Anamnese und initiale Befunderhebung

Bei einem gesunden 3‑jährigen Jungen bestand eine indolente zervikale Raumforderung. Sonographisch zeigte sich eine rundliche, echoarme, scharf begrenzte Raumforderung prätracheal mit 8 mm Durchmesser (Abb. 1). Sie wurde als reaktive Lymphadenitis im Rahmen eines Infekts der oberen Atemwege gewertet. In der Kontrolle 4 Monate später wurde ein palpabler Strang in der Mittellinie zervikal vom Zungenbein bis zur Drosselgrube bemerkt. Die Raumforderung war sonographisch nun unscharf begrenzt und etwa 6 mm messend. Auffällig war ein sonographisch verfolgbarer Gewebezug von der Schilddrüse zum mittleren Anteil des Os hyoideum. Mit der Diagnose einer medianen Halszyste wurde die Hals-Nasen-Ohren(HNO)-ärztliche Vorstellung zur operativen Resektion empfohlen, von den Eltern aber zunächst abgelehnt.

Abb. 1
figure 1

Initiale Sonographie der Halsweichteile. a Übersichtsdarstellung der rundlichen, echoarmen Raumforderung prätracheal unmittelbar unterhalb des Schildknorpels (Pfeil; ACC A. carotis communis, Raute Schilddrüsenlappen rechts). b Detailaufnahme der Raumforderung (Pfeil): echoarmes bis echoleeres Gewebe mit randständiger, fraglich hilärer Perfusion, rundliche Konfiguration und scharfe Begrenzung. (© Schöndorf D)

Verlauf

Fünf Monate später kam es zur Hautrötung am Jugulum mit gelblicher Sekretion (Abb. 2). Aufgrund des klinischen Befunds einer Superinfektion wurde eine kalkulierte antibiotische Behandlung mit Cefuroxim begonnen. Der bakteriologische Abstrich erbrachte Normalflora. Die sonographische Untersuchung (Abb. 3) zeigte eine echoleere Raumforderung mit dorsaler Schallverstärkung, zentral fehlender Perfusion und davon ausgehend nach kranial in Richtung Zungenbein ziehend die echoleere Gangstruktur. Eine sekundäre mediane Halsfistel wurde diagnostiziert und der Patient in die HNO-Klinik eingewiesen.

Abb. 2
figure 2

a Klinische Präsentation mit Rötung, Schwellung und gelblicher Sekretion über einen zentralen Porus einer 1,5 cm messenden Raumforderung in der Drosselgrube. b Zur Visualisierung der Lagebeziehung sind das knöcherne Manubrium sterni mit anhängenden Schlüsselbeinen (Asterisk) sowie das Hyoid (kranial) eingezeichnet. Die Pfeile weisen auf eine strangartige Struktur von der geröteten Veränderung bis zum Zungenbein. (© Radwan G)

Abb. 3
figure 3

Sonographie der Halsweichteile, Schallkopf längs ausgerichtet. Echoleere Gangstruktur mit dorsaler Schallverstärkung (Pfeile) vom Os hyoideum (Hyoid) bis nach jugulär ziehend. Die Gangstruktur überragt die Schilddrüse nach kaudal. (© Schöndorf D)

Therapie und Verlauf

Nach 3‑tägiger antibiotischer Vorbehandlung folgte die operative Exstirpation. Der Ductus thyreoglossus war verfolgbar bis zum Os hyoideum, welches konsekutiv im mittleren Anteil reseziert wurde. Der postoperative Verlauf war komplikationslos, die antibiotische Therapie wurde nach zwei weiteren Tagen abgesetzt. In der histopathologischen Untersuchung kamen vornehmlich von respiratorischem Epithel, teilweise auch von Plattenepithel ausgekleidete, zystisch erweiterte Gangstrukturen mit chronischer, lymphoplasmazellulärer Entzündung zur Darstellung. Zudem zeigte sich eine granulierende und stellenweise auch eitrig-abszedierende Entzündung ohne ektopes Schilddrüsengewebe (Abb. 4). In der klinischen Kontrolle 3 Monate postoperativ war die Narbe zervikal zeitgerecht verheilt.

Abb. 4
figure 4

ab Granulierende und stellenweise eitrig-abszedierende Entzündung im umgebenden Weichgewebe der zystischen Läsion, oberflächennah. (Hämatoxilin und Eosin(HE)-Färbung, Vergrößerung: a 50-fach, b 100-fach). cd Zystisch erweiterte Gangstruktur mit chronischer, lymphoplasmazellulärer Entzündung. (HE-Färbung, Vergrößerung: c 50-fach, d 100-fach). (© Stahl PR)

Mediane Halszyste

In der Embryonalentwicklung entsteht ab der 3. Woche am späteren Foramen caecum des Zungengrunds aus dem Pharynx eine entodermale Invagination. Aus dieser geht die Schilddrüse hervor. Sie wandert nach kaudal zwischen das Mesenchym des ersten und zweiten Kiemenbogens, aus denen wiederum das Zungenbein entsteht [5]. Bis zur 10. Embryonalwoche bleibt der Ductus thyreoglossus bestehen und obliteriert danach. Bei etwa 7 % der Bevölkerung bleibt er partiell oder vollständig erhalten und stellt sich klinisch als mediane Halszyste dar [2]. Diese liegt in zwei Drittel der Fälle auf Höhe des Zungenbeins oder knapp unterhalb. Prinzipiell sind Lokalisationen im gesamten Gangverlauf vom Foramen caecum am Zungengrund bis zur Schilddrüse möglich [6]. In Kenntnis der Embyronalentwicklung lassen sich zwei weitere Aspekte ableiten:

  1. a)

    Es gibt regelhaft eine enge Lagebeziehung zum Zungenbein.

  2. b)

    In der Zystenwand kann ektopes Schilddrüsengewebe nachweisbar sein.

Hieraus können Schilddrüsenmalignome hervorgehen, eine genaue histopathologische Untersuchung ist daher obligat. Seit der Beschreibung des operativen Vorgehens von Sistrunk im Jahr 1920 [4] haben sich kaum Änderungen in der Behandlung ergeben: Sie ist immer operativ mit Resektion des medianen Zungenbeinkörpers. Ziel dieser Maßnahme ist es, Epithelreste des Ductus thyreoglossus zu entfernen und somit Rezidive zu vermeiden.

Diskussion

Mediane Halszysten sind die häufigste Ursache eines kongenitalen Halstumors (70 %). Der Altersgipfel liegt um das dritte Lebensjahr [1]. In der Differenzialdiagnostik bedacht werden sollten zudem Schilddrüsenzysten, Neubildungen des Thymus, maligne Neoplasien, Lymphangiome, vaskuläre Malformationen und Epidermoidzysten [3]. Trotz der geltenden Regel „Häufiges ist häufig“ wird die Diagnosestellung bei jungen Patienten durch mangelnde Kooperation bei der Untersuchung erschwert. Im Rahmen der körperlichen Untersuchung ist auf den häufig palpablen Ductus thyreoglossus zu achten. Erhärtet wird die klinische Verdachtsdiagnose im Rahmen der zervikalen Sonographie. Bei initial untypischem Befund sind wiederholte kurzfristige klinische und sonographische Kontrollen mit einer kritischen Prüfung der initial gefassten Verdachtsdiagnose zu empfehlen. Im vorliegenden Fall war die erste Arbeitsdiagnose eine infektionsassoziierte Lympadenitis colli. Erst durch die klinische und sonographische Verlaufskontrolle wurde die Diagnose der medianen Halszyste gestellt. Berücksichtigt werden sollte, dass mediane Halszysten, wie hier dargestellt, an ungewöhnlichen Lokalisationen auftreten können. Bei der Verdachtsdiagnose einer medianen Halszyste sollte die Operation zeitnah geplant werden. Bei kritischer Betrachtung des vorgestellten Falls hätte rückblickend bei früherer Operation die Superinfektion und Fistelbildung vermieden werden können. Der kleine Patient hätte von einer früheren HNO-ärztlichen Vorstellung und Operationsplanung profitiert.

Fazit für die Praxis

Mediane Halszysten finden sich im gesamten Verlauf des Ductus thyreoglossus vom Foramen caecum am Zungengrund bis zum Jugulum. Eine frühe operative Exstirpation vor stattgehabter Entzündung senkt die Rezidivrate (1–7 % unter optimalen Bedingungen gegenüber 70 % nach vorheriger Infektion) und ermöglicht eine histopathologische Aufarbeitung. Zögerliche Eltern sollten gegebenenfalls in einem interdisziplinären Team aus PädiaterInnen und HNO-ÄrztInnen hinsichtlich der notwendigen Operation beraten werden, um komplizierte Verläufe für die kleinen PatientInnen zu vermeiden.