Derzeitige Situation der schul- und kindergartenbasierten Ergotherapie in Österreich

In Österreich bekommen Kinder in Schulen oder in Kindergärten keine Ergotherapie. Kinder und Jugendliche, die eine Therapie erhalten sollen, weil sie Schwierigkeiten haben, ihren Alltag zu meistern, suchen am Nachmittag nach der Schule Einrichtungen auf. Es wird derzeit auch außerhalb der Schulen von einer mangelnden Versorgung berichtet [11]. Wie Inklusion oder Partizipation gelingt, wird in Österreich bei Kindern mit Behinderungen, chronischer Krankheit, psychischen Erkrankungen oder Lernschwierigkeiten nicht standardmäßig erhoben. Kinder und Jugendliche, die Ergotherapie benötigen, haben in Österreich keinen Anspruch auf Ergotherapie in ihrer Bildungseinrichtung. Schul- und kindergartenbasierte Ergotherapie verfolgt das übergeordnete Ziel, Inklusion und Partizipation von und mit Kindern in Bildungseinrichtungen zu unterstützen [1, 13]. Somit leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Umsetzung der UN-Konvention zu den Rechten von Menschen mit Behinderung [15]. Diese Form der Unterstützung ist in anderen Ländern wie den USA, Kanada, Neuseeland, aber auch schon in Europa, wie z. B. in den Niederlanden, Schweden oder Irland möglich [2, 8,9,10].

Bei der 14. Jahrestagung der Politischen Kindermedizin „Bildung und Gesundheit“ hat der Bundesverband der Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten, vertreten durch eine Projektgruppe, die Veröffentlichung des Positionspapiers zur schul- und kindergartenbasierten Ergotherapie präsentiert. Der Bundesverband, auch Ergotherapie Austria genannt, spricht sich somit eindeutig dafür aus, dass in Zukunft Ergotherapeut*innen im interdisziplinären Team mit Pädagog*innen und Eltern in Schulen und Kindergärten arbeiten [14].

Ergotherapeutische Befundung – Sichtweise der Betroffenen einholen

Ergotherapeut*innen können als Expert*innen für Betätigung einen wesentlichen Beitrag zu Inklusion im Bildungssetting leisten. Mit den zur Verfügung stehenden, Klient*innen-zentrierten Befundungsmöglichkeiten können Alltagsschwierigkeiten von Kindern und Jugendlichen identifiziert und deren Auswirkungen auf die Partizipation erhoben werden [5,6,7]. Sie bringen Kompetenzen und vorhandene Befundungsinstrumente mit, um gemeinsam mit den Lehrpersonen die Sichtweisen der Kinder und der Eltern zu erheben. So können konkrete Interventionen zur Verbesserung der Partizipation und Inklusion durchgeführt werden. Als Beispiel soll hier das School Setting Interview genannt werden. Mit Hilfe dieses Instruments kann erhoben werden, wie die Umwelt die Partizipation der Schüler*innen beeinflusst, und auch verändert werden kann. Eine Querschnittstudie aus Österreich zeigte auf, dass Schüler*innen entscheiden können, welche Umweltanpassungen nötig sind, um deren Partizipation zu ermöglichen [10].

Die Kernaufgabe der Ergotherapie ist es, die individuellen Betätigungsbedürfnisse zu identifizieren und zu ermöglichen. Dadurch ist das Erheben der persönlichen Sichtweisen von Betroffenen schon lange im Beruf verankert.

Hürden bei der Umsetzung der ergotherapeutischen Interventionen

Betreffend die Umsetzung von Interventionen in Schulen oder Kindergärten stehen Ergotherapeut*innen in Österreich auf Grund fehlender rechtlicher Strukturen und Finanzierung vor vielen Herausforderungen. Das Positionspapier liefert hier eine gute Grundlage zur Argumentation der Notwendigkeit einer ergotherapeutischen Intervention in Bildungseinrichtungen. Das Positionspapier ist im Internet als pdf-Datei für alle abrufbar:

https://www.ergotherapie.at/sites/default/files/schul-und_kindergartenbasierte_ergotherapie_positionspapier_ergotherapie.pdf.

Es soll so nun allen Interessensvertretern aus Politik, Bildung und Gesundheitsbereich zur Verfügung stehen. Das Positionspapier kann auch für betroffene Familien, die sich mehr Partizipation und Inklusion für ihre Kinder wünschen, hilfreich sein, um für ergotherapeutische Interventionen in der Bildungseinrichtung ihres Kindes zu argumentieren [14].

Interventionen der schul- und kindergartenbasierten Ergotherapie soll die extramurale Ergotherapie nicht ersetzen

Schul- und kindergartenbasierte Ergotherapie ist ein Teilgebiet der pädiatrischen Ergotherapie. Dieses umfasst Interventionen, die zum Ziel haben, allen Kindern Partizipation in der Bildungseinrichtung zu ermöglichen, unabhängig von (chronischer) Krankheit, Behinderung und akademischen Leistungen. Kinder und Jugendliche sollen nicht aus einer Situation in der Schule oder im Kindergarten herausgeholt werden, um irgendwo anders im Gebäude eine Therapie zu erhalten, und so womöglich ein gemeinschaftliches Erlebnis versäumen. Das wäre gegen jeglichen Inklusionsgedanken und gilt es zu vermeiden.

Klient*innenzentrierung, Betätigungszentrierung, Empowerment, Gesundheitsförderung und Prävention, Partnerschaftlichkeit, Partizipation, Zugehörigkeit und Inklusion sind wichtige Eckpfeiler, auf die eine kindergarten- und schulbasierte Ergotherapie aufgebaut ist. Bei diesen Interventionen gilt es, die Schule oder den Kindergarten mitsamt den Pädagog*innen, Eltern und Kindern als Klient*innensystem zu sehen. Die Ergotherapeut*in arbeitet hierbei im interdisziplinären Team mit den Pädagog*innen, in der Klasse oder im Gruppenraum.

Die kindergarten- und schulbasierte Ergotherapie soll die Ergotherapie im extramuralen Bereich nicht ersetzen. Dennoch erhoffen sich Beteiligte, dass die schul- und kindergartenbasierte Ergotherapie der mangelnden therapeutischen Versorgung in Österreich entgegenwirkt und so ein niedrigschwelliges Angebot möglich wird. Ein niedrigschwelliges Angebot zur Ergotherapie war 2017 eine der Forderungen der Österreichischen Liga für Kinder und Jugendgesundheit [12].

Durch ein stufenweises Vorgehen kann auf die unterschiedlichen Bedürfnisse von Kindern und Bildungseinrichtungen eingegangen werden. Mithilfe des Response-to-Intervention-Modells, welches auch in der Pädagogik Anwendung findet, können Maßnahmen auf drei Stufen angeboten werden (Tab. 1; [4]).

Tab. 1 Interventionen nach stufenweisem Vorgehen

Vereinzelt gibt es bereits Best-Practice-Beispiele in Österreich. Eine Umfrage über die ergotherapeutische Zusammenarbeit mit Schulen von Ulrike Rathauscher et al. [13] hat schon einen Einblick in die Thematik gegeben und gezeigt, dass aufgrund der derzeitigen Finanzierungssituation nur wenige Kinder Zugang zu ergotherapeutischen Interventionen in der Schule haben. Eine weitere Erhebung dazu ist unbedingt notwendig, um vereinzelte bereits vorhandene Projekte gut veranschaulichen zu können und weitere gute Beispiele liefern zu können.

Aufruf zu Kooperation

Die Projektgruppe von Ergotherapie Austria besteht aus folgenden Personen:

Thomas Morgenthaler, Ulrike Rathauscher, Erna Schönthaler, Maritta Eberle, Stefanie Pichler, Danielle Dolezal und Sophie Ulbrich-Ford.

Die Projektgruppe basiert ihre Vorträge und Wissensweitergabe auf neueste Forschungsergebnisse, viele der genannten Personen sind als wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, Vortragende oder in vorhandenen Projekten tätig.

Die Projektgruppe freut sich über Kooperationen und zukünftige Projekte mit Bildungseinrichtungen. Eine Kontaktaufnahme mit dem Autor oder der Autorin ist erwünscht. Die Zusammenarbeit mit Pädagog*innen und Eltern wird als essenziell betrachtet, um gemeinsame Ziele wie Inklusion und Partizipation zu erreichen. So haben Projekte und Forschung in anderen Ländern gezeigt, dass die Intervention auf dieser Zusammenarbeit aufbaut [3, 8]. So wurde ein bewährtes Vorgehen in der schulbasierten Ergotherapie an der McMaster University in Kanada (Canadian Partnering for Change model) im europäischen Raum (in Schweden und den Niederlanden) erprobt und Erfahrungen der Beteiligten eingeholt. Es zeigte sich, dass nach einer anfänglichen Phase der Unsicherheit beide Berufsgruppen schließlich sehr voneinander profitierten und gemeinsam inklusive Strategien für das Klassenumfeld schaffen konnten [8].