Im Namen der Politischen Kindermedizin und insbesondere des Organisationsteams begrüßen wir Sie, liebe Leser:innen, herzlich zu dieser Nachlese zur 14. Jahrestagung der Politischen Kindermedizin!Footnote 1

Der iranische Dichter, Philosoph, Musiker und Rechtsgelehrte, Ostad Elahi, hat einmal gesagt, dass es ein ganzes Dorf braucht, um ein Kind zu erziehen, also viele, mehr oder weniger befreundete Menschen mit ihren vielfältigen Ideen, Charakteren, ihren sozialen Rollen und Tätigkeiten, ihren guten und schlechten Seiten. Vor allem aber braucht es zunächst eine Familie, die sich liebevoll und feinfühlig um das Kind kümmert, ihm die Welt erklärt, es in allen Belangen unterstützt, seine Entwicklung fördert und es dort korrigiert, wo es notwendig ist. Im Heranwachsen braucht es immer mehr Menschen, die seine/ihre Erfahrungen mehren, auch Gleichaltrige, Ältere, auch sehr viel Ältere und Jüngere.

Es wird einen Kindergarten, mehrere Schulen besuchen, Wissen erwerben und dieses Wissen kritisch hinterfragen. Und so, wie es sich immer mehr bildet oder gebildet wird – beides findet statt – auf den Erfahrungen der vorhergehenden Generationen aufbaut, wird es zu einem vernunftbegabten Menschen, der seinerseits wieder sein Wissen weitergibt an die nächste Generation.

Nicht alle haben die gleichen Chancen!

Wir sind trotzdem unterschiedlich, niemand, glücklicherweise, eine Kopie des Anderen, sondern jeder besitzt und entwickelt seine individuelle, kritikfähige Persönlichkeit. Nicht alle haben die gleichen Chancen! Bourdieu [1] hat das Märchen der Chancengleichheit aller Kinder entlarvt.

Die ungleichen Bildungschancen „bildungsferner“ und „bildungsnäherer“ Kinder sind nicht aufhebbar

Trotz aller Bemühungen sind die ungleichen Bildungschancen „bildungsferner“ (armer) und „bildungsnäherer“ (reicherer) Kinder nicht aufhebbar, nicht wegleugenbar. Auch in der DDR, in der Akademikerkindern zumindest in den Anfangsjahren der Zugang zur Universität verwehrt blieb, gab es Unterschiede in der Intellektualität, im Wissen und in den praktischen Fähigkeiten, weil Bildungsnähe und -ferne nicht erzwungen werden können und es nur Wenigen gelingt, die unsichtbaren Klassengrenzen zu überschreiten. Diese Ungerechtigkeiten machen wahrscheinlich den Löwenanteil der Versäumnisse aus.

Die Rezepte, mehr Kindergarten, flächendeckende Ganztagsschule usw. anzubieten, gibt es zwar, aber der soziale Druck fehlt.

Was sich in Österreich auf der Grundlage der teilweise wieder zerstörten Kreisky- und Firnbergschen Reformen entwickelt hat, ist immerhin fast eine Verdoppelung der Gymnasiast:innen, die wiederum an der Weiterbildung durch Hochschulhürden gehindert werden. Dazu finden Sie in diesem Supplement den Zinielschen Beitrag zu den Kosten der Bildungsversäumnisse.

Die zweite große Gruppe Benachteiligter im Bildungssystem sind die Kinder mit strukturellen Benachteiligungen, die Lernbehinderten, Teilleistungs‑, Sozial- und Verhaltens-„Gestörten“, deren Chancen auf einen halbwegs adäquaten Bildungsabschluss bzw. erfolgreiche berufliche Integration derzeit ohne entsprechende Unterstützung minimal sind. Hier gibt es wenigstens Vorstellungen, wie sozial-integrative und Bildungsbenachteiligungen durch Inklusion vermieden werden könnten.

Dass dies nur im Zusammenhang mit nicht beeinträchtigten Kindern geschehen kann, erscheint klar. Das Wo-Wie-Womit-und-Warum wurde auf der Tagung ebenfalls besprochen und findet seinen Niederschlag in diesem Supplement.

Schule, neu gedacht

Die nachfolgenden Beiträge sind den realen Utopien gewidmet, die eine effiziente und menschliche Schule skizzieren: Utopien, die erreichbar sind. Teilweise hat sich die Schule im Vergleich zur Nachkriegsschule menschlich verändert.

Der Direktor meiner (Christian Popow) – damals nicht unbedingt geliebten – Schule sagte anlässlich meines 50. Maturajubiläums, dass er die Schule als „strenge“ Schule übernommen hätte. Er wollte aber keine strenge, sondern eine gute Schule, und das schien ihm wirklich gelungen zu sein. Motivation und das, was man tut, gern zu machen, ist der Schlüssel zur Selbstmotivation und zur psychoökonomischen Bewältigung des vorgegebenen Wissensstoffs.

Das unerschöpfliche Thema Bildung

Es gäbe noch viele Facetten des Bildungsthemas, die wir nicht einmal streifen können: Man kann nicht alles in ein Supplement von Pädiatrie & Pädologie packen!

Vielleicht sind unsere Denkanstöße fruchtbringend, vielleicht entsteht mehr Mut, Ziele nicht nur zu definieren, sondern sie auch umzusetzen. Wir kritischen Mediziner sind gern dazu bereit, Konzepte dafür zu liefern.

Doch, was nützen Konzepte, wenn der politische Wille fehlt? Vielleicht gelingt es uns auch, jene zu erreichen, die – hätti – täti – wari – das diplomatische „vielleicht“, den Konjunktiv, in einen Imperativ verwandeln können?

Viel Spaß beim Lesen!

Liebe Leser:innen, wir wünschen Ihnen eine spannende Lektüre und den Mut zur Umsetzung, zunächst im Kleinen, dann im Großen!