieren: (a) ein pädagogischer Rahmen, (b) die moderierte Diskussion und (c) das lösungsorientierte Gespräch. Vor diesen Hintergründen werden insbesondere die Interventionen der Therapeut_innen eingeordnet und bewertet. Da sie nicht aus der Situation selbst heraus verstanden werden, können sie im Nachhinein nicht positiv bewertet werden. Aus drei Interviews lässt sich herausarbeiten, dass Einzeltherapie eine Vergleichsfolie für die Situation der Gruppentherapie bildet. Letztere wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Der Blick auf Gruppentherapie ist allerdings vom jeweiligen Verständnis der Einzeltherapie geformt. Die nachträglichen Ordnungsversuche sind nicht zuletzt daher auf die Therapeut_innen fokussiert.
Fraglich ist, ob die Gemeinsamkeit, im Interaktionsgeschehen der Gruppentherapie (zunächst) keine Sinnhaftigkeit wahrzunehmen, spezifisch für ein frühes Ende einer Therapie ist oder ev. ein Nadelöhr darstellt, durch welches auch Patient_innen kommen müssen, die ihre Therapie länger fortsetzen. Zur Klärung dieser Frage bedarf es einer komparative Analyse mit letzteren.
Zudem zeigen sich weitere Dimensionen für eine typologische Einordung der Fälle. Eine steht im Zusammenhang mit Identitätskonstruktionen und spannt sich auf zwischen a) einer temporär begrenzten Therapie zur Lösung eines Problems mit einer Perspektive auf das Leben danach und b) einer Dauertherapie, in der sich keine Perspektive auf ein Leben außerhalb der Therapie zeigt, in der mithin die Therapie den primären Rahmen für die Einordung des eigenen Lebens bildet. Patient_innen, die der zuletzt genannten Seite zugeordnet werden können, berichten in der Regel von mehreren (abgebrochenen) Therapien.
Die Gruppendiskussion mit den Gruppentherapeut_innen fördert einen in der bisherigen Forschung wenig beachteten Aspekt zu Tage. So verdichtet die Therapeutin Ef einen längeren Gesprächsabschnitt innerhalb der Diskussion damit, dass es „sehr hilfreich“ sei, wenn die Gruppe Patient_innen, die mit der Therapie beginnen, „ins Neue integriert“. Sie exemplifiziert dies dadurch, dass neue Gruppenmitglieder z. B. davon profitieren würden, dass jene Patient_innen, die schon länger dabei sind, deutlich machen würden, dass sie „am Anfang … auch gedacht“ hätten, „was reden die da für an Schmäh, und so und wozu ist des da olles und so“ und es nun „bereun“ würden, „dass sie das erste Jahr nichts gearbeitet“ hätten.
Entsprechend dominiert auch die Gruppe selbst bzw. der Zustand, in dem sich die Gruppe beim Neueintritt von Patient_innen befindet, thematisch weite Strecken der Gruppendiskussion. Es dokumentiert sich, dass es letztlich die Gruppe ist, die neu Hinzukommende aufnimmt oder eben nicht und darüber hinausgehend auch für ihre Integration in das Gruppengeschehen zentral ist.
Eingehend diskutiert werden von den Therapeut_innen dementsprechend unterschiedliche Phasen und Zusammensetzungen bzw. Zustände von Gruppen, die einer Integration von Neuen mehr oder weniger zuträglich sein können (ausführlicher: Haidl 2021). Dabei spielt das Geschlechterverhältnis eine zentrale Rolle. Die Datenlage erlaubt auch hier keine weitere Generalisierung, eröffnet jedoch etliche Fragestellungen.