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Einstein – der Name zieht immer. Und so prangt der Name in großen Lettern auf dem BuchdeckelFootnote 1. Wer das Buch kauft und denkt, es ginge hier um Einstein, wird jedoch ziemlich enttäuscht sein – oder hätte besser auf das Klein(er)gedruckte achten sollen. Einsteins Name wird nämlich attributiv verwendet, und so erzählt Judith R. Goodstein eigentlich die Geschichte zweier herausragender italienischer Mathematiker, deren Namen zumindest den Absolventen eines Mathematik- oder Physikstudiums wohlvertraut sein dürften: Ricci und Levi-Civita.

1 Biographie

Vor der eigentlichen Besprechung möchte der Rezensent die im Buch genannten Lebensdaten der beiden Protagonisten zusammenfassen und die Gebiete, in denen ihr wissenschaftliches Hauptwerk verortet werden kann, benennen.

Gregorio Ricci CurbastroFootnote 2 wurde 1853Footnote 3 in Lugo di Romagna in eine wohlsituierte Familie geboren. Von Privatlehrern ausgebildet, begann er 1869 zunächst an der päpstlichen Universität in Rom ein Mathematikstudium, welches er infolge der Wirren beim Untergang des Kirchenstaats 1870 mit einem Bachelordiplom in der Tasche unterbrach und 1871 an der Universität von Bologna fortsetzen wollte. Da er jedoch kein Abitur hatte, mußte er erst eine Ehrenrunde am Technischen Institut in Bologna drehen, bevor er dann 1872 an der Universität zugelassen wurde. Da Bologna Mobilität fördert, wechselte er im Jahr darauf schon wieder – nun an die Exzellenzuni Scuola Normale Superiore di Pisa. 1875 wurde er dort, betreut von Ulisse Dini, in Mathematischer Physik promoviert. 1876 kam die Habilitation hinzu, wodurch er Mathematik an Gymnasien unterrichten durfte. Er strebte jedoch eine Unikarriere an, und so zog es ihn – einem Stipendium sei Dank – 1878 für ein Jahr zu Felix Klein nach München, bevor er eine Assistenzstelle bei Dini erhielt. Im Dezember 1880 wurde er Extraordinarius für Mathematische Physik an der Universität von Padua und schließlich ebenda Ordinarius für Algebra 10 Jahre später. Seine wohl bedeutendste Leistung für die Mathematik war die Entwicklung des absoluten Differentialkalküls, der heute als Tensorkalkül oder auch als Ricci-Kalkül bekannt ist und 1915 das mathematische Fundament der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein wurde. Später erhielt Ricci Mitgliedschaften in verschiedenen Akademien und verstarb 1925.

Tullio Alessandro Levi-Civita wurde 1873 in Padua geboren und wuchs dort gleich neben der Uni auf. Auch er hatte zunächst Privatunterricht erhalten, bevor er mit 10 Jahren an ein humanistisches Elitegymnasium wechselte, welches ihm zumindest in der Oberstufe eine umfangreiche naturwissenschaftliche Ausbildung ermöglichte. 1890 nahm er sein Studium an der Universität von Padua auf und wurde 1894 unter der Betreuung von Ricci in Mathematik con lode promoviert. Nach einem kurzen Intermezzo in Bologna kletterte er in Padua flugs die Karriereleiter mit den Zwischenstufen Assistent, Dozent und Extraordinarius nach oben, bis er 1902 zum Ordinarius für Mechanik ernannt wurde. 1918 wechselte er schließlich nach Rom, wo er die Professur für Höhere Analysis bekleidete. Im Vergleich zu Ricci war Levi-Civita mathematisch deutlich vielseitiger unterwegs, auch wenn sein Name heute vor allem mit seinen Beiträgen zur Analysis auf Mannigfaltigkeiten verbunden wird, die ihren Ausgangspunkt um 1900 in der Zusammenarbeit mit Ricci hatten. Wie dieser war Levi-Civita Mitglied mehrerer Akademien, wurde 1938 jedoch aufgrund seiner jüdischen Abstammung in fast jeglicher Hinsicht verbannt – sogar der Zugang zur Bibliothek wurde ihm verweigert. Er verstarb 1941.

2 Anliegen

Durch das vorliegende Buch will die Autorin nach eigener Aussage (Seite xi) die Rolle, die Ricci und Levi-Civita bei der Entwicklung der Einsteinschen Allgemeinen Relativitätstheorie gespielt haben, einem weiteren Kreis näherbringen. Ihr gehe es insbesondere darum, daß Ricci für seine Beiträge eine größere Anerkennung erhält als bislang; Einstein fungiere eher als Nebendarsteller und Verkörperung der Wichtigkeit von Ricci und Levi-Civita.

3 Aufbau

Der Hauptteil des Buches ist in drei Teile gegliedert und im wesentlichen chronologisch aufgebaut.

Kapitel 1 beleuchtet den familiären Hintergrund von Ricci, seine Jugend sowie seine Studien in Rom und Bologna. Pisa, genauer die Zeit bis zu seiner Habilitation, und München bei Felix Klein stehen im Fokus von Kapitel 2 bzw. 3. Daß Ricci im Hörsaal keine Rampensau war, dafür aber fast druckreif lehrte, vermittelt Kapitel 4, welches seinen Wechsel nach Padua und erste Anfänge in der Lehre beschreibt. Wer mehr über Familienleben in höheren Kreisen oder über Stellenpolitik anno 1887 erfahren will, dem seien die Kapitel 5 bzw. 6 empfohlen – auch zwecks Überprüfung, in welchem der beiden Bereiche es bis 2021 die größeren strukturellen Änderungen gegeben hat. Das Hauptwerk Riccis, der absolute Differentialkalkül, steht im Zentrum von Kapitel 7. Dabei wird kurz die grundlegende Idee der Kovarianz erläutert, letztlich aber doch eher auf die vergeblichen Versuche Riccis eingegangen, einen Wissenschaftspreis und folglich Anerkennung zu erlangen.

In Kapitel 8 tritt der zweite Hauptdarsteller auf die Bühne: Levi-Civita. Nach einer kurzen Beschreibung seines familiären Hintergrundes geht es jedoch erstmal wieder um die Qualen von Ricci, bis dieser endlich sein Upgrade zum Ordinarius erhält. Levi-Civitas Weg zur Professur wird dagegen als rasant und schnörkellos dargestellt. „Nichts als Ärger“ beschreibt weite Teile von Kapitel 9 aus der Sicht von Ricci: Zoff mit seiner Frau, Zoff mit Koenigs, Zoff mit Levi-Civita. Und natürlich wieder kein Preis. Dafür aber ein gemeinsamer Übersichtsartikel von Ricci und Levi-Civita in den Annalen.

Kapitel 10 erlöst den ungeduldigen Leser: Einstein tritt auf. In diesem und dem folgenden Kapitel blickt die Autorin aus zwei Perspektiven auf die Zeit zwischen den Veröffentlichungen der Speziellen und der Allgemeinen Relativitätstheorie. Zunächst (Kapitel 10) liegt der Schwerpunkt auf Einstein und seinem Umfeld, dann (Kapitel 11) auf Levi-Civita analog. Dementsprechend geht es einerseits um die Themen Minkowski und Raumzeit, Einstein und Äquivalenzprinzip, Grossmann und Differentialgeometrie; andererseits wird die Beziehung zwischen Levi-Civita und Abraham beschrieben, bevor der nur unidirektional erhaltene Briefwechsel von Einstein mit Levi-Civita zum dramatischen Höhepunkt des Buches wird. Die Zeit ab dem ersten Weltkrieg behandelt das Buch in Kapitel 12. Naturgemäß liegt der Schwerpunkt nun auf Levi-Civita. Nach eher privaten Abschnitten darf die italienische Reise von Einstein im Jahre 1921 nicht fehlen, als dieser sich nicht nur mit Levi-Civita in Bologna, sondern danach auch mit Ricci in Padua treffen konnte. Fehlen darf leider auch nicht die Schilderung von Levi-Civitas Kaltstellung durch die Faschisten.

Das Buch hat neben einer Reihe von Endnoten noch drei Anhänge. In Anhang A (geschrieben von Michele Vallisneri, der auch an Kapitel 10 mitgewirkt hat) werden nochmals das Prinzip der allgemeinen Kovarianz, dazu Elemente der Riemannschen Geometrie sowie der Einfluß der Theorie von Ricci und Levi-Civita auf die Entwicklung des Entwurfs einer Allgemeinen Relativitätstheorie von Einstein und Grossmann skizziert. Anhang B bietet eine englische Übersetzung des Nekrologs von Levi-Civita auf Ricci, Anhang C schließlich den Nachruf von Hodge auf Levi-Civita.

4 Einordnung

Am ehesten kann man das vorgelegte Buch als Biographie klassifizieren. Zum Roman fehlt die Fiktionalität, zur mathematikhistorischen Studie die Mathematik. Gerade letzteres enttäuscht angesichts des Anliegens des Buches. Hinzu kommt, daß einige Stellen, in denen dann doch mathematische Sachverhalte geschildert werden, recht oberflächlich und teils zumindest unsauber sind; Beispiele hierfür werden unten angegeben.

Letztlich skizziert das Buch vor allem die Persönlichkeitsprofile zweier Mathematiker: etwas überspitzt, eines Professors mit Minderwertigkeitskomplexen und eines Glückpilzes als seines Schülers. So wird Ricci im Buch fast durchgehend als bis in recht hohes Alter verkanntes Genie dargestellt, gegen das sich die halbe Welt verschworen hat. Es geht immer wieder darum, wer dank Mauscheleien Stellen oder Preise bekommen hat, die eigentlich er verdient habe. Besonders intensiv wird suggeriert, daß sein absoluter Differentialkalkül über lange Zeit keinerlei Anhänger gefunden habe, sondern vielmehr als zwar ganz nett, aber doch als technisch und unbrauchbar herabqualifizert worden sei. Gerade hier wird es spannend, nur löst das Buch die Spannung nicht auf. Es wäre (zumindest aus Mathematikersicht) wirklich hochinteressant zu diskutieren, inwieweit die Vorbehalte berechtigt gewesen sind. Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, daß sehr interessante Mathematik sich anfangs hinter einem vermeidbaren Wust an Technik versteckt hat.Footnote 4 Sicherlich könnte man anhand der Quellen sich selbst ein Bild machen. Zu einer wissenschaftshistorischen Abhandlung wird dieses Buch jedoch auch mangels detailliert geschilderter Analyse der mathematischen Quellen nicht; herausgepickt werden lediglich allgemeinere Zitate ohne technische Details, wodurch der entsprechend interessierte Leser sich etwas verlassen fühlen kann. Mit ähnlichem Unbehagen blieb der Rezensent nach der Passage zum Prioritätenstreit mit Koenigs (Seiten 72 und 73, mit Nachwehen bis Seite 76) zurück. Auch hier wäre für eine Urteilsfindung eine spezifischere Untersuchung hilfreich gewesen. So aber bleibt der Eindruck eines auf ewig Benachteiligten. Levi-Civita hingegen wird über lange Strecken als von der Sonne begünstigt beschrieben. Sieht man sich die nackten Fakten aber etwas genauer an, so schrumpfen die Unterschiede doch zusammen. Die gesicherte Position als Extraordinarius erhielt Levi-Civita beispielsweise nur etwa zwei Lebensjahre früher als Ricci. Zwar wurde Levi-Civita dann schneller zum Ordinarius befördert, allerdings darf man auch nicht vergessen, daß in seinen letzten Lebensjahren die Dunkelheit des faschistischen Italien über ihn hereinbrach und ihm seine Professur auf Basis der dortigen Rassengesetze wieder genommen wurde.

5 Kritik

Im folgenden soll auf einige, teils oben bereits angedeutete Kritikpunkte etwas konkreter eingegangen werden.

5.1 Kovarianz

Die Forderung nach Kovarianz, also die Forderung nach Unabhängigkeit der grundlegenden Differentialgleichungen der Physik von der Wahl der Variablen, wird im Buch als zentraler Gedanke hinter dem absoluten Differentialkalkül identifiziert und mehrfach diskutiert, zweimal sogar konkret. In beiden Fällen, also in Kapitel 7 (Seite 48) sowie im Anhang A (Seiten 136 und 137), geht es um den harmonischen Oszillator in zwei Dimensionen. Die Frage ist hier, wie die Schwingungsgleichung formuliert werden muß, damit sie sowohl im ruhenden als auch im rotierenden Bezugssystem dieselbe mathematische Gestalt hat.

Die Idee, die kovariante Ableitung an diesem Beispiel, also letztlich am Beispiel der Scheinkräfte Coriolis- und Zentrifugalkraft zu motivieren, gefällt dem Rezensenten hervorragend. Leider sind insbesondere die Erläuterungen auf den Seiten 136 und 137 mathematisch ziemlich bizarr.Footnote 5 Der Ausdruck

$$\omega\times\frac{d\tilde{x}^{i}}{dt}$$

in Gleichung (7) beispielsweise wird erklärt durch

[…] where the cross product “\(\omega\times\)” has the effect of multiplying a vector by \(\omega\), and rotating it by 90°.

Wenn man nicht weiß, worum es geht, fällt es schwer, diese Passage wirklich zu verstehen. Den vollen Differentialgeometriekalkül ins Rennen zu werfen wäre selbstredend übertrieben, aber unter Verwendung elementarer analytischer Geometrie, wie sie zumindest in der guten alten Zeit einmal Standardprogramm des Mathematikunterrichts in der Sekundarstufe II war, könnte man den gesamten Abschnitt deutlich straffen und klarer gestalten. Ein Beispiel hierfür wird im Anhang zu dieser Rezension angegeben.

Der in Rede stehende Abschnitt enthält aber noch weitere merkwürdige Aussagen wie z. B. auf Seite 136

For instance, non-vectors such as \((x^{2}y,xy^{2})\) cannot appear in rotationally covariant equations.

Warum \((x^{2}y,xy^{2})\) ein non-vector sein soll, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Ähnliche Kritikpunkte ließen sich auch für andere Teile des Anhangs auflisten, worauf hier aber verzichtet wird.

Unabhängig von den genannten Schwächen dieser Abschnitte bleiben sehr naheliegende Fragen jedoch weitgehend unbehandelt: Hatte auch Ricci dieses Beispiel als Motivation für die allgemeine Kovarianz vor Augen? Hatte er andere? Wie hatte er die kovariante Ableitung eingeführt? Das umfaßt gerade die Art mathematikhistorischer Fragen, deren Stellung, Diskussion und im Idealfall Beantwortung wünschenswert ist. Leider spielen diese Aspekte im Buch nur eine sehr untergeordnete Rolle. Eigenständige Analysen fehlen größtenteils; wenn die o. g. Aspekte gestreift werden, dann oft in Zitaten von Wissenschaftshistorikern. So wird auf Seite 48 Toscano mit

[T]he algorithm, already introduced by Christoffel—the covariant derivative—makes its first appearance [in Ricci’s 1886 paper] to generate the coefficients of a covariant quadratic differential form with respect to a given fundamental form.

zitiert. Und auf Seite 51 wird zumindest angedeutet, daß Ricci 1888 einige Gleichungen aus Mechanik bzw. Wärmelehre mit Hilfe der kovarianten Ableitung formuliert hat. Es ist unwahrscheinlich, daß es Ricci dabei belassen hat.

5.2 Faktencheck

In dieser Rubrik seien – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – einige weitere inhaltliche Ungereimtheiten aufgelistet.

  • Die Klammer in

    The distance between two points that are infinitesimally close together on a curved surface in such a manifold (now known as the Riemannian metric) […]

    auf Seite 31 ist zumindest sehr mißverständlich.Footnote 6

  • Die Angaben

    [Einstein] had discovered the year before [das heißt 1911] […] that the principle of equivalence “demand[ed] a deflection of the light rays passing by the sun with observable magnitude” […] However, astronomers on both sides of the Atlantic told him they needed a full solar eclipse to observe the almost imperceptible bending of light from the nearest stars, and the next one was not due until 1919.6 Einstein resigned himself to waiting another eight years for the right viewing opportunity to present itself.

    auf Seite 85 sind sehr merkwürdig. Einerseits wird in Endnote 6 zu Kapitel 10, auf die im obigen Zitat verwiesen wird, von der mißglückten 1914er Sofi-Expedition auf die Krim berichtet. Andererseits haben auch 1912, 1916 und 1918 totale Sonnenfinsternisse – und zwar in recht gut zugänglichen amerikanischen Gefilden – stattgefunden.Footnote 7 Selbst wenn also (im Gegensatz zur Erwartung) die Astronomen 1911 behauptet haben sollten, es gebe bis 1919 keine totalen Sonnenfinsternisse, so wäre zumindest ein einordnender Kommentar der Autorin angemessen gewesen. Es ist dabei müßig zu diskutieren, ob erst 1919 die tatsächliche Beobachtungsituation in puncto Wetter ideal gewesen ist, oder anzuführen, daß 1911 Einstein noch den falschen Wert prognostiziert hatte.

  • Die Behauptung

    In mathematics, on the other hand, there do not appear to have been any significant applications of the Ricci curvature between 1904 and the early 1980s, […]

    auf Seite 127 ist definitiv nicht haltbar – es sei denn, nicht einmal Fieldsmedaillen werden als Signifikanzindikator zugelassen. Bereits Mitte der 1950er Jahre hatte Calabi vermutet, daß eine gewisse Beziehung zwischen Kählerstrukturen, Ricci-Krümmung und erster Chernklasse besteht. Gut 20 Jahre später konnte Yau diese Vermutung beweisen – in der 1978 erschienenen Arbeit mit dem erfreulich vielsagenden Titel “On the Ricci curvature of a compact Kähler manifold and the complex Monge-Ampère equation, I”Footnote 8. Alsbald erhielt er den begehrten Preis.Footnote 9

  • Die Endnote 19 auf Seite 198 verwirrt:

    In simpler, modern terms, one speaks of a curved space embedded in a larger-dimensional Euclidian (i.e., flat) space. To move vectors along the curved surface, one follows their motion in the embedding space while projecting them “down” to the surface. […]

    Wenn dies stimmte, dann wäre die übliche Parallelverschiebung auf der Sphäre wohl kaum isometrisch.

Eher zum Schmunzeln regte dagegen Endnote 11 auf Seite 181 an:

The 1878-1879 academic year in Munich consisted of only two semesters: […]

As expected.

5.3 Übersetzungen

Sehr bedauerlich findet der Rezensent, daß nichtenglische Quellen fast ausschließlich in der englischen Übersetzung zitiert werden. Hier wäre die Angabe des jeweiligen Originals zumindest in einer Fußnote sinnvoll gewesen, damit der Leser sich (je nach Sprachkenntnissen) ggf. selbst ein Bild machen kann. Leider trägt die Autorin nämlich nicht wirklich dazu bei, Vertrauen in die Übersetzungen zu erwecken. An einer der wenigen Stellen, an der Original und Übersetzung stehen, liegt nämlich ein deutlicher Fehler vor. So steht auf Seite 50:

In the introduction to his classic paper Über die Transformation der homogenen Differentialausdrücke zweiten Grades (“On the transformation of homogenous differential equations of the second grade”), […]

Man kann sicherlich diskutieren, ob grade die richtige Übersetzung von „Grad“ ist, jedoch sind „Differentialausdrücke“ keine differential equations. Ein Blick in die Originalquelle zeigte dem Rezensenten, daß es sich nicht um eine zulässige Übertragung eines 150 Jahre alten Begriffes auf die Jetzt-Zeit handelt, da es in der besagten Arbeit tatsächlich um Terme, aber nicht um Gleichungen geht.

Auch an anderen Stellen blieb der Rezensent zunächst ratlos zurück. Den Begriff complementary algebra konnte er nicht ausfindig machen. Anhand italienischer Bücher, deren Titel algebra complementare enthalten, läßt sich vermuten, daß es sich schlicht um „Algebra“ handelt.Footnote 10 Auch der Begriff rational mechanics wird heutzutage nicht mehr (oder zumindest kaum noch) verwendet. Laut Wikipedia handelt es sich dabei um das Gebiet der klassischen Mechanik, was man wohl am besten einfach als mechanics übersetzt, auch wenn das italienische Original meccanica razionale (vgl. Endnote 9 auf Seite 194) gewesen sein dürfte.

5.4 Desiderata

Eine Übersicht über die Strukturen im italienischen Bildungswesen zwischen etwa 1860 und 1920 wäre sehr hilfreich gewesen. Es ist nicht auszuschließen, daß einem deutschen Leser durch die im Buch vorgenommene Übertragung der italienischen Gegebenheiten auf die amerikanischen Institutionen doch zuviele Informationen entgehen. Interessant wäre auch eine etwas systematischere Analyse der Verflechtung von Universitäten und Politik, die im Buch an vielen Stellen durchschimmert. Es wird ein bißchen der Eindruck erweckt, daß die vielen Kungelrunden und Hintertürgeschäfte auch durch eine recht hohe Zahl von Wissenschaftlern oder bisweilen besser: Wissenschaftsfunktionären in politischen Ämtern befördert wurden. Selbst Ricci war später stellvertretender Bürgermeister von Padua, saß dort im Stadtrat und war Ratsherr für Bildung.

6 Fazit

Judith R. Goodstein hat ein lesenswertes Buch vorgelegt. Es beschreibt die Lebensläufe zweier bedeutender italienischer Mathematiker in deren privatem wie wissenschaftlichem Umfeld. Die Auswahl der Themen erfolgt mit dem Ziel, nach beider Persönlichkeiten ihre Beziehungen zu Einstein, dessen Umgebung und seiner Allgemeinen Relativitätstheorie darzulegen. Das Buch ist reich an Informationen, wenn auch nicht immer sehr flüssig geschrieben.Footnote 11 Obwohl angesichts kaum vorhandener persönlicher Kontakte die Mathematik das Bindeglied zwischen Ricci bzw. Levi-Civita und Einstein war, so wird sie im Buch leider nur recht allgemein behandelt. Leser mit Interesse am Ricci-Kalkül beispielsweise sollten doch eher zu einem Lehrbuch greifen – oder bei Interesse an seiner historischen Entwicklung zu den Originalarbeiten.

Dem geneigten Leser empfiehlt der Rezensent, das Buch nicht mit dem Anfang, sondern im Anhang zu beginnen. Die Nekrologe (Anhänge B und C) bieten den idealen Einstieg und erleichtern auch bisweilen das Verfolgen der Handlungsstränge im Hauptteil. Aufgrund der mathematisch doch recht gewöhnungsbedürftigen Ausgestaltung von Anhang A möchte der Rezensent diesen nur eingeschränkt empfehlen; Physikern dürften einige der dortigen Argumentationen jedoch bekannt vorkommen.

Ob es der Autorin mit diesem Buch letztlich gelingen wird, die Geschichte von Ricci und Levi-Civita einem breiteren Publikum nahezubringen, kann der Rezensent nicht wirklich beantworten. Mathematisch bzw. physikalisch Vorgebildeten dürften zumindest Begriffe wie Ricci-Krümmung oder Levi-Civita-Zusammenhang und damit der Einfluß der beiden Mathematiker auf Differentialgeometrie bzw. Allgemeine Relativitätstheorie bereits bekannt sein; für diese ist das Buch eher Belletristik, garniert mit interessanten Blicken hinter die Kulissen des Wissenschaftsbetriebs. Und ohne entsprechende Prägung? Auch für diese Gruppe hält die Biographie durchaus Interessantes bereit. Nur dürfte das Buch, falls es außerhalb des mathematisch-physikalischen Publikums reüssiert, den Erfolg wahrscheinlich einem Wort verdanken. Es lautet nicht Ricci, nicht Levi-Civita. Sondern es ist das Wort, welches Judith R. Goodstein an den Beginn des Titels gestellt hat: Einstein.