Lernziele

Nach der Lektüre dieses Beitrags wissen Sie, …

  • dass in den meisten Fällen ein refraktiver Zylinder bis zu einem Betrag von 0,5 dpt unabhängig von seiner Richtung die unkorrigierte Sehschärfe unter alltäglichen Bedingungen nicht vermindert,

  • dass der Astigmatismus als dreidimensionaler Vektor mit Betrag und Richtung analysiert werden sollte,

  • dass eine rein topographische Darstellung nicht alle Informationen, die für die erfolgreiche chirurgische Astigmatismuskorrektur benötigt werden, liefert, sondern tomographische Messungen der Hornhaut hierzu unersetzlich sind,

  • dass ca. 50 % aller Patienten, die zur Kataraktoperation vorstellig werden, bereits präoperativ einen topographischen Astigmatismus von ≥1 dpt aufweisen, wobei in diesen Fällen torische Intraokularlinsen eine Therapieoption mit gut vorhersagbarem Resultat, besonders bei Personen mit regulärem Astigmatismus, darstellen.

Einleitung

Bereits seit dem 18. Jahrhundert ist der Astigmatismus als Refraktionsanomalie bekannt und heute vor Hypermetropie und Myopie der weltweit häufigste Refraktionsfehler. Geschätzt 40 % aller Erwachsenen weisen einen refraktiven Zylinder >0,5 dpt auf. Mit altersabhängigen und sogar im Tagesverlauf schwankenden Veränderungen ist der Astigmatismus ein dynamisches Phänomen. In den letzten Jahren haben sich Diagnose- und Therapiemöglichkeiten sowie unser Verständnis des Astigmatismus laufend erweitert.

Geschichte

Bereits im 18. Jahrhundert erkannten die Ärzte Thomas Young und William Cary, dass bestimmte fehlsichtige Patienten mit schräg vorgehaltenen konkaven Linsen Objekte deutlich besser wahrnehmen konnten. Doch erst der selbst am linken Auge astigmatische Mathematiker Sir George Biddell Airy (1801–1892) präsentierte eine Definition sowie eine Korrekturmethode des Astigmatismus 1825 an der Cambridge Philosophical Society. Nachdem das Abkleben seines gesunden rechten Auges keine Verbesserung brachte, erkannte er eine Verbesserung der Sehschärfe seines linken Auges durch Drehung des Brillenglases und Blick durch den Brillenglasrand, wobei er den „Astigmatismus schiefer Bündel“ sphärischer Brillengläser nutzte. Im weiteren Verlauf entwickelte und verbesserte Airy die Zylinderlinsen zur Astigmatismuskorrektur, wie sie noch heute verwendet werden [1].

Prävalenz, Definition und Formen

Die weltweite geschätzte Prävalenz eines refraktiven Zylinders >0,5 dpt bei Kindern bzw. Erwachsenen beträgt 14,9 % bzw. 40,4 %. Damit ist der Astigmatismus der häufigste Refraktionsfehler vor Hypermetropie und Myopie [2].

Man unterscheidet den äußeren (= keratometrischen, topographischen) Astigmatismus durch eine ungleiche Krümmung an den 2 Hauptmeridianen der anterioren Hornhaut, vom inneren Astigmatismus. Letzterer wird v. a. durch Krümmungsfehler der posterioren Hornhaut und Linsenoberfläche bedingt. Daraus resultieren lokale Unterschiede in der Refraktion, die nicht durch Veränderung von Objektweite oder Akkommodation korrigiert werden können [3, 4].

Der äußere Astigmatismus wird unterteilt in reguläre Formen, bei denen die maximal und minimal brechenden Hauptschnitte senkrecht aufeinander stehen. Demgegenüber bezeichnet man den Astigmatismus als irregulär, wenn die beiden Ebenen einen Winkel einschließen, der von 90° abweicht. Steht beim regulären Astigmatismus der steilste gemessene Meridian annähernd vertikal bei 90° (90° ± x°), spricht man von einem Astigmatismus rectus („mit der Regel“, „with the rule“ [WTR]). Bei einem Astigmatismus inversus („gegen die Regel“, „against the rule“ [ATR]) liegt der steilste Meridian annähernd horizontal bei 0° (0° ± x°). Steht der steilste Meridian beim regulären Astigmatismus weder horizontal noch vertikal, wird er als Astigmatismus obliquus („schräg“, „oblique“ [OBL]) bezeichnet [3].

Die optische Summierung des äußeren und inneren Astigmatismus wird als refraktiver Astigmatismus bzw. terminologisch besser als refraktiver Zylinder bezeichnet. Hierbei ist bemerkenswert, dass der posteriore Hornhautastigmatismus (zum inneren Astigmatismus zählend) tendenziell eher ein ATR-Astigmatismus ist, wodurch ein anteriorer WTR-Hornhautastigmatismus antagonisiert wird, ein anteriorer ATR-Hornhautastigmatismus hingegen verstärkt wird. Des Weiteren zeigen anteriorer und posteriorer Hornhautastigmatismus keine lineare Abhängigkeit voneinander. Dies verdeutlicht die Notwendigkeit der Messung der anterioren sowie posterioren Hornhautradien mit entsprechend zuverlässigen Messinstrumenten (Hornhauttomographie) [5].

Die Achslage des refraktiven Zylinders verändert sich im Lauf des Lebens, bedingt durch Alterationen der kornealen Kurvatur, von WTR in Richtung ATR. Außerdem können Abbildungsfehler höherer Ordnung als Ausdruck einer lentogenen Visusverschlechterung im höheren Alter zunehmen [6].

Astigmatismus und Visus – inklusive astigmatische Abbildung

Beim astigmatischen Auge werden die von einem Objekt ausgehenden Lichtstrahlen nicht in einem Punkt auf der Netzhautebene abgebildet, sondern in 2 Brennlinien. Ein Lichtstrahl, der parallel zur optischen Achse des Auges einfällt, wird in Abhängigkeit von seiner Einfallsebene unterschiedlich stark gebrochen, wobei ein geringerer Hornhautradius (stärkere Krümmung der Hornhautoberfläche) eine stärkere Brechkraft bedingt. Eine Radiendifferenz von 0,1 mm entspricht einer Brechkraftdifferenz von ca. 0,5 dpt [7].

Je nach Lage der 2 Brennlinien in Bezug auf die Netzhautebene unterscheidet man einen Astigmatismus compositus hyperopicus (beide Brennlinien hinter der Netzhautebene), einen Astigmatismus simplex hyperopicus (1 Brennlinie auf Netzhautebene, 1 dahinter), einen Astigmatismus mixtus (1 Brennlinie vor Netzhautebene, 1 dahinter), einen Astigmatismus simplex myopicus (1 Brennlinie auf Netzhautebene, 1 davor) sowie einen Astigmatismus compositus myopicus (beide Brennlinien vor der Netzhautebene). In der Mitte zwischen diesen 2 Brennlinien liegt der sog. „Kreis kleinster Verwirrung“, an dem ein Punkt als unscharfer Kreis abgebildet wird. Je nach Stärke des Astigmatismus variiert der Abstand zwischen den 2 Brennlinien ([7]; Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Astigmatische Abbildung (ATR [„against the rule“]) – grün dargestellt der „Kreis kleinster Verwirrung“

Solange die Gesetze der Gauß-Optik Gültigkeit besitzen, weicht der Einfallswinkel eines Lichtstrahls nur maximal 5° von der Flächennormalen des Glases, auf das er auftrifft ab. In der Realität gelten die Gesetze der Gauß-Optik nur mehr eingeschränkt, und so haben Brillenträger mit sphärischen Gläsern bei größeren Abweichungen des Einfallswinkels eines Lichtstrahls vom Normalvektor des Brillenglases mit einem Astigmatismus schiefer Bündel zu kämpfen. Zusätzlich zu dieser astigmatischen Abweichung kommt es auch zu einer sphärischen Abweichung, und der Kreis kleinster Verwirrung weicht deutlich von der idealen sphärischen Bildwölbung ab. Bei einfachen Bikonvex- oder Bikonkavlinsen ist der Astigmatismus schiefer Bündel besonders hoch. Die Lösung sind die heute ausschließlich verwendeten Menisken (= durchgebogene Brillengläser), wobei gilt: je stärker die Durchbiegung des Brillenglases, umso geringer der Astigmatismus schiefer Bündel. Brillengläser, die den Astigmatismus schiefer Bündel korrigieren, werden punktuell abbildende Brillengläser genannt [7].

Ätiologie

Astigmatismus ist ein dynamisches Phänomen. Abhängig vom Druck der Augenlider auf den Bulbus, der Pupillendynamik, der Zyklotorsion, der mono- bzw. binokularen Testung und des Tränenfilms zeigen sich Variationen des Astigmatismus auch bei Emmetropen im Tagesverlauf sowie altersabhängig [8].

Ein Astigmatismus tritt durch Veränderungen der gesunden Hornhaut, der Linse (z. B. Lentikonus), der Netzhaut bei hoher Myopie sowie durch Hornhautpathologien wie Keratokonus, aber auch ophthalmochirurgisch induziert oder genetisch bedingt auf.

Genetik

Einerseits ist bekannt, dass epidemiologische Unterschiede hinsichtlich der Prävalenz des Astigmatismus zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen existieren, andererseits wurden in Zwillingsstudien der topographische Astigmatismus sowie der refraktive Zylinder als moderat bis hochgradig vererblich klassifiziert, und in Familien mit hochgradigem Astigmatismus wurde eine Vererbbarkeit nach den Mendel-Regeln nachgewiesen [9, 10, 11, 12, 13]. In einer Metaanalyse von „genome-wide association studies“ (GWAS) betreffend genetische Mutationen bei Europäern und Asiaten mit einem topographischen Astigmatismus >0,75 dpt konnten Kandidatengene identifiziert werden: top SNP: rs7673984 nahe des PDG(„platelet derived growth factor“)-Gens, CLDN-7 (Claudin), ACP2 („acid phosphatase 2“) und TNFAIP8L3 („TNF[tumor necrosis factor]-α-induced protein 8 like 3“) [14]. Außerdem wurde in derselben Stichprobe eine Assoziation zwischen einem refraktivem Zylinder >1,0 dpt und dem NRXN1-Gen dargestellt [15].

Myopie

Personen mit einer Myopie >5 dpt zeigen ebenfalls eine Prävalenz von einem Astigmatismus >1 dpt mit etwa 36 %, wobei es sich in 55 % der Fälle um einen WTR-Astigmatismus handelt [16].

Augenmuskulatur

Eine ungleichmäßige Kräfteverteilung an der Oberfläche der Hornhaut durch ungleichmäßigen extraokulären Muskelzug wird als weitere Ursache diskutiert [3]. Diese Assoziation wurde bereits im Jahr 1874 von Henry Noyes bei einem Patienten nach Schieloperation vermutet [17]. Hong et al., die Kinder nach Schieloperationen bei intermittierender Exotropie untersuchten, zeigten eine signifikante, refraktive Veränderung der Hornhautoberfläche mit Entwicklung eines WTR-Astigmatismus in den ersten 3 postoperativen Monaten [18].

Nystagmus

Beim idiopathischen kongenitalen Nystagmus kommt es, beginnend in den ersten 6 Lebensmonaten, zu unwillkürlichen Oszillationen der Augen, wobei 65 % der Betroffenen einen WTR-Astigmatismus ≥1,25 dpt aufweisen [19, 20]. Es liegen keine Studien zur Ätiologie (kongenital vs. Nystagmus-bedingt) des WTR-Astigmatismus bei diesen Patienten vor [19].

Keratokonus

Der Keratokonus ist eine progressive, bilaterale Erkrankung mit Hinweisen auf eine inflammatorische Komponente. Die Hornhaut nimmt infolge einer Stromaverdünnung und Protrusion eine konische Form an. Mit einer Inzidenz von 1/2000/Jahr wird die Erkrankung autosomal-rezessiv oder -dominant vererbt und in ihrer Expressivität durch bestimmte Umwelteinflüsse moduliert. Aus diesem Grund zeigten sich bei zweieiigen Zwillingen unterschiedliche Krankheitsverläufe [21]. Eine keratometrische Asymmetrie vermindert den Erfolg eines exakten refraktiven Ausgleichs mittels sphärozylindrischer Gläser, obschon harte Kontaktlinsen in der Frühphase der Erkrankung gute refraktive Ergebnisse erzielen. Es bestehen unter anderem systemische Assoziationen z. B. zum Down-Syndrom. Im Rahmen der Spaltlampenuntersuchung können sich Vogt-Linien, ein Fleischer-Ring und das Munson-Zeichen, skiaskopisch ein Öltropfen- oder Scherenreflex zeigen. Die empfindlichste Methode zur Früherkennung und Verlaufskontrolle ist die Hornhauttomographie, um v. a. Veränderungen der Hornhautrückfläche zu diagnostizieren [21].

Ophthalmochirurgisch induziert

Chirurgisch induzierter Astigmatismus („surgically induced astigmatism“ [SIA]) kann im Rahmen von operativen Eingriffen entstehen. Insbesondere nach Kataraktoperationen ist der SIA ein nach wie vor wichtiges Thema und wird von Faktoren wie dem Inzisionstyp, der Lokalisation sowie Länge der Inzision und ggf. einer notwendigen Naht beeinflusst. Studien, die die Lokalisation der Inzisionen (nasal vs. temporal) untersuchten, konnten keinen signifikanten Unterschied hinsichtlich der Lokalisation/Größe der Inzisionen feststellen [22, 23]. Es zeigte sich einerseits, dass kleinere Inzisionen nicht mit weniger SIA assoziiert waren und dass eine 3,0-mm-Inzision – unabhängig davon, ob sie nasal oder temporal gesetzt wurde – denselben topographischen Astigmatismus bedingte. Es konnte außerdem gezeigt werden, dass ca. 50 % aller Patienten, die zur Kataraktoperation vorstellig werden, präoperativ einen topographischen Astigmatismus von ≥1 dpt aufwiesen (44 % WTR, 39 % ATR, 17 % OBL) [24]. Nach einer perforierenden Keratoplastik weisen 15–20 % der Patienten einen Astigmatismus ≥5 dpt und bis zu 20 % der Patienten einen Astigmatismus auf, der weder mit Brillengläsern noch mit Kontaktlinsen ausreichend korrigiert werden kann. Therapeutische Möglichkeiten beim Astigmatismus nach Keratoplastik sind gezielte Nahtentfernung, Nahtadjustierung, Korrektur mit Kontaktlinsen bzw. Brillengläsern (sofern möglich), photorefraktive Eingriffe, Keilresektion, torische Add-on-Intraokularlinsen, intrakorneale Ringsegmente, relaxierende Inzisionen mit bzw. ohne Kompressionsnähte oder die wiederholte Keratoplastik [25, 26].

Diagnostik

Hornhauttopographie und -tomographie

Die Hornhauttopographie ist eine nichtinvasive Bildgebung zur Analyse der Hornhautoberfläche. Dreidimensionale Darstellungen der gesamten Hornhaut inklusive Hornhautrückfläche sowie Pachymetrie sind mit Topographiesystemen nicht möglich. Die meisten Topographiesysteme arbeiten mit der Placido-Disk-basierten Keratoskopie, wobei die Muster der von der Hornhautoberfläche und vom Tränenfilm reflektierten Lichtstrahlen in konzentrisch angeordneten, alternierend schwarzen und weißen Ringen evaluiert werden. Das System der „slit-scanning elevation topography“ misst die Triangulation zwischen dem Referenzlichtstrahl und den von der Kamera aufgenommenen, von der Hornhautoberfläche reflektierten Lichtstrahlen. Eine dreidimensionale Analyse inklusive Kurvaturen und Elevation wird so ermöglicht [27]. Eine rein topographische Darstellung liefert jedoch nicht alle Informationen, um die chirurgische Astigmatismuskorrektur erfolgreich durchzuführen. Tomographische Messungen der Hornhaut sind hierzu unersetzlich.

Die Hornhauttomographie liefert Analysen der Hornhautoberfläche sowie -rückfläche und kann dreidimensionale Darstellungen der gesamten Hornhaut inklusive flächiger Pachymetrie generieren. Die meisten Tomographiesysteme arbeiten mit einer rotierenden Scheimpflug-Kamera, die den Benefit der exakten Analyse der Hornhautperipherie im Gegensatz zu einer zentral lokalisierten Kamera bietet. Wenn Bild- und Objektebene nicht parallel zueinander liegen, wird die sog. „Scheimpflug-Intersection“ vom System generiert, um das nichtparallele Objekt scharf in seiner Gesamtheit darzustellen.

Darstellung, Analyse und Therapieplanung: Astigmatismus als Vektor

Astigmatismus wurde lange als zweidimensionales Phänomen, bestehend aus einem Betrag (Dioptrien) und einer Richtung (Achse), gesehen. Erst die Betrachtung als dreidimensionaler Vektor hat den Blick auf die bestehenden Analysemethoden verändert [28].

Eine bekannte Methode zur Berechnung der astigmatischen Veränderungen nach chirurgischen Eingriffen (in der Regel korneal refraktive Eingriffe) ist die Vektoranalyse nach Alpins. Hier wird Astigmatismus analysiert, indem 3 fundamentale Vektoren verwendet werden: „target induced astigmatic vector“ (TIA), „surgically induced astigmatic vector“ (SIA) und „difference vector“ (DV) (Tab. 1).

Abb. 2
figure 2

Beziehungsdiagramm zwischen den 3 Vektoren der Vektoranalyse nach Alpins. SIA „surgically induced astigmatic vector“, DV „difference vector“, TIA „target induced astigmatic vector“

Tab. 1 Vektoren der Vektoranalyse nach Alpins [28]

Die Beziehungen zwischen diesen Vektoren werden verwendet, um die chirurgischen Auswirkungen zu verdeutlichen (Abb. 2). TIA ist die theoretisch beabsichtigte Änderung des Betrags und der Achse des Astigmatismus, während SIA der reale Betrag des Astigmatismus ist, den der chirurgische Eingriff induziert hat. DV ist die astigmatische Änderung, die notwendig wäre, um das ursprüngliche Ziel (= TIA) zu erreichen, und ist daher vorzugsweise „0“. Die Erfolgsquote („index of success“ [IOS]) wird vom Verhältnis des DV zum TIA bestimmt und ist auch idealerweise „0“. Mithilfe dieser 3 Vektoren (TIA, SIA, DV) können noch weitere Indizes erstellt werden, die zum genaueren Verständnis der durch die Behandlung induzierten Veränderungen beitragen (Tab. 2). Die Analyse wird einerseits für jeden Patienten individuell durchgeführt, andererseits auch „synoptisch“ zur Analyse größerer Datensätze verwendet [29].

Tab. 2 Indizes der Vektoranalyse nach Alpins [28]

Okulärer residualer Astigmatismus

Zum refraktiven Zylinder tragen die anteriore Hornhaut und der okuläre residuale Astigmatismus (ORA) bei. Der ORA basiert größtenteils auf der Hornhautrückfläche, der Linse und weiteren Strukturen wie der Retina, Letztere können aber nicht näher quantifiziert werden. Die mathematische Definition des ORA ist die vektorielle Differenz zwischen dem Astigmatismus in der Hornhauttopographie und dem refraktiven Zylinder der Hornhautebene [30]. Frings et al. untersuchten 2991 Augen von 2991 myopen Patienten präoperativ vor LASIK (Laser-in-situ-Keratomileusis), um den Einfluss von Alter, Geschlecht, okulärer Dominanz, refraktivem Zylinder und topographischem Astigmatismus, subjektiver Sphäre und mesopischer Pupillengröße auf den vorbestehenden ORA zu analysieren [31]. Der ORA wurde mittels der Methode nach Alpins ermittelt [32]. Die Patienten wurden in 2 Subgruppen aufgeteilt, je nach Relation des ORA zum präoperativen refraktiven Zylinder (R) (ORA/R ≥ 1 bzw. ≤1). Aus dieser Analyse ging hervor, dass die präoperative Diagnostik von Patienten vor refraktiver Chirurgie die Interaktion zwischen refraktivem Zylinder, topographischem und okulärem residualem Astigmatismus berücksichtigen sollte. Je höher die „Kongruenz“ zwischen Betrag und Richtung des topographischen Astigmatismus und des refraktiven Zylinders ist, desto genauer kann der refraktive Zylinder bei kornealer Excimerlaserkorrektur von Ametropien behandelt werden [31]. In einer rezenten Studie konnte außerdem gezeigt werden, dass in einem beliebigen Auge die Aberrationen von Hornhaut und optisch brechenden Medien im Inneren des Auges größer waren als die Aberrationen des gesamten Auges [33]. Das heißt, die (anteriore) Hornhaut und die inneren, optisch wirksamen Grenzflächen kompensieren sich in ihrer astigmatischen Wirkung teilweise gegenseitig. Folglich gleichen sich topographischer Astigmatismus und refraktiver Zylinder nicht unbedingt in Betrag und Richtung.

Nach Alpins kann Vektorplanung unter Mitberücksichtigung topographischer Daten effektiver einen postoperativen subjektiven Zylinder vermeiden. Topographische Parameter und Wellenfrontaberrometrieanalysen mit einzubeziehen resultiert in besserer Reduktion des topographischen Astigmatismus und besseren refraktiven Ergebnissen [34]. Die initiale Studie von Alpins inkludierte 100 Patienten und ermittelte einen durchschnittlichen ORA-Wert von 0,81 dpt, wobei 34 % der Patienten einen Betrag >1,0 dpt aufwiesen [35].

Vor allem in Fällen mit einer Differenz von >1,0 dpt zwischen topographischem Astigmatismus und refraktivem Zylinder sollte auf Aberrationen höherer Ordnung geachtet werden, die unter Umständen nach erfolgter Korrektur des reinen refraktiven Zylinders klinisch erst in Erscheinung treten können (Grad des visuellen Einflusses: sphärische Abberation > Koma > Trefoil). Wellenfrontgeführte Ablationsprofile bieten hier einen therapeutischen Vorteil (eigene, noch nicht publizierte Daten von A. Frings).

Therapie

In den meisten Fällen vermindert ein refraktiver Zylinder bis zu einem Betrag von 0,5 dpt unabhängig von seiner Richtung die unkorrigierte Sehschärfe nicht [36].

Eine konservative Korrektur des Zylinders mittels Brille oder torischer Kontaktlinse hat ihren eigenen Stellenwert neben unterschiedlichsten chirurgischen Verfahren, die heute zur Astigmatismuskorrektur zur Verfügung stehen, von (t)PRK (photorefraktive Keratektomie), über FSAK (Femtosekundenlaser-assistierte Keratotomie), LASIK (Laser-in-situ-Keratomileusis) bis hin zur SMILE („small-incision lenticule extraction“). Hier soll nun näher auf die Therapie mit Intraokularlinsen eingegangen werden.

Astigmatismuskorrektur mit Intraokularlinsen bei Patienten mit Katarakt

Da 20–30 % aller Patienten, die zur Kataraktoperation vorstellig werden, einen topographischen Astigmatismus von ≥1,25 dpt und 10 % von ≥2 dpt aufweisen, stellt die Korrektur des topographischen Astigmatismus mit torischen Intraokularlinsen (tIOL) im Rahmen der Kataraktoperation eine sinnvolle Option dar [37, 38, 39]. Mittlerweile sind auch multifokale tIOL am Markt, die theoretisch zu einer weitestgehend postoperativen Brillenfreiheit führen sollten [40]. Ein während der Kataraktoperation nicht korrigierter Astigmatismus myopicus simplex <1 dpt kann postoperativ zur positiven Auswirkung der Pseudoakkomodation führen (d. h. Gegenstände in Nähe und Ferne können gut abgebildet werden) [41].

tIOL stellen eine Therapieoption mit gut vorhersagbarem Outcome – besonders bei Personen mit regulärem Astigmatismus – dar [42]. Hierbei müssen präoperativ sowohl der anteriore als auch der posteriore Hornhautastigmatismus sowie der chirurgisch induzierte Astigmatismus berücksichtigt werden. In der Sehachse stellt dabei die posteriore Hornhaut funktionell eine Minuslinse dar, deren vertikaler Meridian tendenziell steiler ist als der Horizontale, was sich mit steigendem Alter verstärkt. An der anterioren Hornhaut ist im jungen Alter ebenso der vertikale Meridian steiler, jedoch verändert sich diese Einstellung im Alter mit einer Tendenz zu einem steileren horizontalen Meridian. Intraoperativ ist die korrekte Platzierung der Linse essenziell, postoperativ sind daher die Kontrolle der Achsenlage und subjektive Visusbestimmung erforderlich [42].

In der präoperativen Analyse zeigte sich die Haigis-Formel genauer als die SRK/T-Formel hinsichtlich Vorhersagbarkeit des refraktiven Outcomes und der effektiven Korrektur des topographischen Astigmatismus [43]. Es konnte gezeigt werden, dass die Clear-Cornea-Inzision an der steilen Achse zu einer signifikanten Reduktion der notwendigen zylindrischen Stärke der tIOL sowie zu einem geringeren Risiko eines postoperativen irregulären Astigmatismus führt [44]. Im Vergleich mit peripheren relaxierenden Inzisionen während der Kataraktoperation zeigte die Implantation einer tIOL bei Patienten mit einem Astigmatismus von 0,75–2,5 dpt keine signifikanten Unterschiede im postoperativen Visus [45]. In einer Metaanalyse von prospektiven Vergleichsstudien zwischen Excimerlaser und primärer IOL-Implantation für Myopie von −6 bis −20 dpt mit einem Astigmatismus bis zu 4 dpt war die primäre IOL-Implantation sicherer und genauer [46]. Eine weitere Vergleichsstudie untersuchte die Unterschiede im Nachtfahrsimulator nach Korrektur eines moderaten bis hohen myopen Astigmatismus mit tIOL und PRK, wobei die Patienten mit tIOL signifikant besser abschnitten [47]. Des Weiteren schnitt zur Korrektur eines moderaten bis hohen myopen Astigmatismus die tIOL auch in puncto Sicherheit, Genauigkeit, Vorhersagbarkeit und Stabilität signifikant besser ab als die PRK [48].

Fazit für die Praxis

  • In den meisten Fällen vermindert ein refraktiver Zylinder bis zu einem Betrag von 0,5 dpt unabhängig von seiner Richtung die unkorrigierte Sehschärfe unter alltäglichen Bedingungen nicht.

  • Der Astigmatismus sollte als dreidimensionaler Vektor mit Betrag und Richtung analysiert werden.

  • Zum refraktiven Zylinder tragen hauptsächlich die anteriore Hornhaut und der okuläre residuale Astigmatismus (ORA) bei.

  • Der ORA basiert zum größten Teil auf der Hornhautrückfläche und der Linse. Die mathematische Definition des ORA ist die vektorielle Differenz zwischen dem topographischen Astigmatismus und dem refraktiven Zylinder.

  • Etwa 50 % aller Patienten, die zur Kataraktoperation vorstellig werden, weisen bereits präoperativ einen topographischen Astigmatismus von ≥1 dpt auf (meistens WTR). Hierbei stellen tIOL eine Therapieoption mit gut vorhersagbarem Outcome – besonders bei Personen mit regulärem Astigmatismus – dar.