Als angeborene Stoffwechselkrankheiten werden erbliche Störungen in der Biosynthese oder im Abbau von Substanzen innerhalb von Stoffwechselwegen zusammengefasst, also Krankheiten, die durch den Verlust oder anderweitige Störung von Enzymen und Kofaktoren (und manchen Transportproteinen) verursacht werden. In der Regel sind sie monogen erblich, also auf Mutationen in einzelnen Genen zurückzuführen. Symptome entstehen typischerweise durch den Anstau von nicht verstoffwechselten Substraten bzw. toxischen Metaboliten oder durch den Mangel eines Produkts (Abb. 1). Die klinischen Effekte sind sehr variabel.

Abb. 1
figure 1

Was ist eine angeborene Stoffwechselstörung? (© D. Karall)

Es gibt 3 Ebenen, auf denen angeborene metabolische Erkrankungen diagnostiziert werden können (Abb. 1):

  1. 1.

    Biochemisch = Substratebene: Metabolite sind in Körperflüssigkeiten in erhöhter oder erniedrigter Konzentration vorhanden. Auf dieser Ebene befinden sich die meisten Suchtests.

  2. 2.

    Enzymatisch = Enzymebene: Die erniedrigte Aktivität des defekten Enzyms wird im Zielgewebe nachgewiesen.

  3. 3.

    Molekulargenetisch = Gen-Ebene: Eine krankheitsverursachende Mutation wird im betreffenden Gen nachgewiesen. Der Vererbungsmodus ist bei fast allen angeborenen Stoffwechselstörungen autosomal rezessiv.

Auf den 3 Ebenen der Diagnostik sind in späterer Folge auch die meisten Therapiestrategien aufgebaut; d. h. es wird therapeutisch versucht,

  1. 1.

    die Metabolite zu normalisieren (z. B. Ernährungstherapie),

  2. 2.

    das Enzym zu ersetzen (durch Enzymersatztherapie) oder

  3. 3.

    die zugrunde liegende Mutation zu korrigieren (z. B. durch Knochenmark- oder Organtransplantationen).

FormalPara Merke.

Bei Verdacht auf angeborene Stoffwechselstörung ist es vorrangiges Ziel, bei denjenigen Erkrankungen, bei denen eine therapeutische Option besteht, so bald wie möglich eine Diagnose zu sichern, um mögliche Folgeschäden zu minimieren.

Klinische Bilder

Um in der Vielfalt der angeborenen Stoffwechseldefekte in Bezug auf die Pathogenese einen Überblick zu bekommen, bewährt es sich, die Patienten in 4 klinische Bilder einzuteilen [6]: Neurodegeneration, Speicherung, Energiedefizienz und Intoxikation. Dabei bilden jeweils die erstgenannten Bilder und die letztgenannten ein Paar. Neurodegeneration/Speicherung steht für Abbaustörungen im Stoffwechsel großer, biochemisch inerter Moleküle; Energiedefizienz/Intoxikation umfasst Abbaustörungen im Stoffwechsel kleiner, biochemisch aktiver Moleküle (Tab. 1). Beispiele für Neurodegeneration/Speicherung finden sich in den Abb. 23 und 4.

Tab. 1 Angeborene Stoffwechselstörungen – klinische Bilder
Abb. 2
figure 2

Glykogenose Typ II (Morbus Pompe, lysosomale Speichererkrankung), 7 Monate alter Patient. Routinelabor ergab erhöhte Kreatinkinasekonzentration. Charakteristisches Elektrokardiogramm (50 mm/s und 10 mm/mV; verkürzte PQ-Zeit, ausgeprägte linksventrikulare Hypertrophiezeichen); Thoraxröntgenbild mit ausgeprägter Kardiomegalie und -pathie. Bei M. Pompe kann erhöhte Kreatinkinasekonzentration hinweisend sein. Für M. Pompe steht seit 2006 eine Enzymersatztherapie zur Verfügung (© D. Karall)

Abb. 3
figure 3

Defizienz der lysosomalen sauren Lipase (LAL). In neonataler Ausprägung ernste, vital gefährdende Erkrankung (Morbus Wolman); in milderer, nach Neugeborenenalter auftretender Form Bild wie bei nicht alkoholischer Steatose der Leber mit allerdings fortschreitender Lebererkrankung mit Zirrhose und Gefäßbeteiligung (Atherosklerose). Routinelabor zeigt Bild einer Hepatopathie mit erhöhten Leberfunktionsproben, besonders Glutamat-Pyruvat-Transaminase, und Dyslipidämie (Low-density-Lipoprotein erhöht auf >160 mg/dl und High-density-Lipoprotein erniedrigt auf <40 mg/dl). Sicherung der Diagnose durch Bestimmung der enzymatischen Aktivität der LAL in Trockenblut. Für LAL-Defizienz steht seit 2 Jahren eine Enzymersatztherapie zur Verfügung [3]. (a mod. nach [4]; b mod. nach [5], © 2004, mit Genehmigung von Elsevier)

Abb. 4a,b
figure 4

X-Adrenoleukodystrophie (X-ALD). Neurodegeneration bei Jungen im Schulalter mit X‑chromosomaler Adrenoleukodystrophie (ausgeprägte Leukodystrophie besonders um die Hinterhörner herum, kann aber auch frontal betont sein). Routinelabor ohne Auffälligkeiten; Suchtest: Bestimmung der überlangkettigen Fettsäuren im Plasma, die bei X‑ALD deutlich erhöht sind. Fallweise – nur im präsymptomatischen (?!) Stadium – Option zur Knochenmarktransplantation (© D. Karall)

Erkrankungen aus dem Spektrum der Energiedefizienz/Intoxikation betreffen meistens Störungen des mitochondrialen Stoffwechsels (Mitochondriopathien) bzw. des Abbaus von Kohlenhydraten, Aminosäuren und Fettsäuren, die dazu führen, dass nicht genug Substrat für die Versorgung der Organe zur Verfügung steht (Energiedefizienz) bzw. dass bei vermehrtem Bedarf oder in katabolen Situationen körpereigenes Fett oder Eiweiß abgebaut wird und der Anstau toxischer Metabolite zu dem Bild einer akuten Entgleisung führt (Intoxikation). Notfallmäßig muss bei dieser Erkrankungsgruppe im Routinelabor durchgeführt werden: eine venöse Blutgasanalyse (pH), die Bestimmung von Blutglukosekonzentration, von Blutammoniak- und Laktatkonzentrationen und der Ketonkörperkonzentration im Blut (meist aufwendig, daher Bestimmung im Harn über konventionelle Harnstreifen). Gezielte Suchtests sind die Bestimmung der Aminosäuren im Plasma (und Harn), die Bestimmung der organischen Säuren im Harn und die Bestimmung des Acylcarnitin-Profils im Trockenblut oder Plasma.

Neben der Einteilung in die 4 klinischen Bilder können gelegentlich auch Symptomkombinationen bzw. bestimmte Dysmorphien auf das Vorliegen einer angeborenen Stoffwechselstörung hinweisen.

Beim Smith-Lemli-Opitz-Syndrom (s. Abb. 5) handelt es sich um eine Störung in der Cholesterinbiosynthese, für die im Routinelabor ein niedriges Gesamtcholesterin im Plasma hinweisend ist. Die Betroffenen fallen auf mit Mikrozephalie und antevertierten Nares. Über 90 % zeigen eine Syndaktylie der 2. und 3. Zehe (Abb. 5). Der gezielte Suchtest ist eine Analyse der Sterole im Plasma, in der der Anstau von 7‑ und 8‑Dehydrocholesterol geprüft wird.

Abb. 5a–c
figure 5

Dysmorphie. Smith-Lemli-Opitz-Syndrom (Cholesterinbiosynthesestörung). Routinelabor: niedriges Cholesterin (© D. Karall). a 7 Tage alter Bub mit Smith-Lemli-Opitz Syndrom mit Mikrozepahlie und antervertierten Nares. b vorliegende Hypospadie passend zum Smith-Lemli-Opitz Syndrom. c Syndaktylie der 2./3. Zehe liegt bei über 90 % der Patienten mit Smith-Lemli-Opitz Syndrom vor

Eine Gruppe von Erkrankungen, die durch eine Multisystembeteiligung auffallen und fallweise auch charakteristische Symptomkombinationen zeigen, sind die kongenitalen Glykosylierungsstörungen (CDG; Beispiel CDG Ia in Abb. 6). Das Routinelabor kann Störungen in der Funktion glykosylierter Proteine zeigen, z. B. Erhöhung der Konzentration an Thyreoidea-stimulierendem Hormon, Gerinnungsstörungen. Der gezielte Suchtest für diese Gruppe von Erkrankungen ist die isoelektrische Fokussierung von Transferrin im Plasma. Eine ursächliche Therapie ist bisher nur für 2 der etwa 100 Erkrankungen aus dieser Gruppe verfügbar.

Abb. 6
figure 6

Kongenitale Glykosylierungsstörung CDG Ia, 4 Monate alter Patient. Sichtbare Zeichen: Inverse Mamillen (Typ Ia), Strabismus convergens, Lipodystrophie bes. gluteal (Skelettdysplasien), Muskuläre Hypotonie, Mentale Retardierung, Epilepsie, Neuropathie/Areflexie, Hepatopathie, Hypothyreose, zerebelläre Ataxie; b zerebelläre Atrophie (© D. Karall)

Fazit

Bei ungewöhnlichen Symptomkombinationen oder klinischen Verläufen erhebt sich der Verdacht auf das Vorliegen einer angeborenen Stoffwechselstörung. Manche Parameter aus dem Routinelabor können hilfreich sein, meistens ist für die Eingrenzung der Diagnose die Durchführung gezielter Suchtests (selektives Screening; Tab. 2) erforderlich. Die Verdachtsdiagnose wird im Idealfall enzymatisch und/oder molekulargenetisch gesichert. Vorrangiges Ziel ist, für Erkrankungen mit therapeutischer Option so bald wie möglich eine Diagnose zu stellen, um mögliche Folgeschäden zu minimieren, eine gute Entwicklung zu ermöglichen und eine gute Lebensqualität zu erreichen.

Tab. 2 Gezielte Laborsuchtests (selektives Screening)