Zusammenfassung
Kongenitale Hüftreifungsstörungen gehören zu den häufigsten angeborenen Erkrankungen des Bewegungsapparats. Keine klinische Untersuchung kann in dieser Altersgruppe zu einer sicheren Diagnosestellung führen. Eine sichere Diagnosestellung ist ausschließlich über die Hüftsonographie möglich.
Die Hüftsonographie im Säuglingsalter hat daher einen wichtigen Stellenwert für die Kontrolle, Dokumentation und Erfassung der Entwicklung der Kinderhüfte. Folgeschäden einer Hüftgelenksdysplasie oder -luxation wie frühzeitige Arthrose und daraus resultierender früher totalendoprothetischer Gelenkersatz können in dieser Altersgruppe einfach vermieden werden, wohingegen dieser Pathologie im Kleinkindesalter nur noch mit schweren Operationen begegnet werden kann.
Abstract
Congenital developmental dysplasia of the hip (DDH) is one of the most frequent congenital skeletal disorders in newborn and infants. No clinical examination can lead to a certain diagnosis in this age group. A certain diagnosis is only possible using ultrasound.
Therefore, hip ultrasound is of considerable importance for the control, documentation and detection of the development of the pediatric hip. Consequential loss of hip dysplasia or dislocation such as premature osteoarthritis and the resulting early hip replacement can be avoided easily in this age group, whereas this pathological condition in toddlers can only be treated by performing serious operations.
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Hüftreifungsstörungen
Kongenitale Hüftreifungsstörungen gehören zu den häufigsten angeborenen Erkrankungen des Bewegungsapparats. Der Terminus Hüftreifungsstörung umfasst sowohl Hüftgelenksdysplasien als auch Hüftgelenksluxationen. Die Hüftsonographie im Säuglingsalter hat einen wichtigen Stellenwert für die Kontrolle, Dokumentation und Erfassung der Entwicklung der Kinderhüfte. Hüftluxation und -dysplasie können frühzeitig erkannt und in den allermeisten Fällen unblutig therapiert werden. Folgeschäden einer Hüftgelenksluxation wie frühzeitige Arthrose und daraus resultierender früher totalendoprothetischer Gelenksersatz können einfach vermieden werden.
Die Konsequenzen einer nicht erkannten Hüftreifungsstörung hingegen sind für die betroffenen Kinder erheblich. Leider sehen wir im kinderorthopädischen Alltag, dass unerkannte Hüftdysplasien und -luxationen zunehmen und die Eltern mit den betroffenen Kindern erst nach deren Gehbeginn vorstellig werden.
Ist die Hüftluxation im Säuglingsalter noch einfach therapierbar, kann dieser Pathologie im Kleinkindesalter nur noch mit schweren Operationen begegnet werden. Dies bedeutet für das betroffene Kind eine erhebliche Morbidität mit noch dazu ungewissem Ausgang.
Definition und Epidemiologie
Bei der Hüftgelenksdysplasie handelt es sich um eine Störung der Verknöcherung am Pfannenerker. Da Hüftpfanne und Hüftkopf untrennbar zusammengehören, resultiert aus der gestörten Verknöcherung am Pfannenerker auch eine Veränderung des proximalen Femurendes mit einer Steilstellung und Antetorsion.
Bei der Hüftgelenksluxation liegt eine bleibende Dezentrierung des Hüftkopfs aus der Pfanne vor. Eine angeborene Hüftgelenksluxation entsteht selten in der Embyronalphase, häufiger jedoch in der Fetalphase [1].
In Zentraleuropa tritt die Hüftgelenksdysplasie mit einer Inzidenz von 2–4 % auf. Die Hüftgelenksluxation ist mit 0,5–1 % deutlich seltener, wobei Mädchen etwa 4‑mal häufiger als Buben betroffen sind [2]. Die Häufigkeitsverteilung zeigt ausgeprägte geographische und rassische/ethnische Unterschiede mit besonders hohen Inzidenzen in den slawischen Ländern [1]. Hierfür werden genetische Faktoren verantwortlich gemacht.
Ätiologie
Hüftgelenksluxationen, die sich bereits in der Embryonalphase zeigen, sog. teratologische Hüftluxationen, sind sehr selten, jedoch hartnäckig in ihrer Therapie. Sie sind häufig mit anderen Fehlbildungen (Arthrogrypose, Klumpfüße) assoziiert.
Von den teratologischen Hüftluxationen unterscheiden sich diejenigen Hüftluxationen, die in der Fetalzeit entstehen. Letztere haben in der Regel eine weitaus bessere Prognose: Ihr Verlauf ist bei frühzeitigem Therapiebeginn meist gutartig und das Risiko einer bleibenden Restdysplasie ist sehr gering.
Für die Hüftluxation verantwortlich sind sowohl exogene als auch endogene Faktoren. Zu den exogenen Faktoren zählen prä- und postnatal auftretende mechanische Störfaktoren [3]. Ein wichtiger exogener Faktor ist die intrauterine Raumnot, die besonders das letzte Trimenon der Schwangerschaft betrifft. Die Skelettanteile der Hüftregion sind zu dieser Zeit noch weitgehend knorpelig und damit gut verformbar. Durch die Enge und die damit verbundene intrauterine Zwangslage wird der Hüftkopf gegen den knorpeligen Pfannenrand gedrückt – dieser wiederum gibt unter dem Druck nach und verformt sich, was zu einer mangelnden Ausbildung des Pfannenerkers führt.
Das linke Hüftgelenk ist hierfür besonders prädestiniert, da der Fetus bei der häufigen ersten Hinterhauptslage mit seinem linken Hüftgelenk unmittelbar vor dem Promontorium der Mutter zu liegen kommt. Das Hüftgelenk wird dadurch in eine Anspreizstellung gezwungen, die wiederum den Hüftkopf gegen den Pfannenerker drängt und so zu einer Hüftgelenksdysplasie oder gar -luxation führt [1]. Hüftdysplasien und Hüftluxationen betreffen somit das linke Hüftgelenk wesentlich häufiger als das rechte.
Weitere Risikofaktoren, die vor allem eine Hüftgelenksluxation begünstigen, sind Erstgebärende, Beckenendlage, Zwillingsschwangerschaften, geringes Geburtsgewicht (<2500 g), positive Familienanamnese der weiblichen Familienmitglieder mütterlicherseits. Diese Risikofaktoren sind in der Anamnese unbedingt zu erfragen. Eine Frühgeburtlichkeit vor Erreichen der 37. Schwangerschaftswoche wird ebenfalls als Risikofaktor angesehen. Dunn zeigte, dass eine Hüftgelenksluxation Assoziationen zu Gesichts– und Schädeldeformitäten, zu Skoliose oder zu Klumpfüßen aufweisen kann [4].
Die endogene Dysplasie beruht auf einer primär verzögerten Wachstumsgeschwindigkeit, aus der eine geringere Formdifferenzierung der knöchernen Hüftpfanne resultiert [3]. Ein weiterer wichtiger endogener Faktor ist die mütterliche Hormonproduktion: Vor allem Östrogene führen zu einer geburtsvorbereitenden Auflockerung des Gewebes. Östrogene greifen allerdings nicht nur am mütterlichen Organismus an, sondern wirken sich auch auf die Hüftgelenkskapsel – vor allem der weiblichen – Feten aus. Diese wird elastischer und begünstigt somit das Heraustreten des Kopfs aus der Pfanne.
Postnatale Phase
Das Hüftgelenk ist zum Zeitpunkt der Geburt noch unreif. Pränatal besteht ein Missverhältnis zwischen der Größe des Hüftkopfs und der Tiefe der knorpeligen Hüftpfanne, die zu einer geringen Sicherung des Hüftkopfs in der Hüftpfanne führen. Postnatal ist daher eine Nachreifung gefordert, die nur unter der intrauterinen Beugestellung der Hüfte möglich ist („human position“). Die postnatale physiologische Beugestellung des Hüftgelenks begünstigt diese Ausreifung. Bei Völkern, die die Hüftgelenke ihrer Kinder unmittelbar postnatal in eine Streckstellung (Wickeltechnik) bringen, ist die Rate der Hüftgelenksluxationen deutliche höher (z. B. Eskimos, Navajo-Indianer, etwa 11 %). Bei Völkern, die hingegen die Hüftbeugung fördern, ist die Hüftgelenksluxation deutlich geringer (afrikanische Völker).
Eine unbehandelte Hüftgelenksdysplasie kann in eine Hüftgelenksluxation übergehen. Im angloamerikanischen Sprachraum hat sich für dieses Phänomen die treffende Bezeichnung „developmental dysplasia of hip“ (DDH) durchgesetzt und den ehemaligen Begriff „congenital dysplasia of hip“ (CDH) abgelöst.
Diagnostik
Die Diagnostik erfolgt klinisch und bildgebend, wobei im Säuglingsalter der Ultraschalluntersuchung der Hüfte im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchung, in Österreich die 2. Mutter-Kind-Pass-Untersuchung (MKP) eine wesentliche Bedeutung zukommt. Neben der Hüftultraschalluntersuchung im Rahmen der 2. MKP ist eine unmittelbar postnatal durchgeführte Ultraschalluntersuchung empfehlenswert, da Pathologien früher entdeckt und therapiert werden können. Die initial hohe Potenz der Hüftgelenksnachreifung, die in den ersten 6–12 Lebenswochen am höchsten ist, kann so gut ausgenutzt werden.
In der Regel ist ab etwa dem 1. Lebensjahr eine Ultraschalluntersuchung der Hüfte nicht mehr möglich, da die Ossifizierung des Femurkopfkerns soweit fortgeschritten ist, dass dieser dem Ultraschall den Einblick in die Hüftpfanne verwehrt und somit keine suffiziente Aussage über die Pfanne mehr getroffen werden kann.
Klinische Untersuchung
Die Aussagekraft der klinischen Untersuchung ist von Alter und Schweregrad der Hüftreifungsstörung abhängig. Im Säuglingsalter hat die klinische Untersuchung im Vergleich zum Ultraschall eine sehr geringe Bedeutung. Eine Beinverkürzung oder Bewegungseinschränkung im Hüftgelenk kann auf eine Hüftluxationen hindeuten. Auch das als pathognomonisch geltende Ortolani-Barlow-Zeichen erweist sich oft als falsch-positiv oder sogar falsch-negativ. Bedacht werden muss auch, dass eine Bewegungseinschränkung oder Beinlängendifferenz bei beidseitiger Luxation nicht als klinische Zeichen herangezogen werden können.
Beim gehfähigen Kind kann eine einseitige Hüftluxation zu einem Hinken führen. Eine beidseitige Hüftgelenksluxation hat einen eigentümlichen Watschelgang zur Folge, der durch eine Glutealinsuffizienz bei hochstehendem Hüftkopf zustande kommt.
Ultraschalluntersuchung
Erheblicher Therapieaufwand, frühe Invalidität und notwendig werdender künstlicher Gelenkersatz sind mögliche Folgen einer unbehandelten Hüftgelenksdysplasie bzw. -luxation. Durch die Einführung des Sonographie-Screenings in Österreich im Jahr 1991 wurde die Zahl der behandlungsbedürftigen Hüftdysplasien signifikant reduziert. Auch die Anzahl der operativen Eingriffe, wie offene Hüfteinstellungen und Acetabuloplastiken, aber auch die der dysplasieinduzierten Hüftkopfnekrosen wurde dramatisch reduziert [5]. Da die Säuglingshüfte überwiegend knorpelig angelegt ist und sich daher dem Röntgen entzieht, hat die Hüftultraschalluntersuchung eine herausragende Bedeutung erlangt. Prof. Graf entwickelte hierzu eine Methode, die eine eindeutige Beschreibung des anatomischen bzw. pathoanatomischen Zustands der Hüftgelenkspfanne zulässt [6].
Ermöglicht wird dies durch eine strenge Standardisierung des Untersuchungsvorgangs, Brauchbarkeitsprüfung des Ergebnisses und Terminologie in der Befundung. Die Schnittbildebene ist standardisiert und stellt die knöchernen und knorpeligen Verhältnisse im Gelenk dar (Abb. 1a). Jedes Ultraschallbild muss einem strengen „check-up“ unterzogen werden [7]: Alle anatomischen Leitstrukturen müssen klar erkannt werden (Abb. 1b). Jedes Ultraschallbild muss außerdem auf seine Brauchbarkeit überprüft werden: Unterrand Os ilium vorhanden? Schnittebene korrekt? Labrum vorhanden? (Brauchbarkeitsprüfung). Die Hüfte wird dann einem bestimmten Typ zugeordnet.
Abschließend erfolgt die Bestimmung des knöchernen α‑Winkels und des knorpeligen β‑Winkels. Hierzu wird zunächst die Grundlinie medial in Verlängerung an das Os ileum angelegt eingezeichnet. Als Pfannendachlinie dient eine Tangente an den knöchernen Erker und den Unterrand des Os ilium. Zwischen ihr und der Grundlinie wird der α‑Winkel bestimmt. Die Ausstellungslinie verbindet das Labrum acetabulare mit dem knöchernen Erker. Zwischen ihm und der Grundlinie wird der knorpelige β‑Winkel bestimmt (Abb. 1c). Prinzipiell und grundlegend werden zentrierte von dezentrierten Hüftgelenken unterschieden (Abb. 2) Hiernach richtet sich auch die Wahl der Therapie (Tab. 1).
Therapie
Die Behandlung der Hüftreifungsstörung ist einerseits altersabhängig und richtet sich andererseits streng nach der pathoanatomischen Ausgangssituation (Tab. 1). Die Rückführung der pathoanatomischen Veränderungen in einen altersentsprechenden Normalzustand ist das Ziel jeder Therapie. Hierfür stehen prinzipiell konservative und operative Verfahren zur Verfügung. Die Art der Behandlung richtet sich nach der Schwere und Art der Hüftreifungsstörung. Unbedingt beachtet werden muss jedoch: Je jünger ein Kind ist, desto unreifer sind seine Hüften. Diese physiologische Unreife muss klar von einer Pathologie unterschieden werden.
Für therapeutische Zwecke kann, besonders im Säuglingsalter, das altersabhängige Reifungspotenzial ausgenutzt werden. Entsprechend der Hüftreifungskurve ist die Einleitung einer Therapie bis zum Beginn der 6. Lebenswoche besonders erfolgversprechend, da in diesem Zeitraum die Hüftpfanne ein exponentielles Wachstum aufweist [3]. Innerhalb der ersten 12 Lebenswochen präsentiert sich die Reifungskurve nach Graf stetig steil verlaufend, während die Kurve ab der 12. Lebenswoche ein Plateau mit nur noch geringer Steigung aufweist. Bei bestehender Pathologie einer Neugeborenenhüfte ist demnach der Therapiebeginn so früh wie möglich anzustreben. Unter adäquater und konsequenter Therapie kommt es meist zu einer Ausheilung der Hüftreifungsstörung.
Durch eine übermäßige oder forcierte Therapie besteht die Gefahr der Hüftkopfnekrose – durch eine nicht ausreichende Therapie kann wiederum eine Restdysplasie resultieren, die im späteren Verlauf weitere therapeutische Maßnahmen notwendig werden lassen kann.
Fazit
Kongenitale Hüftreifungsstörungen gehören zu den häufigsten angeborenen Erkrankungen des Bewegungsapparats. Hüftkopf und Hüftgelenkspfanne sind untrennbare Partner: Pathologische Veränderungen der Hüftpfanne betreffen somit immer auch den Hüftkopf. Risikofaktoren für eine Hüftgelenksluxation sind Erstgebärende, Beckenendlage, Zwillingsschwangerschaften, geringes Geburtsgewicht (<2500 g) sowie eine positive Familienanamnese der weiblichen Familienmitglieder mütterlicherseits. Die klinische Untersuchung zur Erkennung einer Hüftreifungsstörung im Säuglingsalter ist nicht suffizient; jeder Säugling sollte daher einer Hüftultraschalluntersuchung zugeführt werden. Nur mit der Hüftultraschalluntersuchung kann eine Hüftreifungsstörung schnell und zuverlässig erkannt werden, wobei eine eindeutige Pathologie von einer physiologischen Unreife unterschieden werden muss. Unter adäquater und konsequenter Therapie kommt es in den meisten Fällen zu einer Ausheilung der Hüftreifungsstörung.
Literatur
Niethard FU (2009) Kinderorthopädie, 2. Aufl. Thieme, Stuttgart
Hefti F (2015) Kinderorthopädie in der Praxis, 3. Aufl. Springer, Berlin, Heidelberg
Tschauner C (1997) Die Hüfte. Enke, Stuttgart, S 92–112
Dunn PM (1976) Perinatal observations on the etiology of congenital dislocation oft he hip. Clin Orthop 119:11–22
Graf R (2009) Sonographie der Säuglingshüfte und therapeutische Konsequenzen: Ein Kompendium, 6. Aufl. Thieme, Stuttgart
Graf R (1980) The Diagnosis of congenital hip joint dislocationby the ultrasonic compound treatment. Arch Orthop Trauma Surg 97(2):117–133
Graf R (2002) Ultrasound examination oft he hip. An update. Orthopäde 31(2):181–189
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Kraus, T., Novak, M. Kindliche Hüftreifungsstörungen. Paediatr. Paedolog. Austria 53, 216–220 (2018). https://doi.org/10.1007/s00608-018-0611-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00608-018-0611-4