Der derzeit anerkannte Goldstandard, um pädiatrischen Wachstumshormonmangel (pGHD) zu behandeln, ist die 1‑mal tägliche subkutane Injektion von rekombinantem humanem Wachstumshormon (rhGH), orientiert an der natürlichen pulsatilen, vornehmlich nächtlichen Wachstumshormonsekretion. Das Therapieziel ist es, das Wachstum und schlussendlich die Endgröße des betroffenen Kindes gemäß dem individuellen genetischen Potenzial zu normalisieren. Da das GH auch kritische metabolische Funktionen hat, ist es wichtig, die Therapie frühzeitig zu beginnen und konsequent durchzuführen [1, 2].

Für die Therapie mit täglich verabreichtem rhGH wurden in mehreren Studien Herausforderungen aufgezeigt, die sich auf die Lebensqualität der Kinder und Familien auswirken können [3,4,5]. Die emotionalen und physischen Belastungen dieser Therapieform können zu geringerer Therapieadhärenz führen [6, 7], und dies wiederum kann ein suboptimales Wachstum zur Folge haben [8, 9].

Eine Studie zeigte, dass eine weniger häufige Injektionsfrequenz zu einer verbesserten Lebensqualität von pGHD-Patient*innen führen kann [10]. Aus diesem Grund könnten langwirksame GH (LAGH) Formulierungen zu einer Verbesserung der Adhärenz, Reduzierung der Therapielast und eventuell zu einer Verbesserung des Therapieergebnisses führen [11].

Zwei Formulierungen mit 1‑mal wöchentlicher Verabreichung wurden vor Kurzem für die Behandlung von pGHD zugelassen: Skytrofa® (Lonapegsomatropin, Ascendis Pharma A/S, Hellerup, Dänemark) und Ngenla® (Somatrogon, Pfizer Europe MA EEIG, Brüssel, Belgien). Für beide Präparate wurde in klinischen Studien die Nichtunterlegenheit ihrer Wirksamkeit im Vergleich zu täglichem rhGH nachgewiesen [12, 13]. Der Wirkmechanismus von Lonapegsomatropin basiert auf einem Polyethylenglykol(PEG)-Trägermolekül, welches mittels Linkermolekül an das rhGH gebunden und dadurch inaktiviert ist. Nach der Injektion wird das aktive GH über den Zeitraum von einer Woche freigesetzt [14]. Die verlängerte Halbwertszeit von Somatrogon basiert auf der Fusion von rhGH mit CTP (C-terminales Peptid des humanen choriongonadotropen Hormons), wodurch eine 1‑mal wöchentliche Verabreichung ermöglicht wird [15, 16]. Trotz vielversprechenden klinischen Daten der Therapie von pGHD mit LAGH-Formulierungen bleiben dennoch Bedenken in Bezug auf die nichtphysiologischen Plasmaprofile im Vergleich zur 1‑mal täglichen Gabe von rhGH [11, 17, 18].

Erstmalig wurden nun behandelnde Ärzt*innen und Eltern von Kindern in Österreich, welche mit täglichem Wachstumshormon behandelt werden, hinsichtlich der Erwartungen und Bedenken bezüglich der 1‑mal wöchentlichen Therapieoption und deren möglichen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Patient*innen, befragt.

Methoden

Erste Umfrage – Pädiater*innen/pädiatrische Endokrinolog*innen

Die erste Umfrage wurde unter 20 Pädiater*innen/pädiatrischen Endokrinolog*innen aus Österreich in der Zeit von Januar 2021 bis Februar 2021 durchgeführt (telefonisch oder per Online-Umfrage). Insgesamt wurden 27 Fragen gestellt, welche die klinische Erfahrung, die Kenntnis und das Wissen über LAGH-Formulierungen sowie die Adhärenz und Therapieformen behandeln.

Zweite Umfrage – Eltern von betroffenen Kindern

Die zweite Umfrage wurde von insgesamt 41 Eltern mit Kindern beantwortet, welche mit täglich verabreichtem rhGH behandelt werden. Die Befragung fand im Zeitraum von Juni 2021 bis Oktober 2021 statt – entweder mittels Papierfragebögen oder online via Link/QR-Code. Der Fragebogen wurde durch die behandelnden Ärzt*innen während der Routineuntersuchungen verteilt, und die befragten Eltern wurden je nach Alter des Kindes in drei Alterskategorien eingeteilt (Abb. 1). Der Fragebogen beinhaltete insgesamt 22 Fragen über die generellen Aspekte der Erkrankung und der Therapie, zu Lebensqualität und Einschätzungen, wie sich ein Therapiewechsel zu LAGH-Formulierungen auswirken würde.

Abb. 1
figure 1

Diagnosen der Kinder der teilnehmenden Eltern und Alterskategorien (Durchschnittsalter = 10 Jahre). (n = 41)

Beide Umfragen wurden mittels semistrukturierten Fragebögen (geschlossene und offene Fragen) durchgeführt. Die Ergebnisse sind als Prozentsatz der Befragten angegeben. Die Umfragen wurden anonymisiert und dem Sponsor und den Teilnehmenden gegenüber verblindet durchgeführt und folgten den entsprechenden lokalen Datenschutzrichtlinien. Explizite Teilnahmeeinwilligungen wurden vor Beginn der Befragung von allen Teilnehmenden eingeholt.

Resultate

Erste Umfrage – Pädiater*innen/pädiatrische Endokrinolog*innen

Derzeitiges Meinungsbild zu täglich verabreichtem rhGH und Adhärenz

Die zum Zeitpunkt der Umfrage verfügbaren 1‑mal täglichen rhGH-Präparate stellen 60 % bzw. 35 % der befragten Ärzt*innen sehr bzw. eher zufrieden. Die Adhärenz der Patient*innen wird von 40 % als sehr hoch eingestuft, d. h. über 90 % der Injektionen werden laut ihrer Einschätzung nach tatsächlich verabreicht. Allerdings stufen mehr als die Hälfte der befragten Ärzt*innen die Adhärenz auf 70–90 % ein.

Die meisten befragten Ärzt*innen überwachen die Adhärenz vorwiegend durch direkte Nachfrage im persönlichen Gespräch (95 %) oder anhand der klinischen Entwicklung/Symptomatik (95 %). Wenn eine mangelnde Adhärenz festgestellt wird, suchen 100 % der befragten Ärzt*innen das direkte Gespräch mit Eltern und/oder Kindern, um die daraus resultierenden Konsequenzen anzusprechen. Etwa die Hälfte setzt auf engmaschigere Kontrollen, und nur wenige verwenden digitale Injektionserinnerungen oder Belohnungsprogramme (10 %).

Erwartungen an LAGH-Formulierungen

Eine gleichwertige Wirksamkeit von LAGH-Formulierungen erwarten 55 % der befragten Ärzt*innen, 10 % erwarten sogar eine bessere Wirksamkeit im Vergleich zu 1‑mal täglich verabreichten Präparaten (Abb. 2). In Summe sehen 90 % der befragten Ärzt*innen Vorteile bei LAGH-Präparaten. Bessere Adhärenz und Akzeptanz seitens Eltern und Patient*innen wurde als erwarteter Vorteil von 70 % hervorgehoben, ebenso besserer Patientenkomfort (17 %). Allerdings haben auch 85 % Vorbehalte, was LAGH-Präparate betrifft. Die unphysiologischen GH-Profile wurden hier als häufigster Vorbehalt von 40 % der Befragten angeführt.

Abb. 2
figure 2

Erwartungen der befragten Ärzt*innen an die Wirksamkeit von LAGH. (n = 20)

Drei Viertel der befragten Ärzt*innen erwarten eine leichte bis deutliche Verbesserung der Adhärenz (40 % = deutliche Verbesserung, 35 % = leichte Verbesserung, 25 % = unverändert) und keine*r der Befragten rechnet mit einer reduzierten Adhärenz im Vergleich zu 1‑mal täglich verabreichtem rhGH. Es wird ihrer Einschätzung nach eine Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Kinder und Familien mittels LAGH-Formulierungen erwartet. Im Durchschnitt soll sich die Lebensqualität laut befragten Ärzt*innen um 1,1 Punkte auf einer 10-Punkte-Skala – von 7,5 auf 8,6 – verbessern (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Einstufung der Lebensqualität der Patient*innen laut behandelnden Ärzt*innen auf einer 10-Punkte-Skala (1 = sehr niedrig, 10 = sehr hoch). Balken Prozentsatz der Ärzt*innen, welche die jeweiligen Punktzahlen angegeben haben für rhGH sowie für LAGH. (n = 20)

Täglich vs. wöchentlich verabreichte Formulierungen: Präferenzen gemäß Patientengruppen

Teilnehmende Ärzt*innen wurden gebeten, Patientengruppen zu einer der beiden Therapieformen (1-mal wöchentlich oder 1‑mal täglich) zuzuordnen. Einmal täglich verabreichte Präparate werden für Kinder mit einer stabilen Betreuungssituation, für Ersteinstellungen und Kinder/Jugendliche mit bestehender rhGH-Therapie präferiert. LAGH-Formulierungen werden bei kleinen Kindern unter 6 Jahren, Kindern und/oder Eltern mit Spritzenangst oder Nadelphobie und Kindern mit wechselnder/flexibler Betreuungssituation bevorzugt. Keine Präferenzen gab es für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren sowie für Jugendliche ab 12 Jahren.

Zweite Umfrage – Eltern betroffener Kinder

Erfahrungen mit täglich verabreichter rhGH-Behandlung

Aus Sicht der befragten Eltern ist die rechtzeitige Besorgung des Medikaments die größte Herausforderung (37 %). Für ca. 25 % ist die regelmäßige Anwendung der Injektion im Alltag schwierig – das betrifft am meisten die Gruppe der 9‑ bis 10-jährigen Kinder (36 %); von 15 % wird Widerstand gegen die Injektion erwähnt. Insgesamt 40 % der befragten Eltern geben an, keine Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Verabreichung der Injektion zu haben (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Abfrage zu Schwierigkeiten im Zusammenhang mit der rhGH-Behandlung laut befragten Eltern. Antwortmöglichkeiten waren vorgegeben und Mehrfachnennungen waren erlaubt. (n = 41)

Adhärenz

Bei über 70 % der betroffenen Kinder bis 10 Jahre verabreichen die Eltern die rhGH-Injektion. Die Hälfte der Jugendlichen (11–16 Jahre) geben sich die rhGH-Injektion selbst.

Bezüglich der Adhärenz geben insgesamt 81 % der befragten Eltern an, keine einzige tägliche Injektion zu versäumen. Die Adhärenz ist vor allem bei Eltern von Kindern bis 8 Jahren sehr hoch (93 % = 7 Tage pro Woche,). Insgesamt versäumen allerdings 15 % der befragten Eltern eine Injektion pro Woche. In der Gruppe der 9‑ bis 10-jährigen Kinder sind es sogar 9 % der befragten Eltern (2 % der gesamten Befragten), die angeben, bis zu 4 Injektionen pro Woche zu versäumen (Abb. 5).

Abb. 5
figure 5

Adhärenz (Tage/Woche) bei 1‑mal täglicher rhGH-Behandlung aus Sicht der befragten Eltern. (n = 41)

Erwartungen an LAGH-Formulierungen

Die Mehrheit (64 %) würde einen Wechsel der Injektionsfrequenz von 1‑mal täglich auf 1‑mal wöchentlich als positiv einstufen (64 %: bis 8 Jahre, 82 %: 9‑ bis 10-Jährige, 50 %: 11- bis 16-Jährige; Abb. 6a). Die dafür genannten Gründe sind in Abb. 6b aufgelistet – am häufigsten angemerkt ist die tägliche Zeitersparnis sowie der verminderte Einfluss auf den Tagesablauf. Die wenigen Eltern (7 %), die eine Umstellung der Injektionsfrequenz auf 1‑mal wöchentlich negativ bewerten, nennen vor allem die Änderung der eingespielten Routine und das höhere Risiko, den richtigen Tag für die Injektion zu verpassen, als Beweggründe.

Abb. 6
figure 6

a Beurteilung der befragten Eltern zu einer hypothetischen Umstellung der Injektionsfrequenz von 1‑mal täglich auf 1‑mal wöchentlich (bis 8 Jahre: n = 14; 9–10 Jahre: n = 11; 11–16 Jahre: n = 16). b Gründe für die positive Bewertung einer hypothetischen Umstellung der Injektionsfrequenz. Antwortmöglichkeiten vorgegeben und Mehrfachnennungen erlaubt. (gesamt: n = 26)

Diskussion

Die zwei Umfragen hatten das Ziel, die bisherigen Erfahrungen gegenüber täglich verabreichtem rhGH und Erwartungen gegenüber den erst kürzlich zugelassenen und zukünftig wohl vermehrt eingesetzten wöchentlichen LAGH-Formulierungen in Österreich darzustellen. Zusätzlich sollten die Patientengruppen eruiert werden, welche von einem Wechsel zu einer LAGH-Formulierung am meisten profitieren würden.

Die Auswertung zeigte, dass täglich verabreichte rhGH-Präparate gesamtheitlich betrachtet die Erwartungen der befragten Ärzt*innen erfüllen.

Bei gleichwertiger Wirksamkeit wird von den neuen langwirksamen Präparaten eine Verbesserung der Adhärenz erwartet, obwohl diese bei den befragten Ärzt*innen und Eltern mit der derzeitig 1‑mal täglichen Injektion als vorwiegend sehr hoch eingestuft wurde. Die Adhärenz ist kritisch für einen optimalen Behandlungsverlauf und das daraus resultierende Wachstum. Mehrere Studien konnten eine verminderte Adhärenz mit einem suboptimalen Wachstum in Zusammenhang bringen [8, 19, 20] und zeigten, dass schon eine Adhärenz von unter 80 % sich negativ auf das Wachstum auswirken kann. Es ist ebenfalls bekannt, dass bei 1‑mal täglichen Injektionen die Adhärenz mit Dauer der Behandlung stetig abnimmt [21].

Zusätzlich zur erwarteten steigenden Therapieadhärenz rechnen die befragten Ärzt*innen mit einer Verbesserung der Lebensqualität der betroffenen Familien. Dies ist im Einklang mit der vor Kurzem publizierten Phase-3-Studie, die den Behandlungsaufwand und den Einfluss der beiden Therapieformen auf die Lebensqualität verglich [22]. Auch die Mehrheit der befragten Eltern sah einen Wechsel zu einer 1‑mal wöchentlichen Therapieform als positiv. In einer Studie zu individuellen Präferenzen in Neuseeland wurden längere Dosisintervalle stark bevorzugt, was mit den Umfrageergebnissen hier übereinstimmt [23].

Vor allem Kinder mit wechselnder Betreuungssituation, Kinder mit Nadelphobie oder jüngere Kinder könnten laut befragten Ärtz*innen von der 1‑mal wöchentlichen Therapieform profitieren. Eltern mit Kindern im Alter von 9 bis 10 Jahren – gleichzeitig die Altersgruppe mit den niedrigsten Therapieadhärenzen – sehen einen Wechsel zu einem LAGH-Präparat am positivsten. Im Durchschnitt wurde diese Altersgruppe über 45 Monate mit 1‑mal täglichem rhGH behandelt, und bei dieser Therapiedauer ist eine Verschlechterung der Adhärenz nicht unüblich [21].

Die Mehrheit der befragten Ärzt*innen äußerte jedoch auch Vorbehalte zu den LAGH-Formulierungen, meist aufgrund der unphysiologischen wöchentlichen Verabreichung, im Vergleich zur physiologischen pulsatilen Sekretion von GH [24]. In einem 2016 publizierten Review, in dem die Plasmaprofile von täglich verabreichtem GH mit denen von endogen sezerniertem GH verglichen wurden, zeigte sich jedoch ein deutlicher Unterschied in der Menge und Breite der GH-Peaks [25]. Daher sind physiologische GH-Profile möglicherweise auch nicht durch 1‑mal tägliche Injektionen zu erreichen.

Basierend auf unserem Wissen, sind dies die ersten Umfragen zum Thema LAGH in Österreich. Jedoch sind wir uns der kleinen Stichprobenzahl (20 Pädiater*innen/pädiatrische Endokrinolog*innen und 41 Eltern von betroffenen Kindern) bewusst, und die hier vorgestellten Umfrageergebnisse sollten in diesem Kontext interpretiert werden.

Fazit

  • Diese zwei Umfragen fassen die derzeitige Behandlungssituation mit täglich zu verabreichendem rhGH in Österreich zusammen und erheben die Erwartungshaltung von Ärzt*innen und betroffenen Familien zu LAGH-Präparaten.

  • Die Resultate zeigen eine Zufriedenheit mit der derzeitigen Therapieform, aber auch eine positive Erwartung gegenüber neuen LAGH-Formulierungen, welche für Patient*innen durch das längere Dosisintervall bei gleicher Wirksamkeit von Vorteil sein könnten.