1 Einleitung

Dieser Artikel schließt sich an den Artikel „Das Haus der Vierecke – aber welches“ von Klaus Volkert, [14], an, in welchem er verschiedene lokale Ordnungssysteme für Vierecke untersucht. Wir werden die, auch von Volkert präferierte, merkmalsorientierte Ordnung um einen neuen Blickwinkel ergänzen, welcher weitere Erkenntnisse von Seiten der SchülerFootnote 1 zulässt und den Aufbau der Ordnung vereinfacht.

Zunächst wollen wir kurz die verschiedenen Möglichkeiten für lokale Ordnungen der Vierecke abgrenzen, um anschließend die merkmalsorientierte Ordnung genauer zu betrachten. Ausgehend von den Kriterien, die Volkert an eine solche Ordnung stellt, entwickeln wir sowohl die Ordnung als solche als auch den Aufbau der Ordnung weiter. Als Ergebnis dieses Prozesses werden wir den Ordnungsgraphen eines Merkmalssystems erstellen, dieser ist eine Erweiterung des klassischen Hauses der Vierecke.

Wir werden in diesem Artikel immer von einer Ordnung sprechen, wenn es sich um ein durch Inklusion geordnetes Mengensystem handelt, formal werden solche Systeme auch als Verband bezeichnet. Im Gegensatz dazu ist der hier entwickelte Ordnungsgraph ein Multigraph. Er kann also mehrfache Kanten zwischen zwei Objekten enthalten und Kanten zwischen Objekten auf verschiedenen Ebenen. Ein zweiter wesentlicher Unterschied zwischen dem Zugang von Volkert und unserem Ansatz ist das Entstehen der Ordnung, bzw. des Ordnungsgraphen. Bei Volkert wird die Menge aller möglichen Objekte durch eine „Flurbereinigung“ auf die Ordnung reduziert. Der Ordnungsgraph hingegen entsteht durch einen schrittweisen Aufbau, welchen wir auch als natürliches Wachstum bezeichnen.

Am Ende des Artikels betrachten wir die Eigenschaften des Ordnungsgraphen und dessen Vor- bzw. Nachteile gegenüber dem klassischen Ansatz. Abschließend folgt ein Ausblick für die Anwendbarkeit in der Schule.

Bevor wir in eine vertiefte Analyse eintauchen, sind sowohl der Begriff „Viereck“ als auch der Begriff „allgemeines Viereck“ zu klären. Unter einem Viereck verstehen wir einen geschlossenen ebenen Polygonzug aus vier Kanten, wobei je drei der Endpunkte der Kanten nicht kollinear sind. Diese Definition lässt sowohl nicht konvexe, als auch überschlagene Vierecke zu, aber keine entarteten Vierecke. Man kann alle folgenden Überlegungen auch mit nicht konvexen und überschlagenen Vierecken anstellen, wir wollen uns aber, um technische Details zu vermeiden, auf konvexe, daher auch nicht überschlagene, Vierecke einschränken.

Den Begriff „allgemeines Viereck“, wollen wir hier verwenden, wie er in den betrachteten Publikationen verwendet wird, daher als Viereck, ohne weitere Einschränkungen. Im alltäglichen Sprachgebrauch und auch im Schulischen wird der Begriff auch anders verwendet, dort ist ein allgemeines Viereck ein Viereck, das kein besonderes ist. In unserem Sinne ist also ein Quadrat ein allgemeines Viereck. Anders formuliert ist ein allgemeines Viereck ein beliebiges Viereck aus der Menge der Vierecke. Man könnte daher auch nur von Viereck sprechen, der Zusatz „allgemein“ verdeutlicht jedoch, dass es sich um das allgemeinste Viereck handelt.

2 Ordnungen der Vierecke

Die Ordnung der Vierecke ist nicht nur ein typisches Problem aus dem Geometrieunterricht der Mittelstufe, sowohl im deutschsprachigen als auch im angelsächsischen Raum, sondern auch historisch bedeutsam. Wir wollen die wichtigsten Entwicklungen hier kurz basierend auf Josefsson und Volkert, [7, 14], zusammenfassen.

Bereits Euklid entwirft ein erstes „Haus der Vierecke“, indem er verschiedene Klassen von Vierecken gegeneinander abgrenzt. Er ging dabei vom Quadrat aus und bestimmte die anderen Vierecke dadurch, welche Eigenschaften sie nicht haben. Dieses Vorgehen wurde in der Antike weiterverfolgt und ist auch bei Poseidonios und Proklos zu finden. Das System nach Proklos ist in dem Artikel von Volkert, [14, Abb. 1], dargestellt und übernommen in Abb. 1. Dabei wird gestuft vorgegangen und Proklos entwirft einen Baum, an dessen Wurzel sich das allgemeine Viereck befindet. An jeder Verzweigung unterteilt sich die Menge der betrachteten Vierecke in diejenigen, die eine gewisse Eigenschaft haben, bzw. nicht haben. Siehe hierzu auch die kommentierte Übersetzung der Elemente nach Heath, [4]. Im Unterschied zu Euklid wird hier also nicht vom Quadrat ausgegangen, sondern vom allgemeinen Viereck, es wird also von allgemein in Richtung speziell gearbeitet anstatt umgekehrt.

Abb. 1
figure 1

„Haus der Vierecke“ nach Proklos, siehe auch [4] oder [14]

Die Konsequenz dieses Vorgehens ist eine exklusive Definition, vgl. [7], der einzelnen Klassen von Vierecken, beispielsweise ergibt sich: Ein Rechteck ist ein Viereck mit parallelen Seiten und rechten Winkeln, das unterschiedlich lange Seiten hat. Ein Quadrat ist für die alten Griechen also kein Rechteck. De Villiers, [12], führt aus, welche Probleme diese Art der Definition mit sich bringt. Trotz allem war diese Art der lokalen Ordnung der Vierecke bis ins 20. Jahrhundert in den meisten Schulbüchern der Standard. Dies ist wenig überraschend, da die Elemente des Euklid die Grundlage des Mathematikunterrichts bildeten, vgl. [14] und den darin enthaltenen Verweis auf [2]. Vor allem für das Trapez hält sich die exklusive Definition, beispielsweise findet sich im Lambacher Schweizer von 1970, [10]: „Ein Viereck mit genau zwei parallelen Seiten heißt Trapez.“ Hier ist also ein Quadrat kein Trapez. In der nachfolgenden Reihe, der karierten Reihe des Lambacher Schweizer, [15], findet sich dann als auch in allen nachfolgenden Reihen eine inklusive Definition: „[…] alle Vierecke mit (mindestens) zwei parallelen Seiten; solche Vierecke heißen Trapeze.“

Alternativ zum exklusiven Aufbau ist der inklusive, siehe hierzu auch [7]. Hierbei wird im Haus der Vierecke eine Kante als Spezialisierung, bzw. Generalisierung, begriffen, vgl. [12]. Es lassen sich also Vierecke bezüglich der Inklusionsordnung der ihnen zugrunde liegenden Mengen ordnen, im Sinne von beispielsweise „die Menge der Quadrate ist eine Teilmenge der Menge der Rechtecke“ oder um es in der schultypischen Sprache zu formulieren: „Jedes Quadrat ist ein Rechteck, aber nicht jedes Rechteck ist ein Quadrat“. Hierbei steht die Definition der Klasse der Vierecke vor der Ordnung und bestimmt diese, bei Euklid ist dies umgekehrt, dort wird zunächst die Ordnung festgelegt, welche dann die Klassen der Vierecke definiert. Ein Problem der Inklusionsordnung ist, dass das System als solches nie vollständig sein kann und sich immer weitere Klassen von Vierecken einbauen lassen. Zusätzlich erscheint die Auswahl der präsentierten Vierecke willkürlich, da sie nicht durch eine innere Struktur des Systems aufgeprägt ist, vgl. [6]. Deutlich wird das im Vergleich mit dem antiken Ansatz, da dort die Ordnung vorgegeben wird, gibt es nur eine gewisse Anzahl an zu betrachteten Fällen, welchen dann per Definition eine Klasse von Vierecken zugeordnet wird. Im modernen Setting wählt man jedoch eine beliebige Menge an Klassen von Vierecken aus, welche man dann ordnen möchte. Die Auswahl als solche ist jedoch beliebig, auch wenn es natürlichere Wahlen als andere gibt, und kann nicht durch die Ordnung vorgegeben werden, da diese a priori nicht existiert.

Um Vollständigkeit zu erreichen, wird eine Struktur gebraucht, welche der Ordnung zugrunde liegt. Hierfür eignet sich ein merkmalsorientiertes System, vergleiche [14]. Hierbei wird eine gewisse Auswahl an Merkmalen getroffen, anhand derer die Ordnung erstellt werden soll. Es ergibt sich eine natürliche Hierarchie der Vierecke, da diese die Merkmale haben können oder eben nicht. Beispielsweise hat ein Quadrat das Merkmal „gleichlange Seiten“, ein Rechteck jedoch nicht, anderseits hat das Quadrat alle Merkmale des Rechtecks, weshalb das Rechteck dem Quadrat in der Hierarchie untergeordnet wird. In diesem Sinne ist also jedes Quadrat auch ein Rechteck. Auch ohne eine Behandlung dieses theoretischen Rahmens wird in vielen Artikeln zur Ordnung der Vierecke ein merkmalsorientiertes System verwendet, vgl. [1, 5, 6, 8, 9, 11, 13, 16]. Wir können diesen Zugang, zumindest aus der Sichtweise eines modernen Mathematikers, als natürlich erachten.

Es schließt sich die Frage an, welche Merkmale für eine Ordnung, im schulischen Kontext, ausgewählt werden sollen. Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten und genau das hat seinen besonderen Reiz, da das Feld auf diese Weise sehr vielfältig bleibt und stets neu entdeckt werden kann. Es lassen sich jedoch Kriterien formulieren, die ein solches System, für den schulischen Gebrauch, haben sollte. Volkert formuliert sechs Ziele, die ein System von Merkmalen haben sollte, [14, S. 28 u. 29]:„

  1. 1.

    Das System sollte reichhaltig sein, in dem Sinne, dass es möglichst viele der in der Schule gängigen Viereckstypen explizit erfasst.

  2. 2.

    Das System sollte folgerichtig sein, das heißt, es sollte ein Aufbauprinzip konsequent durchgehalten und keine systemfremden Ad-hoc-Ergänzungen vorgenommen werden.

  3. 3.

    Das System sollte einsichtig und übersichtlich sein.

  4. 4.

    Das System sollte so geartet sein, dass es die Übertragung von Aussagen zulässt.

  5. 5.

    Das Aufbauprinzip des Systems sollte vielfältige selbstständige Schüleraktivitäten zulassen.

  6. 6.

    Das Aufbauprinzip sollte nicht zu schwierig sein; es sollte sich an den Schülern vertrauten Vorstellungen orientieren.“

Punkt vier bedarf einer weiteren Erläuterung, [14, S. 29]: „Ein weiteres Ziel […] ist […] die logische Schulung (Pugehl 1917, 96), vor allem in Hinblick auf die Erblichkeit von Aussagen und das Verhältnis der Definitionen untereinander. […] [Daher] ist es darüber hinaus vorteilhaft, dass die klassifizierenden Merkmale […] nicht unabhängig voneinander sind.“ Der Punkt zielt also darauf ab, dass die Abhängigkeit der Merkmale ausgenutzt werden kann und somit das gleiche Argument an verschiedenen Stellen in der Entstehung der Ordnung auftritt.

Diese sechs Ziele werden auch für die Bewertung des neu erarbeiteten Ordnungsgraphen herangezogen werden.

3 Merkmalsorientierte Ordnungen

Wir betrachten in diesem Absatz merkmalsorientierte Ordnungen genauer und werden insbesondere ein Beispiel heranführen, welches wir später zum Vergleich nutzen werden.

Für eine Merkmalsmenge gibt es zwei natürliche Weisen sie zu klassifizieren. Die erste ist die Anzahl der betrachteten Merkmale, Volkert spricht hierbei von einem Zwei-Merkmale- bzw. Drei-Merkmale-System. Die zweite ist die Art der betrachteten Merkmale. Merkmale lassen sich, nach Volkert, in drei Klassen einteilen, [14, S. 20]:

  • Primäre Merkmale, also solche, die sich auf Stücke beziehen, welche direkt in die Definition der Viereckstypen eingehen oder sich hieraus unmittelbar ergeben: Parallelität von Seiten, Längengleichheit von Seiten, Maßgleichheit von Winkeln, Vorliegen rechter Winkel.

  • Sekundäre Merkmale, also solche, die man gängiger Weise mit Vierecken verbindet: Länge und relative Lage der Diagonalen oder der Mittenlinien.

  • Tertiäre Merkmale, wie beispielsweise Symmetrien, Existenz von In- und/oder Umkreis, Existenz von Ankreisen.

Vereinfacht halten wir fest, primäre Merkmale sind direkt im Viereck erkennbar, für sekundäre Merkmale müssen einfache Hilfslinien eingezeichnet werden und für tertiäre Merkmale muss die weitere Struktur des Vierecks untersucht werden. Volkert ergänzt außerdem: „Sekundäre Merkmale sind solche, die jedes Viereck besitzt, während das bei tertiären nicht der Fall ist.“

Zum Aufbau einer merkmalsorientierten Ordnung wählt man eine beliebige Menge an Merkmalen aus, zum Beispiel: Hat eine Punktsymmetrie, hat mindestens eine oder zwei Symmetrieachsen durch die Ecken und hat mindestens eine oder zwei Symmetrieachsen durch die Seitenmitten. Dann erzeugt man formal die Menge aller Kombinationen dieser Merkmale, siehe Abb. 2. In der Grafik sind die jeweiligen Eigenschaften durch ein Tripel repräsentiert, dabei gibt die erste Komponente an, wie viele Punktsymmetrien mindestens vorhanden sind, die zweite, wie viele Symmetrieachsen durch Ecken mindestens vorhanden sind und die dritte, wie viele Symmetrieachsen durch Seitenmitten mindestens vorhanden sind. Wir verwenden hier absichtlich die Produktschreibweise mit dem „\(\times\)“, um die Punktsymmetrie klar von den beiden Achsensymmetrien abzugrenzen.

Abb. 2
figure 2

Die aus dem Merkmalssystem der Symmetrien entstandene Hierarchie, wobei die erste Komponente die Punktsymmetrie kodiert und das hintere Tupel die Mindestanzahl der Symmetrieachsen, durch Ecken bzw. Seitenmittelpunkte

Es gibt durchaus natürlichere Wahlen für Merkmalssysteme, wie hier zum Beispiel die Idee als Merkmale die Symmetrien zu betrachten. Im Prinzip lassen sich aber beliebige Kombinationen betrachten. Die Abwägung, welche der Kombinationen sinnvoll ist, hängt vom Kontext der Betrachtung ab.

In dem so erhaltenen Diagramm, Abb. 2, treten jedoch Kombinationen auf, die so nicht möglich sind, weshalb eine „Flurbereinigung“ [14, S. 22], durchgeführt werden muss. Dies ist eine Konsequenz aus der Abhängigkeit der betrachteten Merkmale. Bei der „Flurbereinigung“ werden alle nicht möglichen Knoten gestrichen. Zusätzlich werden Kanten entweder auch gestrichen oder zusammengefasst. Die restlichen Knoten werden dann noch benannt, falls für diese eine übliche Bezeichnung existiert. Wir erhalten dann Abb. 3. Im Beispiel erkennen wir, dass sich die 18 Kombinationen auf sieben reduzieren. Wir müssen also über die Hälfte der Fälle streichen. Dies ist bei diesem Vorgehen nicht außergewöhnlich, es werden also zunächst viele Fälle betrachtet, die so nicht existieren können. Ein zweiter Punkt ist, dass die Anzahl an Kombinationen sehr schnell wächst und damit sehr unübersichtlich wird. Genau an diesem Punkt wollen wir ansetzen.

Abb. 3
figure 3

Ein Haus der Vierecke, entstanden aus dem Merkmalssystem der Symmetrien, wobei die erste Komponente die Punktsymmetrie kodiert und das hintere Tupel die Mindestanzahl der Symmetrieachsen, durch Ecken bzw. Seitenmittelpunkte. Dieses Diagramm erhält man nach dem Anwenden der „Flurbereinigung“

4 Merkmalsorientierte Ordnungsgraphen

Um dem Problem der „Flurbereinigung“ entgegenzuwirken und zusätzlich eine weitere Erkenntnis in das Ordnungssystem einfließen zu lassen, gehen wir einen alternativen Weg, der ein schrittweises natürliches Wachstum verfolgt.

Analog zum Vorgehen von Volkert wählen wir zunächst eine Menge von Merkmalen aus, anhand welcher wir die Ordnung durchführen wollen. Im Folgenden wollen wir dieser Menge von Merkmalen ein Merkmalssystem zuordnen. Das Merkmalssystem umfasst hierbei nicht nur die Art des Merkmals, sondern auch wie häufig das Merkmal auftreten kann: Zum Beispiel kann das Merkmal „hat einen rechten Winkel“ in einem Viereck bis zu viermal auftreten. Das Merkmal lässt sich also mittels \(\{0,1,2,3,4\}\) kodieren. Für das komplette Merkmalssystem ergibt sich dann das Produkt der einzelnen Mengen als Gesamtmenge. Diese betrachtet Volkert auch und „kürzt“ diejenigen Elemente, die nicht auftreten können.

Eine genauere Betrachtung liefert, dass es in der Lage der rechten Winkel verschiedene Optionen gibt: Zwei rechte Winkel können einander gegenüberliegen oder benachbart sein. Diese Optionen führen zu verschiedenen Vierecken, weshalb wir eine alternative Modellierung des Merkmals vornehmen können. Das Merkmal wird durch ein Quadrupel \((\alpha,\beta,\gamma,\delta)\in\{0,1\}^{4}\) modelliert, wobei \(\alpha=0\) bedeutet, dass \(\alpha\) kein rechter Winkel ist, \(\alpha=1\) bedeutet, dass \(\alpha\) ein rechter Winkel ist usw. Hierbei lassen sich einige Quadrupel identifizieren, da die Benennung der Ecken nicht eindeutig ist, eine zyklische Permutation des Tupels ändert beispielsweise die Merkmale des Vierecks nicht. Diese Identifikation kann je nach Art des Merkmals unterschiedlich aussehen. Die zyklische Vertauschung ist jedoch immer vorhanden, da sie aus der nicht kanonischen Wahl der Benennung der Ecken hervorgeht.

Zusammenfassend ist ein Merkmalssystem die Menge aller zu betrachtenden Merkmale und ihre Kodierung als Tupel modulo der Identifikationen. Die zusätzliche Notation der Kodierung ist notwendig, da sich diese nicht kanonisch aus dem Merkmal ergibt.

Ausgehend vom Merkmalssystem wollen wir den zugehörigen Ordnungsgraphen erzeugen. Im Gegensatz zu Volkert erzeugen wir nicht alle formal möglichen Kombinationen und kürzen dann, sondern starten mit dem allgemeinen Viereck als Ausgangsknoten. Dem allgemeinen Viereck sind keinerlei Merkmale aufgeprägt, weshalb es in jedem Ordnungsgraphen vorkommt. Zum allgemeinen Viereck können wir ein weiteres Merkmal – aus dem Merkmalssystem – fordern, dies erzeugt einen neuen Knoten im Graphen und einen Pfeil, der dem geforderten Merkmal zugesprochen wird.Footnote 2

An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass wir hier vom Allgemeinen ausgehend zum Speziellen arbeiten müssen, da a priori nicht klar ist, welches das speziellste Viereck ist, welches sich durch unser Merkmalssystem charakterisieren lässt. Beispielsweise ist im unten betrachteten Merkmalssystem das speziellste Viereck die Raute, siehe auch Abb. 4.

Abb. 4
figure 4

Blaue Pfeile entsprechen der Forderung, dass benachbarte Seiten gleich lang sind. Rote Pfeile entsprechen der Forderung, dass gegenüberliegende Seiten gleich lang sind. Die Variablen \(a\), \(b\), \(c\) und \(d\) bezeichnen hierbei die Seitenlängen

Als erstes Beispiel betrachten wir das Zwei-Merkmal-System mit den Merkmalen „benachbarte Seiten sind gleich lang“ und „gegenüberliegende Seiten sind gleich lang“. Wir diskutieren nun den Aufbau von Abb. 4. Zunächst ist klar, dass sich ausgehend vom allgemeinen Viereck zwei Kanten ergeben. Die blaue Kante entspricht der Forderung nach zwei benachbarten gleich langen Seiten. Die rote Kante fordert zwei gegenüberliegende gleich lange Seiten. Wir bezeichnen die Seitenlängen im Folgenden mit \(a\), \(b\), \(c\) und \(d\).

In der nächsten Ebene betrachten wir den Knoten \((a=b,c,d)\). Hier spielt die oben erwähnte Identifizierung von Tupel eine entscheidende Rolle, es ist klar, dass die Klasse des Vierecks nicht davon abhängen sollte, ob \({(a=b,c,d)}\), \({(a,b=c,d)}\), \({(a,b,c=d)}\) oder \({(d=a,b,c)}\) gilt. Vom Knoten aus gibt es zwei Möglichkeiten die Forderung nach gleich langen benachbarten Seiten umzusetzen, entweder ist die Seite gleich lang wie eine des Paares, das schon gleich lang ist, oder es gibt zwei Paare gleichlanger Seiten, also einen Drachen. Für die rote Kante gibt es nur eine mögliche Anwendung, welche auch zum Knoten \((a=b=c,d)\) führt. Anders verhält sich das beim Knoten \((a=c,b,d)\), dort kann jede Forderung nur auf eine Art umgesetzt werden. Festzuhalten ist also, dass sich die beiden Eigenschaften unterschiedlich verhalten, dies wäre ohne die zusätzlichen Kanten am Diagramm nicht erkennbar. Eine weitere Beobachtung ist, dass der Endknoten uns das speziellste Viereck liefert, welches sich mit diesen Merkmalen charakterisieren lässt. Da wir in diesem Merkmalssystem keine Winkel betrachten, ist das speziellste Viereck in diesem System die Raute.

Um die beiden Vorgehensweisen besser vergleichen zu können, betrachten wir als weiteres Beispiel das Merkmalssystem der Symmetrien und vergleichen dann den entstandenen Ordnungsgraphen mit Abb. 3. Das Merkmalssystem der Symmetrien entspricht \(\{0,1\}\times\{0,1,2\}\times\{0,1,2\}\), wobei die erste Komponente das Vorhandensein einer Punktsymmetrie kodiert, die zweite die Mindestanzahl der Symmetrieachsen durch die Ecken und die dritte die Mindestanzahl der Symmetrieachsen durch die Seiten. Wir fassen die beiden letzten Komponenten zu einem Tupel zusammen, welches dann die Achsensymmetrien kodiert. Wir können also ausgehend vom allgemeinen Viereck drei Kanten einzeichnen, vergleiche Abb. 5, zur besseren Unterscheidung werden diese farblich markiert. Hierbei entspricht der blaue Pfeil der Forderung nach einer Symmetrieachse durch Ecken, der orange der Forderung nach einer Punktsymmetrie und der grüne der Forderung einer Symmetrieachse durch gegenüberliegende Seitenmitten. In der ersten Ebene passiert somit das Gleiche wie in Abb. 3, mit dem Zusatz, dass hier die Pfeile eine zusätzliche Information tragen. Betrachten wir den Knoten des Drachen \((0)\times(1,0)\) können wir für diesen drei verschiedene weitere Merkmale fordern, es würde sich \((1)\times(1,0)\), \((0)\times(2,0)\) oder \((0)\times(1,1)\) ergeben. Man überprüft jedoch schnell, dass die geforderten Symmetrien weitere implizieren, wir erhalten also statt \((1)\times(1,0)\) direkt \((1)\times(2,0)\), statt \((0)\times(2,0)\) auch \((1)\times(2,0)\) und statt \((0)\times(1,1)\) sogar \((1)\times(2,2)\). Diese Knoten werden im Graphen ergänzt und für jede mögliche Forderung eine Kante gezeichnet und diese analog zur Ebene eins farblich markiert. Genauso verfahren wir mit den anderen Knoten und es ergibt sich Abb. 5.

Abb. 5
figure 5

Der Ordnungsgraph, entstanden aus dem Merkmalssystem der Symmetrien. Hierbei kodiert die erste Komponente die Mindestanzahl an Punktsymmetrien, die zweite die Mindestanzahl an Symmetrieachsen durch Ecken und die dritte die Mindestanzahl an Symmetrieachsen durch Seitenmitten. Die Farben der Pfeile kodieren, welche Art Symmetrie bei der Spezialisierung entlang des Pfeils gefordert ist. Blau entspricht der Forderung nach mindestens einer weiteren Symmetrieachse durch die Ecken, Orange der Forderung nach einer Punktsymmetrie und Grün der Forderung nach mindestens einer weiteren Symmetrieachse durch die Seitenmitten

5 Vergleich der Ansätze

Wir werden die beiden Verfahren miteinander vergleichen und dabei insbesondere auf das Beispiel des Merkmalssystems der Symmetrien eingehen, siehe auch Abb. 3 und Abb. 5.

Nach beiden Verfahren findet man die gleiche Menge an Vierecken, es stellt sich also auch weiterhin die Frage, welche Merkmale betrachtet werden sollten, um eine reichhaltige Auswahl zu erhalten.

Der Vorteil am schrittweisen erzeugen mittels des Ordnungsgraphen liegt in der Übersichtlichkeit in jedem Schritt. Die Schüler werden bei diesem Vorgehen nie mit dem kompletten formalen System konfrontiert, welches zur Unübersichtlichkeit neigt, betrachte hierzu beispielsweise das Diagramm in [7, S. 81] oder die mengentheoretische Darstellung in [8]. Es ist jedoch zu bedenken, dass auch hier durch eine zu große oder unpassende Auswahl an Merkmalen eine Überforderung auftreten kann. Insbesondere, da es für die einzelnen Merkmale an jedem Knoten eine Kante gibt erreicht der Graph auch schnell eine gewisse Unübersichtlichkeit. Kompensiert wird das in gewissem Maße jedoch durch den schrittweisen Aufbau.

Weiterhin verdeutlicht das Vorgehen die inklusive Definition der Vierecke, da man zum Erzeugen immer eine weitere Eigenschaft hinzu fordert, beispielsweise liest sich aus Abb. 5 direkt ab, dass eine Raute ein Drachen mit einer weiteren Achsensymmetrie durch Ecken ist oder auch, dass eine Raute ein Drachen mit einer Punktsymmetrie ist. Dies ist eine Weiterführung des Gedankens „Jede Raute ist ein Drachen“, welcher für Schüler bei ihrer ersten Begegnung mit lokalen Ordnungen zu Problemen führen kann, vergleiche [12]. Die Unterscheidung der verschiedenen Merkmale führt somit zu verschiedenen Kanten im Diagramm, was einen wesentlichen Unterschied der beiden Ansätze ausmacht.

Noch entscheidender ist das Vorhandensein von Kanten über eine Ebene hinweg, wie die grüne Kante in Abb. 5 vom Drachen zum Quadrat. Die Bedeutung dieser Kante ist, dass gewisse Merkmale als Folgerung so viele weitere Merkmale implizieren, dass man eine Ebene überspringt. Die Kante ist also nicht nur eine Verkettung von Pfeilen durch die Raute hindurch, da die Kante selbst Information trägt. Formaler formuliert ist die Bedeutung dieser Kante, dass ein Drachen mit mindestens einer Achsensymmetrie durch Seitenmitten ein Quadrat ist. Die beiden anderen vom Drachen ausgehenden Kanten führen zur Raute, da ein Drachen mit einer weiteren Achsensymmetrie durch Ecken eine Raute ist und ein Drachen mit einer Punktsymmetrie auch eine Raute ist. Aus diesem Grund gibt es zwischen dem Drachen und der Raute zwei Pfeile, den orangen und den blauen, für die Punktsymmetrie bzw. die Achsensymmetrie durch Ecken. In diesem Sinne ist der Ordnungsgraph auch ein Multigraph da hier mehrere Kanten zwischen denselben Knoten vorkommen. Hierbei ist wieder entscheidend, dass die Kante an sich schon Information enthält, ansonsten wären die zusätzlichen Kanten redundant. Die Schüler erkennen also, dass nicht alle Merkmale gleichberechtigt sind, sondern zwischen diesen gewisse Abhängigkeiten existieren. Beispielsweise erkennt man in Abb. 5, die Symmetrie der Merkmale der Achsensymmetrien, diese sind also gleichberechtigt, wohingegen in Abb. 4 die beiden Merkmale nicht gleichberechtigt sind. Die Untersuchung der Abhängigkeiten der Merkmale bietet ein weiteres Feld zur Erkundung.

Ein weiterer Vorteil des Ordnungsgraphen ist, dass sich an ihm direkt ökonomische inklusive Definitionen als Pfade vom allgemeinen Viereck aus ablesen lassen. Zum Beispiel ergeben sich aus dem Pfad über das Parallelogramm zur Raute folgende Definitionen, indem man die Pfeile beachtet:

  • Eine Raute ist ein Parallelogramm mit einer Symmetrieachse durch die Ecken,

  • Eine Raute ist ein Viereck mit einer Punktsymmetrie und einer Symmetrieachse durch die Ecken.

Auf diese Weise lassen sich noch weitere gleichberechtigte Definitionen der einzelnen Vierecke ablesen. Die verschiedenen Pfade bieten Schülern somit einerseits ein Erkundungsfeld für Definitionen und betonen andererseits die Ordnung der Vierecke, da die Pfade hin zu einem Viereck durch eine Auswahl dessen untergeordneter Vierecke laufen.

Ich bin daher der Überzeugung, dass dieser Ansatz zu einer intensivierten Auseinandersetzung seitens der Schüler, sowohl für das Definieren als auch für das lokale Ordnen, genutzt werden kann.

6 Ausblick auf die schulische Anwendung

Zur schulischen Umsetzung des Ordnungsgraphen braucht es noch eine didaktische Überarbeitung und vor allem Reduktion. Der Zugang bietet jedoch ein so reichhaltiges Feld, dass dies lohnend erscheint. Wir wollen im Folgenden die möglichen Arbeitsfelder für Schüler im Kontext des Ordnungsgraphen anreißen.

Naheliegend ist natürlich zunächst das Herausarbeiten von Merkmalen bei der Untersuchung von Vierecken. Dies führt zu einer Menge an Merkmalen, von welchen einige für ein Merkmalssystem ausgewählt werden. Dieser erste Schritt bietet die Grundlage und schließt an die Betrachtung von Vierecksarten an.

Ausgehend von den Merkmalssystemen erarbeiten die Schüler dann den Ordnungsgraphen und entdecken so neue Arten von Vierecken und deren Beziehungen zueinander. Sie können auch die Abhängigkeiten der Merkmale selbst entdecken. Diese Tätigkeit leitet über zum Definieren als mathematische Tätigkeit, da die Notwendigkeit über die neuen Vierecksarten zu sprechen deren Benennung erfordert. Weiterhin wird während der Erarbeitung des Ordnungsgraphen das mathematische Argumentieren gefördert und gefordert, insbesondere ist hier hervorzuheben, dass sich dasselbe Argument in mehreren Situationen anwenden lässt, vergleiche hierzu Punkt vier aus dem Kriterienkatalog.

Dieser kurze Anriss ist natürlich noch kein ausgearbeiteter Unterrichtsgang, bietet jedoch einen Orientierungspunkt, wie und mit welchem Ziel der Ordnungsgraph in den Unterricht einfließen kann.