Einleitung

Anamnese

Uns vorstellig wurde ein 82-jähriger Patient mit anhaltendem Fremdkörpergefühl am linken Auge. Die seitens des vorbehandelnden Arztes ordinierte Therapie mit Tränenersatzmittel beidseits sowie am linken Auge VitA-POS-Augensalbe (Ursapharm, Saarbrücken, Deutschland) zur Nacht zeigte keine Besserung. Neben Fremdkörpergefühl klagte der Patient über keine weiteren Symptome.

Klinischer Befund

Klinisch zeigte sich am linken Auge temporal eine deutlich prominente Bindehautläsion mit gelatinöser Infiltration bis in die Hornhaut mit begleitender Hornhautvaskularisation. Im Bindehautbereich imponierte zudem eine beginnende Verhornung des Epithels. Der Gesamtbefund war zur Unterlage kaum verschieblich (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Der Ursprungsbefund (a,b) zeigt temporal eine deutlich prominente Bindehautläsion mit gelatinöser Infiltration bis in die Hornhaut mit begleitender Hornhautvaskularisation (Pfeil). Im Bindehautbereich imponierte zudem eine beginnende Verhornung des Epithels (Stern). Nach 4 Zyklen MMC-Therapie (c) zeigte sich neben einer konjunktivalen Injektion ein deutlicher Rückgang der Bindehautläsion. Auch die Hornhautinfiltration war zudem rückläufig. Nach 6 Zyklen MMC-Therapie erscheint ein vollständiger Rückgang der Bindehautprominenz (d). Eine Infiltration der Hornhaut ließ sich nicht mehr beobachten, und auch die konjunktivale Injektion zeigte sich deutlich vermindert

Diagnose

Vom klinischen Befund her stellte sich der Verdacht auf einen malignen Bindehautprozess. Daher führten wir eine Biopsie im Bindehautbereich durch, um eine histologische Begutachtung durchführen zu lassen. Dabei zeigte sich hyperplastisches Epithel mit atypischen Zellen und pleomorphen Zellkernen in allen Epithellagen sowie einer deutlichen Schichtungsstörung. Die Basalmembran wurde respektiert (Abb. 2). Außerdem fanden sich Dyskeratosen und Nekrosen sowie eine beginnende Verhornung im Epithel und um die Becherzellen. Somit ließ sich die Diagnose eines Carcinoma in situ (CIS) stellen.

Abb. 2
figure 2

Histologiebefund der Biopsie, welche vor Behandlungsbeginn durchgeführt wurde (a Detailaufnahme, b Übersichtsaufnahme). Es zeigt sich hyperplastisches Epithel mit atypischen Zellen und pleomorphen Zellkernen in allen Epithellagen sowie einer deutlichen Schichtungsstörung, die Basalmembran wird respektiert. Außerdem fanden sich Dyskeratosen und Nekrosen, sowie eine beginnende Verhornung im Epithel und um die Becherzellen

Therapie und Verlauf

Nachdem die Diagnose eines CIS histologisch gesichert war, stellte sich die Frage nach der Therapie. Eine chirurgische Totalexzision stellt in diesem Bereich eine Herausforderung dar. Der Bindehautlimbusbefall sowie das hohe Patientenalter mussten dabei berücksichtigt werden, da die Limbusstammzellinsuffizienz eine der bekannten Komplikationen der chirurgischen Therapie darstellt.

Gemeinsam mit dem Patienten entschieden wir uns für ein konservatives Vorgehen mit der Anwendung von Mitomycin(MMC)-Augentropfen (Apotheke des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, Lübeck, Deutschland) in einer Konzentration von 0,04 %, da dies bereits seit vielen Jahren in der Behandlung von okulären Tumoren Anwendung findet und eine entsprechend große Anwendungserfahrung mit guten Erfolgsquoten in der Literatur beschrieben worden ist [7].

Die Therapie erfolgte zunächst in 4 Zyklen. Jeder Zyklus umfasste 7 Tage, während dieser die MMC-Augentropfen 4‑mal pro Tag (alle 6 h) appliziert wurden. Zudem wurden die Tränenpünktchen okkludiert, um eine systemische Aufnahme zu reduzieren. Zusätzlich erfolgte eine intensive Tränenersatzmitteltherapie. Aufgrund mangelnder Compliance erfolgten die Anwendungszyklen im stationären Setting. Auf jeden Zyklus folgte eine 1‑wöchige Pause mit intensiver Tränenersatzmitteltherapie.

Nach Abschluss der 4 Zyklen führten wir nach 12 Wochen eine Reevaluation und erneute klinische Begutachtung inklusive Impressionszytologie im Bereich des Limbus sowie der Bindehaut durch. Klinisch zeigte sich zu diesem Zeitpunkt neben einer konjunktivalen Injektion ein deutlicher Rückgang der Bindehautläsion. Insbesondere die Hornhautinfiltration zeigte sich rückläufig (Abb. 1). In der Impressionszytologie fanden sich im Bereich der Bindehaut noch vereinzelte atypische Zellen, die für Zellen einer neoplastischen Dysplasie sprachen.

Aufgrund des Befundes entschieden wir uns dazu, 2 weitere Zyklen der MMC-Therapie (nach oben genanntem Schema) durchzuführen. Anschließend erfolgte erneut eine klinische und histologische Kontrolle.

Nach insgesamt 6 Zyklen MMC-Therapie zeigte sich ein vollständiger Rückgang der Bindehautprominenz. Eine Infiltration der Hornhaut ließ sich nicht mehr beobachten, und auch die konjunktivale Injektion zeigte deutlich vermindert (Abb. 1).

Die impressionszytologische Untersuchung ergab keinen Nachweis von Dysplasien und insbesondere keinen Anhalt für Malignität.

Drei Monate nach Abschluss des letzten Zyklus erfolgte eine erneute impressionszytologische Begutachtung, bei der kein Hinweis auf Dysplasien oder Malignität mehr nachgewiesen werden konnte. Weitere Kontrollen fanden im Abstand von 12 Wochenintervallen statt und ergaben auch nach einem Nachbeobachtungszeitraum von 12 Monaten einen stabilen klinischen Befund ohne Hinweise auf ein Rezidiv weder klinisch noch histopathologisch.

Der Patient ist aktuell weiterhin beschwerdefrei.

Diskussion

Das Carcinoma in situ der Bindehaut gehört zu der Gruppe der sog. Ocular Surface Squamous Neoplasia (OSSN). Die durchschnittliche Inzidenz beträgt 0,18/Jahr/100.000 für Männer und 0,08/Jahr/100.000 für Frauen. Damit stellen OSSN die dritthäufigsten okulären Tumoren überhaupt dar, wobei erhebliche geografische Schwankungen mit dem Hauptauftreten in Afrika zu beobachten sind [3]. Als Hauptrisikofaktoren werden UV-Licht-Exposition sowie eine Infektion mit dem HI-Virus betrachtet. Weitere Risikofaktoren sind Nikotinabusus, Kontakt mit Petroleumprodukten sowie Alter [5].

Traditionell besteht die Therapie in der alleinigen chirurgischen Exzision mit Kryotherapie der Wundränder [1, 10]. Für dieses therapeutische Verfahren stellten Peksaya et al. in einer retrospektiven Studie Erfolgsraten von bis zu 89,3 % bei Patienten mit konjunktivaler intraepithelialer Neoplasie (CIN) fest [8]. In derselben Studie betrug der Anteil der Patienten ohne Rezidiv nach 1 Jahr 91 % [8]. Oftmals erstreckt sich jedoch das mikroskopische Ausmaß der Erkrankung über die Grenzen des klinisch sichtbaren Befundes hinaus [6]. So ergeben sich in der Literatur Rezidivraten von bis zu 56 % bei der alleinigen chirurgischen Exzision. Selbst bei Behandlungen, bei denen postoperativ tumorfreie Schnittränder in der histopathologischen Begutachtung festgestellt wurden, liegt die Wahrscheinlichkeit eines Wiederauftretens immer noch bei 33 % [11].

Chemotherapeutika, sowohl adjuvant als auch als Monotherapie genutzt, haben in den letzten Jahren erheblich an Popularität gewonnen [1]. Aktuell werden verschiedene topische Medikamente adjuvant zur chirurgischen Exzision verwendet [4, 8, 9]. Bei diesem Vorgehen konnten für alle Entitäten der OSSN gute Erfolgsraten erzielt werden [9]. Die Chemotherapeutika, die dabei benutzt werden, umfassen Mitomycin‑C, 5‑Fluorouracil (5-FU) und Interferon-α-2b (IFNα2b) [6].

IFNα2b kann subkonjunktival oder topisch als Augentropfen in einer Konzentration von 1 Mio. IE/ml angewandt werden. Dabei konnte in retrospektiven Analysen für die Behandlung der CIN eine Erfolgsrate von etwa 80 % beobachtet werden [2]. IFNα2b gibt es nicht als Fertigpräparat, sodass es von spezialisierten Apotheken hergestellt werden muss, was die Anwendung häufig erschwert.

MMC-Augentropfen stellen ebenfalls eine effektive Therapieoption für OSSN dar. Dabei liegen die Erfolgsraten bei primärer Anwendung zwischen 80 und 100 % für keratokonjunktivale CIS [7]. In der klinischen Anwendung werden v. a. die Konzentration 0,02 % oder 0,04 % verwendet, wobei für die niedrigere Konzentration die Möglichkeit einer durchgängigen Anwendung über 1 Monat beschrieben wird. Die höhere Konzentration wird üblicherweise in 1‑wöchigen Zyklen verabreicht [7]. Als Nachteile sind Augenschmerzen, Tränenwegstenosen, limbale Stammzellschäden sowie toxische Effekte an der Augenoberfläche beschrieben [6]. Bei der Anwendung sollte außerdem eine zeitweise Okklusion der Tränenpünktchen erfolgen, um systemische Nebenwirkungen zu vermeiden.

Die Anwendung von 5‑FU (1 %) erfolgt 4‑mal pro Tag für 1 Monat und einer anschließenden Pause für 3 Monate. Dabei zeigten sich Erfolgsraten von bis zu 100 % [7]. Die Rezidivraten liegen zwischen 4,5 und 20 % [4, 12]. Als nachteilig sind Augenreizung und gelegentliche Konjunktivitiden beschrieben.

Prinzipiell sind alle der hier beschriebenen Chemotherapeutika für die Behandlung der OSSN geeignet. Vergleichende Studien ergaben schwankende Ergebnisse die Rezidiv- und Erfolgsquoten betreffend. Eine ambulante Therapie ist grundsätzlich möglich. Hierbei muss jedoch berücksichtigt werden, dass es die genannten Chemotherapeutika als Augentropfen nicht als Fertigpräparat zu kaufen gibt. Die Herstellung erfolgt in der Regel in spezialisierten Apotheken. Entsprechend dem Nebenwirkungspotenzial muss zudem auf eine gute Patientencompliance geachtet werden.

Bei der Therapieplanung muss neben verschiedenen anderen Aspekten auch insbesondere auf die Lage der Läsion geachtet werden, da diese einen großen Einfluss auf das Auftreten von Komplikationen wie Symblepharonbildung, Wundheilungsstörung und Stammzellinsuffizienz mit konsekutiver Hornhautvaskularisation hat. In dem vorliegenden Fall wären bei einer chirurgischen Therapie eine Keratektomie im Limbusbereich sowie Nachresektion der Bindehaut und anschließende Rekonstruktion notwendig gewesen. Wir entschieden uns deshalb für ein konservatives Vorgehen. Die in der Literatur beschriebene hohe Erfolgsquote sowie die Anwendung in Zyklen bewegten uns schließlich, MMC-Augentropfen im stationären Rahmen als Monotherapie zu verwenden. Im hier beschriebenen Fall konnte damit bei einem bisherigen Nachbeobachtungszeitraum von 12 Monaten ein guter rezidivfreier Erfolg erzielt werden.

Bei der Abwägung der verschiedenen Therapieformen sollte unbedingt beachtet werden, dass ein rein konservatives Vorgehen nur für Subgruppen (CIS und CIN) der Bindehauttumoren Erfolg versprechend ist. Eine Inzisionsbiopsie kann selbstverständlich immer nur einen Teilbereich der Läsion abbilden. Somit können weitere Veränderungen wie das Vorliegen eines Plattenepithelkarzinoms nur bedingt ausgeschlossen werden. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass eine Impressionszytologie, die auch in diesem Kasus Anwendung fand, keine Auskunft über die Tiefenausdehnung des Befundes geben kann.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass neben der klassischen chirurgischen Therapie auch etablierte konservative Therapieoptionen existieren. Die beschriebenen Optionen der topischen Anwendung von verschiedenen Chemotherapeutika als adjuvante [4, 8, 9] oder alleinige Therapie stellen bei einigen Subgruppen der OSSN, insbesondere bei den CIS und CIN, eine gute Alternative dar.